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B. Ergebnisse

IV. Diskussion

1.6. Interpretation der Ergebnisse und Bedeutung für die Praxis

Amazonen sind höher als die, welche bei nektarivoren Spezies, wie z. B. Lories, quantifiziert werden konnten. Verglichen mit den Daten von Nutzgeflügel oder von granivoren Arten wie dem Wellensittich oder dem Graupapagei, sind sie jedoch geringer (Näheres siehe Kapitel II.4.1.2). Dies ist nur zum Teil durch die Wahl der Methode (geringere endogene Verluste bei nährstofffreier Fütterung) zu erklären.

Einen Hinweis auf die Unterschiede hinsichtlich der endogenen Verluste zwischen den verschiedenen Spezies gibt jedoch auch das Nahrungsspektrum im natürlichen Habitat. So variiert der Proteingehalt zwischen Nektar, Früchten und Saaten teilweise erheblich: Nektar enthält nur Spuren von Protein, Früchte weisen geringe Gehalte (5 % der TS; PRYOR 2003) an Protein auf, während der Proteingehalt von Sämereien zum Teil sehr hoch sein kann (bis zu 30 % in der TS; BAYER 1996). Auf der Basis der ursprünglichen Substanz variieren die Gehalte sogar deutlich stärker, da der Wassergehalt dieser Nahrungskomponenten sehr unterschiedlich ist und der Anteil an Protein bei Nektar und Früchten daher zusätzlich stark verdünnt wird.

Da die endogenen Verluste über die Exkremente, neben dem Verlust von Protein über die Federn, den größten Beitrag zum Erhaltungsbedarf stellen, wären nicht nur möglichst geringe tägliche N-Verluste, sondern auch eine eventuell schnell erfolgende Adaptation an eine veränderte Nahrungszusammensetzung mit einhergehender Reduktion dieser Verluste entscheidend, das Überleben auf Basis einer (vorübergehend) proteinarmen Nahrung zu sichern.

Für die Ernährung dieser Spezies in menschlicher Obhut bedeutet das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung, dass bei ausschließlichem Angebot von Sämereien der Proteinbedarf dieser Tiere gedeckt scheint. Eine mögliche Unterversorgung ist nur bei ausschließlichem Angebot (oder einer besonderen Selektionsmöglichkeit) von

Amazonen bei Mais zu sehen. Dessen Körner decken mit einem Rp-Gehalt von etwa 9,56 % (WENTKER 1996) zwar rechnerisch noch den Erhaltungsbedarf an Protein, sind aber im Hinblick auf ein ausbalanciertes AS-Muster kritisch zu sehen. So muss an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass der in dieser Arbeit kalkulierte Rp-Bedarf für ein ideal zusammengesetztes Protein gilt. Er ist daher nicht unkritisch bei pflanzlichen Rp-Quellen zu sehen, die in ihrem AS-Muster nicht dem tierischen Protein entsprechen.

Die weit verbreitete Praxis, Tieren im Erhaltungsstoffwechsel bei Angebot von Sämereien zusätzlich tierisches Protein anzubieten (WENTKER 1996) ist im Hinblick auf eine besondere Beanspruchung der Exkretionsmechanismen (Leber, Nieren) nach derzeitigen Erkenntnissen abzulehnen.

Bei ausschließlichem oder überwiegendem Angebot von Saftfutter (Gemüse, Obst) ist eine Ergänzung mit tierischem Protein jedoch auch bei Tieren im Erhaltungsstoffwechsel indiziert.

Die endogenen Verluste der Amazonen an Mengenelementen sind – abgesehen von der jüngsten Untersuchung an Puten (DÄNNER et al. 2006) – wesentlich niedriger als jene (wenigen) Daten, die bereits zu den endogenen Verlusten beim Nutzgeflügel vorliegen.

Dies ist jedoch in guter Übereinstimmung mit den Erfahrungen, die hinsichtlich des Auftretens klinischer Fälle aus der Praxis berichtet werden.

So wird ein Großteil der Ziervögel in menschlicher Obhut auf der Basis von Sämereien, Obst und proteinhaltigen Supplementen ernährt (Näheres siehe Kapitel II.1.2.2). Diesen Futtermitteln ist gemein, dass sie – mit Ausnahme von Phosphor – nur geringe Mengen an Mengenelementen enthalten. Insbesondere die Ca-Gehalte sind sehr gering. Dennoch zeigen sich Mangelerscheinungen relativ selten (KLASING 1998). Eine Ausnahme bildet der Graupapagei, bei dem die hypocalcämische Tetanie bekannt ist. Diese Spezies wird häufiger mit den Symptomen einer Ca-Unterversorgung in der Praxis vorgestellt (ROSSKOPF u.

WOERPEL 1991).

Somit scheint der Bedarf der meisten Tiere an diesen Elementen gedeckt, obwohl die einzelnen Nahrungskomponenten eher geringe Mengenelement-Gehalte aufweisen und auch Supplemente zur Versorgung mit diesen Elementen teilweise – bei Unterstellung der Bedarfswerte des Nutzgeflügels – ungeeignet erscheinen, den Bedarf des Vogels zu decken oder vom Vogel nicht oder in nur ungenügendem Maße freiwillig aufgenommen werden (WENDLER 1995).

Bisher wurden die Bedarfsangaben des Nutzgeflügels ungeachtet aller Unterschiede auf die verschiedenen Ziervogelspezies übertragen.

So wurde das Wirtschaftsgeflügel über die Jahrhunderte hinweg in menschlicher Obhut domestiziert und auf schnelles Wachstum und Verwertung von Energie und Protein gezüchtet. Im Futter für diese Nutztiere werden die kostenmäßig nicht sehr bedeutsamen Mineralstoffe in mehr als ausreichendem Umfang supplementiert, so dass gegebenenfalls (unbeabsichtigt) Tiere „selektiert“ werden, die Mineralstoffe relativ schlecht absorbieren, verwerten und speichern können, da eben diese Fähigkeit der „Sparsamkeit“ bei diesen Tieren nicht vonnöten ist.

Amazonen – und andere Ziervogelspezies – sind hingegen bisher nicht auf Leistung

„selektiert“ worden, sondern entsprechen in ihrer Physiologie möglicherweise noch eher der Wildform. Für die Tiere in freier Wildbahn ist die Aufnahme von Erde jedoch meistens mit Lebensgefahr verbunden, da sich die Vögel dafür aus ihrem eigentlichen Lebensraum – der Luft – auf den Boden begeben müssen, wo sie relativ schutzlos verschiedenste Gefahren (Beutegreifer) ausgesetzt sind.

Hieraus ergibt sich bereits ein weiterer bedeutsamer Unterschied zwischen den als Ziervögel gehaltenen Spezies und z.B. dem Vorfahr der Haushühner, dem Bankiva-Huhn, deren wildlebende Stammform in Indonesien auch heutzutage noch anzutreffen ist. Während Erstere den Lebensraum Luft für sich erobern konnten, zählt das Bankiva-Huhn zu den Vogelspezies, welche ihre Nahrung in Bodennähe aufnehmen, indem sie in pickender oder grabender bzw. scharrender Art verschiedenste Sämereien, Blätter, Blüten, Knospen, Knollen und Wurzeln, aber auch Insekten wie Würmer konsumieren (DEL HOYO et al. 1994). Damit nehmen sie

vermutlich (unfreiwillig) auch größere Mengen an Erdboden auf, welcher erdnahen oder aus dem Boden stammenden Pflanzenteilen anhaftet.

Hinzu kommt, dass der Boden im natürlichen Habitat der Amazonen häufig eher karg ist und nur geringe Mengen an Mineralstoffen enthält (BREBURDA 1983, KÜMMERLE u. VON DER RUHREN 1996).

Für diese Tiere kann es somit ein Selektionsvorteil sein, möglichst geringe Mengen an Mineralstoffen zu benötigen.

Da neuere Arbeiten zu den endogenen Verlusten jedoch auch beim Nutzgeflügel deutlich geringe Werte quantifizieren konnten, als bisher angenommen wurde, stellt sich zudem die Frage, ob der Bedarf des Nutzgeflügels bisher nicht ebenfalls überschätzt wurde. So könnte die Annahme, dass etwa 1 % des Körperbestandes an dem jeweiligen Element täglich ersetzt werden müssen, evtl. vielmehr die Umsetzungsrate des jeweiligen Elementes angeben, als seinen täglichen endogenen Verlust.

Tatsächlich würden Amazonen (nach beispielhafter Rechnung, siehe Tab. IV–9) bei alleiniger Aufnahme von Sonnenblumenkernen – bei gleichen unterstellten Gehalten und Aufnahmemengen – eine ausreichende Menge an allen Mengenelementen realisieren.

Tab. IV–9: Tägliche Aufnahme an Mengenelementen einer Amazone bei Angebot von Sonnenblumenkernen in Relation zum Bedarf

Ca P Mg Na K

Gehalt 1

(g/kg TS) 2,08 9,81 3 4,87 0,19 7,90

Aufnahme 2

(mg/Tier/d) 35,36 166,77 3 82,79 3,23 134,3

tägl. Bedarf

(mg/Tier/d) 9,64 2,09 3 1,05 1,06 6,84

Differenz

(mg/Tier/d) + 25,72 + 164,68 + 81,74 + 2,17 + 127,5

1 Kern der gestreiften Sonnenblumensaat (BAYER 1996);

2 unterstellte Verzehrsmenge von 17 g TS/Tier/d (GRAUBOHM 1998)

3 cave: die aufgenommene Menge Phosphor bezeichnet hier die Menge an Gesamt-P, während der Bedarf sich auf den NPP bezieht

Diese Werte gelten jedoch nur für die in dieser Arbeit untersuchten Amazonen und nur bei alleiniger Aufnahme von Sonnenblumenkernen (innerhalb der Gruppe von Saaten eine der Ca-reichsten Arten).

Es muss daher betont werden, dass schon kleinste Abweichungen im Gehalt der Saatenmischung (z.B. andere Charge, verstärkte Selektion auf Mengenelement-ärmere Komponenten wie z.B. Mais oder Erdnüsse) oder der TS-Aufnahme (Krankheit, Stress) diese Werte ändern und zu einer verminderten Aufnahme an Mengenelementen führen können. So wird der Mindestbedarf an Calcium von 0,6 g/kg TS z.B. nicht von Erdnüssen, Mais, Hanf, Zirbelnüssen, Buchweizen und Haferkernen gedeckt. Von Amazonen ist jedoch bekannt, dass insbesondere Erdnüsse eine beliebte (und daher selektierte) Komponente darstellt. Graupapageien bevorzugen zusätzlich Mais, ebenso wie Kakadus, die zudem die ebenfalls Ca-armen Haferkerne schätzen (GRAUBOHM 1998).

Auch Interaktionen mit anderen Nährstoffen (Komplexierung des Calciums mit Oxalaten und mit Fetten zu Seifen; Bindung von Phosphor, aber auch von Ca2+, Mg2+

und K+ an Phytinsäure; NRC 1994) sowie Interaktionen zwischen den Mengenelementen (Natrium und Kalium; SCOTT et al. 1960; Magnesium und Phosphor; EDWARDS u. NUGARA 1968) können zu einer verminderten Verfügbarkeit und geringeren Aufnahmen führen.

Hinzu kommt ein unter veränderten Fütterungsumständen erhöhter Bedarf. So konnten KERSTETTER et al. (2003) in einer Humanstudie nachweisen, dass einer Erhöhung der Proteinaufnahme aufgrund einer Acidierung eine vermehrte Ausscheidung an Calcium über den Urin folgte, die Verabreichung einer Rp-armen Kost hingegen zu einer verminderten Ca-Absorption aus dem Darm führte.

Eine Übertragung dieses Ergebnisses auf andere Ziervogelspezies darf nicht nur im Hinblick auf eventuelle höhere endogene Verluste, sondern v.a. unter Berücksichtigung der den anderen aviären Spezies angebotenen Saatenarten nicht unkritisch gesehen werden.

So enthalten Sämereienmischungen für kleinere Ziervögel, wie z.B. den Wellensittich, v.a. stärkereiche Komponenten wie Hirse, die in ihrer chemischen Zusammensetzung mit den fettreichen Sonnenblumenkernen nicht vergleichbar sind.

Unterstellt man die in dieser Arbeit quantifizierten endogenen Verluste an Mengenelementen bei der Amazone in entsprechender Relation (bezogen auf die metabolische Körpermasse) auch bei anderen Vogelspezies, kann eine Abschätzung des Bedarfs auch bei diesen Tieren erfolgen. Beispielhaft ist in der nachstehenden Tab. IV–10 der Bedarf des Wellensittichs im Vergleich zur täglichen Aufnahme bei ausschließlichem Angebot verschiedener Hirsearten – wie es in der Fütterungspraxis häufig geschieht – dargestellt.

Tab. IV–10: Tägliche Aufnahme an Mengenelementen eines Wellensittichs bei Angebot von Hirse in Relation zum Bedarf

Ca P Mg Na K

1 Kern der Hirse, 6 Hirsearten gemittelt (BAYER 1996); 2 unterstellt: gleiche endogene Verluste pro kg KM0,75 wie Amazonen;3 unterstellte Verzehrsmenge: 3,6 bis 5,5 g TS/Tier/d (KAMPHUES et al.2004) Es ist ersichtlich, dass die im Vergleich zu anderen Sämereienarten besonders Ca-armen Hirsen (0,17 bis 0,3 g/kg TS) den Ca-Bedarf eines Wellensittichs nicht zu decken vermögen.

Es versteht sich zudem von selbst, dass der Bedarf eines Tieres an den genannten Elementen im Leistungsstoffwechsel (Eiablage, Wachstum) um ein Vielfaches erhöht ist. Tatsächlich sind die endogenen Verluste z.B. bei Kanariennestlingen im Vergleich zu den Mengen, die für den Ansatz benötigt werden, vernachlässigbar gering (KAMPHUES u. MEYER 1990, KAMPHUES et al. 1997).

Eine Supplementierung des Futterangebots mit den Mengenelementen Calcium und Natrium scheint jedoch nach den in dieser Arbeit gewonnen Daten auch bei Tieren im Erhaltungsstoffwechsel notwendig und zweckmäßig, um eine Unterversorgung der Tiere zu vermeiden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Wissen um das natürliche Habitat, das Nahrungsspektrum und damit die ursprüngliche Ernährungsweise der Wildformen sowie die Verhaltensweisen in Bezug auf die Nahrungsaufnahme der einzelnen Spezies im Hinblick auf die Fütterung in menschlicher Obhut bei der Auswahl der Futterkomponenten unbedingt Berücksichtigung finden sollte.

Eine Übertragung der an Nutzgeflügelspezies gewonnen Daten, aber auch der Vergleich zwischen Arten mit unterschiedlichen Ernährungsweisen ist – soweit dies eben möglich ist – zu vermeiden, da die unterschiedlichen Nahrungsspektren dieser Spezies über die Jahrhunderte zu verschiedenen Spezialisierungen und damit zu einem unterschiedlichen Bedarf geführt haben.

So ist es vor dem Hintergrund der durchgeführten Studie nicht gerechtfertigt, alle in menschlicher Obhut gehaltenen Spezies zum „Ziervogel“ per se zusammenzufassen oder gar die Bedarfswerte des Nutzgeflügels auf diese Tiere zu übertragen.