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4. Methodisches Vorgehen

4.6. Interviewgestaltung und Realisation

In den folgenden Abschnitten wird zunächst auf die Grundlagen zum Leitfaden-Interview eingegangen. Anschließend wird die Entwicklung des Leitfadens für die vorliegende Arbeit dargestellt und der Leitfaden abgebildet.

4.6.1. Das Leitfaden-Interview

In dieser Arbeit wurde als Erhebungsinstrument das Interview gewählt. Leitfaden-Interviews stellen sich als geeignete Methode dar, wenn es zum Einen gilt, subjektive Theo-rien und Formen des Alltagswissens bei maximaler Offenheit zu rekonstruieren und zum An-deren ist der Einsatz von Leitfaden-Interviews sinnvoll, wenn von den Interviewenden The-men eingeführt und damit in den offenen Erzählraum strukturierend eingegriffen wird (Helffe-rich 2009).

Das Leitfaden-Interview gehört zu den teilstrukturierten Interviewformen und stellt eine Son-derform von Interviews dar, weil nach der stringenten Unterteilung in qualitative und quanti-tative Forschung dementsprechend das offene, narrative Interview und das strukturierte In-terview als kontrastierende InIn-terviewformen zur Verfügung stehen. Grundlage für ein halb-strukturiertes Interview bildet ein Gesprächsleitfaden, der aus einer gewissen Anzahl an Leit-fragen zu den entsprechenden Themen besteht, die im Gesprächsverlauf weiter exploriert werden können (Lamnek 2010).

4.6.2. Entwicklung des Leitfadens

Entwickelt wurde der Fragebogen vor dem Hintergrund der SPSS-Methode (Sammeln, Prü-fen, Sortieren, Subsummieren, vgl. (Helfferich 2009)). Ein zentrales Merkmal dieses Verfah-rens ist die Erstellung des Leitfadens in Zusammenarbeit mit einer Forschergruppe. Dies ge-schah in Form von zwei Forschergruppen, die sich zum Einen aus Promovenden der Univer-sität Bielefeld (Fachbereich Gesundheitswissenschaften) zusammensetzte und zum Anderen

aus einer Gruppe von Promovenden, die sich im Rahmen eines Workshops zur qualitativen Forschung zusammenfand. Anhand dieser Vorgehensweise war es möglich, zunächst Fra-gen aus unterschiedlichen BlickrichtunFra-gen zu sammeln und diese hinsichtlich der For-schungsfrage zu prüfen, um sie im nächsten Schritt in der Forschergruppe zu sortieren (vgl.

Tabelle 6).

Tabelle 6 Das SPSS-Verfahren

S Im ersten Schritt werden in einem offenen Brainstorming möglichst viele Fragen gesammelt

P Im Anschluss werden die Fragen hinsichtlich ihrer Eignung überprüft und alle die unpassend erscheinen gestrichen.

S

Mit den verbleibenden Fragen erfolgt nun eine Sortierung nach offenen Erzählaufforderungen, Aufrechterhaltungsfragen und konkreter Nach-fragen.

S Zum Schluss werden die Fragen noch unter die Leitfragen subsumiert.

nach (Helfferich 2011), eigene Darstellung

Dabei wurden die einzelnen Themen und Fragen des Leitfadens hinsichtlich ihrer Kultursen-sibilität und dem Sampling mit dem gleichzeitigen Vorhandensein unterschiedlicher sozialer (Bildungs-)Schichten diskutiert.

Ergebnis der Diskussionen war eine möglichst einfache und offene Formulierung der Fragen.

Dabei wurde stets auf eine Reihenfolge der Fragen geachtet, die vom Allgemeinen zum Speziellen geht. Dieses Vorgehen bietet die Möglichkeit, dass die Interviewten sich zunächst sehr offen und anhand ihres eigenen Relevanzsystems auf die Antwort der Frage konzentrie-ren können, ohne bereits Vorgaben durch die Art und Weise der Fragestellung erhalten zu haben. Eine weitere Schwierigkeit wurde in dem Verhältnis zwischen Interviewerinnen und Interviewpartnerinnen hinsichtlich der Profession der Interviewerinnen gesehen. Während die Interviewerinnen aufgrund ihres Interviewanliegens und ihres Bildungskontextes als Exper-tinnen für das Thema angesehen werden können, sollten sich jedoch die interviewten Mütter als Expertinnen in der praktischen Anwendung der Kinderernährung betrachten. Die Inter-viewten sollten ihre eigene Vorgehensweise bei der Ernährung ihres Kindes erläutern und dabei die für sie geltenden subjektiven Theorien, Normen und Empfehlungen anführen, ohne darauf zu achten, was richtig oder falsch ist. Aufgrund dessen wurde, wie bereits weiter oben beschrieben, darauf explizit hingewiesen.

Es zeigte sich bereits während der Anwendung der SPSS-Methode die Schwierigkeit, dass die Interviews von zwei unterschiedlichen Interviewerinnen mit jeweils anderem fachwissen-schaftlichen Hintergrund durchgeführt werden (die Autorin besitzt eine ernährungs- und gesundheitswissenschaftliche Ausbildung und die türkischsprachige Interviewerin besitzt einen sprachwissenschaftlichen Hintergrund und hat bereits Erfahrungen in der Durchfüh-rung qualitativer Interviews im Rahmen einer gesundheitswissenschaftlich ausgerichteten Studie sammeln können). Die Diskutanden kamen zu dem Schluss, dass die sorgfältige Ein-führung der türkischsprachigen Interviewerin in das Forschungsthema von besonderer Be-deutung für die Qualität der Interviewdurchführung ist. Demnach wurden der türkischspra-chigen Interviewerin alle Vorarbeiten zu diesem Forschungsprojekt sowie die einschlägige Literatur zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wurde der aus der SPSS-Methode entwi-ckelte Leitfaden mit der türkischsprachigen Interviewerin diskutiert, um sicherzustellen, dass sie die Hintergründe der Fragen nachvollziehen und verinnerlichen kann. Ein weiteres Er-gebnis der Diskussion war eine unter den Interviewerinnen abgestimmte Vorgehensweise während der Phase der Interviewdurchführung, in der sie sich nach jedem Interview abstim-men, indem die Transkripte der Interviews ausgetauscht und diskutiert wurden und der Leit-faden bei Bedarf angepasst wurde.

Laut Helfferich bietet es sich an, ein bis vier Bündel an Fragen zur Konstruktion des Leitfa-dens zu konzipieren, wobei die Bündelung unterschiedlichen Kriterien unterliegen kann (z.B.

einer zeitlichen Perspektive oder anhand des Forschungsinteresses). Bei der vorliegenden Arbeit wurde zunächst nach zeitlicher Perspektive gebündelt, das bedeutet ausgehend von der Ernährung nach der Geburt bis zum Zeitpunkt der Einführung des Familienessens. Die einzelnen thematischen Blöcke wurden in Anlehnung an Przyborski und Wohlrab-Sahr je-weils mit einer allgemein formulierten Frage eröffnet (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2008).

Dabei wurden die Fragen nicht immer in genau diesem Wortlaut und auch nicht zwingend in der angegebenen Reihenfolge in den Interviews gestellt, sondern angepasst an die jeweilige Situation bzw. das Sprachniveau (z.B. Umgangssprache vs. Fachsprache) (Geyer 2003).

Laut Przyborski und Wohlrab-Sahr dient der Leitfaden eher zu der Orientierung des Intervie-wers während des Gesprächs und lässt sich flexibel einsetzen. Der Schwerpunkt liegt bei dem Interview darauf, dem Interviewten „Raum für die Darstellung von Sachverhalten und Positionen in ihrem situativen Kontext, ihrem Entstehungszusammenhang und ihrer Ein-bettung in die Relevanzstruktur“ zu geben (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 132).

Während der Interviews zeigte sich jedoch teilweise, dass die Mütter direkt bei den un-terschiedlichen Ernährungsphasen ihr eigenes Informationsverhalten angesprochen haben, sodass die Reihenfolge der (Nach-)Fragen dementsprechend angepasst wurde.

Nach Ullrich empfiehlt es sich jede Frage im Leitfaden nach folgenden Kriterien zu prüfen (Ullrich 1999):

1. Warum wird die Frage gestellt? (theoretische Relevanz oder technische Funk-tion)

2. Wonach soll gefragt werden?

3. Warum ist die Frage so (und nicht anders) formuliert? (Verständlichkeit, Eindeu-tigkeit, Ergiebigkeit)

4. Warum steht die Frage an einer bestimmten Stelle im Leitfaden.

Diese Fragestellungen wurden an jede Frage abschließend nach dem Durchlaufen der SPSS-Methode herangetragen und die Fragen wenn nötig dementsprechend geändert.

A) Einstieg

Zum Einstieg wird hier ein erzählgenerierender Impuls eingesetzt: Wie verlief die Ernährung Ihres Kindes im ersten Lebensjahr? Erzählen Sie mal.

Als erzählgenerierendes Instrument wird der Einstiegsfrage ein hoher Stellenwert zugespro-chen, da sie mit ihrer offenen Formulierung einen angenehmen Einstieg in das Interview ge-währt und die Interviewpartnerinnen die Möglichkeit haben für sie relevante Themen in einer eigenen Struktur darzustellen (Helfferich 2009).

B) Themenkomplex Ernährung

Es folgt die Überleitung zu detaillierteren Themen zur Ernährung des Kindes während des ersten Lebensjahres. Dabei werden die verschiedenen Phasen in der Ernährung des Kindes erfragt:

1. Stillen (Dauer, Erfahrungen, Probleme, Bewertung/Stellenwert des Stillens) 2. Flaschennahrung (Dauer, Erfahrungen, Probleme, Entscheidungskriterien und

Bewertung der gewählten Flaschennahrung – falls zutreffend, Begrifflichkeiten) 3. Übergang zu fester Nahrung (Zeitpunkt, Art der Beikost, Entscheidungskriterien

für die gewählte Ernährungsform, Begrifflichkeiten)

4. Übergang zum Familienessen (Zeitpunkt, Art des Familienessens, Entschei-dungskriterien für den Übergang, Schwierigkeiten)

5. Empfehlungen, die die Interviewpartnerinnen an andere Mütter weitergeben wür-de

Daneben werden die Themen, die von den Interviewpartnerinnen neu eingeführt werden hinterfragt.

Zu den Begriffen: Wie bereits im Hintergrund unter Ernährungseinstellungen in Deutschland zur Kinderernährung beschrieben lieferten die Ergebnisse eines Forschungsprojektes im FKE Hinweise darauf, dass das Verständnis der fachlich geprägten Begriffe für die Säug-lings- und Kleinkindernährung unterschiedlich bei Müttern ohne MH und Müttern mit türki-schem MH sein könnte. Dementsprechend wurden die Bedeutungen der Begriffe hinterfragt.

C) Themenkomplex Informationswege

In diesem Teil des Interviews werden Fragen zum Informationsverhalten der Interview-partnerinnen und den Orientierungen bzw. den Leitbildern hinsichtlich zur Kinderernährung erfragt. Folgende Themen wurden dabei berücksichtigt:

1. Kreis der AkteurInnen, von denen sich die Interviewpartnerinnen Informationen eingeholt haben (Stellenwert der einzelnen Personen, Verständnis und Bewer-tung der Informationen) sowie Akteure die (also eher unaufgefordert) Informatio-nen zur Kinderernährung an die Mütter herangetragen haben

2. Weitere Informationsquellen (Internet, Broschüren, Ratgeber, weitere Printme-dien etc.)

3. Inhalte der Informationen (Zeitraum, auf den sich die Information hinsichtlich der Kinderernährung bezieht, konkrete Inhalte & Empfehlungen)

4. Wünsche der Interviewpartnerinnen, die über die erhaltenen Informationen hin-ausgehen

Auch hier werden die Themen, die die Interviewpartnerinnen von sich aus aufgeführt haben, näher hinterfragt. Zum Abschluss wurde den Interviewpartnerinnen noch einmal Raum ge-lassen, um eigene Fragen zu stellen oder noch offene Themen zu klären.

Es wurde nach den Informationswegen sowie den Inhalten der Informationen gefragt, um herauszuarbeiten wie sich die Interviewten informieren und welche Informationen sie nutzten bzw. welche tatsächlich nützlich waren. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil so der Hin-tergrund des Ernährungs- und Informationswissens der Mütter abgebildet werden kann.