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(Rückblick. – Schlußvorstellung.)

Ed. H. Die Abschiedsvorstellung der italienischen Sänger im Hofopern-theater hat gestern (31. Mai) unter reichlichem Beifall, unter Blumen- und Kränzewerfen stattgefunden. Außer den bereits abgereisten M o n g i n i und B a r b ô t , wirkten alle Künstler in dem nur allzu langen Potpourri mit, das üblicherweise den Schluß der Saison bildete. Nachdem für das nächste Frühjahr eine italienische Saison bereits genehmigt und angeordnet ist, dürfte manche Bemerkung über die jüngste Vergangenheit möglicherweise der Zukunft zu statten kommen.*)

Die abgelaufene Stagione gehörte nicht zu den vorzüglichsten, noch we-niger kann man sie den mittelmäßigsten beizählen. Der Erfolg, im Großen und Ganzen genommen, war ein anständiger, der Antheil des Publicums ein recht lebhafter. Einige vorzügliche Gesangskräfte und einige sehr ge-lungene Vorstellungen zierten das Repertoire. Im Verlaufe von 52 Vorstel-lungen wurden vierzehn verschiedene Opern gegeben, („Ballo in Maschera“,

„Rigoletto“, „Traviata“ und „Trovatore“ von V e r d i ; „Otello“, „Barbiere“ und

„Mosè“ von R o s s i n i ; „Lucia“, „Don Pasquale“, „Figlia del Reggimento“ und

„Favorita“ von D o n i z e t t i ; „Norma“ und „Sonnambula“ von B e l l i n i ,

„Saffo“ von P a c i n i) wozu noch am letzten Abend ein größeres Fragment aus D o n i z e t t i ’ s „Lucrezia Borgia“ hinzukam. Der finanzielle Erfolg der Stagione war ein günstiger; trotz der hohen Gagen der meisten Mitglieder ergab sich ein R e i n e r t r a g von mehreren Tausend Gulden und wurde die für die deutsche Oper systemisirte Subvention nicht ins Mitleiden gezogen.

Als einen negativen Vorzug schätzen wir auch die gegenwärtige Einschrän-kung der italienischen Saison auf z w e i Monate, statt des früher üblichen

*) Zwischen dieser und der letzten italienischen Saison am Hofoperntheater liegt eine Pause von fünf Jahren. Eine doppelt so lange Unterbrechung folgte unmittelbar der glänzendsten Epoche italienischer Musik in Wien in den Zwanzigerjahren; erst mit 1835 begegnen wir wieder der regelmäßigen italienischen Frühlingssaison im Hofoperntheater. Nach den März-tagen 1848 wurde, unter dem Eindruck des Krieges in Italien, die Wiederaufnahme der ita-lienischen Sänger eine politische Unmöglichkeit; schon im Jahre 1851 kehrten diese jedoch wieder, um nach dem Jahre 1859 abermals von Nachwirkungen eines italienischen Krieges ferngehalten zu bleiben. Daß jetzt, im Jahre 1864, das Hofoperntheater wieder eine italie-nische Saison einführt, ist wol zunächst dem Vorgang des Wiedener- und des Carltheaters zuzuschreiben.

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Vierteljahres. Eine italienische Oper in Deutschland bleibt doch nur ein ästhetischer Leckerbissen, und daran ersättigt man nur allzu schnell.

So ungerecht es wäre, der abgelaufenen Saison jede Anerkennung zu ver-sagen, so trifft sie doch eine Reihe schwererer und leichterer Vorwürfe. Un-sere Bedenken treffen theils das Repertoire, theils die engagirten Kräfte, theils endlich die Verwendung dieser Kräfte.

Einige Engagements waren gänzlich ü b e r f l ü s s i g , so des Herren P a r -d i n i , S a c c o m a n o , P a n -d o l f i n i , C o r n a g o , -der Damen C a s h - P o l l i n i und C i a s c h e t t i (oder L e m a i r e). Herr P a n d o l f i n i , ein stimmbegabter, aber widerwärtig manierirter Sänger, sang nur zwei Partien, von denen die eine (Germont in „Traviata“) füglich B a r t o l i n i , die andere (König Alfons in der „Favorita“) E v e r a r d i oder B a r t o l i n i hätte übernehmen können und sollen. Für ebenfalls nur zwei Rollen (den Alcandro in „Saffo“ und den zur Unscheinbarkeit zusammengestrichenen Jago in „Otello“) war Herr S a c c o -m a n o engagirt; das Publicu-m hätte ih-m auch diese beiden Gräuelthaten gern erlassen. Der ehrwürdige Tenorist P a r d i n i war für zwei Monate enga-girt, um nur in drei Rollen (Sever, Otello, Faone) aufzutreten, in welche sich G r a z i a n i und M o n g i n i ohne Ueberbürdung hätten theilen können. Daß dieser greise Athlet überall unfreiwilliger Buffo war, und daß er für die Zu-kunft eine Unmöglichkeit ist, bedarf keiner weiteren Wiederholung. Die drei für Alt- und Mezzo-Sopranpartien engagirten Damen C a s h -P o l l í n i , C i a -s c h e t t i und L e m a i r e erwie-sen -sich -sämmtlich al-s ganz ungenügend; für die Summe ihrer allerdings nicht glänzenden Gagen hätte man e i n e tüch-tige Altistin gewonnen. Frau C a s h war überdies nur in einer kleinen Rolle beschäftigt (Königin in „Mosè“), welche Fräulein D i l l n e r ebensogut bewäl-tigt hätte. Ein sechster Sänger, der uns überflüssig schien, war der biedere Losleger C o r n a g o , dessen drei Partien (Raimondo in „Lucia“, Comthur in der „Favorita“, Samuele im „Maskenball“) dem wenig beschäftigten A n g e -l i n i nicht geschadet hätten. Es waren somit für den Bedarf der Stagione zu viele Sänger engagirt, Sänger, welche dem Ensemble theils geringsten Nutzen, theils positiven Nachtheil zufügten. Herr Director S a l v i kennt die Oper in Italien besser als wir, und weiß daher, daß die Sänger dort während der Stagione tüchtig zu arbeiten gewohnt sind. Man pflegt in Italien nicht vier erste Tenoristen, vier erste Baritons etc. zu engagiren, sondern begnügt sich mit zweien, welche dann nicht eben geschont werden. Daß italienische Sänger ersten Ranges keinen Anstand nehmen, für ihre hohen Gagen mitun-ter auch eine kleinere Rolle zu übernehmen, das beweisen E v e r a r d i und A n g e l i n i , die in Petersburg die Partien der Herren C o r n a g o und M i -l e s i im „Maskenba-l-l“ u. dg-l. sangen.

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Als Künstler ersten Ranges können wir von den diesjährigen Mitglie-dern nur Fräulein A r t ô t und Herrn E v e r a r d i , dann Frau B a r b ô t und Herrn G r a z i a n i anerkennen, wobei wir obendrein davon absehen müs-sen, daß die Stimmmittel G r a z i a n i ’ s ziemlich verblüht, die der B a r b ô t auf ein Minimum reducirt sind. Es ist doch ein großes Mißverhältniß, wenn von vier ersten Sängerinnen keine einzige durch ein großes, kraftvolles Or-gan glänzt. Wir kommen von den „überflüssigen“ Sängern auf die „ungenü-genden“ zu sprechen. Ungenügend ist Madame V o l p i n i für Partien ersten Ranges, wie Lucia und Sonnambula. Stimme und Kunstfertigkeit dieser niedlichen Sängerin sind unbedeutend, ihr Spiel gleich Null. In leichten, heitern Partien hilft ihr das Gefällige ihrer Erscheinung und eine gewisse natürliche Leichtigkeit des Gesangs; ihre dramatische Begabung besteht darin, hübsche Augen und einen freundlichen Mund zu besitzen. Signora L o t t i war niemals eine große Sängerin, noch weniger eine gute Schauspie-lerin. Was sie leistet, ist aber jederzeit von einer Ehrlichkeit und Anstän-digkeit, daß man nur ungern die Stimme gegen sie erhebt. Die Zeit ist grau-sam gegen sie gewesen, sollen wir es auch noch sein? Täuschen möge man sich nur darüber nicht, daß Madame L o t t i niemals zu enthusiasmiren, höchstens zu genügen vermag, daß ihr Wieder-Engagement somit sich nur aus dem Titel einer „grande utilité“ empfiehlt. Von den Tenoristen machte Herr M o n g i n i einen sehr gemischten Eindruck, einen unkünstlerischen jedenfalls; der gegenwärtig auch über Italien hereinbrechende Mangel an umfangreichen kräftigen Bruststimmen macht ihn im Werth steigen. Ganz ungenügend war hingegen Herr G u i d o t t i als Tenore di grazia und Spiel-tenor; wir hoffen, seine heisere Stimme und sein unbeschreiblich hölzernes Spiel in Zukunft zu entbehren. Auch Herr F i o r a v a n t i leistet bei dem rührendsten Eifer nicht entfernt, was man am Hofoperntheater von einem ersten Buffo zu verlangen berechtigt ist. Die komischen Opern, die Guidotti und Fioravanti zusammen darstellten, zählen nicht zu aufregenden Erin-nerungen.

Betrachten wir die diesjährigen Kräfte als eine gegebene Voraussetzung, als die Summe, mit welcher man rechnen mußte, so ist nicht zu verhehlen, daß man damit hätte besser rechnen können. Einige auffallend verfehlte Besetzungen wurden bereits erwähnt; es schien mitunter, als scheute man nicht den Ruin einer Vorstellung, blos um darzuthun, man habe ei-nen Pardini oder Saccomano nicht umsonst angestellt. Künstler wie F r a -s c h i n i , C a r r i o n und G i u g l i n i hatten e-s nicht ver-schmäht, den Er-nesto im „Don Pasquale“ zu singen; warum mußte die hübsche Rolle hier Herrn G u i d o t t i zum Opfer fallen? Wenn man A n g e l i n i besaß, warum

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gab man ihm nicht die Baßpartien in der „Favorita“, in der „Lucia“? Wenn man Fräulein A r t ô t (die in jeder Hauptrolle das Theater füllte) für die

„Sonnambula“ und „Don Pasquale“ dadurch freimachen konnte, weßhalb gab man nicht die zweiten Rollen in „Saffo“ und „Norma“ der V o l p i n i ? Fräulein A r t ô t sang aus ihrem Repertoire aus 20 Rollen nur fünf, darun-ter zwei unbedeutende (Climene und Adalgisa) und zehnmal die Rosina!

Der treffliche E v e r a r d i wurde viel zu wenig beschäftigt, und erhielt nur drei Rollen (Barbier, Pharao, Malatesta). Diese Beispiele, die leicht um ein Beträchtliches zu vermehren wären, zeigen deutlich genug, daß die Direc-tion von den hervorragenden Künstlern, die sie besaß, nicht den richtigen Gebrauch zu machen verstand. Kaum einer einzigen Vorstellung entsinnen wir uns, die ein durchaus vortreffliches Ensemble geboten hätte, obwol man viele davon leicht hätte ganz vorzüglich besetzen können. Daß wir uner-hebliche Flecken gern übersehen, und von übertriebenen Anforderungen weit entfernt sind, glauben wir in unserer Besprechung aller besseren Vor-stellungen bewiesen zu haben; diese verhältnißmäßig besten waren: „Der Barbier“, „Traviata“, „Mosè“ und der „Maskenball“.

Wir sind von dem Standpunkte ausgegangen, und es scheint uns für die Errichtung italienischer Stagiones in Deutschland der einzig mögli-che, daß man in solchen Stagiones A u s g e z e i c h n e t e s hören will. Schon der materielle Maßstab des höheren Preises berechtigt dazu; in künstleri-scher Hinsicht ist es überdies von bedenklichen Folgen, wenn man sich in Deutschland das dürftige italienische Repertoire in mittelmäßigen Darstel-lungen gefallen läßt. Für eine italienische Oper in D e u t s c h l a n d wird die oftgehörte Entschuldigung unzureichender Kräfte „man habe keine bessern“, keine sein, denn in diesem Fall muß und soll man keine Stagione geben. Eine italienische Oper „um jeden Preis“ halten wir für einen argen Irrthum. Behelfen muß man sich in Italien, wir in Deutschland wollen aus-gezeichnete Italiener oder gar keine hören. Deshalb dürfte uns gestattet, ja geboten sein, unsere italienischen Gäste an dem Maßstab der Vortrefflich-keit zu messen.

Ist eine italienische Truppe versammelt, die in ihrer Gesammtheit nicht so glänzend ist, daß ihre Zauberstimmen allein auch die verblaßteste Oper neu zu vergolden vermöchten, dann gibt es nur Ein Aushilfsmittel:

die Auffrischung des R e p e r t o i r e s. Man muß durch Werth und Neuheit der Opern selbst wirken. In diesem Punkt ist uns die Direction sehr viel schuldig geblieben. Sie brachte e i n e e i n z i g e N o v i t ä t , V e r d i ’ s „Ballo in Maschera“, eine Oper, die zu den besseren Arbeiten des musikalischen Beherrschers von Italien gehört, und mit Erfolg die Runde durch Europa

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gemacht hat. Gründe genug, der triftigsten ästhetischen Bedenken unge-achtet, die Novität vorzuführen. Ja, man hätte überdies statt der abgespiel-testen Opern V e r d i ’ s dessen „Sicilianische Vesper“ bringen können, die ins italienische Repertoire, nicht ins deutsche gehört, und die in italieni-scher Aufführung hier neu und interessant gewesen wäre. Endlich zwingt die Armuth an neuen italienischen Opern noch immer nicht zu so langwei-ligem Festkleben an den alten. Die italienische Oper ist längst aus ihrem rein nationalen Standpunkt heraus auf einen kosmopolitischeren getreten;

die italienischen Bühnen in Paris, London, Petersburg können nicht exi-stiren, wollten sie sich auf ursprünglich Italienisches beschränken. Auch hier hätte man das Repertoire in diesem Sinn erweitern können. Deutsche Opern italienisch zu hören, wird hier allerdings niemand verlangen, ob-gleich z. B. „M a r t h a“ überall zu den besten Vorstellungen der Italiener gehört. Besser läßt sich schon das französische Repertoire nützen. Nehmen wir beispielsweise den von den Italienern mit Vorliebe gegebenen „Faust“

von G o u n o d. Hätte es nicht dem Wiener Publicum ein größeres Inter-esse geboten, die B a r b ô t (oder A r t ô t), G r a z i a n i (oder M o n g i n i) und E v e r a r d i in ihren gepriesenen Rollen als Gretchen, Faust und Mephisto zu sehen und mit unseren Künstlern zu vergleichen? Chor und Orchester haben die Oper inne, die ganze Ausstattung ist vorhanden. Der Einwand, die Direction wolle nicht Opern aus dem deutschen Repertoire entnehmen, ist keiner Erwiderung werth, da man ja auch mit „Lucia“, „Rigoletto“, „Tro-vatore“ etc. kein Aufhebens machte.

Die Cardinalsünde des Repertoires bleibt jedoch, daß nicht E i n e Oper von M o z a r t oder C i m a r o s a gegeben wurde. Wer sich der trefflichen italienischen Darstellungen des „Don Giovanni“, „Nozze di Figaro“, „Così fan tutte“ und „Matrimonio segreto“ erinnert, – und wer erinnert sich nicht mit Freuden daran? – der wird diese Unterlassungssünde kaum begreiflich finden. Der glückliche Umstand, daß drei Meisterwerke Mozart’s in italie-nischer Sprache für italienische Sänger geschrieben sind, sollte doch jedem Impresario in Deutschland als Fingerzeig des Himmels gelten. Am Wiener Hofoperntheater halten wir diese Aufführung einfach für eine Pflicht. Es ist eine Pflicht, deren Erfüllung überdies sich jedesmal gelohnt hat. Glaubte doch selbst M e r e l l i im Carltheater, mit einem unvorbereiteten Chor und Orchester unter unsäglichen Mühen dieser Forderung genügen zu müssen, und gab den „Don Giovanni“. Von künstlerischen Motiven abgesehen, die doch hier niemals ganz fehlen sollten, müßte die einfachste geschäftliche Erwägung den Director erinnern, welche große Zahl von Musikfreunden Verlangen trägt, die italienischen Sänger zu hören, aber sich nicht

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schließen kann, deshalb eine V e r d i ’ sche oder D o n i z e t t i ’ sche Oper zu besuchen. Die Gelegenheit, die Italiener in einem classischen Werk zu hö-ren, zieht eine Menge andächtiger Besucher ins Theater, die sonst nie in die italienische Oper gehen. Die Erfahrung hat gelehrt und wird es jederzeit lehren, daß man mit einer beliebigen Anzahl Vorstellungen des „Don Gio-vanni“ vollere Häuser erzielt, als wir heuer bei der „Lucia“, „Sonnambula“,

„Rigoletto“ etc. gesehen haben. Wenn man aber Mozart trotzdem nicht ein-mal des finanziellen Vortheils wegen aufführt, so sieht dies ja geradezu aus wie ästhetischer „böser Vorsatz“!

Zum Schluß haben wir noch ein ernstes Bedenken anderer Art auszu-sprechen; es betrifft die Verwendung der jungen Eleven der „kaiserlichen Opernschule“ im Theaterchor. Man hat sich mit Recht an den frischen Stim-men und jugendlichen Erscheinungen erfreut, welche während der italie-nischen Saison unsern bemoosten Damenchor schmückten. Namentlich im

„Maskenball“, „Mosè“, „Favorita“ und „Saffo“ strahlten die durch die Opern-schülerinnen verstärkten Chöre in wohlthuender Kraft und Frische. Daß diese Verwendung den Opern sehr zu statten kam, unterliegt keinem Zwei-fel, es fragt sich nur, ob sie auch den jungen Mädchen zu statten kommt.

Und dies dünkt uns keine Nebensache. Zweck und Aufgabe der kaiserli-chen Opernschule wurde doch officiös dahin präcisirt, „für den deutskaiserli-chen K u n s t g e s a n g überhaupt und für die Oper insbesondere einen kräftigen und in jeder Richtung a u s g e z e i c h n e t e n Nachwuchs von K ü n s t l e r n u n d K ü n s t l e r i n n e n heranzubilden“. (K. k. Wiener Zeitung vom 30.

November 1862. S. 1646.) Es ist aber ein alter, fast ausnahmsloser Erfah-rungssatz, daß aus Choristen niemals gute Solosänger werden. Junge Stim-men für den Kunstgesang ausbilden und junge StimStim-men im Theaterchor vernutzen, das scheinen uns doch zwei verschiedene Dinge zu sein.*)

Monate vor Eröffnung der italienischen Saison plagten sich bereits die Eleven der Hofopernschule mit dem Studiren der Chöre; im Verlaufe der Saison (die „Favorita“ mußten sie in acht Tagen bewältigen) wuchs die Auf-gabe natürlich immer mehr. Wir fragen nun, sind Chöre von Verdi und Donizetti ein geeigneter Lehrstoff für angehende Künstlerinnen? Ist die

*) Auch die Besetzung kleiner, sogenannter Vertrautenrollen mit jungen Anfängerinnen scheint uns ein Mißgriff. Zu solchen Rollen gehört keine jugendliche Stimme, sondern Thea-ter-Routine. Eine Anfängerin kann darin nichts lernen, sich in keiner Weise hervorthun (was ihr oft mit dem kleinsten Liedchen gelänge), aber sie kann, ob ihrer Ungeschicktheit ausge-lacht, für immer entmuthigt und discreditirt werden. Auch diesmal wurde N o r m a ’ s Zofe, V i o l e t t a ’ s Kammermädchen etc. sehr hart behandelt; nicht die ängstliche junge Anfän-gerin trifft die Schuld, sondern den Director, der sie an einen solchen Platz gestellt.

September 1864

Ueberhäufung mit practischem, mitunter anstrengendem Theaterdienste vereinbar mit den Gesetzen eines methodischen, gesammelten S t u d i -u m s ? Ist endlich der fortwährende A-ufenthalt a-uf der Bühne -und zwischen den Coulissen – man denke an die zahlreichen Proben – ein besonders emp-fehlenswerthes pädagogisches Bildungsmittel für junge Mädchen? So lange man uns nicht eines Bessern belehrt, müssen uns einige Zweifel darüber gestattet sein, ob ein Choristendienst, wie der der zwei letzten Monate, sich vollständig mit der methodischen Ausbildung, ja mit der allseitigen Schonung und Fürsorge vertrage, deren der Anfänger bedarf. Wir haben die Gründung der Hofopernschule, dieses neuen Zeichens echt kaiserlicher Kunstliebe und Munificenz, mit Freuden begrüßt. Deshalb bringen wir ei-nen Punkt zur Sprache, an welchem die schöne Idee dieses Instituts sich selbst untreu zu werden droht. Wir möchten in der kaiserlichen Opern-schule wirklich eine „Musterpflanzstätte für Gesangskünstler“ sehen, wie sie es versprach, und nicht eine Windlade, die lediglich dafür zu sorgen hat, daß unserm Theaterchor der Athem nicht ausgehe.

Neue Freie Presse, 2. 9. 1864