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Einführung der Geburtshilfe als eigenständiges Fach an den tierärztlichen Ausbildungsstätten Deutschlands

4 Historischer Kontext

5.4 Einführung der Geburtshilfe als eigenständiges Fach an den tierärztlichen Ausbildungsstätten Deutschlands

Die Roßarzneischule Hannover bildet eine Ausnahme, indem dort bereits seit dem Grün-dungsjahr 1778 die Geburtshilfe als eigenständiges Fach gelehrt wurde. Im Folgenden wer-den die Ereignisse bis zur Einführung der Geburtshilfe als eigenes Lehrfach an wer-den noch heute bestehenden deutschen tierärztlichen Ausbildungsstätten in Berlin, München, Leipzig und Giessen zusammenfassend dargestellt.

Am 1. November 1790 begann an der Veterinärschule in München unter der Leitung von Dr. Anton Joseph Will, dem früheren Professor der Tierheilkunde in Ingoldstadt, erstmalig der Unterricht.140 Die Lehre wurde unentgeltlich erteilt und die Gesamtausbildung auf 3 Jahre festgelegt, welche die Unterrichtung in den Fächern Anatomie, Physiologie, Botanik, Arznei-mittellehre, allgemeine und spezielle Pathologie, Chirurgie, Beurteilungslehre des Pferdes und den Hufbeschlag vorsah.141 1810 wird die Schule vollständig reformiert und in Folge des-sen ein königliches Edikt veröffentlicht, das die „Gesetze für die Zöglinge der königlich-baierischen Central-Veterinär-Schule vom Jahre 1810“142 beinhaltet. Demnach wurde die Geburtshilfe ab 1810 als eigenständiges Fach im Sommersemester des dritten Ausbildungs-jahres von Professor Will abgehandelt.

Die Tierarzneischule Berlin wurde unter der Leitung des Oberstallmeisters Karl Graf von Lindenau 1790 gegründet.143 Die Schüler, denen ein überwiegend praktisch ausgerichteter Unterricht erteilt wurde, verteilte man auf vier Gruppen. Diese wurden jeweils für einen Monat entweder der Anatomie, der Schmiede, der Apotheke oder den Krankenställen zuge-teilt und dort praktisch angewiesen. Vorlesungen, deren Inhalte täglich wechselten, wurden einmal täglich für alle Schüler gehalten. Georg Friedrich Sick, angestellt als zweiter Lehrer, hielt Vorlesungen über Anatomie, Chirurgie, Diätetik und Seuchenlehre.144 Die Pferde-geburtshilfe handelte Sick von 1790 bis 1806 im Rahmen der Chirurgievorlesung mit ab.145

139 Liewers, G. (1940): Beiträge zur Geschichte der Tierärztlichen Hochschule zu Hannover zur Zeit von Ulrich Friedrich Hausmann. Hannover, Tierärztliche Hochschule, Diss., 10-13.

140 Johann Schäffer (1992): Anton Joseph Will (1752-1821) - Der „erste rationelle Thierarzt in Baiern“

und die Gründung der Tierarzneischule München. In: Oberbayrisches Archiv 116, 181-230, 216

141 Eichbaum, F. (1885): Grundriss der Geschichte der Thierheilkunde. Paul Parey Verlag, Berlin, 129.

142 Hahn, C. (1890): Geschichte der K. B. Zentral-Tierarzneischule München 1790 bis 1890. Im Selbstverlag der Lehranstalt, München, 33.

143 Deutrich, V. (1990): Von der Königlichen Tierarzneischule zur Veterinärmedizinischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin 1790-1990: 200 Jahre veterinärmedizinische Ausbildung und Forschung in Berlin. Quintessenz Verlag, München, 25.

144 Eichbaum 1885 (wie Anm. 141), 115.

145 Deutrich 1990 (wie Anm. 143), 196.

Erst ab 1871 stand die Geburtshilfe, die bis 1885 von Albert Friedrich und Willhelm Diecker-hoff unterrichtet wurde, in Berlin als eigenständiges Fach auf dem Stundenplan.

Der Chirurg Christoph Friedrich Weber gründete 1774 die Tierarzneischule zu Dresden, die nach seinem frühen Tod von der sächsischen Regierung abgekauft und unter der Leitung von Georg Ludwig Rumpelt 1780 wiedereröffnet wurde. Rumpelt, der auf Reisen bereits Vor-lesungen von Johann Adam Kersting in Hannover gehört hatte, starb ebenfalls früh und Georg Reuter übernahm 1785 die Leitung.146 Der Unterricht bestand darin, „die Natur-geschichte, Verhaltung und Pflege sämmtlicher Hausthiere, als die Anatomie, Physiologie, Pathologie, Therapie, Chirurgie, Materia medica, Pharmacologie, Gestütskunde, die ver-schiedenen Seuchen […] und das Beschlagen der Pferde lehrreich, deutlich und fasslich“

abzuhandeln. Christian Ehrenfried Seifert von Tennecker übernahm ab 1817 die Leitung der Tierarzneischule, die von einer dafür eingesetzten Kommission unter der Vereinigung mit der Chirurgisch-Medizinischen Akademie Dresden, vollständig reformiert werden sollte. Der Direktor der Akademie Dr. Seiler entwickelte hierfür einen Entwurf, der am 15. Januar 1820 genehmigt und umgesetzt wurde. Demnach betrug die gesamte tiermedizinische Aus-bildungsdauer 2 Jahre, in der die Schüler auf zwei Klassen aufgeteilt unterrichtet wurden. Im Rahmen dieser Reformation wurde auch die Geburtshilfe als Lehrfach eingeführt.147 1923 wurde die Tierärztliche Hochschule Dresden als Veterinärmedizinische Fakultät in die Uni-versität Leipzig eingegliedert.

1797 hielt Ernst Ludwig Wilhelm Nebel seine erste Vorlesung über die Kenntnis und Pflege der Haustiere an der Gießener Universität und begründete damit laut Christian Giese den Beginn des tierärztlichen Unterrichts an der Ludwigs- Universität Gießen.148 Dr. Karl-Will-helm Vix, der ab 1827 als Kriestierarzt in Gießen angestellt war, wurde verpflichtet, tier-medizinische Vorträge an der Universität zu halten. Vix hatte unter Hausmann an der Roß-arzneischule in Hannover studiert und hier unter anderem die von Günther gehaltenen Ge-burtshilfevorlesungen gehört. 1829 eröffnete er ein eigenes Tierhospital, in dem er zunächst unentgeltlich Behandlungen kranker Tiere vornahm und tierheilkundliche Vorlesungen hielt.

Später entwickelte Vix gemeinsam mit der medizinischen Fakultät in Gießen eine Verord-nung, die die tierärztliche Ausbildung in zwei Schwierigkeitsgrade einteilte. Wer ein Tierarzt

„erster Klasse“ werden wollte, brauchte demnach für die Zulassung zum Studium der Tier-arzneikunde an der Landesuniversität einen Abschluss am Landesgymnasium. Zudem musste im Rahmen des Studiums, das sieben Semester umfasste, sowohl eine „practische Vorprüfung“ als auch eine „Facultätsprüfung“ abgelegt werden. In letzterer wurde neben der Gestüts- und Zuchtkunde ebenfalls die theoretische und praktische Geburtshilfe neben wie-teren Fächern abgefragt. Im Wintersemester 1830/31 führte Vix nachweislich die Geburts-hilfe als eigenständiges Fach im Gießener Stundenplan ein.149

146 Eichbaum 1885 (wie Anm. 141), 125.

147 Leisering, A. G. T. (1880): Die Königliche Thierarzneischule zu Dresden in dem ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Druck von E. Blochmann & Sohn, Dresden, 94.

148 Giese, C. (1985): Die Entwicklung der Tierheilkunde an der Universität Gießen von den Anfängen bis zum Jahre 1866. Willhelm Schmitz Verlag, Gießen, 31.

149 Giese 1985 (wie Anm. 148), 111.

Tab. 7: Einführung der Geburtshilfe als eigenständiges Fach an den verschiedenen Tierarzneischulen.

Tierarzneischule Einführung der Geburtshilfe als eigenständiges Fach

Dozent

Roßarzneischule Hannover 1778 Johann Adam Kersting Veterinärschule München 1810 Anton Joseph Will

Tierarzneischule Dresden 1820 ab 1823/24 Carl August Noack

Ludwigs-Universität Gießen 1830/31 Karl-Willhelm Vix Tierarzneischule Berlin 1871 Albert Friedrich &

Wilhelm Dieckerhoff