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Die Herausbildung verteilter Entwicklungsmodelle bei

Im Dokument Viele Wege führen nach Indien (Seite 41-45)

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um überhaupt an bestimmte Aufträge zu kommen, da sie von den Kunden als Qualitätsausweis der Leistungserbringung eingefordert wird. Die indischen IT-Dienstleister sind auch in dieser Hinsicht Vorreiter, denn gerade sie hatten anfänglich mit erheblichen Vorbehalten der Kunden gegenüber der von ihnen gelieferten Qualität zu kämpfen. Die indischen IT-Dienstleister versuchten diesen Zweifeln durch erfolgreiche Zertifizierungen zu begegnen. So kamen im Jahr 2003 von den 80 nach CMMI Level 5 zertifizierten Unternehmen 60 aus Indien (Deutsche Bank Research 2005, S.6).

Doch auch wenn eine wichtige Funktion der externen Zertifizierung in Kun-denwerbung besteht, unterstützt die erfolgreiche Implementierung dieser Stan-dards auch die Standardisierung und Formalisierung der Arbeitsprozesse in den Unternehmen. Schließlich sind die Prozessmodelle, unabhängig von dem Grund ihrer Einführung, auch real wirksam, indem sie helfen, die Arbeitsprozesse in einzelne, einfacher zu beherrschende und abrechenbare Teilschritte zu zerlegen, und es zudem erlauben, die Befolgung der Prozesse mit integrierten Kennzahlen zu messen (für eine kritische Auseinandersetzung mit den Prozessmodellen in Bezug auf die Arbeitsprozesskontrolle, siehe Prasad 1998).

Die vielfach bemerkte „Zertifizierungswut“ (ebd.) der indischen IT-Dienst-leister und die starke „Prozessorientierung“ können daher als ein integraler Be-standteil des „Global Delivery Models“ der indischen IT-Dienstleister verstanden werden – sie sind seine Voraussetzung und seine Konsequenz zugleich.

2.2 Die Herausbildung verteilter Entwicklungsmodelle

Die zentralen Akteure dieser Verlagerungsvariante sind Unternehmen, die in ihren Offshore-Entwicklungszentren Produktentwicklung betreiben (vgl. Upadh-ya und Vasavi 2006). Dies können auf der einen Seite Standardsoftware-Hersteller sein, die Teile ihrer Softwareprodukte8in Niedriglohnregionen entwickeln lassen, wie z.B. Adobe, Microsoft, Oracle. Auf der anderen Seite finden sich jedoch auch Unternehmen, die Software als Teil anderer nicht IT-spezifischer Produkte, wie z.B. Waschmaschinen entwickeln (sogen. „embedded software“). So sind auch Firmen wie Siemens, Bosch u.a. seit Jahren mit eigenen auf Softwareentwicklung spezialisierten Niederlassungen in Niedriglohnregionen wie Indien präsent.

Diese Form der Verlagerung unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht von der Verlagerung nach dem Muster des Offshore-Outsourcing:

1. Die Beschäftigten in den Offshore-Entwicklungszentren erbringen keine Leistungen für externe Kunden, sondern sind in die Produktentwicklung des westlichen Mutterunternehmens eingebunden.

2. Kundenkontakt findet bei Produkt-Herstellern zumeist lediglich am Ende der Produktion über den Vertrieb des Produktes statt. Zwar unterhal-ten einige große Software-Hersteller zudem strategische Partnerschafunterhal-ten zu Unternehmen, mit denen über zukünftige Produktinnovationen und Anforderungen an die zu entwickelnde Software beraten wird, und die auch meist für einen Testeinsatz von Prototypen und Betaversionen der Software herangezogen werden, jedoch findet der Produktionsprozess der Software-Produkte im engeren Sinne unabhängig von konkreten Kunden-beziehungen statt (vgl. ebd., S.20).

Dementsprechend kreisen die Verlagerungsstrategien von Produkt-Herstellern auch nicht um die Trennung von kundennah und kundenfern zu erbringenden Tätigkeiten, wie es für IT-Dienstleister charakteristisch ist. Die Verlagerungs-strategien von Produkt-Herstellern sind vielmehr produkt-zentriert, d.h. das Produkt wird in sogen. „verteilter Entwicklung“ hergestellt. Grundlage eines solchen Modells sindmodulare Produkt- und Prozessarchitekturen, die es erlauben, das Produkt in verschiedenen Modulen parallel an verschiedenen Standorten entwickeln zu lassen. Modulare Produkt- und Prozessstrukturen basieren auf einem Produktionsprozess, der aus vielen unterschiedlichen Teilen besteht, deren

8 z.B. eine Standardapplikation, die direkt einsatzfähig ist oder mit unterschiedlich umfangreicher Anpassung bei den Kunden installiert werden kann (wie z.B. Microsofts bekanntes Bürosoftware-Paket)

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Schnittstellen jedoch klar und eindeutig spezifiziert sind, um die anschließende problemlose Reintegration im Produkt zu gewährleisten.

Im Gegensatz zum Offshore-Outsourcing von IT-Dienstleistungen kann bei Captive-Offshoring allerdings gegenwärtig (noch?) nicht von einem eindeutig dominierenden Offshoring-Modell ausgegangen werden. Vielmehr befinden sich die Akteure gegenwärtig in einer Art Experimentierstadium, in dem nach dem für sie richtigen Modell gesucht wird (Boes u. a. 2007, S.12ff.; vgl. auch Flecker u. a. 2007, S.47ff.). So begründen modulare Strukturen und unternehmensinterne Arbeitsteilung noch keinen „best way“ der internen Verlagerung, wie Flecker u. a. (ebd., S. 62) zu recht bemerkt:

„However, it is both possible to hand off modules or ‘black boxes’ of sub-(projects) (a matter of longer-term collaborations) or smaller, circumscribed or standardized tasks.“

So wurden die Offshore-Entwicklungszentren von den Unternehmen anfänglich oft nur dafür genutzt, Standardprodukte zu lokalisieren, d.h. z.B. betriebswirt-schaftliche Softwarepakete an länderspezifische Steuerregelungen anzupassen (Aspray, Mayadas und Vardi 2006, S.136f.; Boes u. a. 2007, S.10f.) oder relativ einfache Programmier- und Codiertätigkeiten zu erledigen. Auch später bestehen bei vielen Unternehmen Strukturen fort, die diesem Muster folgen. Nach Boes kann dieses Vorgehen als Etablierung einer „verlängerten Werkbank“ bezeichnet werden. Im Fokus stehen

„gut spezifizierte Aufgabenstellungen auf einem vergleichsweise einfachen Komplexitäts- und Technologieniveau mit geringer strategischer Bedeutung für das Unternehmen.“ (Boes 2004, S.97)

Dieser Ansatz der Verlagerung betrifft also lediglich die Schritte der Softwareent-wicklung, die gemeinhin als besonders leicht zu verlagern gelten, wie das reine Codieren und Testen der Applikation. Dieses Vorgehen impliziert auch eine glo-bale Arbeitsteilung zwischen Standorten in Bezug auf planende und ausführende Tätigkeiten. Die anspruchsvollen, planenden Tätigkeiten der Konzeption und des Designs verbleiben bei diesem Modell allerdings meist an den westlichen (Heimat-) Standorten der Unternehmen (vgl. auch Flecker u. a. 2007, S.50), wo-hingegen die in Niedriglohnregionen lokalisierten Entwicklungszentren klar spezifizierte, wenig komplexe Arbeitspakete zugewiesen bekommen.

Gegenüber der Verlagerung nach dem Muster der „verlängerten Werkbank“

gibt es jedoch zunehmend auch andere Formen der Verlagerungen in diesem Be-reich. So haben einige der großen Unternehmen, als mit zunehmender Erfahrung

mit verteilter Entwicklung die Zuversicht in die eigenen Fähigkeiten stieg, den Schritt gewagt, auch komplexe Tätigkeiten Offshore erledigen zu lassen (Farrell u. a. 2005, S.204f.). Dieses Vorgehen beinhaltet im wesentlichen den Aufbau „ei-gener Produktionsintelligenz“ (Boes 2004, S.97) und die Vergabe auch strategisch wichtiger und fachlich anspruchsvoller Arbeitspakete an die Entwickler an den neuen Standorten. Diese Form der Verlagerung findet eher netzwerkförmig statt und setzt auf modulare Strukturen mit hohen Interdependenzen der einzelnen Standorte. Dadurch werden die neuen Standorte zunehmend auch mit planenden und konzeptionellen Verantwortlichkeiten betraut.

Im Bereich des Captive-Offshoring kann daher zwar gegenwärtig noch nicht in dem Maße von einem Leitbild in Bezug auf ein globales Verlagerungsmodell ausgegangen werden, wie es im Bereich des Offshore-Outsourcing der Fall ist und es lassen sich daher noch wichtige Unterschiede in dem Grad feststellen, in dem die neu eröffneten Standorte Verantwortung für strategische Entscheidungen übernehmen und welche Arten von Tätigkeiten dementsprechend dort geleistet werden. Jedoch lässt sich feststellen, dass viele Unternehmen in den letzten Jahren dazu übergegangen sind, die Offshore-Standorte stärker in die entstehenden globalen Produktionsnetzwerke einzubinden und folglich auch mit strategisch wichtigeren Aufgaben zu betrauen (vgl. Flecker und Holtgrewe 2008).

Diese Studie konzentriert sich zur Untersuchung der Reorganisationsmodi in diesem Bereich mit NovoProd auf eine besonders avancierte Form des Captive-Offshoring, da NovoProd in seinem indischen Entwicklungszentrum bereits hochwertige Tätigkeiten mit hoher strategischer Bedeutung für den Unterneh-menserfolg bearbeiten lässt. Diese Festlegung schränkt die Aussagekraft der gewonnen Ergebnisse zwar ein, stellt aber in diesem Zuschnitt gerade im Ver-gleich zum Bereich des Offshore-Outsourcing einen interessanten Kontrast dar.

Denn gerade in dieser Variante des Captive-Offshoring treten die Unterschiede zwischen den beiden Verlagerungsvarianten und zwischen den zugrundeliegen-den Reorganisationsmodi besonders deutlich hervor. Es kann demnach gezeigt werden, wie unterschiedlich sich die Reorganisation der Arbeitsprozesse in den beiden berücksichtigten Konstellationen darstellen kann und welch unterschied-liche Folgen dies für die Form der Kontrolle von Arbeit hat.

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2.3 Internationalisierungswege und

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