• Keine Ergebnisse gefunden

Gültige Rinderpestverordnungen während Kerstings Direktorat an der Roßarzneischule Hannover

4 Historischer Kontext

6.2 Gültige Rinderpestverordnungen während Kerstings Direktorat an der Roßarzneischule Hannover

Die während Kerstings Amtszeit in Hannover von 1778 bis 1784 geltende Rinderpest-verordnung vom 10. Februar 1770189 (Abb. 33-36) stellt eine erweiterte Fassung der weiter-hin gültigen Hauptverordnung vom 14. Februar 1756 dar. Nadja Kosuch hat in ihrer Disser-tation190 bereits eingehend die Inhalte der 108 Seiten starken Hauptverordnung von 1756 mit dem Titel „Unterricht, und Verordnung, von demjenigen was in den Königl. Groß-Bri-tannischen und Chur-Fürstlichen Braunschweig-Lüneburgischen Landen, wegen der Horn-Vieh-Seuche, und zu deren Abwendung, zu beobachten“191 beschrieben. Demnach galt ab 1756 im Kurfürstentum Hannover folgender Maßnahmenkatalog:

1. Das Ausstellen von Passierscheinen beim Viehhandel sollte die Unbedenklichkeit eines Handels auf der gesamten zurückzulegenden Route gewährleisten. Hierbei wurden neben einem behördlichen Gesundheitsattest des Ursprungsortes auch mehrere Zwischenat-teste auf der gesamten Route verlangt.

2. Im Falle eines Seuchenverdachtes oder -ausbruches galten folgende Regeln: a) Mel-dung bei den Nachbarn, b) Tötung des Tieres mit festgestellter Rinderpest, c) Vorschrift zur Absonderung gesunder Tiere von kranken Tieren, d) Eröffnung und Besichtigung von Tierkörpern nur in Anwesenheit „zuverlässiger Amtspersonen“, die anschließend ebenfalls für das vollständige Vergraben des Körpers und das Unbrauchbarmachen der Häute zu-ständig waren.

3. Hatte die Seuche bereits auf mehrere Nachbarhöfe übergegriffen, wurden Quarantäne-maßnahmen der betroffenen Höfe bis hin zur Sperrung des gesamten Ortes veranlasst.

Eine Ortssperrung musste mindestens 6 Wochen nach dem letzten Krankheitsfall auf-rechtgehalten werden. Die innere Ordnung des Dorfes wurde währenddessen vom

„Magistrat bzw. dem Dorfschulten“ sichergestellt, die berechtigt waren, bei Bedarf notwen-dige Anordnungen zu treffen.

4. Ausgewählten Personen wurden unter Eid bestimmte Kontrollaufgaben zugeteilt:

Kontrolle der isolierten Tiere, „Durchsetzung“ der Beseitigung der Milch von erkrankten Kühen, Kontrolle der Mistentsorgung, Überwachung der Tierkörperbeseitigung, Fernhal-ten streunender Hunde von den vergrabenen Kadavern und „FreihalFernhal-ten der Gewässer von Tierkadavern und -resten“.

5. Die Vergütung der Abdecker wurde zentral festgelegt.

6. Desinfektion der Stallungen und des dazugehörigen Inventars nach Abklingen der Seu-che und Verbrennen von Einstreu, Futter und Mist.

7. Hygienevorschriften für Personen, die mit kranken Tieren umgingen.

189 1770 d.d. 10 Febr. wiederholte Verordnung über einige die Hornviehseuche und dem Viehhandel betreffende Punkte. Ein Exemplar befindet sich im Niedersächsischen Landesarchiv, Signatur Hann.

81 Nr. 2266.

190 Kosuch, N. (2004): Tierseuchen und ihre Bekämpfung an der Mittelweser im Spiegel Nienburger Quellen (17. bis 19. Jahrhundert). Hannover,Tierärztliche Hochschule, Diss., 93-115.

191 Hannover, gedruckt in der Königl. und Chur-Fürstl. Hof Druckerey, 1756. Mehrere Exemplare befinden sich in den Beständen des Niedersächsischen Landesarchivs.

8. Ausstellung eines Viehpasses für Tiere, die zu Seuchenzeiten ihre Stallungen verließ-en, um in die Stadt oder auf die Weide getrieben zu werden.

9. Präventivmaßnahmen wie Aderlass, Legung einer Fontanelle oder Ziehen eines Haar-seils wurden empfohlen.

Am 10. Februar 1770 erweiterte König Georg III. mit der „wiederholte[n] Verordnung über einige die Hornviehseuche und dem Viehhandel betreffende Punkte“ die Hauptverordnung von 1756 um einige Aspekte (Abb. 33-36):

1. Unter Androhung „schwerer Gefängniß-Strafe [oder] Pfahl- auch Karrenschieben-Strafe“ wurden die Viehhalter verpflichtet, bei einem Rinderpestverdacht die restlichen Dorfbewohner zu benachrichtigen. Weiterer Kontakt zu Nachbarsleuten und -tieren sollte jedoch bis zur Klärung vermieden werden.

2. Ebenfalls zur Meldung verpflichtet wurden neben Viehärzten und Hirten auch alle wie-teren Personen, die von der eventuellen Seuchengefahr Kenntnis bekommen hatten, vor allem dann, wenn der Eigentümer der betroffenen Rinder, versuchte die Angelegenheit zu verschweigen.

3. bis 6. Wurde der Rinderpestverdacht nach einer „zuverlässigen“ Besichtigung des kran-ken Tieres durch einen „Beamten oder der Gerichts-Obrigkeit“ bestätigt, musste das Tier sofort getötet und unabgehäutet samt Einstreu an einem „Aborth“ vergraben werden. Die restlichen Rinder des Stalls wurden zunächst mittels „Taxation“ geschätzt und an-schließend ohne Zeitaufschub auf gleiche Weise getötet und vergraben. Falls die schnelle Tötung der Rinder die Rinderpest aufhalten konnte, wurde dem Eigentümer eine Entschä-digungszahlung versprochen.

7. Das Missachten der Anordnung der Tötung des Viehs durch den Eigentümer wurde

„zum Exempel und zur Verwarnung, auf das allerschärfste am Leibe bestrafet“.

8. und 9. Obrigkeiten, die sich nicht an die geltenden Verordnungen hielten, sollten be-straft werden und Personen, die die Tötung der Rinder und Beseitigung der Kadaver über-nahmen, belohnt und rechtlich geschützt werden.

10. Bei der Durchführung von Hofsperrungen sollten Beamte und Obrigkeiten mit „Behut-samkeit und Vorsicht“ vorgehen.

11. Die orale Eingabe von Küchensalz als „Praeservativ-Mittel“ gegen die Rinderpest wur-de empfohlen und die Beamten wurwur-den angewiesen, wur-der Lanwur-desregierung über wur-den Er-folg Bericht zu erstatten.

12. Die Einfuhr von Rindern aus seuchenverdächtigen Gebieten, insbesonders aus dem

„Oldenburg- und Delmenhorstischen, und dem Lande Jevern, ferner, aus ganz Westpha-len, und nahmentlich aus dem Münsterschen und Osnabrückischen, imgleichen aus dem Stadt Bremischen Gebieten“, wurde ausnahmslos verboten.

13. Der Verkauf von Rindern aus dem Kurfürstentum Hannover blieb hingegen weiterhin, unter Einhaltung der in der Verordnung von 1756 festgelegten Regeln, wie beispielsweise dem Besitz notwendiger Gesundheitspässe192, erlaubt.

192 Kosuch 2004 (wie Anm. 190), 115.

14. Auf Grund falsch ausgestellter Gesundheitspässe, um für angeblich „durchseuchte Rinder“ einen höheren Gewinn zu erzielen, wurde die Rinderpest in einigen Fällen weiter-verschleppt und verbreitet. Zur Verhinderung dieser Sicherheitslücke wurde den Beamten und den Obrigkeiten befohlen, Gesundheitspässe angeblich durchseuchter Rinder be-sonders genau auf Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Ferner musste der Eigentümer oder Verkäufer die Durchseuchung des Rindes mit „einem Cörperlichen Eid“, der im Pass und als Aktenvermerk festgehalten wurde, versichern. Die eindeutige Identifikation eines Rin-des erfolgte bereits seit 1756 über das Einbrennen der Amtszeichen an beiden Hörnern und dem Eintragen in den Gesundheitspass. Darüberhinaus sollten ab 1770 ebenfalls äußere Merkmale und Fellfarbe mit vermerkt werden, um einer Verwechselung von Rin-dern entgegenzuwirken.

Am 22. August 1783 ließen die Geheimen Räte der hannoverschen Regierung den Viehan-kauf aus Bremen mit der „Anzeige und Verordnung in wie weit der AnViehan-kauf des Hornviehes aus dem Bremischen wieder zugelassen werden solle; auch was dabey zu beobachten sey“

wieder zu. Bei der Einfuhr von Rindern aus Bremen ins Kurfürstentum Hannover mussten die dafür notwendigen „ordnungsmäßigen obrigkeitlichen Pässe“ auf der gesamten Route von jedem Amt kontrolliert und unterschrieben werden. Der Viehtransport durfte, wie schon nach der Verordnung von 1756, nur über „öffentliche Heerstraßen“ und nicht über „Neben- oder Schleichwege“ erfolgen. Viehhandel „aus dem Bremischen auf ungewissen Vertrieb“ blieb weiterhin verboten und wurde bei Nichteinhaltung mit Viehverlust bestraft. Sobald sich die Hornviehseuche in den Herzogtümern Bremen und Verden wieder äußerte, sollte laut dem Erlass von 1783 die Handelssperre nach der Verordnung von 1770 sofort wieder greifen.

Das Kurfürstentum Hannover verfügte also bereits im 18. Jahrundert über einen ausgereiften und sehr umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Rinderpestbekämpfung. Neben durchdach-ter Tötungs-, Tierkörperbeseitungs- und Desinfektionsmaßnahmen zählten Orts- und Gehöft-sperrungen sowie sinnvolle Viehandelsvorschriften zum Maßnahmenspektrum.

Abb. 33: Erste Seite der Rinderpestverordnung vom 10. Februar 1770 (aus: NLAHann. 81 Nr. 2266).

Abb. 34: Zweite Seite der Rinderpestverordnung vom 10. Februar 1770 (aus: NLA Hann. 81 Nr. 2266).

Abb. 35: Dritte Seite der Rinderpestverordnung vom 10. Februar 1770 (aus: NLA Hann. 81 Nr. 2266).

Abb. 36: Vierte Seite der Rinderpestverordnung vom 10. Februar 1770 (aus: NLA Hann. 81 Nr. 2266).