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VI. Der Ort

3. Die Rhythmen der Saison

3.6 Abwehrstrategien

Es darf nicht der Eindruck entstehen, als hätten sich alle Gäste den Befehlen und Lau-nen des Personals mit einer ans Lächerliche grenzenden Servilität unterworfen. Die An-gestellten mussten trotz gewisser Rückendeckung darauf bedacht sein, dass der über-wiegende Teil der Kunden blieb und der Betrieb nicht durch Beschwerden übermäßig gestört wurde. Dass einige Camper ihren Willen durchsetzen konnten, etwa ihren Wa-gen so stellen, wie sie selber es wollten, wurde schon erwähnt. Auch schafften es Ein-heiten verschiedentlich, sich einen Platz zu erkämpfen, der eigentlich nicht für sie vor-gesehen war.

Wenn Dauercamper ihren Besitz unzugänglich machen wollten, konnten sie Zäune er-richten, Ziersteine setzen, Springbrunnen, Tische und andere Accessoires platzieren.

Halb geöffnete Türverkleidungen oder hoch gerollte Jalousien sollten bewirken, dass die Angestellten glauben, die Besitzer weilten auf dem Platz, während sie in Wirklich-keit Stunden vorher nach Hause gefahren waren. Manche abgereiste Dauercamper stell-ten Gläser und Bierflaschen auf den Garstell-tentisch, um den Eindruck zu erwecken, sie seien in der Nähe.

Dauercamper, die im Umland wohnten, kontrollierten ihren Platz in der Hochsaison in Abständen. Andere ließen ihr Grundstück von den Nachbarn bewachen, die sie telefo-nisch informierten, wenn dort eine Einheit abgestellt wurde. Auch behaupteten Nach-barn wider besseres Wissen, der abwesende Besitzer trete dieser Tage seinen Urlaub an und könne theoretisch schon in der nächsten Stunde erscheinen.

Zudem bestand für befreundete Dauercamper die Möglichkeit, den Platz des Nachbarn zu sperren, indem sie ihr eigenes Auto darauf parkten. Den Verträgen nach war das im Grunde nicht gestattet. Oder die Nachbarn – auch das kam vor – wandten sich direkt an die Feriengäste und erklärten ihnen, wenn auch verklausuliert, sie seien hier nicht

will-kommen. Das beeindruckte selbst Gäste, die den Platz eingangs gerne belegen wollten.

Manchmal kam das sogar vor, wenn es sich dabei nicht um Vorgärten sondern um die regulären Einzel-Parzellen innerhalb eines Dauercampergebietes handelte. Die Ange-stammten trugen vor, es sei zu dieser Jahreszeit in dieser Ecke sehr schattig, der Strom-kasten sei schwer erreichbar, schon beim letzten Mal seien beim Kabelverlegen Blu-mentöpfe zerbrochen und beim Rangieren mit den Wohnanhängern oder Mobilen wür-den regelmäßig Vordächer heruntergerissen. Zuweilen hieß es auch unverblümt: „Ja muss das sein? Ich park’ hier mein Auto.“ Nachdem die Feriengäste das gehört hatten, wandten sie sich teilweise entschuldigend an den Angestellten: „Ach wissen Sie, da fühle ich mich nicht wohl. Hätten Sie nicht noch was anderes – unter richtigen Cam-pern?“181

Im Gegenzug konnte es geschehen, dass ein Einweiser bei sich bietender Gelegenheit eine Einheit auf das Grundstück stellte, selbst wenn gar kein dringender Bedarf bestand.

Verschiedentlich gab es Fälle, in denen Rezeptionsmitglieder und Dauergäste kollabo-rierten. Der Einweiser schonte die Parzelle eines Dauercampers und sorgte dafür, dass ansonsten nur „ruhige“ Leute in dessen Straße kamen, er ließ seinen Parkplatz während der Hauptferien unangetastet oder erwies ihm einen sonstigen Gefallen. Im Gegenzug sagte der Dauercamper dem Angestellten nach bestem Wissen, welche Nachbarn an diesem Wochenende anwesend sein würden und welche mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Dann konnte man diese Plätze beruhigt belegen. Daneben gab es Dauercamper, die ausdrücklich erlaubten, dass man ihren Platz unter der Woche benützte. Die Bedin-gung war, er habe pünktlich leer zu sein, wenn sie am Wochenende oder einem genau festgesetzten Termin eintreffen.

Feriengäste, die ihr Territorium sichern wollten, hatten weniger Möglichkeiten. Wie beschrieben gab es Camper, die eigener Erzählung zufolge mit Argusaugen über ihren Platz wachten. Ständig auf unliebsame Überraschungen gefasst sein zu müssen, störte viele. Daneben gab es solche, denen die fortlaufende Auseinandersetzung offenbar ein gewisses Vergnügen bereitete. Es gehörte zu ihrer Tagesunterhaltung.

Möglicherweise reicht der Radius dieser Art von Unterhaltung sehr weit, selbst dann, wenn am Schluss der Episode der Betroffene dann doch als der Leidtragende dasteht,

181 Der Satz fiel gleichlautend im gesamten Beobachtungszeitraum immer wieder.

weil er unvermittelt umziehen oder ungebetene Gäste in Kauf nehmen musste, nachts durch Lärm beeinträchtigt wurde oder anderes Ungemach zu ertragen hatte. Eine Frau, die auf einem Reservierungsplatz am Hauptweg stand, hörte ich gegenüber einem mir nicht bekannten Gesprächspartner ins Handy sagen: „Und das soll der Komfortplatz sein.“ Ihre Frustration war kaum überhörbar. Die Frau hatte geplant, gebucht, war einen weiten Weg hergefahren, bekam nun etwas geboten, was nicht ihren Vorstellungen ent-sprach und hatte das Problem, sich arrangieren oder umdisponieren zu müssen. Und doch schwang in ihrer empörten Stimme auch eine Spur von Erheiterung darüber mit, was man ihr da zuzumuten wagte. Es war ihr wohl ein Bedürfnis, sich bei jemandem Trost zu holen, aber auch, diesen Skandal als aufsehenerregende Nachricht an andere zu vermelden.

Der Volkskundler Thomas Wittich bezeichnete negative Urlaubs-Erlebnisse als „,Katas-trophen-Souvenirs’“,182 die noch nicht einmal in jedem Fall umgelogen als vielmehr uminterpretiert werden müssen, um sich nachträglich sogar noch in Erheiterungsge-schichten zu verwandeln, die dann therapeutische oder selbsterhöhende Wirkung haben, zumal wenn sie den Erzähler und sein Erlebnis gegenüber Dritten in ein besonderes, außergewöhnliches, beinahe spektakuläres Licht rücken.183 So kann man als Leidtra-gender aus Niederlagen und Zurücksetzungen am Ende doch noch Gewinn schöpfen.

Der Psychologe Christoph Köck spricht hier von „Grenzerfahrungs-Geschichten“.184 Zynisch formulierte es Roger H. in Bezug auf die Gäste in K.: „Das wollen die doch so.

Die erleben doch sonst das ganze Jahr über nix.“185 Das ist mehr als stark übertrieben.

Indessen vertreten Tourismusexperten durchaus die Ansicht, dass leichte choques in der Wahrnehmung beitragen, das Urlaubserleben zu vertiefen. Deshalb werden sie von Fe-rienplanern und Erlebnismanagern teilweise bewusst eingesetzt, freilich in abgemilder-ter Form.186

182 Wittich, Thomas 2004: Reisegefahren und Urlaubsängste. Die touristische Erfahrung von Bedrohung und Unsi-cherheit als Gegenstand narrativer Darstellungen. Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Sozialwissenschaften in der Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften der Eberhard-Karls-Universität Tü-bingen. Münster / New York / München / Berlin, S. 33.

183 Vgl. Ders. S. 251-256; vgl. außerdem Fendl, Elisabeth und Löffler, Klara 1995: Die Reise im Zeitalter ihrer tech-nischen Reproduzierbarkeit: zum Beispiel Diaabend. In: Cantauw (Hg.) 1995, S. 55-68.

184 Köck 2005, S. 5.

185 Gedächtnisprotokoll.

186 Auch Grötsch glaubt an die Nachhaltigkeit solcher Wirkungen, wenn er sagt, „Aha-Erlebnisse“ seien imstande, die Beziehung zwischen dem Touristen und seiner touristischen Umwelt zu vertiefen. Vgl. Ders. 2006, S. 69.