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VI. Erklärungsangebote

1. Erste Näherung: Praxen

1.1 Kinder (Feriencamper)

Auf die direkte Frage, warum sie campen gehen, antwortete mir eine Mehrheit der Gäs-te, direkt und ohne nachdenken zu müssen, es sei ihrer Kinder wegen.292 Ein etwa 30-jähriger Vater erinnerte sich, er habe früher „ganz anders Urlaub gemacht.“ Auf ausge-dehnten Motorrad-Touren habe er die USA erkundet. Mit Kindern im Gefolge gehe das nicht mehr. Camping sei das Optimale, die Kleinen seien automatisch beschäftigt. Der Ort und die Einrichtung, so der Mann, spielten im Grunde keine Rolle. Theoretisch, glaubte er, könne man ins Auto steigen, eine Stunde lang geradeaus fahren, auf einem beliebigen Parkplatz anhalten und dort sein Zelt aufschlagen. Das Wichtigste sei, dass dort schon andere Zelte mit anderen Menschen und Kindern anwesend sind.293

Ein Niederländer, der im Jahr 2008 am Hauptweg untergebracht war, wollte mit seinen Kindern zunächst im Zentrum und in Strandnähe stehen. Es war aber nichts frei. Man bot ihm daraufhin eine abgelegene, durchaus komfortable Parzelle an. Das kam für ihn nicht in Frage: „Wegen der Kinder. Es muss immer was los sein.“294 So stellte er sich direkt an den Haupteingang und hat diese Entscheidung, eigener Aussage zufolge, nicht bereut. Es spiegelt und bestätigt sich hier die Überzeugung, dass das quirlige Gesche-hen, die Vielfalt der Eindrücke, die Angebote sowie das Vorhandensein von

292 Zu demselben Ergebnis kamen bereits statistische Erhebungen in den 70er-Jahren. Vgl. Hoffmann H. 1970: Unter-suchung über die Struktur des Camping-, Caravan-Reiseverkehrs. (Veröffentlichung des Deutschen Wirtschaftswis-senschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr). München, S. 5; außerdem Heinlein, B. / Radeke, C. 1972: Die Situati-on des Camping-, Caravan-Reiseverkehrs (= Veröffentlichung des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr). München, S. 131.

293 Aussage im Zuge einer Umfrage, die ich im April 2004 auf dem Platz machte. Sie erfolgte im Auftrag der Direkti-on und wurde nie ausgewertet. Das Thema lautete, wie es den Kunden auf der neu eingerichteten Familienwiese gefällt. Ich nutzte dies für eigene Fragestellungen.

294 Als Notiz festgehalten.

fährten Kinder in Bann schlägt und beschäftigt.295

Hinzu kommt, dass sich lebhafte Kinder nicht mit der Atmosphäre eines Hotels vertra-gen. Als „Disziplinstress“ bezeichnete Berthold T., die Verpflichtung in einem Hotel oder in einer Pension über das Verhalten seiner beiden Kinder wachen zu müssen, weil sie andere Gäste stören könnten. Berthold T. war zur Zeit des Interviews Stammgast in K., und 48 Jahre als. Auf einem Campingplatz, meinte er, könne man die Kinder „über-all rumsocken“ lassen.296 Das beurteilten die anderen von mir befragten Eltern ebenso.

In Verbindung damit wurden außerdem die Kosten erwähnt. Es sei billiger zu campen als in einem Hotel zu logieren, wo jede Malzeit und jedes Eis zusätzliches Geld kostet.

Als Camper könne man Vorräte mitbringen, selber kochen und das Eis im Supermarkt kaufen.

Zudem, auch dies kam zur Sprache, sind Campingplätze eingezäunt und überschaubar und gelten gemeinhin als sicher. Eine Mutter sprach außerdem erzieherische Aspekte an: „Meine Kinder haben auf dem Campingplatz alles gelernt.“ Damit meinte sie tech-nische Fertigkeiten wie Fahrradfahren. Unausgesprochen schwang noch mehr mit, die Frau dachte vielleicht auch an soziale Fähigkeiten wie: Anschluss finden, mit anderen Kindern umgehen. Vielleicht meinte sie sogar die Selbstständigkeit, die Kinder entwi-ckeln, wenn sie sich auf einem weitläufigen Gelände in einem Heer von Menschen zu-rechtfinden müssen.297

Das Spiele- und Beschäftigungsangebot ergibt sich für Kinder durch das bloße Vorhan-densein anderer Kinder und durch das alltags-ungewöhnliche Umfeld einer Zeltstadt.

Doch versuchen die Veranstalter dieses Angebot noch zu verstärken. Wie erwähnt, wurde in K. das Kinderangebot in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten erheblich ausgebaut. Ein Ferienort mit größtmöglichem Spielangebot verspricht Eltern die größt-mögliche Entspannung und wird – davon geht auch die Branche aus – eher als Urlaubs-ziel gewählt als ein anderer.298 In K. ließ sich das sogar innerhalb des Platzes feststellen.

Immer wieder nahmen Eltern unkomfortable Parzellen in Kauf, wenn sie dafür mit ihren

295 Kurzes Gespräch im Jahr August 2008, als Notiz festgehalten. Zudem erwähnten Camper verschiedentlich, es sei ihnen pädagogisch wichtig, mittels Camping ihre Kinder an die Natur heranzuführen.

296 Eigenes Interview mit Berthold T. am 31. September 2008.

297 Eigenes Interview mit Berthold T. am 31. September 2008.

298 Laut einer Umfrage vom Januar 2006 bestimmen über 50 Prozent der Kinder den Urlaubsort mit. Immer mehr Reiseanbieter bieten „familiengerechte Reisen“ an. Hotelbetreiber kamen schon vor Jahren darauf, ihre Häuser nicht nur familiengerecht einzurichten, sondern es entstanden regelrechte Kinderhotels. Matzig 2007, S. 73.

Kindern möglichst nah am Spielezentrum stehen konnten.

Dass Eltern durch das Beschäftigtsein ihrer Kinder mehr Zeit für sich selbst haben, be-stätigte mir Arndt U.:

„Weil meine Frau und ich uns dann einfach die Zeit für uns letztlich nehmen.

(…) Der Kleine ist unterwegs mit seinen Kumpels und ist nicht hier daheim und braucht Betreuung links und Betreuung rechts. (…) man kann sich mal über vie-le Dinge unterhalten und äh, ja, da ist zum Beispiel auch mein Heiratsantrag ent-standen.“299

Die Auffassung, dass es Campingplatzbesuchern unter anderem darum geht, eine mög-lichst bequeme Art der Kinderunterhaltung zu haben, weil sie als Eltern davon profitie-ren, teilt der Handlungsreisende Volker K. Er verkehrt leidenschaftlich gern auf Cam-pingplätzen, allerdings als Mietwohnwagencamper, vorzugsweise auf Großcamping-plätzen an der Adria.

„Es ist natürlich auch so, dass man dann am Abend zusammensitzt und eine Stunde Karten spielt mit den Kindern. Aber den ganzen Tag will man die Kinder nicht um sich rum. Weil dann sind die Kinder unleidig und die Alten werden es dann auch.

Weil, man will den Kindern etwas bieten: ein Schwimmbad mit zehn Rutschen, ei-ne Sealifeshow auf dem Campingplatz’, sage ich mal bald.“300

Wie man andererseits aus dem Hinweis auf das Kartenspiel heraushören kann, geht es noch um einen zweiten Aspekt. Volker K. schließt: „Aber man will auch die Möglich-keit haben, zusammensitzen zu können und doch noch zwei, drei Stunden was gemein-sam zu machen. Und die Bandbreite hast du da voll.“301

Auch Berthold T. gefällt die Nähe, die er trotz ihres Freilaufs zu seinen Kindern spürt.

Man spiele beim Campen nicht nur zusammen Gesellschaftsspiele, sondern unternehme Dinge, für die zuhause keine Zeit bleibe. Man müsse sich ja beschäftigen, könne sich

„nicht aus dem Weg gehen, jeder in sein eigenes Zimmer wie daheim.“302 Es ist also nicht nur eine erholsame Distanz, die sich ausbreitet, sondern in der verbleibenden Zeit rücken die Familien enger zusammen. Verschiedene Paare ziehen sich dann auch vom Camping zurück, sobald ihre Kinder erwachsen sind. Sie verkaufen ihre Ausrüstung und wechseln zu Hotel- und Pensionsurlauben.303

299 Eigenes Interview mit Arndt U. am 15. Oktober 2008.

300 Eigenes Interview mit Volker K. am 15. August 2007.

301 Eigenes Interview mit Volker K. am 15. August 2007.

302 Eigenes Interview mit Berthold T. am 31. September 2008.

303 Das berichteten mir vormalige Camper, mit denen ich außerhalb des Platzes verschiedentlich sprach.