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5. Pädagogische Kompetenz des Hauptschullehrers

5.2. Elemente pädagogischer Beziehung

5.2.6. Interaktionsbereitschaft

„Wir Menschen haben eine große Bereitschaft uns anstecken zu lassen. Und zwar lassen wir uns gerne von Stimmungen anstecken, die wir bei anderen wahrnehmen... weil die Stimmungsansteckung wechselseitig ist, spricht man von reziproken Affekten. In Schulklassen sind Lehrer wichtige und mächtige

Personen, auch dann, wenn sie sich persönlich vielleicht ganz machtlos fühlen.

Sie sind gewöhnlich in der Rolle eines Stimmungsmachers, ob sie wollen oder nicht. Von ihrer Laune ist die Laune der Schüler, die sie unterrichten, mehr oder weniger abhängig.“ (Grell 1979, S. 117f)

Die Asymmetrie der Machtverteilung stellt für die Lehrer-Schüler-Interaktion eine grundsätzliche Störung dar. Schon daraus ergibt sich, dass der Lehrer beispielhaft für möglichst herrschaftsarmes Verhalten sein muss, damit die Schüler selbständig kommunizieren und interagieren lernen. Da die zwischenmenschlichen Interaktionsprozesse zwischen Schülern und Lehrern weitgehend komplementär strukturiert sind, erfordern sie vom Lehrer interaktive Kompetenz, die darüber hinaus durch den gruppendynamischen Aspekt eingefordert wird. Solch sozialintegratives Lehrerverhalten setzt scharfe Beobachtungsgabe, Selbstreflexion und Flexibilität voraus.

Merkmale eines sozial-integrativen Lehrerverhaltens sind neben dem Mitbestimmungsrecht der Schüler die Förderung originärer Aktivitäten und kreativen Denkens, soziale Unterrichtsformen, emotionale Wärme, persönliche Achtung, Lob und Aufmunterung sowie freundliche und flexible Kommunikationsweisen. Nicht-direktives Lehrerverhalten „erfordert zunächst immer mehr Zeit, die Menge des erlernten Wissens bleibt zunächst oft geringer als unter autokratischer Führung, aber auch hier sind die Wirkungen oft dauerhafter. Geistige Selbstständigkeit wird in größerem Maße ausgelöst, damit auch die Fähigkeit zu kritischer Prüfung vorgegebener Ansichten und Urteile, zu differenzierterem Denken und Werten.“ (Klafki 1970, S. 91) In der an Konflikten ärmeren Atmosphäre sozialintegrativen Verhaltens gedeihen die Fähigkeiten zu harmonischem Umgang und zu verantwortungsbewusstem Gruppenverhalten.

Der größere Handlungsspielraum, das Übernehmen von Verantwortung, auch Mitentscheidungsrechte wirken leistungsmotivierend und rufen „auf der Seite

der jungen Menschen vorwiegend sozialintegrative bzw. demokratische Verhaltensformen und Einstellungen hervor“. (Klafki 1970, S. 91)

Wissenschaftliche Bedenken gegenüber den idealtypisch konstruierten Führungsstilen, wie etwa von Vowinkel (1923) oder Caselmann (1949), führten zur Analyse von Einzelmerkmalen des Lehrerverhaltens und dessen vielschichtiger Strukturierung. Am Anfang der empirischen Lehrerverhaltensforschung stehen die von Lewin (1939) entdeckten und von Anderson (1946) bestätigten Auswirkungen des autoritären, dominanten, des demokratischen und des Laissez-faire-Stils auf das Sozialverhalten von Jugendlichen. Später widmeten sich Ryans (1961), Fittkau (1969) und vor allem Tausch-Tausch (1971) der Analyse der Lehrer-Schüler-Interaktion, jedoch ein allgemein gültiges Ordnungssystem wurde noch nicht erstellt, und die praktischen Erfahrungen lassen zweifeln, ob das jemals möglich ist. Die Vielzahl personaler und situativer Faktoren erfordert eine mehrdimensionale Untersuchungsmethode, die häufig nur unzureichend zu verwirklichen ist. Diese Tatsache verbietet auch die Verabsolutierung des sozialintegrativen Lehrerverhaltens, vor allem auch deshalb, weil die psycho-sozialen Störungen vieler Jugendlicher die Arbeitsvoraussetzungen in einer Klasse erheblich erschweren. Die Pluralität der das Lehrerverhalten bestimmenden Bestandteile und die „Dynamik des Unterrichtsgeschehens mit seinen vielfältig sich ändernden Situationen“ (Döring 1970, S. 117) erfordern ein flexibel gestaltetes Lehrerverhalten. Die Vielschichtigkeit einer Interaktionssituation und das Gebot entsprechenden Handelns verlangen nach einem multidimensionalen, demokratisch orientierten Lehrerverhalten. „Um unterschiedlichen Schülern in unterschiedlichen Situationen und Aufgaben gerecht zu werden, gibt es nicht ein effektives Lehrerverhalten, sondern ein komplexes Repertoire verschiedener, je individuell einzusetzender Verhaltensformen.“ (Thiersch 1969, S. 487) Trotz der Unzulänglichkeit wissenschaftlicher Befunde lassen sich tendenziell Dimensionen effektiven Lehrerverhaltens nachweisen: Achtung,

Wärme, Rücksichtnahme und Echtheit als förderliche Dimensionen und Dirigierung als nicht förderliche Dimension. (vgl.Tausch-Tausch 1979)

Besonderes Augenmerk verdient eine 1991 erschienene empirische Untersuchung von Mayr/Eder/Fartacek über „Strategien pädagogischen Handelns“. Hier wurde „in einer mit 97 Hauptschullehrern und deren Schülern durchgeführten Studie untersucht, welche pädagogischen Handlungsstrategien Lehrer einsetzen, in deren Unterricht die Schüler gut mitarbeiten und wenig stören. Es zeigte sich, daß das Verhalten dieser Lehrer innerhalb einer bestimmten, bei manchen Strategien relativ schmalen Bandbreite liegt“.

(Mayr/Eder/Fartacek 1991, S. 43) Das Lehrerverhalten aus Schülersicht wurde mit einem Fragebogen erfasst, aus Lehrersicht durch Einzelgespräche. Die Ergebnisse dieser Studie lassen vor allem aus Schülersicht – die Lehrerselbstdarstellungen ergaben durch starke Urteilstendenzen kein klares Bild – eindeutige pädagogische Handlungsstrategien erkennen. Die Lehrer mit hoher Schülerakzeptanz „treten den Schülern selbstbewusst und von ihrer beruflichen Aufgabe überzeugt gegenüber; sie sorgen dafür, dass die Schüler innerhalb eines logisch aufgebauten Unterrichts mit interessanten Aufgaben beschäftigt sind; sie kontrollieren die Arbeitsergebnisse genau; sie vermitteln den Schülern klare Verhaltensregeln und trachten danach, deren Einhaltung möglichst ohne Strafen sicherzustellen; sie bekommen viel von dem mit, was in der Klasse vor sich geht; sie bemühen sich, die Klassengemeinschaft zu fördern; sie begegnen den Schülern wertschätzend, offen und ehrlich; sie versuchen, die Schüler auch dann zu verstehen, wenn diese ihnen einmal Schwierigkeiten bereiten; sie suchen das Gespräch mit den Schülern und gewähren ihnen einen gewissen Entscheidungsspielraum. Die Lehrer wählen unter den genannten und einigen weiteren Handlungsmöglichkeiten innerhalb einer bestimmten Bandbreite schwerpunktmäßig jene aus, die ihnen persönlich liegen und die ihnen unter den jeweiligen Rahmenbedingungen passend erscheinen. Ein von diesen Prinzipien geleitetes pädagogisches Handeln

verschafft ihnen auch die Wertschätzung ihrer Schüler und geht einher mit einem hohen Maß an Berufszufriedenheit.“ (Mayr/Eder/Fartacek 1991, S. 53)

Für den Aufbau eines multidimensionalen Lehrerverhaltens, welches positive Schülerverhaltensweisen provoziert, bedarf es einer optimistischen Grundhaltung entspringender, unterstützender Verhaltensstrategien. Dazu gehört vor allem die Abwendung vom bisher üblichen Verhaltensrepertoire, das die Fehlverhaltensweisen von Schülern zu sehr beachtet und durch unpassende Strafmaßnahmen stabilisiert. Das Wahrnehmen selbst geringster positiver Verhaltensäußerungen eines problematischen Jugendlichen und deren stetige Anerkennung wirken pädagogisch bestärkend und lösen Selbstvertrauen aus. Da Schüler nur über ein Umwelt-Feedback die Wirkung ihres Verhaltens einschätzen lernen, ist der Lehrer aufgefordert, sich bei angemessenem Schülerverhalten auf vielfältige Art und Weise bestätigend und ermutigend zu äußern. Die konsequente Zuwendung des Lehrers wirkt sich modifizierend auf das Schülerverhalten aus, was wiederum eine positive Verstärkung von Lehrerseite aus hervorruft. Ursache und Wirkung sind im Interaktionsprozess fließend.