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Entschlüsselung komplexer molekular-biologischer Vorgänge

I. Einleitung

I.2 Peptidomics

I.2.2 Entschlüsselung komplexer molekular-biologischer Vorgänge

Anfang der 90er wurde verstärkt begonnen, das Genom des Menschen und anderer Lebewesen zu erforschen (Genomics). In der Hoffnung auf ein tiefgehendes Verständnis der Entstehung von Krankheiten auf molekularer Ebene wurde in großem Maßstab die Sequenzierung der DNA vorangetrieben. Dieser Ansatz wird inzwischen durch weitere globale Profiling-Technologien ergänzt (Abb. I-4):

Abbildung I-4 Verschiedene Strategien zur Aufklärung komplexer biologischer Vorgänge im Organismus [modifiziert nach Schulz-Knappe, P. et al. 2001]

Nach erfolgreicher Entschlüsselung des menschlichen Genoms steht nun die Funktionsanalyse der an den Zellprozessen beteiligten Proteine und Peptide, also des Proteoms, im Vordergrund. Der Begriff Proteom wurde 1995 von Wilkins und Humpher [Wasinger, V.C. et al. 1995] eingeführt und umfasst die Gesamtheit aller von einem Genom kodierten Proteine. Mittels Transcriptomics wird die Umsetzung der Gensequenzen in ihre Produkte auf Eiweißebene untersucht. Dieser Ansatz wird dadurch begrenzt, dass insgesamt über 250 000 humane Proteine existieren, aber nur 30 000 bis 40 000 Gene. Diese deutlich größere Vielfalt auf Proteinniveau entsteht durch unterschiedliche prä-mRNA-Prozessierung zur reifen mRNA, enzymatische Spaltung und poststranslationale Modifizierungen der Proteine. Ein Gen kann somit für mehrere Proteine oder Peptide kodieren, so dass aus der Nukleinsäuresequenz nur bedingt auf die kodierten Stoffe und deren Wirkung im Organismus geschlossen werden kann. Abb. I-5 verdeutlicht die multiplen Prozessierungsmöglichkeiten am Beispiel eines Peptidhormons:

Abbildung I-5 Prozessierung von Peptidhormonen. Die Umsetzung der das Genom repräsen- tierenden Nukleinsäuren in Genprodukte stellt einen vielstufigen Prozess dar. Auf allen Stufen können dabei regulierende Mechanismen angreifen, die die Quantität sowie die Qualität des Genproduktes beeinflussen. [Schulz-Knappe, P. 1996]

Kleine Veränderungen wie die Abspaltung einer einzelnen AS oder posttranslationale Modifikationen (Phosphorylierung, Amidierung, Sulfatierung, Glykosilierung, Oxidation etc.) können die biologische Funktion eines Peptids völlig verändern.

Umfassende Analysen zur Kartierung und Identifizierung von Eiweißen finden innerhalb der Proteomforschung (Proteomics) statt. Sie bedient sich der Auftrennung von Proteinen mit zweidimensionaler Gelelektrophorese (2-DE) und anschließender massenspektrometrischer Sequenzierung. Bei diesem Vorgehen werden Substanzen mit einem Molekulargewicht kleiner als 10 kDA, also die meisten Peptide, nicht erfasst. Gründe dafür sind der große mengenmäßige Überschuss von Proteinen gegenüber Peptiden, die in diesem Massenbereich unzureichende Auflösung der 2-DE sowie die schlechte Anfärbbarkeit der kleineren Peptidmenge. Zur Entschlüsselung des Peptidspektrums einer spezifischen Quelle kommt dieser Ansatz also gar nicht oder nur bedingt in Frage. Erforderlich ist deshalb ein Peptidomprojekt (Peptidomics) zur systematischen Charakterisierung von Peptiden und kleinen Proteinen mit einem Molekulargewicht von 0,5 bis 15 kDa in komplexen, biologischen Quellen [Schulz-Knappe, P. et al. 2001]. Hauptanwendungsgebiet ist der Extrazellulärraum präsentiert durch Körperflüssigkeiten wie z. B. Blutplasma, Synovia, Liquor und Urin. Aber auch verschiedene Gewebeproben und Zellkulturen wurden bereits erfolgreich analysiert.

Den Zusammenhang zwischen Proteom und Peptidom gibt Abb. 1-6 wieder. Proteolyse, Diffusion, Sekretion und Reuptake sind nur wenige Beispiele biochemischer und physikochemischer Prozesse, die die hohe Dynamik der Eiweißzusammensetzung biologischer Proben bedingen. Als Abbauprodukte größerer Moleküle stellen Peptide auch Marker für degenerative Prozesse dar (aus dem Griechischen: πεπτειν - verdauen).

Nachdem durch geeignete und für jede Quelle individuelle Probenvorbereitung Proteine möglichst umfangreich abgetrennt wurden, werden die Peptide mittels chromatographischer Methoden aufgetrennt. Die genaue Kartierung und Identifizierung erfolgt dann mit verschiedenen massenspektrometrischen Methoden oder dem sukzessiven Aminosäureabbau nach Edman.

Abbildung I-6 Peptidom und Proteom sind durch Proteasen dynamisch verbunden.

[Schulz-Knappe et al., 2005]

Peptidomics besteht aus zwei sich ergänzenden Ansätzen:

• Differential Peptide Display (DPD): Quantitativer und qualitativer Vergleich verschiedener Erkrankungsstadien oder zwischen einem kranken Kollektiv und einer gesunden Kontrollgruppe.

• Peptide Trapping: Die gezielte Identifizierung von Peptiden, die aufgrund ihrer molekularen Masse und ihres chromatographischen Verhaltens charakterisiert sind.

Dies ermöglicht die Erstellung einer Inhaltsangabe eines Probenmaterials auf Peptidniveau.

Der Arbeitsablauf einer Peptidomanalyse gliedert sich in folgende Schritte (Abb. I-7):

1. Auswahl relevanter Probenkollektive und Materialgewinnung 2. Extraktion der Peptide aus der biologischen Quelle

3. Fraktionierung mittels RP-HPLC

4. Analyse jeder einzelnen Fraktion durch MALDI-TOF-MS

5. Vergleich der massenspektrometrischen Daten der definierten Kollektive (Detektion von Differenzen im Peptidmuster)

6. Identifizierung potentieller Marker 7. Medizinisch-biologische Interpretation

Abbildung I-7 Peptidomics Workflow [Budde, P. et al. 2004]

Für jede Probe entstehen bei der MALDI-TOF-MS 96 Einzelspektren. Diese werden mit der von BioVisioN entwickelten Software SpectromaniaTM in Reihenfolge der Elution der gesammelten chromatographischen Fraktionen zu einer Peptidkarte kombiniert. Dabei werden die Massenspekten um 90° gedreht, so dass die Spektren quasi „von oben“ betrachtet werden.

Die unterschiedliche Intensität der Massensignale wird durch die Farbintensität kodiert. Von jeder Probe entsteht ein individueller „Fingerabdruck“, eine sogenannte Peptidkarte, die das Elutionsverhalten der Peptide in der Chromatographie und die detektierten Massen in den einzelnen Fraktionen berücksichtigt und optisch einem 2-DE Gel ähnelt.

Die x-, y-, und z-Achse einer solchen Darstellung sind die relative molekulare Masse, die chromatographische Fraktion und die Intensität der gemessenen massenspektrometrischen Signale. Die zu Grunde liegenden massenspektrometrischen Messwerte sind in einer Datenbank zusammen mit den klinischen Daten gespeichert und werden für die statistische Auswertung verwendet. Peptidkarten bzw. die ihnen entsprechenden Datensätze werden mit statistischen Methoden vergleichend analysiert, um Unterschiede im Peptidmuster bei verschiedenen Krankheitszuständen zu identifizieren.

Die Auswahl des geeigneten Probenmaterials ist einerseits abhängig vom Ort des pathologischen Geschehens und der Verstoffwechselung von Markerkandidaten im Organismus und andererseits praktischen Erwägungen wie die Einfachheit der Probengewinnung. Abb. I-8 verdeutlicht die sich teilweise gegenläufig verhaltenden Auswahlkriterien.

Abbildung I-8 Kompartimente des Körpers und Kriterien bei der Wahl des besten Probenmaterials

[Schulz-Knappe et al. 2005]

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