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4 Historischer Kontext

6.3 Kerstings Dienstreisen zur Erforschung der Rinderpest

Die erste Dienstreise zur Erforschung der Rinderpest führte Johann Adam Kersting im April 1779 „zu den Gütern des Grafen v. Bothmer“ nach Mecklenburg193, wo er sich von der dort eingesetzten Inokulationsmethode, die lediglich eine zweiprozentige Verlustrate aufwies, überzeugen sollte. Dabei erkannte Kersting, dass die klinischen Symptome bei künstlich durchseuchenden Rindern wesentlich schwächer ausgeprägt waren als die Symptome nach natürlicher Rinderpestinfektion. Um zu überprüfen, ob dieser Befund auch auf die Sek-tionsbefunde übertragbar war, impfte Kersting ein dreijähriges Rind, das er zwei Tage nach Auftritt erster klinischer Symptome, sezierte. Das Sektionsergebnis bestätigte, dass auch die pathologischen Veränderungen an den inneren Organen lediglich abgeschwächt auftraten.

Ferner schlußfolgerte Kersting bestimmte Grundbedingungen, die für eine erfolgreiche Ino-kulation erfüllt sein müssten:

„A) eine der Krankheit vorteilhafte Witterung B) eine gute Disposition der tierischen Körper und C) eine gute Impfmaterie.“194

Am 28. Nov. 1779 trat Kersting die zweite Dienstreise nach Gartau in Hessen an, um die Inokulationsmethode des „Herrn Geheimen-Rath von Bernstorff“ kennenzulernen. Kersting bewertete die Impfmethoden aus Gartau zur Bekämpfung der Rinderpest in seinem abschließenden Bericht an die Kgl. Kammer im Januar 1780 als „so zweckmässig, dass sie fast als vollkommen und als Muster nachgeahmt zu werden verdient“.195 Karl Günther ver-öffentlichte 1858 sowohl Kerstings Bericht über die Dienstreise nach Gartau als auch die von Kersting im August 1880 eingereichte „Anweisung wie Einimpfung der Rind-Vieh-Seuche zu verrichten und wass bey der darauf erfolgenden Krankheit zu beobachten sey“196. In dieser Anweisung hat Kersting nach eigenen Angaben seine gesammelten Erfahrungen aus Mecklenburg und Gartau sowie die Erkenntnisse seiner selbst durchgeführten Impfversuche in Schorlingkamp und Rieda verwertet. Im Folgenden werden die Inhalte unter Beibehaltung der originalen Überschriften zusammenfassend wiedergegeben:

„1. Unter was vor Bedingungen und zu welcher zeit soll man die Einimpfung beym Rindvieh unternehmen?“

 Die wichtigste Grundvorraussetzung für eine erfolgreiche Inokulation ist nach Kersting der Umstand, dass die Herde nicht bereits mit der Rinderpest natürlich infiziert wurde. Da es jedoch noch keine sichere Untersuchungsmethode zur Identi-fikation bereits infizierter, jedoch symptomloser Rinder gab, rät Kersting, nur an Orten zu impfen, die weit entfernt von Rinderpestausbrüchen liegen.

 Die Zeit zwischen Oktober bis Ende März eignet sich zudem - bedingt durch eine optimale Witterung - am besten für die Einimpfung.

193 Für die Zusammenfassung von Kerstings Dienstreise nach Mecklenburg wurde folgende Literatur verwendet: Wens 1987 (wie Anm. 13).

194 Wens 1987 (wie Anm. 13), 560.

195 Günther, K. (1858): Kersting, über die Einimpfung der Rinderpest. In: Magazin für die gesammte Thierheilkunde 24, 2.

196 Günther 1858 (wie Anm. 195), 9.

„2. Was ist bei der Anlegung der Kranken-Ställe zu beobachten und wie müssen dieselben eingerichtet seyn?“

 Die Krankenställe müssen mindestens eine viertel Meile von den Viehställen entfernt sein und ideal auf trockenen hohen Geländen angelegt werden. Zuglöcher und Schie-ber in den Wänden gewährleisten eine ausreichende Luftzirkulation.

 Ferner muss ausreichend Wasser zum Tränken vorhanden sein und Futter sollte in Hütten gesondert von den Ställen gelagert werden.

„3. Welches Vieh soll man zum Einimpfen wählen?“

 Nach Kersting überstehen Saugkälber eine Einimpfung selten und trächtige Kühe verkalben altersunabhängig, wenn die Einimpfung in der ersten Hälfte der Träch-tigkeit erfolgt. Impft man die Kühe in der SpätträchTräch-tigkeit, kalben die Kühe nach der Durchseuchung zum normalen Geburtstermin. Werden die Kühe jedoch von einer

„heftigen Seuche“ befallen, verkalben alle unabhängig vom Trächtigkeitszeitpunkt.

 Ungünstig auf den Impferfolg wirken sich ein zu hohes Alter sowie ein hohes bzw. zu niedriges Gewicht aus. Bullen und Stiere erkranken im Rahmen der Durchseuchung häufig an einer oftmals tödlich verlaufenden „Verstopfung des Urins“.

 Den besten Impferfolg erzielte Kersting bei 1 bis 3 jährigen Rindern, frisch gekalbten Kühen und jungen Bullen.

„4. Wie muss das Vieh zum Einimpfen vorbereitet werden?“

 Eine trockene Strohfütterung soll eine optimale Konstitution der Tiere fördern und

„vollblütige“ Tiere benötigen vorab Aderlässe. Vor der Einimpfung sollten die Tiere 24 Stunden ruhen.

„5. Wie wird die Einimpfung verrichtet?“

 Die beste Impfstelle ist laut Kersting die linke „Seite zwieschen den zwey letztern Rippen vor der Hungergrube und eines Mannes Hand breit von der Schärfe des Rückgrads herabwärts“.197

 Nachdem an entsprechender Stelle das Fell entfernt wurde, wird eine Hautfalte parallel zur Mittellinie mit Daumen und Zeigefinder angehoben und senkrecht dazu mit einem scharfen Messer inzisiert. Wichtig hierbei ist, dass der Schnitt frei von Das-sellarven ist und weder zu tief noch zu flach angelegt wird. Ein zu tiefer Schnitt birgt die Gefahr, dass Impfmaterial über angeschnittene Blutgefäße hämatogen gestreut wird und zu einem tödlichen Impfdurchbruch führt.

 Nachdem um die 10 mit Eiter getränkte Impffäden mit einem Werkzeug, das „die Gestalt eines Pflaster-Spatels“ (Abb. 28, Fig. 3) hat, in die Wunde verbracht wurden, wird die Wunde mit zwei erwärmten Heftpflastern verschlossen.

„6. Was ist nachher bei der Impf-Wunde zu beobachten?“

 Die Heftpflaster werden nach vier bis fünf Tagen entfernt und die Wundränder etwas gelockert. Am sechsten Tag werden die Impffäden mit einem „zugespitzten Holz“

herausgelöst, der Impfeiter ausgedrückt und die Wunde anschließend mit Kalkwasser zwei mal täglich gespült, bis sie verheilt ist.

 Als häufigste Wundstörung tritt eine eitrige Infektion der Impfstelle auf mit Ausson-derung einer „flüssigen stinkenden Jauche“. Kersting behandelt sie durch Ausschnei-den und regelmäßige Spülungen.

 Als „Wiedernathürliche Zufälle“ bezeichnet Kersting ferner eine schnell größer wer-dende und schmerzhafte Geschwulst, unter der man ein „Knestern (Geräusch)“

197 Günther 1858 (wie Anm. 195), 18-19.

nehmen kann, sobald man darüber streicht. Die heute als Pararauschbrand oder

„bösartige Gasphlegmone“ bezeichnete Infektion der Haut und Unterhaut, die durch den Erreger Clostridium septicum oder durch Mischinfektionen mit verschiedenen anderen Clostridienarten hervorgerufen wird, therapiert Kersting durch tiefe Hautein-schnitte und desinfizierende Spülungen.

„7. Wie wird das Vieh bey der Einimpfung und nach überstandener Krankheit in Absicht der Fütterung und des Tränkens gepfleget?“

 Vorsichtiges Anfüttern der Tiere mit Stroh und warmem Wasser, von dem kein infi-ziertes Vieh getrunken hat, ist besonders wichtig.

„8. Wie ist der Verlauf der Krankheit, was treten vor übele Zufälle dabey ein und wie muss derselben begegnet werden?“

 Der achte Abschnitt dient vor allem dem Impfenden als Entscheidungshilfe, ob das Tier vollständig durchgeseucht ist.

 Eine erfolgreiche Durchseuchung zeichnet sich laut Kerstings dadurch aus, dass sich die ersten Symptome frühestens um den neunten bis zehnten Tag einstellen.

 Zunächst lässt das Tier den Kopf etwas hängen, steht traurig da und frisst weniger.

Milchgebende Kühe lassen in der Milchleistung etwas nach und die Milch-beschaffenheit wird insgesamt wässriger. Die Rinder trinken weniger und ekeln sich laut Kersting vor dem Wasser, was sie durch wiederholtes Kopfschütteln ausdrücken.

Leichtes Husten in Form eines „Küchhusten“ kann sich einstellen, sollte jedoch lediglich in einer abgeschwächten Form auftreten.

 Symptome wie Augen- und Nasenausfluß sowie Durchfälle zeigen sich bei einer künstlichen Durchseuchung nur in leichter Ausprägung.

 Zeigen sich erste Symptome wie starker Husten und stark entzündete, eitrige Augen bereits am dritten bis fünften Tag nach der Einimpfung, besteht der dringende Ver-dacht auf einen Impfdurchbruch.

 Dem Tränenfluss folgt meist schleimiger Nasenausfluss, der als Schaum an den Lip-pen kleben bleibt und nicht abgeleckt wird. Zudem bilden sich auf der Zunge und im Maulhöhlenbereich Blasen und Lippen, Gaumen und Zunge werden wund. Die Tiere knirschen mit den Zähnen, liegen vermehrt, die Hungergruben fallen ein und die Augen fallen tief in die mit Eiter gefüllten Orbitalhöhlen zurück. Wässriger Durchfall, der später schleimig wird und einen fauligen Geruch annimmt, können ebenfalls während eines Impfdurchbruches beobachtet werden.

 Kurz vor dem Verenden verströmen die Tiere einen fauligen Geruch. Tiere, die nach der Einimpfung eine Halsentzündung oder eine Urinverhaltung zeigen, sterben laut Kersting ebenfalls häufig.

„9. Was ist bei der Aufnehmung des Impfeiters zu beobachten?“

 Als Impfeiter eignen sich sowohl der Schleim aus der Nase als auch der Eiter aus den Augen. Allerdings muss der Impfeiter laut Kersting bei künstlich infizierten und erfolgreich durchseuchten Rindern entnommen werden.

 Sobald sich der eitrige Ausfluss klumpenartig in der Nase zeigt, ist nach Kersting der richtige Entnahmezeitpunkt erreicht. Dabei sollte beachtet werden, dass das Tier zum Entnahmezeitpunkt noch rote Augen und leichtes Fieber hat, denn nur dann ist der Eiter „zum Anstecken tüchtig“.

 Zum Auffangen des Eiters benutzt Kersting Leinenfäden, die er mit den Fingern in die Nase des Spendertieres steckt und den Eiter auswischt, bis die Fäden „feucht und schmierig“ sind. Hinterher werden die getränkten Fäden „sofort in ein Stück durch Wachs gezogenes Papier oder in ein Stück Schweins-Blase“ gelegt und luftdicht

ein-gewickelt. Zur Aufbewahrung der Impffäden dient eine „gläserne oder irdene Apo-theker-Büchse“, die ihrerseits wieder mit Wachspapier luftdicht eingewickelt wird und mit dem Herstellungsdatum der Impffäden versehen werden muss. Die beste An-steckungskraft besitzen die Impffäden nach dreitägiger Lagerungszeit bei kühler Um-gebungstemperatur.

 Der beste Impfeiter stammt laut Kersting von den Tieren, die die künstliche Durch-seuchung „mit den geringsten Zufällen“ überstanden haben.

6.4 Inhalt von Kerstings 1776 veröffentlichtem Buch über die Rinderpest198