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6. Diskussion

6.2. Diskussion der Typen

6.2.1. Empirie-Theorie-Transfer

Selbstwirksamkeitserwartung (SE) in Bezug auf das Verhalten

Die Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit beeinflusst das menschliche Verhalten (Bandura 1997), was auch bei den drei in dieser Arbeit erstellten Typen erkennbar ist und im Folgen-den erläutert wird. Während Typ A mit einem als hoch wahrgenommenen Maß an Selbst-wirksamkeitserwartung auch Problemsituationen gelassen gegenübersteht, reagiert Typ B mit Verunsicherung und Überforderung und nimmt ein eher niedriges Maß an Selbstwirk-samkeitserwartung wahr. Das Maß der SelbstwirkSelbstwirk-samkeitserwartung von Typ C lässt sich nur erahnen, da unklar bleibt, ob dieser Typ tatsächlich nicht verunsichert ist oder ob die Verunsicherung lediglich nicht explizit gezeigt wird und der Ausdruck der Problemlosigkeit als Mittel zum Selbstschutz eingesetzt wird. Letztgenanntes wird angenommen, sodass vor

diesem Hintergrund das Maß der Selbstwirksamkeitserwartung als eher niedrig eingeschätzt wird.

Die Einflussfaktoren auf die Selbstwirksamkeitserwartung am Beispiel des Stillens hat Den-nis wie folgt herausgearbeitet: Bildungsstatus der Mutter, Unterstützung von anderen Müt-tern, Art der Entbindung, Zufriedenheit mit der Genesung nach der Geburt und der postnata-len Pflege, Vorstellungen über den Stillprozess und die geplante Art der Ernährung des Kin-des sowie mütterliche Unruhe/Sorge (Dennis 2006).

Auch in der vorliegenden Studie zeigte sich, dass die Unterstützung von anderen, als erfah-ren wahrgenommenen Müttern sowie die Vorstellungen und Überzeugungen hinsichtlich der als richtig empfundenen Ernährung das Handeln und die Einstellungen der Mütter beeinflus-sen.

Risikowahrnehmung

Schwarzer beschreibt die Risikowahrnehmung in dem sozial-kognitiven Prozessmodell ge-sundheitlichen Handelns dadurch, dass sie auf „subjektiven Einschätzungen des Schwere-grads von Erkrankungen sowie der eigenen Verwundbarkeit beruht“ (Schwarzer 2004, S.

91). Übertragen auf den Forschungsgegenstand dieser Arbeit wäre mit Risikowahrnehmung der IP gemeint, was sie im Zusammenhang mit der von ihr vollzogenen Kindesernährung (bspw. Stilldauer, Beikost selbst hergestellt oder industriell hergestellt) verbindet. Typ A nimmt Risiken im Zusammenhang mit der Kindesernährung wahr, wobei diese aber nicht überbetont werden. Demgegenüber wird die Risikowahrnehmung von Typ B sehr stark wahrgenommen und betont. Dem Typ C wird kann eine mangelnde Risikowahrnehmung zugeschrieben werden, die zum einen durch den mehrmaligen Verweis auf Problemlosigkeit entsteht und zum anderen, weil diesem Typen etwaige Risiken im Zusammenhang mit der Kinderernährung nicht gänzlich bewusst sind.

Handlungsergebniserwartung

Unter Handlungsergebniserwartung wird verstanden, dass „neben dem Vorliegen einer Risi-koperzeption eine oder mehrere Verhaltensweisen bekannt sein müssen, die geeignet sind, die wahrgenommene Bedrohung zu reduzieren. Dabei müssen Personen die Kontingenzen zwischen solchen alternativen Handlungen und nachfolgenden Ergebnissen erkennen.“

(Schwarzer 2004, S. 92). Hinsichtlich der drei in dieser Arbeit identifizierten Einstellungsmus-ter lassen sich folgende Aussagen zu der Handlungsergebniserwartung treffen: Typ A er-kennt Alternativen in den eigenen Ernährungspraktiken und experimentiert mit den ihm be-kannten Alternativen. Typ B hält sehr starr an den subjektiv wahrgenommenen Normen fest, erkennt zwar auch Alternativen aber ist wenig experimentierfreudig, wenn dies das

Ab-weichen von der Norm beinhaltet. Typ C kann wenig Risikowahrnehmung (s. oben bei Risi-kowahrnehmung) und damit einhergehend wenig Bedarf an Alternativen zugeschrieben wer-den.

Intention

Allen Typen kann die Intention bzw. die oberste Priorität zugeschrieben werden, dass sie ihr Kind gut ernähren möchten. Dabei ist dem Typ A wichtig, ein gutes Gefühl mit dem Umgang in der Ernährung des Kindes zu erlangen. Typ B hat die Erfüllung der subjektiv wahrgenom-menen Norm zum Ziel und Typ C den Zustand von Normalität und Problemlosigkeit.

Erweitert werden müsste das sozial-kognitive Modell gesundheitlichen Handelns mit den Annahmen und Überzeugungen der subjektiv wahrgenommenen Normen hinsichtlich der als richtig eingeschätzten Ernährungsweise, damit das Modell den Einstellungsmustern der in dieser Arbeit gebildeten Typen gerecht wird. Die Annahmen und Überzeugungen der subjek-tiv wahrgenommenen Normen sind mit der Mosubjek-tivation verbunden und infolgedessen auch damit eine Absicht (bspw. Länge der Stilldauer) zu bilden. Daher können die Annahmen und Überzeugungen der subjektiv wahrgenommenen Normen als Ergänzung zur Intention in das Modell integriert werden. In Abbildung 13 ist eine Erweiterung des sozial-kognitiven Prozess-modells gesundheitlichen Handelns abgebildet.

Annahmen und Überzeugungen der subjektiv wahrgenommenen Normen am Beispiel des Stillens

Die subjektiv wahrgenommene Norm zu Stilldauer und Haltung zum Stillen wird bei Typ A deutlich und dient als Orientierung. Bei Typ B wird die subjektiv wahrgenommene Norm zu Stilldauer und Haltung zum Stillen ebenfalls deutlich und dient als starke Orientierung, wenn nicht sogar als Vorgabe. Dahingegen wird dies bei Typ C wenig deutlich. Typ C äußert sich im Vergleich zu Typ A und Typ B nicht so explizit zu der von ihm wahrgenommenen normati-ven Wirkung der als optimal empfundenen Stilldauer.

Willensphase

Planung/SE in Bezug auf Aufrechterhaltung/SE in Bezug auf Wiederherstellung

Typ A plant die Ernährung des Kindes und steht dabei unvorhersehbaren Ereignissen gelas-sen gegenüber. Bei Problemen in der Kindesernährung experimentiert dieser Typ mit Alter-nativen. Eine akribischere Planung der Kindesernährung kann dem Typ B zugesprochen werden, wobei in Problemsituationen mit allen Mitteln versucht wird bspw. das Stillen auf-recht zu erhalten. Dies geht bei diesem Typen mit einem Belastungsempfinden und einer

Verunsicherung einher. Bei Typ C werden die Planungsmechanismen nicht offengelegt. In Problemsituationen orientiert sich dieser Typ an den Bedürfnissen des Kindes.

Verhalten

Typ A wird durch eine als gelungen empfundene Ernährung (positives Erleben, vgl. Tabelle 16), die auch die Bewältigung von Problemsituationen beinhaltet, in seinem Verhalten be-stärkt und erfährt dadurch wiederum einen positiven Einfluss auf seine Selbstwirksamkeit-serwartung. Typ B nimmt die Diskrepanz zwischen Wunschvorstellung (bspw. Stilldauer) und Realität (bspw. tatsächliche Stilldauer) als Belastungs- und Problemsituation wahr (ambiva-lentes und negatives Erleben, vgl. Tabelle 17), was auch als „kognitive Dissonanz“ (Aronson et al. 2011) bezeichnet werden kann. Die daraus entstehenden negativen Emotionen, wie Schuldgefühle dem Kind gegenüber, verstärken die niedrige Selbstwirksamkeitserwartung, da der Typ B sein Verhalten in Problemsituationen als gescheitert betrachtet. Bei Typ C lässt sich unter o.g. Vermutung annehmen, dass auch dieser Typ eine Verunsicherung wahrnimmt und ähnlich wie Typ B durch ein Verhalten, welches nicht den Erwartungen entspricht, einen weiteren negativen Einfluss auf die Selbstwirksamkeitserwartung erfährt (positives und nega-tives Erleben, vgl. Tabelle 18).

Dass die Kindesernährung, insbesondere das Stillen manchmal mit problematischen Situati-onen verbunden ist, bestätigen mehrere Studien (Nelson 2006; Peters et al. 2006; Thomson und Dykes 2011). Nelson kam in einer Metasynthese mit qualitativen Studien zum Stillen zu dem Schluss, dass Stillen für viele Mütter als Herausforderung wahrgenommen wird, wobei einige diese Herausforderung gern annehmen (Typ A) (Nelson 2006). Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass nahezu alle IP mehr oder weniger Probleme mit der Kindesernährung schildern, eine besondere Rolle spielt hier aber der Umgang mit derartigen Problemen.

Aus der SuSe-Studie ist bekannt, dass der Umgang mit Stillproblemen einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, ob sich die Mütter bestärkt fühlen und trotz widriger Umstände weiter-stillen oder ob sie sich aufgrund der Stillprobleme zum Abweiter-stillen entscheiden (Peters et al.

2006). Dazu gehörte bspw. die Vorstellung über die Unkompliziertheit des Stillens, der Fami-lienstand oder ob es sich um eine geplante Schwangerschaft handelt (s. ebd.). Wenn Mütter ernährungsbezogene Probleme bei ihrem Kind erfolgreich bewältigt haben, fühlten sie sich in ihrer Einschätzung, dass sie selbst eine gute Mutter sind, gestärkt, wie auch Heidari und Kol-legInnen zeigen konnten (Heidari et al. 2017).

Schuldgefühle gegenüber dem Kind sind Emotionen, die auch Mütter in anderen Studien berichteten, bspw. wenn sie nicht so lange wie geplant stillen konnten (Typ B) (Thomson und Dykes 2011).

Erweitert werden müsste das sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns mit Strategien des Informationserwerbs sowie deren Verarbeitung und Wünschen zum Informa-tionsgeschehen, um die Einstellungsmuster der hier gebildeten Typen gänzlich einordnen zu können. Mit der Ergänzung durch diese Strategien können folgende Muster der Typen (Stra-tegien, Wünsche zum Informationsgeschehen) erklärt werden. Die Strategien können der Willensphase des sozial-kognitiven Prozessmodells gesundheitlichen Handelns zugeordnet werden und stehen in Zusammenhang mit der Planung.

Strategien

Bei einer theoriegeleiteten Einordnung von Mustern in den Strategien der IP lässt sich das Food Literacy-Konzept heranziehen. Die in Tabelle 5 aufgeführten Formen des Food Litera-cy-Konzeptes (funktionale, interaktive und kritische Gesundheitskompetenz) lassen sich in den drei Typen abbilden. Hierbei ist anzumerken, dass die Formen des Food Literacy-Konzeptes aufeinander aufbauen. Voraussetzung für eine kritische Gesundheitskompetenz sind demnach die Fähigkeit Informationen zu erlangen, zu verstehen und zu nutzen sowie sich darüber auszutauschen und zu diskutieren. Typ A kann die Fähigkeit zugesprochen werden, Informationen kritisch zu reflektieren und einen selbstbewussten Umgang seiner Ernährungspraktiken zu hegen. Typ B weist sowohl interaktive als auch kritische Formen der Food Literacy-Konzeptes auf, wobei ein deutlicher Fokus auf der sehr offensiven Suche nach weiteren Informationen zur Kinderernährung liegt. Im Unterschied zu Typ A, pflegt Typ B keinen selbstbewussten, sondern einen eher unsicheren Umgang mit der Kindesernährung.

Typ C weist Merkmale der funktionalen Gesundheitskompetenz auf, da auch dieser Typ sich Informationen einholt. Im Vergleich zu den Typen A und B ist jedoch beim Typ C keine Aus-einandersetzung im Sinne einer kritischen oder interaktiven Gesundheitskompetenz erkenn-bar, da bspw. die Informationen von Typ C wenig bis gar nicht gefiltert übernommen werden.

Die Zuordnungen zu den Formen des Food Literacy-Konzeptes lassen sich anhand der Lite-ratur bestätigen. Abel und Sommerhalder schreiben der kritischen Gesundheitskompetenz die Fähigkeit zu, mit gesundheitlichen Fragen und diesbezüglichen normativen Erwartungen selbstbewusst umzugehen und bezeichnen diese Form von Kompetenz mit einem emanzi-patorischen Charakter (Abel und Sommerhalder 2015), wie er in dieser Arbeit auch dem Typ A zugeschrieben wird.

Subjektive Annahmen zum Informationsgeschehen

Bei den subjektiven Annahmen zum Informationsgeschehen zeigt sich, dass Typ A generell eher zufrieden mit den erlangten Informationen ist. Dies unterstreicht die o.g. Ausführungen unter „Strategien“ im Bezug zum Food Literacy-Konzept, bei denen dem Typ A ein

selbstbe-wusster Umgang mit Informationen zugesprochen wird. Der Wunsch nach mehr Informatio-nen ist bei Typ B deutlich erkennbar. Die InformatioInformatio-nen sollten dabei risikoorientiert sein und AkteurInnen im Informationsgeschehen besser erreichbar sein, um von diesen insbesondere in Problemsituationen schneller Rat und Unterstützung erhalten zu können. Die Merkmale des Typ B unterstreichen die Verunsicherung, die im Zusammenhang mit der Kindesernäh-rung zum Vorschein tritt. Demgegenüber formuliert der Typ C kaum Wünsche zum Informati-onsgeschehen. Einerseits kann das einer von Typ C empfundenen Zufriedenheit mit den erlangten Informationen Ausdruck geben oder andererseits auch darauf zurückzuführen sein, dass ein Wunsch nach mehr Informationen mit einer problematischen Wahrnehmung bunden ist. Dieser Typ äußert sich jedoch eher nicht zu Problemsituationen, sondern ver-weist nahezu vehement auf Problemlosigkeit. Weitere Überlegungen zu Typ C führen zu der Annahme, dass dieser Typ zudem verunsichert ist, dies aber nicht kundtut und keine Not-wendigkeit für die weitere Informationssuche sieht. Möglich wäre auch, dass der Typ C Zu-gangsbarrieren bei der Informationssuche wahrnimmt.

Der Wunsch nach einer guten Erreichbarkeit, wie etwa der Hebamme in der Geburtsnach-sorge, wurde in anderen Studien als sinnvolle Maßnahme bei einer erfolgreichen Stillunter-stützung genannt (Fox et al. 2015; Schmied et al. 2009). Zugangsbarrieren zur Gesundheits-versorgung gelten, insbesondere bei MigrantInnen, als ein relevanter hemmender Faktor, um Leistungen des Gesundheitssystems in Anspruch zu nehmen, was bspw. auch von Schenk und KollegInnen diskutiert wurde (Schenk 2007).

Der Vorschlag für eine Erweiterung des sozial-kognitiven Prozessmodells gesundheitlichen Handelns ist in Abbildung 13 dargestellt. Die erweiterten Merkmale des Modells sind die sub-jektiv wahrgenommenen Normen und die Strategien sowie die Formen des Food Literacy-Konzeptes; sie sind zur Verdeutlichung der Ergänzung anders dargestellt als die bereits be-stehenden Stufen des Modells.

Abbildung 13 Vorschlag für eine Erweiterung des sozial-kognitiven Prozessmodells gesund-heitlichen Handelns, eigene Darstellung in Anlehnung an (Schwarzer 2004)