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Aufgeschlossenheit / Kameraderie

VI. Erklärungsangebote

3. Dritte Näherung: Argumente und Strategien

3.5 Aufgeschlossenheit / Kameraderie

Wenn davon die Rede war, dass es am Urlaubsort darum geht, auf dem Campingplatz so wenig wie möglich von Pflichten in Beschlag genommen zu werden, dann betrifft das auch die Nachbarn und Kontakte. Faber unterstellte im Falle von Dauercampern, die aus der Stadt stammen, ein gesteigertes Kontaktbedürfnis. Dem steht in K. jedoch be-reits die Architektur gegenüber. Sicher will man damit die Parzellen gegen die Übergrif-fe der Einweiser verteidigen, zudem drückt sich ein Gestaltungswille aus, doch letztlich schirmen die Erbauer die Außenwelt ab.466 Weiter findet man in K. Straßenzüge, in de-nen die Nachbarn einander kaum kende-nen. Viele Dauercamper sind zudem nur mit der Geographie ihres eigenen Viertels vertraut und haben andere nie betreten. Das mag mehrere Gründe haben. Aber es deutet wiederum darauf hin, dass das enorme Kontakt-Angebot des Platzes nur begrenzt genutzt wird. Das sieht zunächst nicht nach dem Be-mühen aus, ein unbefriedigtes Bedürfnis kompensieren zu wollen. Das würde auch nicht zum Harmoniemilieu passen, das dem Fremden per se eher misstrauisch gegenüber-steht, und ebenso wenig zum Integrationsmilieu, das in dieser Richtung ähnlich struktu-riert ist.

Arndt U. machte keinen Hehl daraus, dass er gern alleine gelassen wird. U. stammt aus meiner Heimatgemeinde. Ich war erstaunt, als ich ihm im Jahr 2006 in K. begegnete.

Wie mir der damals etwa 35-Jährige später erklärte, war er kurz zuvor aus einer mittel-deutschen Stadt ins Schwäbische zurückgekehrt, um dort einen Posten bei einer Bank zu bekleiden. Er habe beschlossen, ein Haus zu bauen und übergangsweise eine Wohnung gemietet. Aber:

„Ja, da bin ich in dieser schönen Wohnung gewesen. Über mir jemand, unter mir jemand, kein Garten, und ich war ein eigenes Haus gewohnt. (…) Und dann

465 Barley 2002, S. 20.

466 Es gab in K. mehrere Dauerwohnwagen, die mit der Rückwand längs zur Straße stehen. Der Vorgarten war nach innen angelegt und von keiner Seite her einsehbar. Die Besitzer mussten ihr Areal durch eine Lücke betreten und waren dann für die Außenwelt verschwunden. Hier gab es keine Öffentlichkeit mehr.

be ich festgestellt, dass der [Übermieter] morgens um vier aufsteht und so weiter und dann habe ich gesagt: Ich muss irgendetwas tun, ich muss raus, ich kann die Wochenenden nicht in der Wohnung verbringen, auf einem kleinen Balkon (..) und oben jemand und so weiter.“467

Arndt U. entstammt einer Camperfamilie und konnte auch seine zunächst skeptische Freundin und heutige Frau von dieser Urlaubsform überzeugen. Wobei sie, fügte U.

hinzu, zuvor meistens auf Campingplätzen verkehrten, „die in den Top-Bereichen sind, (…) wo du schon 40, 50 Euro zahlst. Frankreich, Italien, Spanien.“ Dauercamper waren die beiden bis dato nie. Als der Bankmanager im Internet einen älteren Caravan ent-deckte, den ein K.-Dauercamper samt seiner Parzelle abgeben wollte, nutzte er die Ge-legenheit.

„Das war eigentlich die ganze Geschichte. Nicht dass ich gesagt habe, ,Ich muss nach K’. Ich habe gesagt, ,Ich muss raus, ich brauche meine Ruhe’ (…) Ich weiß nicht, wie lange wir das Ding jetzt behalten. (…) Ich habe die Flucht raus ge-sucht (…). Ich möchte einfach raus, ich möchte am Wochenende, oder auch mal in den Ferien, nicht auf meinem Balkon sitzen und jetzt überlegen, was ich spre-che, mit wem auch immer. Hört der Obere und der Untere? Das hören da [auf dem Campingplatz] zwar auch links und rechts welche – aber, die interessieren mich ja nicht, ich habe zu denen ja keine Beziehung … wenn da ein Name fällt, über den ich spreche, ja? Das interessiert den linken und den rechten, die hören vielleicht zu, aber das können sie in keine Beziehung setzen. Und wenn ich halt jetzt auf einem Balkon sitze, da habe ich keine Lust (…), dass du jedes Mal auf-passen musst, was du sagst. Und das hast du da halt nicht, du hast zwar diese Nähe, ja?, aber du bist doch, ich sage mal: anonym.“

Auch Uwe S. sagte, er schätze es, auf einem Gelände mit so vielen Menschen zu sein.

Andererseits bat er mich schon gleich bei unserer ersten Begegnung ausdrücklich, in nächster Zeit keine Nachbarn auf die freie Parzelle nebenan zu stellen. Er nannte dafür als Grund, er brauche sie als Abstellfläche für seinen Umbau. Das erscheint plausibel.

Andererseits brachten, wie geschildert, viele Dauercamper Gründe vor, warum es mo-mentan ungünstig sei, Gäste in ihre Straße zu platzieren. Umgekehrt schlugen täglich Kunden das Angebot aus, alleine zwischen Dauercampern stehen. Feriengäste, die sich für aufgeschlossene Zugvögel halten, erkennen in den anderen keine Artgenossen. Sie sehen in ihnen „verhinderte Laubenpieper oder verkappte Schrebergärtner mit einem Hang zum Gartenzwerg“.468 Zumal in K. kommt man nicht auf den Gedanken, dass

467 Eigenes Interview mit Arndt U. am 15 Oktober 2008.

468 Stehr 2007, S. 3.

ter den zugegebenermaßen sehr vielen Nur-Dauercampern auch solche wohnen, die entweder mit dem eigenen Caravan in Sommerurlaub fahren oder die altershalber sess-haft wurden.

Nach der Überzeugung der Feriengäste wollen Dauercamper keinen Kontakt. Wie sich in den dargestellten Fällen zeigt, scheint das auch zuzutreffen. „Jaja, Dauercamper und andere Leute“, lachte schallend eine junge Frau, die ich ins Dauercampergebiet stellen wollte und der ich gesagt hatte, es sei möglich, dass die Nachbarn ihr vielleicht nicht leutselig begegnen würden. Wie sie sagte, verstand sie sofort, was ich ihr andeuten wollte. Sie komme selber aus einer Dauercamperfamilie. Das Image einer gewissen Muffigkeit gehört also möglicherweise durchaus zum Selbstbild der Dauercamper.

Warum mögen Dauercamper keinen Kontakt? Von einem milieubedingten Argwohn gegenüber dem Neuen oder Fremden abgesehen ist es so, dass Feriencamper als Durch-zügler in der Tat eine gewisse Unruhe in die jeweilige Straße bringen und Umstände verursachen können. Die Gefahr der Unruhe ist umso größer, als sich Feriengäste, wie festgestellt wurde, freier benehmen können als man selbst. Demnach würden Dauer-camper also doch kein „enormes“ Bedürfnis hegen, andere Menschen kennenzulernen.

Indessen scheint es so zu sein, dass dieses Kontaktbedürfnis lediglich anders geartet ist, als es sich Faber vorstellt.

Bevor dem nachgegangen werden soll, stellt sich eine zweite Frage. Nämlich, ob es sich mit der Kontaktfreudigkeit der Feriencamper anders verhält. Ingrid M. bevorzugte nach eigener Aussage Campingurlaub, weil sie dort die Chance sah, Bekanntschaften zu knüpfen. Wie sie auf meine Nachfrage allerdings feststellte, hatte sie nur einmal eine dauerhafte Freundschaft aufgebaut, die dann auch wieder im Sande verlief. Ihrem „Hal-lo kommt rein“, so sehe ich es, folgte der unausgesprochene Satz: Aber geht dann bitte auch wieder raus. Wie erwähnt hat sich auch die Clique der Leute „vom Wasserhahn“

trotz ihrer Ankündigung nie mehr wieder getroffen.

Der Widerspruch ist im Falle der Dauer- wie der Feriencamper nur scheinbar, nur parti-ell. Feriencamper besitzen aufgrund ihrer Mobilität die grundsätzliche Möglichkeit, weiterzuziehen, etwa wenn der Nachbar als unfreundlich empfunden wird. In vielen Camperbiographien finden sich Flucht-Geschichten. Man darf aber auch dann weiter-ziehen, wenn man sich gut mit den Mitbewohnern versteht, jedoch darauf spekuliert, auf einem anderen Platz mit neuen Leuten noch etwas Neues zu erleben. Weder die

Zugvö-gel noch die Zurückbleibenden empfinden das als Verrat oder Unhöflichkeit. Trifft man jedoch Gleichgesinnte und fühlt sich wohl, dann steht es frei, Jahr für Jahr in diesen Kreis zurückzukehren – in das, wie Opaschowski sagte, sichere „bisschen was“ vom Paradies, das man irgendwann einmal gefunden hat und von dem man befürchtet, es könne woanders nicht da sein.469 Um dann nach ein paar Tagen eben doch eine andere Richtung einzuschlagen. Eine Bekannte erzählte mir zwei Wochen vor Antritt ihrer Wohnmobil-Ferien, ihr zerreiße es heute schon das Herz, wenn sie an all die kommen-den netten Camping-Bekanntschaften kommen-denke, von kommen-denen sie sich dann wieder trennen müsse. Das sei bei ihr immer so, lachte die 45-Jährige.470

Das bedeutet, als Feriencamper hat man die Chance, Kontakte zu knüpfen, man hat aber auch das Recht, diese Kontakte wieder aufzugeben. Man muss Bekanntschaften nicht pflegen, man kann Bekanntschaften regelrecht konsumieren und die Trennung als Schmerzlust genießen.

Dauercamper sind dagegen für mindestens eine Saison an ihren Platz gebunden und haben keine Möglichkeit zur Flucht. Sie müssen bei der Kontaktaufnahme entsprechend vorsichtiger sein. Kruse, der seinerseits festgestellt hatte, dass die Kontaktfreudigkeit im Selbstverständnis eines der wichtigsten Wesensmerkmale der Dauercamper ist, stellte fest, dass es (auch) hier um lose, zu nichts verbindende Kontakte geht. „Enge Verbin-dungen würden eine Einschränkung des persönlichen Freiraumes, der eigenen Hand-lungsfreiheit bedeuten, und das ist es ja gerade, was man hier sucht.“471 Fuchs deutet Zäune und Hecken deswegen als „Abgrenzung von zuviel Kontakt auf dem Platz“.472 Mittels dieser Barrieren verteidigen die Besitzer in seinen Augen die Freiheit, gegen-über niemandem verpflichtet zu sein. So hält man eine Nachbarschaft auf Distanz, die allzu dicht heran rücken könnte. Aus diesem Grund sind viele Dauercamper, die ich kennengelernt habe, mit Einladungen an Bekannte vorsichtig, wenn die Gefahr besteht, dass diese sie regelmäßig besuchen kommen könnten.

Die Einstellung der Feriencamper, bestätigt Arndt U., der beide Campingformen kennt, sei in der Tat ähnlich. Die Gummihammer-Mentalität, bei der potenzielle Helfer

469 Opaschowski 1991, S. 17.

470 Beiläufiges Gespräch mit einer Bekannten am 3. Januar 2009. In Stichworten mitnotiert.

471 Kruse 1994, S. 61. Der Autor glaubt zudem, benachbarte Dauercamper würden bewusst wenig ihrer Privatsphäre preisgeben, weil sie dadurch vor anderen wieder zum „Alltagsmensch[en]“ werden. Ebd., S. 69.

472 Fuchs 1994, S. 90.

lich nur darauf warten, mit ihrem „Kontaktbeschaffer“ eingreifen zu können, habe er schon erlebt.473 Ebenso Neuankömmlinge, die sich beim Einpflocken ihrer Heringe scheinbar absichtlich ungeschickt anstellen, um potentielle Helfer zu aktivieren, mit denen sie dann ins Gespräch kommen wollen. Den meisten Campern liege es allerdings fern, sich allzu stark an die Nachbarn anzubinden:

„Also ich denke, es geht um Kontakte, es geht einfach um diese Ungezwungen-heit, es geht um die, doch – die Freiheit! Und es geht schon darum, dass du ei-gentlich auch in Kontakte reinkommst teilweise … besser … und vielfältiger als wenn du ständig in einem Hotel bist, wo du vielleicht dich zwei Wochen lang einen Tisch zugewiesen hast und wenn du Pech hast, ständig mit den gleichen Leuten am Tisch sitzt, die du, äh, einfach nicht ausstehen kannst. Da ist die Fluchtmöglichkeit ja sehr gering, ne?“474

Insgesamt erscheint mir für die Beziehungen auf dem Campingplatz die Bemerkung von Arndt U. zutreffend, die lautet: „Du hast zwar diese Nähe, ja?, aber du bist doch, ich sage mal: anonym.“ Wobei Nähe und Anonymität individuell variabel sind.

Die ganze Bandbreite der Kontaktfreudigkeit der Dauercamper darzustellen, war in die-sem Rahmen nicht möglich. Es gab sehr wohl Fälle von herzlicher Aufnahme, Offenheit und großer Hilfsbereitschaft. Dennoch offenbarte sich in K. häufig, wie eng die Grenzen von Kontaktfreudigkeit und Toleranz vieler Dauercamper zuletzt doch gesteckt waren.

Über das eigene soziale Umfeld und Herkommen reichten sie oftmals nicht hinaus.

Wenn es um ausländische Nachbarn ging, wenn Zuzügler unkonventionell wirkten oder auch nur den ungefähren Anschein hatten, aus einem sozialen Randmilieu zu stammen, fielen oft misstrauische Bemerkungen hinter vorgehaltener Hand. Dies entspricht den Beobachtungen Fabers, der meinte, dass auf dem von ihm beforschten Campingplatz 70 Prozent der Dauercamper „am liebsten nichts“ mit anderen Gruppen zu tun haben.475 Man muss seine Aussagen zwar relativieren, negieren kann man sie nicht.

473 Nochmals Blontke 2007, S. 139.

474 Eigenes Interview mit Arndt U. am 15. Oktober 2008.

475 Vgl. Faber S. 88-91. Der Journalist Günter Wallraff schilderte den Fall, dass es ihm in der Verkleidung eines Afrikaners nicht gelang, auf einem Camping bei Minden einen Dauerplatz zu mieten. Vgl. Wallraff, Günter 2009:

Aus der schönen neuen Welt: Expeditionen ins Landesinnere. Köln, S. 21-24. Wie dieser Versuch in K. ausgegangen wäre, ist Spekulation. Ich bin aber überzeugt, dass man den Bewerber viel genauer als einen Deutschen begutachtet und lange abgewogen hätte, ob die Aufnahme bei anderen Gästen nicht für allzu große Irritationen sorgt.