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Der indische Markt für IT-Arbeitskräfte

Im Dokument Viele Wege führen nach Indien (Seite 54-58)

Niederlassungen westlicher IT-Unternehmen, die Komponenten ihrer Software-Produkte in Indien entwickeln lassen. Wenngleich indischen IT-Unternehmen attestiert wird, auch langsam in die Produktentwicklung vorzustoßen, sind sie in diesem Bereich bisher nicht besonders erfolgreich (vgl. Upadhya und Vasavi 2006, Radhakrishnan 2003).

Das Profil der indischen IT-Industrie spiegelt somit die besondere Funktion wider, welche diese in der globalen IT-Industrie gegenwärtig einnimmt. So wird Indien gegenwärtig zugesprochen, der mit Abstand größte Standort für das Offshoring von IT-Arbeit zu sein, wenngleich Statistiken zu diesem Thema sehr selten, häufig widersprüchlich und zudem noch politisch aufgeladen sind6(vgl. auch Stamm 2005, Forrester Research 2004, Upadhya und Vasavi 2006). Im Gegensatz zu anderen Offshore-Standorten mit ähnlich hohen Exportanteilen, wie Israel oder Irland, liegt der Schwerpunkt der Aktivitäten der indischen IT-Industrie jedoch vorwiegend im Bereich der IT-Dienstleistungen und zunehmend auch des BPO. Höherwertige Tätigkeiten, wie z.B. die Entwicklung von Standardsoftware, findet gegenwärtig in Indien fast ausschließlich in den Niederlassungen der großen westlichen IT-Unternehmen statt.

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Abbildung 3.4: Entwicklung der Beschäftigtenzahlen der indischen IT-Industrie von 2002 – 2009 (Quelle: NASSCOM 2009, Beschäf-tigte im Hardware-Bereich nicht mitgezählt)

besitzt. Dennoch arbeitet der größte Teil der Beschäftigten im IT- (d.h. Produkt-entwicklung) und IT-Dienstleistungsbereich. Insgesamt hat sich die Zahl der in der indischen IT-Industrie beschäftigten Personen von 2002-2009 mehr als vervierfacht.

Unter dem Druck eines derart rasanten Wachstum kommt es in Indien schon seit Mitte der 1990er Jahre zu ersten Anzeichen eines Mangels an IT-Fachkräften, der sich im letzten Jahrzehnt stetig erhält, wenn nicht sogar ausweitet (Athreye 2005a, Upadhya und Vasavi 2006).

Dabei bezieht sich der Mangel nicht ausschließlich auf die reine Zahl an IT-Fachkräften, sondern es wird zudem die Qualifikation der Beschäftigten für die Unternehmen zum Problem. Laut einer Studie von NASSCOM und McKinsey aus dem Jahre 2005 seien von den indischen Uni-Absolventen lediglich 25% (der Absolventen technischer Ingenieurswissenschaften), bzw. 10-15% (aller Fachrich-tungen) geeignet, eine Beschäftigung im Exportsektor der indischen IT-Industrie aufzunehmen (zitiert nach ebd., S. 26). Dabei sind es nicht nur die fachlichen Fertigkeiten, die Anlass zur Sorge geben. Vielmehr fehlen den Absolventen nach

Einschätzung vieler Unternehmen „Soft Skills“, wie Sprach- und interkulturelle Kenntnisse, um in globalen und multikulturellen Zusammenhängen arbeiten und kooperieren zu können (Upadhya und Vasavi 2006, S.25).

Die Folge ist ein stetig wachsender Konkurrenzkampf der Unternehmen um die knappen Arbeitskräfte. Augenfälligste Anzeichen dieser Entwicklung sind auf der einen Seite die starken Gehaltssteigerungen für IT-Fachkräfte, und auf der anderen Seite die mittlerweile schon legendären Fluktuationsraten innerhalb der indischen IT-Industrie. Beide Tendenzen stellen auf unterschiedliche Art eine Gefahr für die weitere Entwicklung der indischen IT-Industrie dar und stehen daher besonders im Zentrum der öffentlichen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit (z.B. ebd., Arora u. a. 2001, auch Mayer-Ahuja und Feuerstein 2008).

Steigende Löhne sind eine leicht nachvollziehbare Gefahr für die weitere Ent-wicklung der indischen IT-Industrie, da sich durch steigende Personalkosten die Kostenvorteile der Verlagerung nach Indien entsprechend reduzieren. Für die Boomphase der indischen IT-Industrie während der 1990er Jahre berichtet Athreye (2005a) von jährlichen Gehaltssteigerungen von über 30%. Für die Zeit nach 2000 kommt der indische Branchenverband NASSCOM in einer gemeinsa-men Untersuchung in Zusamgemeinsa-menarbeit mit der Unternehgemeinsa-mensberatung Hewitt zu dem Ergebnis, dass sich die Gehaltssteigerungen zwischen 2002 und 2008 zwischen 10 und 16,5% pro Jahr bewegten (Nasscom/Hewitt 2008). Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt auch Aspray 2006, wobei hier vor allem die Abhängigkeit der Steigerungsraten von der Berufserfahrung betont wird. So scheinen sich die stärksten Gehaltssteigerungen bei Beschäftigten im mittleren und hohen Management zu ereignen (zwischen 15 und 20% jährlich), wohingegen bei Berufsanfängern die Gehaltssteigerungen „nur“ zwischen 5 und 10% pro Jahr lägen.

Das ist insofern plausibel, als sich die höchsten Gehaltssteigerungen in der indi-schen IT-Industrie durch regelmäßige Firmenwechsel realisieren lassen: Aufgrund des großen Bedarfs an Arbeitskräften versuchen die IT-Unternehmen sich häufig die Beschäftigten gegenseitig abzuwerben, was häufig durch mit dem Angebot starker Gehaltssteigerungen und Beförderungen einhergeht (Upadhya und Vasavi 2006). An dieser Situation haben auch die in den letzten Jahren öffentlich beschlos-senen „Anti-Abwerbe-Abkommen“ zwischen einigen IT-Unternehmen nichts geändert (Lacity, Rudramuniyaiah und Iyer 2008). So können IT-Beschäftigte durch regelmäßige Wechsel ihre Gehälter in kurzer Zeit erheblich steigern.

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Mit den Gehältern steigen auch die Fluktuationsraten. Während des rasanten Wachstums der indischen IT-Industrie während der 1990er Jahre lag diese Quote bei gut 25%, d.h. jeder vierte Beschäftigte eines Unternehmens hat im Laufe eines Jahres die Firma verlassen. Auch in den 2000ern, als sich das Wachstum etwas verlangsamte, lag die Quote noch bei ca. 10-15% (vgl. Arora u. a. 2001; Upadhya und Vasavi 2006).

Doch darf das Phänomen der Fluktuation nicht nur – so wie es Manager der in Indien aktiven IT-Unternehmen gerne darstellen – als Ausdruck einer kurzfristig dekenden, finanziellen Orientierung der Beschäftigten aufgefasst werden. So argumentieren Upadhya und Vasavi (ebd., S. 48ff.), dass die häufigen Unterneh-menswechsel der Beschäftigten vor dem Hintergrund der spezifischen Situation der indischen IT-Industrie durchaus eine rationale Form der Karriereplanung darstellen. So argumentieren sie, dass für die indischen IT-Beschäftigten die wei-tere Entwicklung der Branche sehr schwer abzusehen ist. Die Themen, die die indischen IT-Dienstleister bearbeiten, und auch die Technologien, mit denen sie arbeiten, wechseln stetig mit den Wünschen der Kunden. Und auch bei den multinationalen Firmen, die spezielle Produkte in Indien herstellen, ist unklar, wie lange diese Unternehmen am indischen Standort bleiben.

Vor diesem Hintergrund sei es eher eine riskante Strategie, sich zu sehr auf ein einzelnes Unternehmen und dessen Themenfeld zu spezialisieren. Daher ist es auch langfristig durchaus rational, wenn die indischen Beschäftigten versuchen, ihre Berufserfahrung und ihre Qualifikationen möglichst breit zu streuen, um für eine möglichst große Zahl an IT-Unternehmen zukünftig attraktiv zu bleiben.

In diese Richtung argumentiert auch ein Manager von ServiceTec:

„Deswegen – und sie auch versuchen was, immer was Neues zu werden.

Wenn die über zwei Jahre nur bei[Kundenname entfernt – PF]arbeiten, und die sehen, dass in Industrie, die Leute ... z.B. hier können wir nur ein Java-Projekt arbeiten, für zwei Jahre. In zwei Jahre in andere Industrie – die Leute haben noch zehn Sachen gelernt. Deswegen die sind auch bisschen unglücklich. Das läuft so schnell und so viele neuen Sachen in IT-Bereich kommen. Und die möchten mehr lernen und mehr von Projekt zu Projekt wechseln, damit nach fünf oder zehn Jahren, die haben so viele Fall-zu-Fall-Erfahrung.“ (SD7)

Für die Unternehmen bedeuten diese hohen Fluktuationsraten, dass das von den Beschäftigten aufgebaute Erfahrungswissen und die im Laufe der Zeit erworbe-nen Qualifikatioerworbe-nen die Firma stetig wieder verlassen. Für die Projekte stellt das eine Gefahr dar, da Verzögerungen auftreten, wenn Beschäftigte plötzlich

das Team verlassen und durch neue Beschäftigte ersetzt werden müssen, die zu-nächst gefunden – angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage keine leichte Aufgabe – und entsprechend eingearbeitet werden müssen, bis sie voll produktiv sind. Gerade in Positionen, wo persönliche Kontakte zu Kunden oder anderen Kooperationspartnern relevant sind, stellt dies ein besonderes Problem, dar, da sich Vertrauensbeziehungen schlecht entwickeln können, wenn Kontakte ständig wechseln. Letztendlich führen die Fluktuationsraten damit auch zu Mehrkosten in den Unternehmen, untergraben damit den Kostenvorteil des indischen Stand-ortes und damit die zukünftige Entwicklung der indischen IT-Industrie (vgl. auch Athreye 2005a).

Es ist daher kein Wunder, dass die Bekämpfung des Arbeitskräftemangels in Indien sowohl bei Unternehmen und Branchenverbänden, als auch bei politi-schen Entscheidungsträgern unterschiedlicher Ebenen besonders hohe Priorität genießt.

In der Folge finden sich seit Mitte der 90er Jahre diverse Initiativen, sowohl die Zahl der für die IT-Industrie geeigneten Uni-Absolventen zu steigern7, als auch die Inhalte der universitären Ausbildung an die Bedürfnisse der IT-Industrie anzupassen8(für einen guten Überblick über diese Maßnahmen und auch die kritische Debatte um diese, siehe v.a. Upadhya und Vasavi 2006).

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