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Der Körper der reellen Zahlen R

Im Dokument 1.1 Mathematische Sprache (Seite 28-35)

In den vorangegenenen Abschnitten wurde der Zahlenbereich der natürlichen Zahlen N schrittweise zunächst zu den ganzen Zahlen Z und dann zu den rationalen Zahlen Q erweitert, so dass man immer größere Zahlenräume N⊂ Z⊂ Q erhalten hat. Bei jeder Erweiterung stand die Fragestellung im Raum, ob sich gewisse Gleichungen lösen lassen.

Im Körper Q schließlich lassen sich nun lineare Gleichungen bzgl. der Addition und der Multiplikation stets lösen.

Konsequenter Weise lässt sich fragen, ob nun allgemeine quadratische Gleichungen der Form

a+b·x+c·x2 =d für a, b, c, d∈Q

eine Lösungx∈Q besitzen. Wieder stellt man fest, dass sich nicht jede Gleichung in Q lösen lässt.

Satz 2.11 (Irrationalität der Quadratwurzel) Die quadratische Gleichung

x2 = 2 besitzt keine Lösung in Q.

Beweis. Widerspruchsbeweis: Angenommen, es gäbe die Lösung x = nz mit Zahlen r∈Z, n ∈N+, so dass x2 = 2. Es sei dann die vollständig gekürzte Fassung des Bruchs gewählt. Insbesondere seien Nenner und Zähler nicht gleichzeitig durch 2 teilbar. Nun ist aber r2 = 2·n2 und somit r durch 2 teilbar. Wählt man r = 2·s, so ist aber wegen

2·s2 =n2 auchn durch 2 teilbar. Widerspruch.

1

1 p2

Abbildung 2.2: Geometrische Interpretation der Lösung von x2 = 12+ 12 = 2.

Erneut möchte man den Zahlenbereich erweitern, damit solche Gleichungen eine Lösung bekommen. Anschaulich entspricht die Lösung x2 = 2 zum Beispiel der Diagonalen im

2.3 Der Körper der reellen Zahlen R Einheitsquadrat und solche Längen möchte man mit dem Zahlenraum ebenfalls abdecken können.

Die Idee ist nun, nach und nach eine Folge von rationalen Zahlen zu konstruieren, die die Lösung der Gleichung x2 = 2 immer besser annähern. Man gewinnt so eine Appro-ximation, d.h. eine Näherungslösung, der gesuchten Lösung. Dazu seien zunächst einige Begrifflichkeiten genauer geklärt:

Definition 2.12 (Folge)

Unter einerFolge(an)n∈N= (a0, a1, a2, ...)in einer MengeAversteht man eine Abbildung N→A. Jeder natürlichen Zahl n ∈N wird dabei einFolgenlied an∈A zugeordnet.

Beispiele 2.13

(a) Mit an =n ∀n∈N erhält man die Folge (an)n∈N = (0,1,2,3, ...) = (n)n∈N. (b) Mit an = n+11 ∀n∈N erhält man die Folge (an)n∈N = (1,12,13, ...) = (n+11 )n∈N.

(c) (n+1n )n∈N= (0,12,23,34, ...).

Nützlich ist im Folgenden auch die Darstellung von Zahlen als Dezimalzahlen.

Definition 2.14 (Dezimalbruchdarstellung) Die Dezimalbruchdarstellung einer Zahl

a=± a0+ Xk

j=1

dj ·10j

!

a0+ d1

10 + d2

102 + d3

103 +...+ dk

10k

mit a0, k∈N, d1, ..., dk∈ {0,1,2, ...,9},sei im Folgenden gegeben durch a=±(a0, d1...dk).

Ein mögliches Verfahren zur Approximation der Lösung von x2 = 2 besteht nun darin, die Lösung x durch eine Folge von Zahlen aus Q sowohl von unten als auch von oben einzugrenzen.

Dazu betrachte man die Foglen

an =an1+ dan

10n, für n>0, a0 = 1, und

bn=bn−1− dbn

10n, für n>0, b0 = 2, mit dan, dbn ∈ {0,1,2, ...,9} ∀n∈N+,wobei für alle n ∈N gelte:

bn−an = 10n, a2n <2< b2n.

Um diese Folge zu konstruieren beginnt man also mit denjenigen ganzen Zahlen, die am nächsten unterhalb bzw. oberhalb der gesuchten Lösung liegen (a0 = 1 und b0 = 2).

Diese erfüllen die geforderten Bedingungen:

b0−a0 = 2−1 = 1 = 100, a20 = 1<2<4 =b20.

Die nächste Annäherung an die Lösung erhält man nun, indem man diejenigen Zehntel

da1

10 und d10b1 addiert bzw. abzieht, so dass die oben geforderten Bedingungen erfüllt sind.

Dazu zählt manda1 von 0aus so lange hoch bis gilt:

a0+ d10a12

<2<

a0+da110+12

Dies ist gerade für da1 = 4 der Fall. Man wähle dann db1 = 9−da1, womit sich ergibt:

b1−a1 = 1,5−1,4 = 0,1 = 101, a21 = 1,96<2<2,25 =b21.

Dieses Vorgehen lässt sich beliebig lang fortführen. In den ersten 10 Schritten erhält man so die folgenden Werte für an und bn:

n an bn

0: 1 2

1: 1,4 1,5

2: 1,41 1,42

3: 1,414 1,415

4: 1,4142 1,4143 5: 1,41421 1,41422 6: 1,414213 1,414214 7: 1,4142135 1,4142136 8: 1,41421356 1,41421357 9: 1,414213562 1,414213563

a0 a1 a2 b2 b1 b0

bi

ai

?

(x2= 2)

. . . an bn . . .

Abbildung 2.3: Approximation der Lösung von x2 = 2 durch zwei Folgen.

Nach Konstruktion liegen folglich die Zahlenanstets unterhalb, die Zahlenbnstets über-halb der gesuchten Lösung. Zusätzlich jedoch verringert sich der Abstand zwischen den

2.3 Der Körper der reellen Zahlen R Zahlen immer mehr, so dass für dasn-te Folgenglied beider Folgen gilt, dass der Abstand zur tatsächlichen Lösung kleiner10nist, die Lösung also immer besser angenähert (ap-proximiert) wird. Die Lösung der Gleichung x2 = 2 lässt sich also über Folgen beliebig genau eingrenzen. Man ist deshalb bestrebt den Zahlenraum um die Grenzwerte dieser Folgen zu erweitern.

Mit dem Grenzwert a zur Folge (an)n∈N = (a0, a1, a2, . . .) ist dabei derjenige Wert ge-meint, dem die Folgenglieder mit fortschreitendemnimmer näher kommen. Der Abstand zwischen den Folgengliedernanund dem Grenzwertawird also immer kleiner. Dies wird durch das folgende Kriterium formalisiert.

Definition 2.15 (Cauchy Konvergenzkriterium)

Eine Folge (an)n∈N heißt konvergent gegen einen Grenzwert (Limes)a, falls es zu jedem (beliebig kleinen) >0ein n ∈N gibt, so dass gilt:

|an−a|< für n≥n. Dies wird notiert als

|an−a| →0 (n→0) oder lim

n→∞an =a.

Man beachte dabei, dass das zu wählende n vom gewählten abhängt. Im Allgemeinen wird man n desto größer wählen müssen je kleiner man wählt.

a0 a2 a5 a6 . . . a7 a4 a3 a1

a= lim

n!1an

Abbildung 2.4: Illustration des Konvergenzkriterium für die Folge (an)n∈N mit a = limn→∞an. Für jedes > 0 liegen die Folgenglieder ab einem n ∈ N alle höchstens vom Grenzwert a entfernt.

Problematisch ist diese Definition, wenn der Grenzwert einer Folge nicht im gleichen Raum wie die Folgenglieder selbst liegen. Dies ist aber gerade bei der oben konstruierten Folge in Q der Fall, da der Grenzwert√

2 selbst nicht in Q liegt.

Dies lässt sich umgehen, indem man die Konvergenz einer Folge ausdrückt, ohne den Grenzwert explizit zu verwenden:

Definition 2.16 (Cauchy-Folge)

Eine Folge (an)n∈N heißt Cauchy-Folge, wenn es zu jedem (beliebig kleinen) > 0 eine natürliche Zahl n ∈N gibt, so dass gilt:

|an−am|< für alle n, m≥n.

Anschaulich bedeutet dies, dass sich die Folgenglieder einer Cauchy-Folge ab einer ge-wissen Stelle nicht mehr als einen vorgegebenen Abstand voneinander unterscheiden und dass dieser Abstand beliebig klein gewählt werden kann.

Analog zur Konstruktion der ganzen und rationalen Zahlen wird zur Konstruktion der reellen Zahlen eine Äquivalenzrelation verwendet. Für die Menge der Cauchy-Folgen in den rationalen Zahlen ist durch

(an)n∈N∼(a0n)n∈N:⇔ |an−a0n| →0 (n→ ∞)

eine Äquivalenzrelation gegeben. Die reellen Zahlen lassen sich dann als Menge der Äquivalenzklassen bezüglich dieser Relation auffassen:

R:={[(an)n∈N]|(an)n∈N ist Cauchy-Folge in Q}.

Die rationalen Zahlen lassen sich in die Menge der reellen Zahlen in natürlicher Weise einbetten, indem man diese als konstante Cauchy-Folgen auffasst:

Für a∈Q: (an)n∈N mit an=a für alle n

Identifiziert man jede Äquivalenzklasse von Cauchy-Folgen mit dem gemeinsamen Grenz-wert der jeweils enthaltenen Folgen, so wird die Idee hinter der Konstruktion der reellen Zahlen als Menge aller Grenzwerte von Cauchy-Folgen in Qklarer.

Der folgende Satz hilft dabei eine konkretere Vorstellung der reellen Zahlen zu entwickeln:

Satz 2.17

Jeder Äquivalenzklasse [(an)n∈N]∈R entspricht genau ein (gegebenenfalls unendlicher) Dezimalbruch.

a:={±(a0, d1d2d3...)|a0 ∈N, dk ∈ {0,1, ...,9} ∀k >0}.

Umgekehrt entspricht jedem solchen Dezimalbruch genau eine Äquivalenzklasse in R.

R lässt sich dementsprechend auch als Menge von (gegebenenfalls unendlichen) Dezi-malbrüchen auffassen.

Beweis. (Skizze) Fasst man einen unendlichen Dezimalbruch als Folge von endlichen Dezimalbrüchen auf, so lässt sich zeigen, dass es sich dabei um eine Cauchy-Folge han-delt. Damit repräsentiert der Dezimalbruch ein Element aus R. Schließt man Periode 9 bei der Dezimalbruchdarstellung aus, so lässt sich auch zeigen, dass zwei unterschiedliche Dezimalbrüche niemals zur gleichen Äquivalenzklasse gehören können.

Umgekehrt lässt sich über das Prinzip der Intervallschachtelung zeigen, dass sich zu jeder Äquivalenzklassea= [(an)n∈N]∈Rein (gegebenenfalls unendlicher) Dezimalbruch finden lässt, der eben zu dieser Äquivalenzklasse gehört.

Die beiden Darstellungen sind damit äquivalent.

2.3 Der Körper der reellen Zahlen R

Übertragung der Eigenschaften von Q auf R

Die wesentlichen Eigenschaften von Q übertragen sich auf die reellen Zahlen R.

Von der Anordnung von Q ausgehend lassen sich auch auf R Ordnungsrelationen de-finieren. Dazu werden die zu Zahlen den a, b ∈ R zugehörigen Äquivalenzklassen von Cauchy-Folgen (an)n∈N, (bn)n∈N inQ betrachtet. Für alle

a := [(an)n∈N)]∈R, an∈Q∀n∈N b := [(bn)n∈N)]∈R, bn∈Q∀n∈N

definiert man

a > b :⇔ ∃N ∈N: (an−bn)>0 ∀n > N.

und entsprechend

a≥b :⇔ a > b oder a=b, a < b :⇔ b > a,

a≤b :⇔ b ≥a.

Analog zu Q sei dann auch aufR die Betragsfunktion gegeben als:

| · |: R→R+0,

|a|:=





a, a >0,

0, a= 0,

−a, a <0.

In analoger Weise sollen die elementaren Rechenoperationen von Q auf R übertragen werden. Dazu ist der folgende Hilfssatz wichtig.

Satz 2.18

Seien (an)n∈N und (bn)n∈N Cauchy-Folgen mit Grenzwerten

nlim→∞an=a und lim

n→∞bn =b.

Dann gilt (i) lim

n→∞{an+bn}=a+b, (ii) lim

n→∞{an·bn}=a·b, (iii) lim

n→∞{abnn}= ab, falls alle|bn| ≥α >0 und |b| 6= 0 echt positiv sind.

Beweis. Der technische Beweis wird ausgelassen.

Somit lassen sich die arithmetischen Operationen von Q auf R übertragen und man erhält das folgende Resultat.

Satz 2.19

R mit Addition und Multiplikation bildet den Körper (R,+,·).

Beweis. Die arihtmetischen Grundoperationen + und · übertragen sich direkt von Q auf R und somit sind Assoziativität und Kommutativität sowie das Distributivgesetz direkt erfüllt. Es verbleibt zu zeigen, dass die Lösungen von linearen Gleichungen exis-tieren. Sei dazu die Gleichung a+x = b mit a, b ∈ R gegeben. Die Lösung x = b−a ist folglich die Differenz zweier Cauchy-Folgen und durch eine Cauchy-Folge rationaler Zahlen approximierbar. Analog zeigt man die Lösung der Gleichunga·x=b, a6= 0.

Satz 2.20

Qliegt dicht in R, d.h. zu jedema∈Rund zu jedem >0existiert q∈Q: |a−q|< . Beweis. Nach Konstruktion von R existiert zu jedem a ∈ R eine gegen a konvergente

Cauchy-Folge (an)n∈N inQ.

Bei den rationalen ZahlenQwurde festgestellt, dass gewisseLöcher existieren, die durch den ZahlenraumQnicht darstellbar waren. Zum Beispiel war die approximierende Folge der Lösung der Gleichung x2 = 2zwar konvergent, allerdings lag der Grenzwert x=√

2 nicht inQ. Für den Körper R gilt hingegen nun folgendes Resultat.

Satz 2.21

R istvollständig, d.h. jede Cauchy-Folge in R konvergiert gegen einen Grenzwert in R. Beweis. Sei eine Cauchy-Folge (an)n∈N mit Folgengliedernan∈ R reeller Zahlen gege-ben. Nun ist zu zeigen, dass der Grenzwert dieser Folge ebenfalls in R liegt (d.h. durch eine Cauchy-Folge mit Folgenglieder in Qapproximierbar ist). Zu jedem der Folgenglie-der (die inR liegen) sei daher zunächst die approximierende Folge inQgegeben, d.h. es sei das n-te Folgenglied dargestellt durch

R3an = lim

m→∞an,m, an,m ∈Q für alle m∈N.

Da dies eine Cauchy-Folge ist, lässt sich für jedes Folgengliedaneine Schrankeknwählen, ab der die Approximation durch die Folge rationaler Zahlen so gut ist, dass gilt

|an−an,kn|< 1

n mit kn ∈N. Dies erzeugt einen neue Folge (an,kn)n∈N:

Im Dokument 1.1 Mathematische Sprache (Seite 28-35)