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B. Die Frühwinterlawinen

V. Kanton Uri (Tab. 76)

Die Lawinenniedergänge im Januar 1951 führten zu den größten Schäden, die Uri bisher regi-strieren mußte. 13 Todesopfer, 55 Stück Groß- und 131 Stück Kleinvieh, große Schäden an Wald, Gebäuden, Bahnen und Brücken waren das Fazit des 20./21. Januar.

Prekär gestaltete sich die Lage im obersten Bergdorf der Talschaft, R e a l p. Trotz der Ver-bauung der gefährlichen Gspenderlawine, die das Dorf früher öfters heimgesucht und am Nach-mittag des 23. März 1730 fünf Häuser zerstört und 17 Todesopfer gefordert hatte, befürchteten die Realper in erster Linie einen großen Absturz aus dieser Gegend. Doch die Verbauungen bewährten

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Fig. 73 Lawinenkarte Urseren-Reußtal

sich, und es glitten nur unbedeutende Schneemassen ohne Schadenwirkung zu Tal. Die größere Gefahr erwuchs Realp am andern Dorfrand durch die Lochtallaui (3). Sie brach am 20. Januar, 08.40 Uhr, im Gebiet von Oberboden/Obergadmen an den steilen linksseitigen Hängen des Loch-tales, 2050 bis 2350 m ü. M. an, riß einen Teil der Aufforstung ob Realp mit und traf dann den Ost-rand des Dorfes. Ein belegter Stall wurde vollständig zerstört, und von den verschütteten acht Stück Großvieh und 39 Schafen und Ziegen konnten nur 21 Schafe lebend geborgen werden- und zwar erst vier Tage später! Ueberdies wurden 13 weitere Gebäude, darunter eine Militärbaracke und das Schützenhaus total zerstört oder beschädigt. Nach diesen Niedergängen wird es angezeigt sein, Realp auch auf der Ostseite durch einen Ablenkdamm zu sichern.

Als sehr selten auftretende Lawine ist die Ziellaui (2) zu erwähnen. Dagegen erscheint die zwi-schen Realp und Schmidigen abstürzende Liegbordlaui (5) bei großen Schneefällen regelmäßig.

Diesmal erreichte sie jedoch ein außerordentliches Ausmaß. Sie löste sich in ca. 1950 m ü. M. und fuhr auf 1,5 km Breite ins Tal. Der Talboden wurde stellenweise bis gegen20m tief überdeckt, und von der Reuß war im April noch nichts zu sehen; die abgeglittenen Schneemassen wurden auf 1-1,5 Mio. m3 geschätzt. Bei Diepelingen wurde die Brücke der FOB verschoben. Straße und Bahngeleise wurden auf ca. 1600 m Länge verschüttet, die Fahrleitung der FOB und Licht- und Kraftleitung des Elektrizätswerkes Urseren niedergerissen.

Auch der Absturz vom Lauital (7) hatte bisher nie gesehene Schäden zur Folge, ebenso jener der Planggenlaui (9). An beiden Orten waren vor allem die Viehschäden bedeutend. Nicht nieder-gegangen ist indessen die in H o s p e n t a 1 vielgefürchtete Wannelen-Lawine vom St. Anna-berg; die dortigen Verbauungen haben sich bewährt. Ueber die Situation in Hospental entneh-men wir einem Bericht des Talschreibers Fritz Regli, Hospental, folgendes:

"Auch in Haspental lastete irrfolge des anhaltenden Schneiens und der großen gefallenen Schneemassen eine düstere, fast schwermütige Stimmung auf dem ganzen Dorf. Besonders war man besorgt um die Hirten, die den Weg zu ihren Ställen und zu ihrem Vieh in Zumdorf, in der Ey, in Richleren und in die Wallenboden zu machen hatten. Im Unterdorf verließen einzelne Familien freiwillig und vorsichtshalber ihre Häuser, da man Befürchtungen hatte wegen der Laui aus der Wannelen. Drei Familien begaben sich in das Gasthaus St. Gotthard, die andern ins Oberdorf zu Verwandten und Bekannten. Die Wan-nelenverbauung hat sich aber bewährt, so daß ein Lawinenbruch nicht erfolgte. Nur im hintersten Teil der Verbauung mehr gegen den Spitzen-Stein erfolgte ein Anbruch, dessen Schneemassen zum größten Teil in das (Gotthard-) Reußtobel stürzten und keinen Schaden anrichteten ... "

In An dermatt war die Lage nicht weniger besorgniserregend als im übrigen UrserentaL Bis am Abend des 19. Januar hatte man noch keine Lawinen beobachtet. Als aber bis zum näch-sten Morgen die Schneedecke im Talboden erneut einen Zuwachs von 40 cm aufwies, verkannte niemand mehr den Ernst der Lage. Da das Kasernenareal am meisten gefährdet schien, ordnete das zuständige Festungskommando um 7.10 Uhr Vorsichtsmaßnahmen an. Sämtliche Militärge-bäude östlich und südlich der Kaserne Altkirch wurden evakuiert. Das geräumte Gebiet wurde abgesperrt, ebenso die Kantonsstraße unterhalb der Kaserne Altkirch, nicht aber das Teilstück vom Dorf bis zur Kaserne, da dieses seit Menschengedenken nie von einer Lawine erreicht

· worden war. Der Gemeindebehörde von Andermatt wurde empfohlen, die Evakuierung gefähr-deter Wohnhäuser anzuordnen, so insbesondere jene am Westausgang des Dorfes und die Ge-gend bei der "Mühle". Die Bewohner der "Mühle" befolgten diesen Rat leider nicht sofort; sie sahen die Räumung erst auf den Nachmittag vor, was ihnen zum Verhängnis werden sollte. Ge-wissermaßen als Warnung ging um 8.00 Uhr morgens eine kleine Lawine vom Bord am Kirch-berg aus ca. 1650 m ü. M. nieder (20); sie beschädigte das Militärspital und das Zeughaus 1. Gute drei Stunden später, um 11.10 Uhr erfolgten zwei Niedergänge nördlich Andermatt. Die sich un-ter dem sog. Teufelsboden auf ca. 1850 m ü. M. lösenden Schneemassen fuhren zu einem gro-ßen Teil durch die Lochkehle (19) nieder. Der im oberen Teil des steilen Couloirs stehende Ab-lenkdamm, der den Schnee nach rechts in die Schöllenenschlucht ablenken sollte, vermochte seine Aufgabe bei den außerordentlichen Verhältnissen nur teilweise zu erfüllen. Beim

Südpor-tal des Urnerloches wurde die Kantonsstraße verschüttet, die Brücke über die Reuß beschädigt und die Fahrleitung der Schölleneubahn niedergerissen. Durch die teilweise verbaute Nasse Keh-le ging gKeh-leichzeitig eine Lawine nieder (17). welche eine Baubaracke und einen über die Reuß führenden Steg zerstörte. In der Baracke wurde ein Arbeiter verschüttet; er konnte aber nach kurzer Zeit leicht verletzt gerettet werden. Die Straße wurde auf einer Länge von ca. 150 m überführt.

Kurz nach Mittag, um 13.45 Uhr, brach das Unheil in großem Ausmaß über das Dorf herein. Zu dieser Zeit löste sich ob den Studen auf ca. 1900 m ü. M. die Geißtallawine (16). Ueber den mit Erlen bestockten Hang fuhren die Schneemassen gegen den Flieshubel, eine kleine Anhöhe links des Unteralptales, wo sie gegen den Ostteil des Dorfes abgelenkt wurden. Als erstes Gebäude wurde ein 1913 erbautes Chalet, welches zur Zeit leer stand, erfaßt und vollständig zertrümmert;

dann widerfuhr dem alten Haus "zur Mühle" dasselbe Schicksal. In diesem befanden sich acht Per-sonen, zwei Männer waren zudem auf dem Dach mit Schneeschaufeln beschäftigt. Während sich der eine von ihnen im letzten Augenblick durch ein Dachfenster ins Haus flüchtete und mit diesem samt allen übrigen Bewohnern verschüttet wurde, landete der zweite, vom Luftdruck ca. 60 m weit weggetragen, unversehrt auf der gegenüberliegenden Talseite. Außer den beiden genannten Wohn-häusern wurden links der "Mühle" zwei kleinere Ställe total zerstört und das Kaufhaus Fryberg beschädigt. Am Gegenhang unter der Oberalpstraße legte die Lawine einen großen Viehstall und östlich davon einen Kleinviehstall in Trümmer. Und schließlich reichte die Gewalt noch aus, das über 400 Jahre alte Hotel "Drei Könige" so stark zu beschädigen, daß es abgebrochen werden mußte. Vor dem Viehstall des Hotels wurde der mit Schneeräumungsarbeiten beschäftigte Knecht Josef Zgraggen vom Lawinenschnee begraben.

Die Rettungsarbeiten setzten unverzüglich ein. Ein in der Kaserne einquartierter Skikurs der Grenzwache wurde sofort alarmiert, mit dem nötigen Rettungsmaterial ausgerüstet und auf die

Fig. 74 Die Schäden der Geißtallawine. Im Vordergrund die Trümmer des Hauses .,Zur Mühle", jenseits des Bachbettes das weitgehend zugedeckte Hotel .,Drei Könige" (Flugaufnahme)

Fundort Fam. Rieter