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VI. Der Ort

3. Die Rhythmen der Saison

3.3 Formalien und Kontrolle

Formalien gab es bis zum Umbau keine, Neuzugänge brauchten nicht aus ihrem Wagen aussteigen. Sie sollten gar nicht aussteigen. Alles musste so schnell wie möglich gehen.

Es gab nur eine winzige Auswahl von Plätzen, sie zu beschreiben wäre schwierig gewe-sen, sie zu Fuß zu zeigen hätte zu viel Zeit gekostet. Währenddessen hätte sich die Schlange der wartenden Wohnwagen vor dem Tor nach weit außerhalb des Platzes ver-längert und die Zufahrten benachbarter Betriebe versperrt. Die Kunden wurden also aufgefordert, den Personal- oder Campingausweis aus dem Autofenster zu geben und einem von drei Einweisern zu folgen, der auf seinem Fahrrad auf sie wartete. Der Ange-stellte zeigte in der Hochsaison einen, maximal zwei Plätze. Gefiel dem Gast, was ihm gezeigt wurde, konnte er seinen Anhänger abkoppeln und sein Gepäck ausladen. Miss-fiel ihm der Platz, brauchte er lediglich zu wenden und konnte den Platz wieder verlas-sen.

Die Anmeldezettel füllten die Mitarbeiter der Rezeption am Abend aus. Dazu

verwand-ten sie Camping- oder Personalausweise, die sie ihnen die Gäste gleich eingangs über-geben hatten. Die Camper konnten die Ausweise anderntags abholen – sofern sie sie brauchten. Das empfanden viele als angenehm. Andere reagierten pikiert: „Nein, mei-nen Ausweis geb’ ich nicht her. Dürfen Sie mir den denn überhaupt so einfach weg-nehmen?“ Oder es hieß, wenn der Einweiser die neue Einheit vom Trubel der Pforte weggeführt hatte und das erste Mal anhielt, um sich vorzustellen: „Ja sagen Sie mal, was ist das denn hier? Da wird man da vorne angeschrien: Los, Ausweis her!’ und dann wird man hierher geschleppt. Da weiß man ja gar nicht was los ist. Sagen Sie mal, so geht’s doch nicht“.173

Weil alles so rasch ablief, unterstellten kritische Gäste immer wieder missbilligend, die Rezeption sei unfähig, so etwas Chaotisches habe man noch nirgendwo erlebt, hieß es wortwörtlich oder sinngemäß. In Wirklichkeit wurde jeder Zugang registriert, die Per-sonenzahl notiert und bei der Abrechnung nochmals durch gezielte Abfrage überprüft.

Auch wurden die Einweiser über den Platz geschickt, um heraus zu finden, wo kosten-pflichtige Beistellzelte und Pavillons aufgebaut waren. Es wurde hinterher verglichen, ob sie auf dem Anmeldeformular verzeichnet waren.

Aufgrund der Systematik des genau eingehaltenen Regelwerks und weil unter den Dau-er- wie auch den Feriencampern – und nicht zuletzt unter den Angestellten – eine Art selbsttätiger Kontrolle wirkte, war die Übersicht viel umfassender, als es sich die meis-ten Gäste vorstellen konnmeis-ten. Schon wegen der ausgeprägmeis-ten räumlichen Nähe, das stellte bereits Christian Kruse fest, ist die soziale Überwachung auf einem Camping-platz unvermeidlich. Oder wie es einer seiner Interviewpartner zuspitzte: „,Beim Cam-ping kommt alles raus.“174

Verstöße wie etwa das Heckenschneiden während der Brutzeit, aber auch weniger Gra-vierendes – ein zu laut gedrehtes Radio, Kinder, die an einer der frei zugänglichen Was-serstellen plantschten und dem Vorwurf zufolge Wasser verschwendeten, eigenhändige Montage an der Stromversorgung, falsch geparkte Autos, Nachbarn, die nachts in die Büsche urinierten, Personal, das während der Dienstzeit außerhalb des Platzes gesehen worden war – solche Dinge gelangten informell zur Rezeption oder zur

173 Aus dem Gedächtnis wiedergegeben, stellvertretend für viele ähnliche Bemerkungen.

174 Kruse, Christian 1994: Von echten, unechten, Ur-, Auch-, Dauer- und Urlaubscampern. Zum Selbstverständnis von Dauercampern. In: Hofmann (Hg.) 1994, S. 47-69; hier, S. 64. Kruse gehörte zu der bereits zitierten Studien-gruppe unter der Leitung von Gabriele Hofmann, die den Campingplatz Hubertushof beforschte.

tung. Und wenn Gäste gesucht wurden, waren sie im Bedarfsfall sofort ermittelt.

Einem bestimmten Kundenkreis mit langjähriger Erfahrung gelang es, sich im vermeint-lichen Chaos Vorteile zu verschaffen. Es waren die Gäste der Jugendwiesen. Sie stan-den über Handy und Internet miteinander in Verbindung und waren durch Erzählungen ihrer älteren Geschwister und Freunde mit den Gegebenheiten vertraut. Die Erfahrenen unter ihnen kannten die schlechter kontrollierten Eingänge, darunter die öffentlich zu-gängliche Pizzastation des Campingrestaurants. Und sie wussten, was sie erwidern mussten, wenn sie von einem Nachtwächter angesprochen wurden. Trotzdem wurden viele erwischt, die unangemeldet hier verkehrten. Das war zumeist der Fall, wenn sie betrunken waren. Die anderen nahm der Platz, wie Roger H. sagte, als „Werbung“ in Kauf.175

Über die Zahlungsmoral beklagte sich die Geschäftsleitung von jeher. Schon vor dem Umbau mogelten sich – zumal an wirtschaftlichen Spitzentagen wie Pfingsten oder Fronleichnam – dutzendweise Besucher auf das Gelände, um dort befreundete Ferien- oder Dauercamper zu besuchen bzw. sie wurden von ihren Gastgebern herein ge-schmuggelt. Wächter, die abgestellt waren, dies zu verhindern, hatten an den besagten Tagen viel zu tun, unaufhörlich gingen Funksprüche über Walkie-Talkie hin und her.

Das könnte zweierlei bedeuten: Dass sich Menschen zum Betrug verleiten lassen, wenn sich die Chance dazu bietet. Oder eben, dass ein in den Kontext Urlaub eingebetteter Campingplatz als ein Raum angesehen wird, an dem die Normen des Alltags nicht gel-ten und man sich weniger aufgefordert fühlt, einer Zahlung Folge zu leisgel-ten, als bei-spielsweise in einem Restaurant.

Mit dem neuen System und dem Umbau der Einfahrt ergaben sich neben den alten auch neue Möglichkeiten des Betrugs, etwa indem Dauercamper ihre Zugangskarten für die vollautomatische Schranke an Verwandte und Bekannte weiterreichten. Beim Herein-fahren fielen diese Personen kaum auf. Die Einnahme-Ausfälle, die so an Eintritts- und Übernachtungsgeldern entstanden, waren beträchtlich. Wer sich erwischen ließ, musste

175 Unter den Jugendlichen meiner Heimatgemeinde war K. in den 80er- und 90er-Jahren ein beliebtes Urlaubsziel.

Die Schwierigkeit bestand den Erzählungen zufolge darin, als eine Gruppe von Jugendlichen überhaupt Zugang zu erhalten. Weitere Freunde hereinzuschmuggeln sei einfach gewesen. Wobei jedoch mindestens ein solcher Betrug ans Licht kam, weil die jungen Männer ihre alkoholbedingte Ausgelassenheit nicht zu zügeln vermochten. Die Beteilig-ten erzählen diese AnekdtoBeteilig-ten bis heute. Dasselbe gilt für Dauercamper, die als junge Feriengäste ebenfalls vom Platz geworfen wurden.

andererseits mit der sofortigen Kündigung oder mit der seines Gastgebers rechnens.176