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Institutionenspezifische Funktionen

Im Dokument Gesellschaft der Unterschiede (Seite 168-173)

Ziele, Genese und Funktionen

5.5.1 Institutionenspezifische Funktionen

5.5.1.1 Funktionen für die Bundesagentur für Arbeit

Für die Bundesagentur für Arbeit haben Maßnahmen Sozialer Aktivierung ins-besondere eine Clearing-Funktion, denn hier kann eruiert werden, ob Personen, die aktuell in der Arbeitsverwaltung betreut werden, wirklich erwerbsfähig sind oder in anderen Rechtsbereichen stehen müssten. Weiter ist insbesondere durch die Etablierung des Instruments Aktivcenter die sichtbare Möglichkeit gegeben, eine sehr arbeitsmarktferne Klientel zu aktivieren und die Beschäftigungsfähig-keit zu fördern, statt sie im, durch den Aktivierungsdiskurs negativ konnotierten, Passivleistungsbezug zu belassen. Über Maßnahmenketten oder zeitlich umfang-reichere Maßnahmen entstehe eine Perspektive auf eine Erwerbstätigkeitsauf-nahme für diese Klientel. Eine auch durch schrittweise und letztlich strikte Sank-tionen nicht erreichbare Zielgruppe kann durch Maßnahmen Sozialer Aktivie-rung erreicht und zur Maßnahmenteilnahme motiviert werden. Dabei wird spezi-ell arbeitsmarktfernen Jugendlichen in Maßnahmen, die Sport- und Kreativange-bote mit Bildungsanteilen kombinieren, eine besonders hohe Motivation und ei-ne höhere Erwerbsintegrationsquote zugeschrieben.

5.5.1.2 Funktionen für den SGB-II-Träger

Die Clearing-Funktion der Maßnahmen Sozialer Aktivierung ist ebenfalls für die SGB-II-Träger von Bedeutung: Denn Maßnahmenträger-Fachkräfte nehmen sich hier intensiv einer schwer erreichbaren Klientel an und klären, ob die

Maßnah-menteilnehmenden überhaupt dem Rechtskreis des SGB II zugehören oder ob sie eine Therapie, Rehabilitation oder Verrentung anstreben sollten. Damit scheiden sie oder langfristig aus der zu aktivierenden Klientel aus. Auch wenn kurz-fristig keine hohen Erwerbsintegrationen (im Sinne des Controlling) durch Maß-nahmen Sozialer Aktivierung erzielt werden, so wird doch eine Aktivierung über Kontaktaufnahmen erfasst sowie Kennzahlen für Maßnahmenabbrüche respekti-ve Absenzen respekti-vermindert. Darüber hinaus wird insbesondere von den Fachkräf-ten, die direkt mit den SGB-II-Leistungsempfangenden in Kontakt stehen, vor-gebracht, dass durch Maßnahmen Sozialer Aktivierung für eine sehr arbeits-marktferne Klientel das langfristige Ziel einer Erwerbstätigkeit erreichbar wird, indem die Beschäftigungsfähigkeit gefördert wird. Dafür sollten jedoch stärker an der arbeitsmarktfernen Klientel orientierte Organisationsstrukturen aufgebaut werden, wie beispielweise die Bündelung mehrerer Angebote um eine Zielgrup-pe unter dem Dach eines SGB-II-Trägers. In Regio06 können zum Beispiel von Wohnungslosen die Themen Wohnen, Betreuung, SGB-II-Leistungen und Wirt-schaftliche Hilfen (SGB XII) in einem Haus geklärt werden, da dort verschiede-ne Institutioverschiede-nen vertreten sind. Die durch die Wohnungslosigkeit schwer zu kon-taktierende Klientel kann so beim ersten Behördengang die weiteren Schritte der Leistungsbeantragung und Förderung gemeinsam erledigen. Wenn die zuständi-gen Behörden nicht in einem Haus versammelt sind, können Maßnahmen Sozia-ler Aktivierung vielfach die Funktion erfüllen, ein soziales Netzwerk um die Teilnehmenden aufzubauen und die Bearbeitung von Problemlagen zu beginnen.

So sollen häufig die Maßnahmenträger eine Vernetzung der sozialen und ge-sundheitlichen Integrationshilfen gewährleisten (Jobcenter, Gesundheits- und Ju-gendamt, Krankenversicherung, Schuldnerberatung etc.) und auf eine psychoso-ziale Stabilisierung der Maßnahmenteilnehmenden hinwirken. Häufig fungiert der Maßnahmenträger hier sogar nicht nur als Netzwerkelement, sondern als Mittler zwischen den Institutionen: Vorausgesetzt, es gelingt einem Maßnah-menträger Drittmittel einzuwerben, können Angebote, die nicht im Aufgabenbe-reich des SGB II liegen, jedoch die SGB-II-Klientel betreffen, mitfinanziert werden. Dies ermöglicht eine Kooperation von verschiedenen Institutionen rund um die arbeitsmarktferne SGB-II-Klientel, in der der Maßnahmenträger die Ko-operation organisiert und mitgestaltet. Die SGB-II-Träger selbst sind derzeit überwiegend nicht darauf ausgerichtet, solche Kooperationsstrukturen in Eigen-regie aufzubauen und vorzuhalten. Desgleichen ist es für die VertreterInnen der SGB-II-Träger deutlich schwieriger, eine Vertrauens- und Kommunikationsbasis herzustellen, als für die des Maßnahmenträgers. So nehmen Maßnahmenträger hier eine Mittlerrolle zwischen dem SGB-II-Träger und dem SGB-II-Leistungs-empfangenden ein.

»ARGE wird in erster Linie als Druck empfunden, ARGE ist diejenigen, die sagen, die machen mir Auflagen, da habe ich Druck, da muss ich das und das machen und mit der Haltung gehen natürlich auch die Klienten zur ARGE und wenn nicht nur dieses Fordern im Vordergrund stehen würde, sondern diese Förderkomponente auch spürbarer wäre, ich könnte mir schon vorstellen, aber das ist ein längerer Prozess. Also dieses Image wieder abzubauen ist sicherlich nicht einfach und das geht nicht in zwei Wochen.« (Leiterin eines Sozialpsychiatrischen Dienstes, Interview05Regio02)

So dienen Maßnahmen Sozialer Aktivierung auch der Herstellung einer Kommu-nikationsbasis für sensible Themen und für schwer erreichbare Gruppen im SGB-II-Träger. Damit kann zum Teil erst die arbeitsverwaltende Bearbeitung einer zuvor bei Vorladung nicht erschienen Klientel erreicht werden. Weiter füh-ren Maßnahmen Sozialer Aktivierung erweiterte Lernformen ein, etwa über sportliche Betätigung. Manche Maßnahmenträger machen die in Sporteinheiten erlernten sozialen und personalen Kompetenzen für einen Eintritt in das Er-werbsleben verantwortlich. Hier werden nicht nur auf körperlichen und geistigen Ebenen Lernziele gesetzt, sondern auch Frontalvorträge durch Lernen in Grup-penkonzepten und zum Teil aus der PeGruppe heraus ergänzt oder sogar er-setzt. Letztlich haben die Maßnahmen damit einen auf mentaler und körperlicher Ebene disziplinierenden Charakter. Daneben können Maßnahmen Sozialer Akti-vierung als Durchführung einer Gegenleistung für die SGB-II-Leistungen dienen, die im Aktivierungsdiskurs als notwendig hervorgehoben wird. Teilnehmende, die sich in solchen Maßnahmen im Sinne der Arbeitsverwaltung einbringen, können dann auch in der institutionsinternen Personenklassifikation aufsteigen.

Zudem verbinden viele Fachkräfte aus der täglichen Interaktion mit den sehr ar-beitsmarktfernen SGB-II-Leistungsbeziehenden auch ein Unterstützungsanlie-gen. Maßnahmen Sozialer Aktivierung sind dabei ein geeignetes Instrument, um Personen Unterstützungsangebote zu unterbreiten, die ihre Lebenssituation än-dern möchten, sich jedoch nicht selbst helfen können. Insofern sind Maßnahmen Sozialer Aktivierung auch sozialpolitisch als Chance für und Schnittstelle zu Personen zu sehen, die von anderen sozialstaatlichen Institutionen nicht erreicht werden. Durch die finanzielle Abhängigkeit kommen in die SGB-II-Träger auch Menschen, die Hilfe benötigen würden und zum Beispiel nicht freiwillig den So-zialpsychiatrischen Dienst aufsuchen:

»und zur ARGE kommen alle, also das ist so das, wo ich so denke, also im Grunde ge-nommen ist das die Stelle, die unheimlich viel mitkriegt, also die kriegen Klienten zu se-hen, die wir nie zu Gesicht bekommen, weil die zu uns nämlich gar nicht erst kommen,

weil die überhaupt nicht auf die Idee kommen, dass sie da vielleicht auch einmal hingehen sollten.« (Leiterin eines Sozialpsychiatrischen Dienstes, Interview05Regio02)

5.5.1.3 Funktionen für den Maßnahmenträger

Beschäftigungsförderungen dienen neben der Arbeitsmarkt- und Sozialintegra-tion häufig auch dem Erwerb von Eigenmitteln für die Maßnahmenträger (Sowa et al. 2012, Bode 2011). Maßnahmen Sozialer Aktivierung werden über eine große Bandbreite von Finanzierungsoptionen umgesetzt.60 Für Maßnahmenträger ist hier einerseits relevant, dass zusätzliche Mittelgeber zu den regionalen Job-centern hinzutreten können. Zum Beispiel geben der Europäische Sozialfond o-der das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Mittel aus dem Pakt 50plus.

Die Ausschreibungen unterschiedlicher Institutionen erhöhen die Bandbreite möglicher Maßnahmen, um die einzelne Maßnahmenträger konkurrieren. Dane-ben kann die Verbindung aus mehreren Drittmittelprojekten auch eine Vielfalt des Angebots herstellen, die für die SGB-II-Träger und ihre Klientel relevant ist.

Ein Beispiel wäre hier das sozialarbeiterische Rahmenprogramm der kurzfristi-gen Wohnungslosenunterkunft und der Bildungs- sowie Ferienreisen in dem christlichen Maßnahmenträger in Regio04, das nicht durch den Eingliederungsti-tel des SGB II oder sonstige Beschäftigungsförderungsprogramme finanziert werden könnte.61 Solche Angebote gehören nicht zu dem eigentlichen Portfolio des SGB II, sind jedoch für die Betreuung der sehr arbeitsmarktfernen Klientel relevant, da die Betreuungsleistung umfassender gestaltet werden kann. Wenn diese Angebotsvielfalt den Fachkräften des SGB-II-Trägers bekannt ist, wird ein solch vielseitiger Maßnahmenträger attraktiver, in der Vergabefrage weiterer Maßnahmen Sozialer Aktivierung. Auch die von Maßnahmenträger-Fachkräften diagnostizierte motivationssteigernde Wirkung für die Maßnahmenteilnehmen-den ist nicht unerheblich für Maßnahmenteilnehmen-den Maßnahmenträger, Maßnahmenteilnehmen-denn geringere Abbruch-quoten und mehr erfolgreich abgeschlossene Maßnahmenteilnahmen bringen ei-ne höhere Bewertung im Controlling. Darüber hinaus sind auch die interei-nen Verwaltungsabläufe entlastet, wenn die zugewiesenen Personen durchgehend an der Maßnahme teilnehmen. Hinzu tritt, dass einmal genutzte Ressourcen und Fachkräfte gerne weiter eingesetzt werden, um eine genügende Auslastung zu generieren. Ein Beispiel wären hier die Räumlichkeiten und Ressourcen für

60 Vergleiche Kapitel 5.2.3 Rechtliche Realisierungsform und lokale Umsetzungen der Maßnahmen Sozialer Aktivierung.

61 Vergleiche Kapitel 5.1.3 Fallbeispiel einer Maßnahme zum Heranführen an geordnete Familienstrukturen und –prozesse.

Sportangebote eines Bildungsträgers in Regio02,62 der im Rahmen der Beantra-gung weiterer Maßnahmen, die Elemente einer laufenden Maßnahme Sozialer Aktivierung mit einbezog, um diese weiter auszubauen respektive fortführen zu können. Auch führt der den Maßnahmen Sozialer Aktivierung inhärente Ansatz, hin zu einer mittel- bis langfristigen Perspektive bei der Erwerbsintegration da-zu, dass Maßnahmenträger so selbst langfristiger planen, Ressourcen nutzen und Personal beschäftigen können. Diese betriebswirtschaftlichen, aber teilweise auch sozialpädagogischen Effekte zeichnen sowohl Maßnahmen Sozialer Akti-vierung, als auch alle mittel- bis langfristigen Maßnahmen aus. Daneben kann die Aufnahme von Maßnahmen Sozialer Aktivierung in das Portfolio der Maß-nahmenträger eine Nischenposition bieten, in der sie Konkurrenzvorteile erwer-ben. Allerdings äußern Maßnahmenträger-Fachkräfte durchaus auch ein Interes-se, an der intensiveren Unterstützung einer arbeitsmarktfernen Klientel und einer Orientierung in diesen Maßnahmen an der Vermittlung von Grundkompetenzen, um Personen weiter zu fördern, die in anderen Maßnahmen bereits ausgeschie-den wären. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Maßnahmenträger aus bisweilen sehr unterschiedlichen Organisationskulturen entstanden. Variierende Organisa-tionskulturen, etwa von rein gewerblichen Bildungsträgern, kommunalen Maß-nahmenträgern oder MaßMaß-nahmenträgern in klassischen Sozialorganisationen fin-den sich nicht nur im organisationalen Selbstverständnis wieder. So bietet die Erhebung ein Bild, in dem sich zahlreiche Maßnahmenträger gezielt aus ihrem Selbstverständnis heraus den Maßnahmen Sozialer Aktivierung öffnen, um be-nachteiligte Personen unterstützen zu können. Bode betont die Verknüpfung der unterschiedlichen, ebenfalls in der vorliegenden Studie anzutreffenden, inneror-ganisationalen Motive: »Von ihrem Selbstverständnis her zielen die Projekte vie-ler Träger darauf ab, verschiedene Zwecke (ökonomische Betätigung, lokale Teilhabe, Engagement für das Gemeinwesen etc.) zu verknüpfen und dadurch auch die Sozialintegration der Maßnahmenteilnehmer zu fördern (vgl. Vomberg 2005; Bode et al. 2005).« (Bode 2011: 324)

Insgesamt zeigen sich für die Bundesagentur für Arbeit, die SGB-II-Träger und die Maßnahmenträger vielfältige Funktionen der Maßnahmen Sozialer Aktivie-rung auf institutioneller Ebene. Im Folgenden werden, über die Rekonstruktion der Typen der Aktivierung, die sozialen Funktionen aufgezeigt.

62 Vergleiche Kapitel 5.1.1 Fallbeispiel einer sozialarbeiterischen U25-Maßnahme in sozialem Brennpunkt.

Im Dokument Gesellschaft der Unterschiede (Seite 168-173)

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