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Internationalisierungswege und Reorganisationsmodi

Im Dokument Viele Wege führen nach Indien (Seite 45-54)

Internationalisierungswege und Reorganisationsmodi 43

2.3 Internationalisierungswege und

frag-mentiert und teilweise auch dequalifiziert (Upadhya und Vasavi 2006, Flecker u. a. 2007, Mukherjee 2008).

Demhingegen kann die bei Produkt-Herstellern vorfindbare Form der Standardi-sierung, im Gegensatz zum Bereich der IT-Dienstleister mit Mayer-Ahuja primär alsProdukt-Standardisierungbeschrieben werden (Mayer-Ahuja 2011, S.69). Zen-traler Gegenstand von Standardisierung sind im Bereich der Produkt-Herstellung (als Folge der Herausbildung modularer Produkt- und Prozessstrukturen) eher die Eigenschaften des Produkts als die Eigenschaften von der Erstellung zugrunde lie-genden Produktionsprozessen. Wenn Teams an unterschiedlichen Orten separate Module einer Applikation entwickeln, so müssen diese einzelnen Komponen-ten entsprechend klar spezifiziert und in ihren Schnittstellen genau beschrieben sein, damit sich das Produkt anschließend auch integrieren und zusammenfügen lässt. Von daher findet zwar eine Aufspaltung des Gesamtprozesses in einzelne Module statt und es kommt dadurch auch zu einer gewissen Fragmentierung des Arbeitsprozesses. Ob und wie jedoch diese Fragmentierung die Arbeitspro-zesse innerhalb jedes einzelnen Moduls betrifft, ist damit noch nicht bestimmt.

Es kann vielmehr erwartet werden, dass die Form der Standardisierung und Formalisierung der Arbeitsprozesse in den jeweiligen Modulen stark davon ab-hängig ist, ob die Verlagerung nach dem Muster der „verlängerten Werkbank“

erfolgt, oder ob die neuen Standorte mit strategisch wichtigen Aufgaben betraut werden und entsprechend komplexere Tätigkeiten zugewiesen bekommen. Die Standardisierungsbemühungen bei Produkt-Herstellern im Bereich der Software-Entwicklung beziehen sich primär auf die verwendeten Tools der Software-Entwicklung, die gemeinsam genutzten Programm-Bibliotheken und das (modulare) Design der Software. Einer der augenscheinlichsten Hinweise darauf ist der Umstand, dass die externe Zertifizierung, die bei den IT-Dienstleistern mittlerweile ge-radezu „zum Geschäft“ gehört, bei den Standardsoftware-Herstellern nur eine nebensächliche Rolle spielt. So findet sich unter den seit 2006 mit CMMI Level 5 bewerteten Unternehmen kein einziger der großen Standardsoftware-Hersteller9. Den Hintergrund dieses auf den ersten Blick überraschenden Fehlens erläutert die Qualitätsbeauftragte der im Rahmen dieser Studie untersuchten deutschen Produktfirma, die eine lange Karriere durch die unterschiedlichsten Firmen der indischen IT-Industrie vorzuweisen hat, wie folgt:

9 Die Liste dieser Unternehmen kann auf der Seite des SEI unter http://sas.sei.cmu.edu/pars-/pars.aspx eingesehen werden.

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„Very few product companies in the world ever go for CMMI – it’s mostly service companies, who go. Because they work in a project mode – we work in a product mode. We per se don’t have a direct end-customer for each product.[...]So mostly there is product companies –[...]they take best practices, but they don’t necessarily go for a formal certification and maintaining the certificate. Whereas you go and talk to any service companies, like Accenture may be, or, I don’t know, I-Flex, Infy, Wipro, TCS – any company. They will first start with telling that: We are CMM Level 5 blablabla.[...]The way that they work is: every project is with the customer. And most of these customers expect you to work at a particular maturity level in your organization.“ (NB19)

Dieser Aussage zufolge haben Standardsoftware-Hersteller durch die Abwesen-heit von unmittelbaren Kundenbeziehungen einen größeren Spielraum, ihre Arbeitsprozesse den eigenen Bedürfnissen nach zu strukturieren. Demnach kön-nen Elemente von bekannten Prozessmodellen, wie CMMI oder Six Sigma, zwar durchaus auch bei Standardsoftware-Herstellern vorfindbar sein, jedoch besteht für Standardsoftware-Hersteller nicht in dem Maße der Zwang, sich für diese Mo-delle auch extern zertifizieren zu lassen, wie es bei Dienstleistungsunternehmen der Fall ist.

Freilich bedeutet dies nicht den völligen Verzicht auf Prozessstandardisie-rung, die, wie gezeigt, den Bereich der IT-Dienstleistungen dominiert. Auch die Hersteller von (Software-)Produkten stehen unter Kosten- und Zeitdruck bei der Entwicklung und versuchen dementsprechend auch, den Arbeitsprozess organisatorisch zu optimieren. Doch aufgrund der vorwiegend auf das Produkt gerichteten Standardisierungsbemühungen und der Abwesenheit direkter Kun-denbeziehungen im Produktionsprozess kann für die folgende Untersuchung des deutschen Standardsoftware-Herstellers erwartet werden, dass die Standardisie-rung und FormalisieStandardisie-rung nicht notwendigerweise bis auf die Ebene der einzelnen Tätigkeiten durchschlägt.

Zusammenfassend kann also für die folgenden Fallstudien die Erwartung formu-liert werden, dass die Standardisierung und Formalisierung der Arbeitsprozesse im Falle von IT-Dienstleistern eine wesentlich wichtigere und weitreichendere Funktion besitzt als für die Hersteller von (Software-) Produkten. Es wird sich bei der später folgenden Darstellung des deutschen Standardsoftware-Herstellers und des indischen IT-Dienstleisters zeigen, wie sich dies auf die betrieblichen Kontrollformen von Arbeit auswirkt.

3 Indien als Offshore-Standort

Neben den unterschiedlichen Internationalisierungswegen werden in dieser Stu-die Stu-die Arbeitsmärkte der Zielregionen der räumlichen Verlagerung als wichtiger Einflussfaktor auf die Reorganisationsmodi von IT-Unternehmen im Zuge der Internationalisierung der IT-Industrie betrachtet.

Durch Einbeziehung der Arbeitsmärkte der Offshore-Standorte wird somit derOrt der Produktionin die Analyse der Art und Weise der Arbeitskontrolle integriert. Hintergrund ist die Annahme, dass eine bestimmte Art der Arbeitsor-ganisation und -kontrolle immer auch auf die Verfügbarkeit von entsprechend qualifizierten Arbeitskräften angewiesen ist. Doch es ist nicht nur die reine Ver-fügbarkeit, sondern – gerade im Hinblick auf den indischen Standort – auch die Möglichkeit, die Beschäftigten an das Unternehmen zu binden und gemäß den Be-dürfnissen des Unternehmens weiterzuentwickeln, die die Formen betrieblicher Kontrolle prägt.

In diesem Kapitel wird anhand der indischen IT-Industrie gezeigt, wie eine spezifische Konstellation auf dem Arbeitsmarkt für die IT-Unternehmen zu einer organisatorischen Herausforderung wird und somit die Organisation der Ar-beitsprozesse in den Offshore-Entwicklungszentren in starkem Maße beeinflusst.

Zunächst wird in einem kurzen Überblick die boomartige Entwicklung der indischen IT-Industrie skizziert, bevor wir uns in einem zweiten Unterkapitel der Frage zuwenden, welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf den indi-schen Arbeitsmarkt hatten und haben und wie das Arbeitskräfteangebot auf dem indischen Arbeitsmarkt näher charakterisiert werden kann.

Das dritte Unterkapitel schließlich beleuchtet den Zusammenhang zwischen der Situation auf dem indischen Arbeitsmarkt und den Reorganisationsmodi der Unternehmen, wirft also einen ersten Blick auf die Bereiche, in denen sich der Arbeitsmarktdruck auf betriebliche Organisations- und Kontrollkonzepte auswirkt.

3.1 Der Boom der indischen IT-Industrie

Die indische IT-Industrie ist eine der erfolgreichsten der Welt. Daher hat sie in den letzten Jahren auch viel Aufmerksamkeit aus dem wissenschaftlichen Bereich auf sich gezogen. Ihre boomartige Entwicklung und die Gründe dafür waren Gegenstand zahlreicher Untersuchungen der letzten Jahre1. Wir beschränken uns daher an dieser Stelle auf einige wichtige Punkte, die notwendig sind, um den Kontext zu verstehen, in dem sich die beiden Untersuchungsfälle im indi-schen Bangalore bewegen, und die die Situation auf dem indiindi-schen Arbeitsmarkt wesentlich beeinflussen.

Abbildung 3.1: Umsatzwachstum der indischen IT-Industrie von 1984 – 2009 (Die Zahlen für diese Grafik sind bis einschließlich 2003 Athreye (2005b) und ab 2004 NASSCOM (2007, 2009) entnom-men. Für die Zeit von 1985-1990 sind leider keine Angaben zum Gesamtumsatz vorhanden. Die Angaben für das Jahr 2009 sind Schätzungen von NASSCOM.)

1 Für zusammenfassende Übersichten, siehe v.a. Dossani 2007, Athreye 2005a und Arora u. a.

2001.

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Abbildung 3.1 (S. 48) zeigt das rasante Umsatzwachstum der indischen IT-Indus-trie in den letzten Jahrzehnten2. Diese legte in den 1990ern teilweise über 50 Prozent jährlich zu (vgl. auch Upadhya und Vasavi 2006, S. 8ff.). Zwar nahmen die Wachstumsraten auch in Indien ab, doch selbst von 2004 bis 2008 war immerhin noch ein jährliches Umsatzwachstum von ca. 33 Prozent zu verzeichnen (vgl.

auch Deutsche Bank Research 2005, S. 5; Upadhya und Vasavi 2006, S. 8).

Ein Merkmal, das die indische IT-Industrie von anderen aufstrebenden IT-In-dustrien, wie China und Brasilien unterscheidet (vgl. Athreye 2005b), ist die starke Exportausrichtung. So wird das Wachstum der IT-Industrie wesentlich vom Wachstum der Exporte getragen (vgl. auch Radhakrishnan 2003). Als Ex-porte werden sowohl Umsätze erfasst, die von indischen IT-Dienstleistern für ausländische Kunden erbracht werden, als auch die Umsätze von Leistungen, die von multinationalen Unternehmen in ihren indischen Niederlassungen erbracht werden und die auf den Weltmarkt, statt auf den indischen Markt ausgerichtet sind. Getragen wird das Wachstum des IT- bzw. IT-Dienstleistungsbereiches zum Großteil von den indischen IT-Dienstleistern. Lediglich 20% der Exportumsätze wurden 2002 von den Niederlassungen der MNC’s erwirtschaftet (Singh 2005, vgl. auch Athreye 2005a).

Im Gegensatz zum Exportbereich haben der indische IT-Markt und die Um-sätze, die auf diesem erzielt werden, nur geringen Anteil am Wachstum der Industrie3.

Allerdings verteilt sich der Umsatz der indischen IT-Industrie in sehr unter-schiedlichem Maße auf verschiedene Zielregionen. Wie Abbildung 3.2 (S. 50) zeigt, geht der Großteil der Exporte in die USA. Historisch ist die indische IT-Industrie vor allem mit Geschäften auf dem amerikanischen IT-Markt gewachsen, bevor man sich langsam davon emanzipierte und auch andere Regionen erschlos-sen werden konnten. Wie sich aus derselben Abbildung leicht ersehen lässt, ist es v.a. der europäische Markt, der zunehmend das Wachstum der indischen

IT-2 Leider ist die Datenlage zur Entwicklung der indischen IT-Industrie sehr mäßig. Die einzigen, regelmäßig erhobenen Daten stammen vom indischen Branchenverband NASSCOM. Leider ist es relativ unklar, wie belastbar diese Daten sind, da z.B. wenig Informationen darüber erhältlich sind, wie genau die Daten erhoben und ausgewertet werden, bzw. wie umfangreich die Datengrundlage ist. Nichtsdestotrotz bilden die von NASSCOM bereitgestellten Daten die Grundlage fast aller zu diesem Thema veröffentlichten Studien.

3 Mit dieser Abhängigkeit vom Export und damit von globalen Kapitalströmen, wird die indische IT-Industrie auch in erhöhtem Maße von externen ökonomischen Einflüssen abhängig, ein Punkt der als mögliches Risiko für die weitere Entwicklung der Industrie diskutiert wird (Upadhya und Vasavi 2006, S. 13).

Industrie trägt und im Vergleich zu den USA im Laufe der Jahre immer größere Exportanteile auf sich zieht.

Abbildung 3.2: Zielregionen der indischen IT-Exporte (Quelle: NASSCOM 2007, 2009)

In Bezug auf das Produkt- und Leistungsspektrum kann für die indische IT-Industrie konstatiert werden, dass der Großteil des Umsatzes durch das Erbringen von IT- und BPO-Dienstleistungen4erzielt wird. Abbildung 3.3 (S. 51) zeigt die Anteile der unterschiedlichen Branchensegmente am Gesamtumsatz.

4 Unter BPO werden jene Aktivitäten gefasst, die zwar auf einer IT-Infrastruktur basieren, deren Kernaktivitäten jedoch nicht IT-spezifisch sind, wie z.B. ausgelagerte Buchführung oder andere

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Abbildung 3.3: Umsatz der indischen IT-Industrie nach Branchensegmenten von 2004 - 2009 (Quelle: NASSCOM 2009)

Zwar ist ersichtlich, dass sich gerade in den letzten Jahren der Anteil des BPO-Bereiches relativ vergrößert, jedoch stellt der IT-Dienstleistungsbereich gegenwär-tig noch den dominierenden Bereich der indischen IT-Industrie dar. Höherwerti-ge Tätigkeiten, also Forschungs- und EntwicklungsleistunHöherwerti-gen oder Produktent-wicklung sind relativ konstant nur mit einem kleinen Umsatzanteil vertreten, wenngleich auch deren Umsatz in absoluten Zahlen wächst5. Allerdings arbei-ten Beschäftigte in der Produkarbei-tentwicklung zum überwiegenden Teil in den

HR-Funktionen für externe Kunden. Auch Call-Center werden gewöhnlich in diesen Bereich gerechnet.

5 Der Anteil an Produktentwicklung wird in letzter Zeit sehr genau beobachtet und diskutiert, weil in einem steigenden Umsatzanteil an höherwertigen Arbeiten wie Forschung & Entwick-lung und ProduktentwickEntwick-lung wichtige Upgrading-Tendenzen des indischen Standortes gesehen werden. Ob es in letzter Zeit jedoch zu solchen Upgrading-Tendenzen gekommen ist, bzw. wie wahrscheinlich solche Tendenzen in Zukunft sind, ist gegenwärtig noch umstritten (vgl. z.B.

Parthasarathy 2006, Arora 2006, auch Nath und Hazra 2002

Niederlassungen westlicher IT-Unternehmen, die Komponenten ihrer Software-Produkte in Indien entwickeln lassen. Wenngleich indischen IT-Unternehmen attestiert wird, auch langsam in die Produktentwicklung vorzustoßen, sind sie in diesem Bereich bisher nicht besonders erfolgreich (vgl. Upadhya und Vasavi 2006, Radhakrishnan 2003).

Das Profil der indischen IT-Industrie spiegelt somit die besondere Funktion wider, welche diese in der globalen IT-Industrie gegenwärtig einnimmt. So wird Indien gegenwärtig zugesprochen, der mit Abstand größte Standort für das Offshoring von IT-Arbeit zu sein, wenngleich Statistiken zu diesem Thema sehr selten, häufig widersprüchlich und zudem noch politisch aufgeladen sind6(vgl. auch Stamm 2005, Forrester Research 2004, Upadhya und Vasavi 2006). Im Gegensatz zu anderen Offshore-Standorten mit ähnlich hohen Exportanteilen, wie Israel oder Irland, liegt der Schwerpunkt der Aktivitäten der indischen IT-Industrie jedoch vorwiegend im Bereich der IT-Dienstleistungen und zunehmend auch des BPO. Höherwertige Tätigkeiten, wie z.B. die Entwicklung von Standardsoftware, findet gegenwärtig in Indien fast ausschließlich in den Niederlassungen der großen westlichen IT-Unternehmen statt.

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