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2. Aktuelle Versorgung und Empfehlungen zur Kinderernährung

2.4. Informationsverhalten zur Säuglings- und Kleinkindernährung

In dieser Arbeit liegt der Fokus auf den Müttern, wenn es um die Einstellungen zur Kinderer-nährung geht, da sie in der Regel in den Familien die meiste Verantwortung gegenüber dem Kind in seinen ersten Lebensjahren übernehmen (Kersting 2009). Der Rolle bzw. Vorbild-funktion der Eltern im Bereich Gesundheit und Ernährungsverhalten der Kinder wird neben weiteren Einflüssen, wie Medien und Peergruppen (insbesondere im Jugendalter), der größ-te Einfluss zugesprochen (Velardo und Drummond 2013).

2.4.1. Informationsquellen

Während Mütter ohne Migrationshintergrund Informationen zur Kinderernährung durch den Kinderarzt, die Hebamme und die Geburtsklinik bevorzugen, ziehen türkische Mütter die Be-ratung ihres Arztes, sowie der eigenen Mutter und weiteren Verwandten vor. Ein Großteil der befragten türkischen Mütter wünscht sich Informationen und Beratung in türkischer Sprache.

Printmedien werden häufiger von türkischen Frauen genutzt (Sievers et al. 2008).

Die Studie zu Stillen und Säuglingsernährung (SuSe) (Dulon und Kersting 2000) zeigte hin-sichtlich des Informationsverhaltens zur Kinderernährung von Schwangeren und Müttern, dass die Hälfte der Mütter Informationen bereits vor der Schwangerschaft eingeholt hat.

Die Informationsquellen (sortiert nach absteigender Häufigkeit) lauten wie folgt:

1. Bücher und Zeitschriften

2. Geburtsvorbereitungskurs sowie Hebamme und Stillgruppe 3. Bekannte, Verwandte

4. FrauenärztInnen

Bei einem Großteil der Mütter (81%), die sich bereits vor der Geburt ihres Kindes zum The-ma Ernährung informiert hatten, lag der Fokus dabei auf InforThe-mationen zum Stillen. 66% die-ser Gruppe waren vollkommen zufrieden mit den Informationen. Insgesamt hatten sich deut-lich mehr als die Hälfte der Mütter (70%) während des ersten Lebenshalbjahres über die Ernährung ihres Säuglings informiert. Die am häufigsten genutzten Informationsquellen

wa-ren der Kinder- oder Hausarzt sowie schriftliches Material und der Verwandten-bzw. Be-kanntenkreis (Kersting und Dulon 2002). Eine Differenzierung nach Sozialstatus und Migra-tionshintergrund wurde in der SuSe-Studie nicht getätigt.

Beckmann und Ayerle haben in einer Befragung von Müttern zu Beratungsangeboten zur Beikost ähnliche Ergebnisse wie Kersting und Dulon zu den genutzten Informationsquellen gefunden, jedoch zeigt sich bei Beckmann und Ayerle eine andere Reihenfolge im Stellen-wert der einzelnen Informationsquellen (Beckmann und Ayerle 2011). Die Familie wird an erster Stelle bei der Häufigkeit genannt, anschließend wird die Beratung durch KinderärztIn-nen, andere Mütter und die Hebamme angeführt. Printmedien und Internetquellen spielen bei den befragten Müttern eine untergeordnete Rolle. Auf die Frage, wem die Mütter am meisten Vertrauen bei der Beratung schenken, wurden KinderärztInnen an erster Stelle genannt, ge-folgt von den Ratschlägen der Familie (Beckmann und Ayerle 2011).

Ein weiterer Aspekt im Informationsverhalten zur Kinderernährung stellt die Rolle der Ak-teure, die die Informationen verbreiten dar. Reiss und KollegInnen haben dazu Ergebnisse veröffentlicht, in denen sie die Akzeptanz der Handlungsempfehlungen von Gesund ins Le-ben – Netzwerk Junge Familie zur Säuglingsernährung bei verschiedenen Berufsgruppen hinterfragt haben. Hebammen bzw. EntbindungspflegerInnen akzeptierten dabei die Hand-lungsempfehlungen wesentlich weniger als Kinder- und JugendärztInnen. Es stellt sich her-aus, dass die Akteure es bevorzugen, genauer auf die konkrete Situation der Familien zu schauen und anderen Empfehlungen als denen von Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie und ihren eigenen Erfahrungen zu vertrauen (Reiss et al. 2016).

2.4.2. Grad der Informiertheit

Neben Art und Einfluss dieser direkt auf das Thema bezogenen Informationsquellen spielt das grundsätzliche Verständnis und die Ernährungskompetenz der Eltern, vornehmlich der Mütter, eine zentrale Rolle beim Ernährungs- und Fütterungsverhalten gegenüber dem Kind.

Unter Kompetenz wird dabei – wenn man das Konzept von Health Literacy bzw. Food Lite-racy heranzieht – die Fähigkeit verstanden, Gesundheitsinformationen erwerben, begreifen und beurteilen sowie gesundheitsrelevante Entscheidungen treffen zu können (ausführliche Definition s. Kapitel 3.6.) (Abel und Sommerhalder 2015).

Die Ergebnisse einer Literaturrecherche von Hayn und KollegInnen weisen auf eine Ab-nahme der Ernährungskompetenzen in den letzten Jahren hin (Hayn et al. 2005).

Forschungsergebnisse zum Food Literacy-Konzept, die den Fokus auf der Interaktion zwi-schen Eltern und Kindern im Ernährungsgeschehen legen, sind nur vereinzelt zu finden.

Ve-lardo und Drummond haben in einer qualitativen Studie mit 14 Eltern (12 Mütter und 2 Väter) aus einer sozial benachteiligten Region in Süd Australien Fokusgruppeninterviews und Ein-zelinterviews zum Thema Ernährungsinformationen und Ernährungspraxis hinsichtlich der Ernährungsweise ihrer Kinder geführt (Velardo und Drummond 2013). Darin gaben die Eltern einstimmig das Internet als primäre Quelle für Ernährungsinformationen an. Zusätzlich zum Bezug von Informationen wurde das Internet über verschiedene Foren auch zum Austausch mit GesundheitsexpertInnen und anderen Eltern genutzt. Das Internet als Informationsquelle für ernährungsrelevante Informationen wurde einerseits als hilfreich und andererseits als zeitraubend bewertet. Allerdings gaben die Eltern an, dass die Flut an Daten zu eingegebe-nen Suchthemen sie mitunter überfordere. Dabei spielt die Fähigkeit, die Informatioeingegebe-nen kri-tisch bewerten zu können, eine große Rolle. Informationen zur Kinderernährung über per-sönliche Netzwerke seien aufgrund der nachvollziehbaren Erfahrungswerte und der unkom-plizierten Anwendbarkeit der Hinweise bei den befragten Eltern sehr beliebt. Demgegenüber wurden Informationen von Ernährungsfachkräften oder medizinischem Personal als weniger relevant eingestuft, da sie oft zu fachspezifisch sind (Velardo und Drummond 2013).

2.4.3. Kritische Betrachtung der Ratgeberliteratur

Verschiedene Studien zeigen, dass es Probleme beim Verständnis von Ernährungsempfeh-lungen für Säuglinge und Kleinkinder und deren Umsetzung in den Alltag gibt (Hilbig et al.

2011c; Hilbig et al. 2011b; Kumar et al. 2010).

Nicht nur das Verständnis von Empfehlungen und Ratgeberliteratur, sondern auch die Quel-len der Texte, die von sehr unterschiedlicher Qualität sein können, sind von Bedeutung. Ne-ben offiziellen Empfehlungen (Koletzko et al. 2016) sind auch Informationen von LeNe-bens- Lebens-mittel-Herstellern zu nennen (Informationen auf z.B. Verpackungen von Säuglingsanfangs-nahrungen oder Beikost), Internetseiten (offizielle Empfehlungen, Hersteller, Internetforen zu dem Thema) und Printmedien (Ratgeberbücher, Flyer/ Infobroschüren von Krankenkassen, Zeitschriften).

Die Qualität eines Ratgebers liegt in den genauen Angaben zur Kinderernährung, die den aktuellen wissenschaftlichen Empfehlungen entsprechen. Doch nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form und die Sprache bzw. die Ansprache sind von Bedeutung. Zu diesem The-menbereich hat bspw. Heimerdinger geforscht. Eine seiner Hypothesen lautet, dass die Rat-geberliteratur einen normativen Charakter hat und „als Mittel der Instruktion nach der Formu-lierung von Hans Trümpy auch als „Abbild“ oder „Vorbild“ gelebter Alltagspraxis verstanden werden kann“ (Heimerdinger 2009, S. 103). Er schlussfolgert, dass sich demnach zeitty-pische Norm- und Wertvorstellungen in der aktuellen Ratgeberliteratur wiederfinden lassen

müssten, weil das sogenannte Vorbild gelebter Alltagspraxis „als diskursiver Bestandteil der kulturellen Wirklichkeit an der Herstellung der Ratgeber beteiligt ist“ (s. ebd., S. 103). Nach der Auswertung relevanter Ratgeberliteratur aus den letzten 60 Jahren sowie der Herstellung eines Zusammenhangs mit den vorhandenen statistischen Daten kam Heimerdinger zu dem Ergebnis, dass die Beziehung zwischen den Texten der Ratgeberliteratur und der gelebten Alltagspraxis vielschichtig und individuell verschieden ist. „Mal stehen die Texte normativ, mal konstitutiv, mal kontrastiv zur Praxis, vielleicht sind sie aber auch als explikativ zu sehen.

Nicht sie beeinflussen die Praxis, selbst wenn die Gattung dies suggeriert, sondern vielleicht wird oft auch eine bereits vorgängige Praxis durch die Ratgebertexte diskursiv verhandelbar und aus Akteursperspektive erklärbar.“ (Heimerdinger 2009, S. 104)

Faktoren, die aus Heimerdingers Sicht als ursächlich für bestimmte praktische Entscheidun-gen hinsichtlich ErnährungsfraEntscheidun-gen im ersten Lebensjahr angesehen werden können, sind Fragen zur gesetzlichen Regelungen des Mutterschutzes, zur ökonomischen Lage der El-tern, zu gesellschaftlichen und kulturellen Praktiken sowie habituellen Mustern. Neben den inhaltlichen Informationen, die den Ratgebertexten zu entnehmen sind, untersuchte Heimer-dinger den gesamten thematischen Kontext der Ratgebertexte auf die Frage, wie Eltern-schaft verhandelt wird und arbeitete sechs Muster heraus, die jeweils im Zusammenhang mit den zeitlichen Trends stehen. Den aktuellsten Trend in der Elternschaftskultur (Beginn ab 1990) bezeichnet er als „intensive parenting/Remedikalisierung“ (Heimerdinger 2009, S.

105), womit die Kindzentrierung, Expertenorientierung, Anwendung intensiver Methoden der Kinderfürsorge und Stellenwert der Mutter als zentrale Bezugsperson für das Kind gemeint ist (vgl. Kapitel 3.4.2.).

Busch zieht nach einer Durchsicht von elf aktuellen Ratgebern zum Stillen und zur Fla-schennahrung den Schluss, dass dort ein risikoorientierter Kommunikationsweg eingeschla-gen wird. Dieser beinhaltet auch den Hinweis auf das Risiko einer Fehlernährung, der Ent-stehung von Diabetes und einer Überfütterung bei der Ernährung des Säuglings mit der Fla-sche. Bei den wenigen Abschnitten, die auf Stillprobleme eingehen, wird nach Meinung von Busch ein Trend zur Psychologisierung deutlich, der sich darin zeigt, dass die Mütter ihren inneren Konflikt bei der Stillbeziehung bearbeiten und auch bei Stillproblemen nicht allzu schnell zur Flaschennahrung greifen sollten. Darüber hinaus bewertet Busch die Darstellung der Flaschennahrung als Ersatz für das Stillen als wenig relevant, was die Bedeutung des Stillens gegenüber der Flaschennahrung unterstreicht. Insgesamt verhandeln die durchge-sehenen Ratgeber relevante Themen wie Individualisierung und Rollenverständnis, Subjekti-vierung und Selbstbild und auf welche Weise Gleichberechtigung und Vorgehensweise bei Mutter- und Elternschaft gestaltet wird. Als Zwischenfazit sieht Busch die Vermutung der

normativen Aufforderung, dass eine gute Mutter ihr Kind stillt, als vorläufig bestätigt an, weist aber darauf hin, dass dieser Zusammenhang noch weiter zu untersuchen ist (Busch 2016).