• Keine Ergebnisse gefunden

6. Diskussion

6.3. Diskussion der Methode, Stärken und Schwächen

In diesem Kapitel werden die methodischen Vorgehensweisen und Entscheidungen im Ver-lauf dieser Arbeit kritisch reflektiert. Die Diskussion um Stärken und Schwächen der Studien-ergebnisse sowie die Reflektion der methodischen Vorgehensweise dienen dazu, Transpa-renz über den Forschungsteil und die Schlussfolgerungen der Ergebnisse zu schaffen.

Einleitend sei anzumerken, dass die Gütekriterien qualitativer Forschung nicht gleichzuset-zen sind mit den gleichzuset-zentralen Kriterien der quantitativen Forschung. Während in der qualitativen Forschung Gütekriterien wie Reflexivität, Fremdheit und Vertrautheit sowie Kommunikation und Offenheit (Helfferich 2011) von besonderer Bedeutung sind, lassen sich in der quantitati-ven Methodik Objektivität, Validität und Reliabilität als drei wichtige Qualitätskriterien nennen (Mey und Mruck 2010; Steinke 2015). Eine unmittelbare Anwendung der Konzepte von Ob-jektivität, Reliabilität und Validität ist mit den Ansätzen der qualitativen Forschung nicht ver-einbar, da die Grundsätze der beiden Forschungsmethodiken konträr sind. Die qualitative Forschung hat gegenüber der quantitativen Forschung ein anderes Ziel, und zwar Sinn zu rekonstruieren und subjektive Sichtweisen erfassen zu können (vgl. Kapitel 4.2.). Während bspw. in der quantitativen Forschung Wert auf Standardisierung in der Erhebung (Erhe-bungssituation) gelegt wird, sind die qualitativen ForscherInnen dazu aufgefordert, die Kon-textbedingungen der Erhebung (Erhebungssituation) möglichst nicht zu kontrollieren (Steinke 2015).

Nach Steinke ist die Voraussetzung für die Prüfung der Gütekriterien einer Studie die Doku-mentation des Forschungsprozesses (s. ebd.). Anhand dieser kann der Forschungsprozess in jeder Phase verfolgt werden, was zur intersubjektiven Nachvollziehbarkeit beiträgt (Stein-ke 2015). In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass neben der Dokumentation der Erhebungsmethoden, des Feldzugangs, der Stichprobenzusammensetzung, der Transkripti-onsregeln und der Auswertungsmethoden auch das Vorverständnis der Autorin (vgl. Kapitel 4.3. und 3.) sowie Entscheidungen und Probleme (vgl. Kapitel 4.5.) während des Studienver-laufs dargelegt wurden.

Reflektion des Feldzugangs, des Rekrutierungsverfahrens und der Stichprobenzu-sammensetzung

Der erste Versuch des Feldzugangs und die erfolgte Rekrutierung der IP über einen Kinder-arzt könnte dazu geführt haben, dass sich die potentiellen Teilnehmerinnen aufgrund der Kontaktaufnahme über die Arztpraxis zunächst zur Studienteilnahme verpflichtet fühlten, diese aber im Nachhinein ablehnten. Denn dieses Pflichtgefühl bestand nicht mehr, als in der

häuslichen Umgebung der Versuch unternommen wurde, telefonisch einen Termin zum In-terview auszumachen. Bei dem darauf folgenden Vorgehen des Feldzugangs und der Rek-rutierung über einen größeren Bekanntenkreis, soziale Medien, einen Gatekeeper aus einer sozialen Einrichtung und ein anschließendes Schneeballsystem wurde eine größere Teil-nahmebereitschaft erzielt und die IP auch erfolgreich rekrutiert. Es konnten Mütter mit und ohne türkischem MH sowie unterschiedlichem SES rekrutiert und interviewt werden. Jedoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei der Teilnehmerinnenauswahl zu Verzerrun-gen gekommen ist, denn es sind keine Informationen über die Nichtteilnehmerinnen bekannt.

Bei getrennt lebenden Eltern wurde demjenigen Elternteil der Schichtindex zugeteilt, dem das Kind für die längste Dauer „zugeordnet“ war. Dieser Umstand traf bei den IP P10_D_SESn, PD_T_SESn, PK_T_SESn, PL_T_SESn zu und wurde mit berücksichtigt bzw. hatten der Kindsvater und die Mutter keine unterschiedlichen Statusgruppen bei der Einteilung in den SES.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, welche Merkmale des sozialen Status in Studien genutzt werden sollte. Das gut etablierte Konzept der Einteilung nach Beruf, Bildung und Einkommen bietet sich an, da es häufig genutzt wird und die eigenen Ergebnisse damit bezüglich des Sozialstatus vergleichbar mit vielen anderen Studien sind, die eben jenes Konzept auch nut-zen. In der vorliegenden Arbeit lässt sich annehmen, dass es neben der aktuellen berufli-chen Position (viele Mütter haben sich zum Zeitpunkt des Interviews im Mutterschaftsurlaub befunden) auch sinnvoll gewesen wäre die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Ausbildung und der beruflichen Tätigkeit in den Blick zu nehmen. Wie oben beschrieben, haben drei Mütter durch ihre berufliche Tätigkeit einen ernährungs- und gesundheitsbezogenen berufli-chen Hintergrund, der dazu beiträgt, dass sie verstärkte Kompetenzen in diesem Bereich aufweisen.

Bei der der Stichprobenzusammensetzung ist anzumerken, dass einige Mütter bereits meh-rere Kinder hatten. Die ersten fünf interviewten Mütter mit türkischem MH haben zwei, eine davon hat drei Kinder. Im weiteren Verlauf der Rekrutierung wurde zur besseren Vergleich-barkeit verstärkt berücksichtigt, dass nur Mütter mit einem Kind interviewt wurden, sodass insgesamt neun deutsche Mütter mit einem Kind und acht türkische Mütter mit einem Kind an dieser Studie teilgenommen haben. Bei dem letzten Interview mit einer Mutter ohne MH war vorab nicht bekannt, dass sie bereits ein zweites Kind hat.

Weiterhin ist anzumerken, dass in dieser Arbeit ausschließlich die Perspektive der Mütter fo-kussiert wurde. Es wurden weder die Väter, noch ÄrztInnen, Hebammen und Ernährungsex-pertInnen mit in die Studie eingeschlossen. Die Perspektive der o.g. weiteren AkteurInnen ist sicher auch von Interesse, da hier aber die komplexen Strukturen der Einstellungen der Müt-ter adressiert wurden, wurden die weiMüt-teren AkteurInnen nicht befragt.

Generell ist die Teilnahmebereitschaft an sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Studien von Personen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus eher als gering einzustufen, auch Personen aus Familien mit einem Migrationshintergrund sind eher schwierig für eine Studi-enteilnahme zu motivieren (Schenk 2002). Eine Teilnehmerzahl von 23 IP für die vorliegende Arbeit ist daher positiv zu bewerten.

Interviewdurchführung und Auswertung

Der anhand der SPSS-Methode (Helfferich 2011) erstellte Leitfaden lässt sich positiv hervor-heben, da die Leitfadenentwicklung regelgeleitet und unter Einbezug verschiedener Perspek-tiven durchgeführt wurde. Damit wurde den Kriterien der Reflexivität und der intersubjekPerspek-tiven Nachvollziehbarkeit Sorge getragen.

Die Interviews wurden entweder an öffentlichen Orten wie Cafés oder in der häuslichen Um-gebung der IP bzw. der Interviewerinnen durchgeführt. Es ist anzumerken, dass in jedem Interview das Kind anwesend war, was teilweise zu verringerter Aufmerksamkeit bei den Müttern führte. Darüber hinaus waren bei drei Interviews mit IP mit türkischem MH weitere Personen anwesend (PB_T_SESm: die Schwiegermutter; PE_T_SESm: der Ehemann;

PJ_T_SESn: der Ehemann und die Schwester). Diese Tatsache kann womöglich das Ge-sagte der IP beeinflusst haben, da sie nicht so antworten können wie sie es ohne Zuhörer-schaft getan hätten. Die Anwesenheit der weiteren Personen wurde jedoch explizit ge-wünscht und daher nicht von der Interviewerin abgelehnt, um die Atmosphäre und Ge-sprächsbereitschaft nicht vor dem Interview negativ zu beeinflussen.

Ein Einfluss auf das Gesagte in den Interviews durch die beiden Interviewerinnen kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Die Interviewerin mit türkischem MH weist weniger Erfah-rung in ernähErfah-rungsbezogenen Themen auf als die Autorin, was sich auf die Qualität der In-terviewfragen und demnach auch auf die Antworten der IP ausgewirkt haben kann. Durch den regelmäßigen Austausch und Reflektionen während der Leitfragenentwicklung und nach jedem geführten und transkribierten Interview zwischen der türkischsprachigen Interviewerin und der Autorin wurde versucht, dies zu minimieren. Nichtsdestotrotz stellt dieser Umstand eine Limitation hinsichtlich der Interviews mit den Müttern mit türkischem MH dar. Es sei an-zumerken, dass die türkischsprachige Interviewerin eine besondere Gatekeeper-Funktion für die Rekrutierung und Befragung für die IP mit türkischem MH darstellt, da sie aus dem sel-ben Kulturkreis wie die IP mit türkischem MH stammt und türkischsprachige Muttersprachle-rin ist. Positiv ist bei der Interviewdurchführung anzumerken, dass die Gütekriterien Vertraut-heit und FremdVertraut-heit durch kommunikative Bestätigung des Gesagten sowie durch interes-siertes Nachfragen zu den Hintergründen des Gesagten umgesetzt werden konnten.

Der Transkription und der Übersetzung der Interviews kann eine hohe Qualität zugesprochen werden, da sie stets nach einem Vier-Augen-Prinzip durchgeführt wurden. Die Offenlegung der Transkriptionsregeln und die Anführung von Zitaten im Text tragen zur intersubjektiven Nachvollziehbarkeit bei. Bei der Übersetzung ins Deutsche wurde eine weitere türkischspra-chige Kollegin hinzugezogen.

Die Dauer der Interviews variiert zwischen zehn bis 49 Minuten. Die zeitlich kürzeren Inter-views bringen vermutlich eine geringere Informationsdichte mit sich.

Die regelmäßigen Auswertungsrunden mit der türkischsprachigen Interviewerin und weiteren GesundheitswissenschaftlerInnen (vgl. Kapitel 4.8.1.) hinsichtlich des Interviewmaterials sind positiv zu bewerten, da mit dieser Vorgehensweise die Gütekriterien (vgl. Kapitel 4.2.) Offen-heit und FremdOffen-heit sowie Reflexivität (Helfferich 2011) umgesetzt werden können. Um darü-ber hinaus noch weitere Perspektiven in die Auswertung einfließen zu lassen, wurden kurze Auszüge aus zwei Interviews auch im Rahmen eines Workshops zu qualitativen Interview-methoden analysiert (Osnabrücker Methodenschule (Februar 2015) Universität Osnabrück, Referentin: Prof. Dr. Cornelia Helfferich (Universität Freiburg)).

Das Problem des sozial erwünschten Antwortverhaltens (Guest und Namey 2014) lässt sich in dieser Arbeit nicht ausschließen. Das Thema Ernährung, insbesondere auch im Hinblick auf die Ernährung des eigenen Kindes, aber auch generell ist stark affektiv aufgeladen, so-dass das Risiko ein sozial erwünschtes Antwortverhalten durch Befragungen über eben je-nes Thema zu erhalten hoch ist. Um dies weitestgehend zu vermeiden wurde den Befragten explizit vor jedem Interview der Hinweis darauf gegeben, dass es kein richtiges oder falsches Verhalten hinsichtlich der Ernährung gibt. Weiterhin besteht auch ein Risiko für Erin-nerungslücken bei den Interviewten, da die Mütter sich an ein in der Vergangenheit liegen-des Verhalten erinnern müssen. Dazu ist anzumerken, dass die Mütter teilweise unter-schiedliche Zeitpunkte für die Stilldauer oder die Einführung für Beikost während des Inter-views angegeben haben, was die Vermutung für das Vorliegen einer Erinnerungsverzerrung unterstreicht. Da die Fragestellungen der hier vorliegenden Studie jedoch nicht auf die auf den Tag genau durchgeführte Ernährungsweise des Kindes abzielt, sondern die Einstellun-gen der Zielgruppe im Fokus stehen, wird diesem Umstand kein großer Stellenwert beige-messen.

Das thematische Kodieren zählt zu den kodifizierenden Verfahren. Es wurde regelgeitet in ei-nem iterativen Prozess durchgeführt, dokumentiert und trägt damit zur intersubjektiven Nachvollziehbarkeit bei.