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Fallbeispiel einer Maßnahme für Wohnungslose

Im Dokument Gesellschaft der Unterschiede (Seite 108-111)

Ziele, Genese und Funktionen

5.1 M ASSNAHMEN S OZIALER A KTIVIERUNG : E INE DEFINIERENDE D ARSTELLUNG

5.1.5 Fallbeispiel einer Maßnahme für Wohnungslose

Im Aktivcenter nach § 46 SGB III sollen Personen erreicht werden, die meist bei Bekannten, Verwandten oder in Notunterkünften gemeldet sind und Termine beim SGB-II-Träger nicht wahrnehmen. Eine Vermittlung in Arbeit, wie auch eine Verstetigung der Wohnsituation sind intendiert.

Für 50 Teilnehmende in drei Gruppen besteht eine offene Maßnahmen-struktur. Dabei verfügt der Maßnahmenträger über weitreichende Hand-lungsspielräume: Eine Vollzeitteilnahme der Wohnungslosen wird ange-strebt, ist jedoch nicht obligatorisch, um die sozial stark isolierte Klientel überhaupt zu erreichen. Insbesondere kreative Angebote sollen die At-traktivität des Maßnahmenbesuchs steigern. Die kreativen Nachmit-tagsangebote können nur bei Anwesenheit am Vormittag besucht werden.

In der Maßnahme werden an zwei Tagen Frühstückseinheiten, unter fachlicher Begleitung von SozialpädagogInnen, mit einem alltäglichen und lockeren Tagesthema angeboten, um das Gruppenkennlernen und ei-ne Vertrauensbasis zu den Angestellten des Maßnahmenträgers zu entwi-ckeln. Da die Teilnehmenden außerhalb der Maßnahme meist keine re-gelmäßigen Mahlzeiten einnehmen, erhält hier die angebotene Nahrung eine andere Qualität als dies in anderen Maßnahmen der Fall ist. Bei län-gerer Maßnahmenteilnahme werden an den Vormittagen Bildungseinhei-ten durchgeführt, etwa Qualifizierungen zu EDV und Bewerbungsverfah-ren. Insbesondere zu Maßnahmenbeginn sind die Hauptbestandteile ge-meinsames Kochen, gesunde Ernährung mit kleinem Budget, Sportein-heiten (etwa Fußball oder Nordic Walking) und Körperpflege. Sensible Themen wie Hygiene werden zunächst mit einem allgemeinen Vortrag vor der Gruppe eröffnet. Wo Bedarf besteht, finden individuelle Gesprä-che durch die SozialpädagogInnen statt. Auf Initiative von Maßnahmen-teilnehmenden erschien monatlich eine Teilnehmenden-Zeitung, in der Gedichte und kleine Artikel veröffentlicht wurden. Darüber hinaus gibt es die kreativen Nachmittagsangebote (zum Beispiel Malen, Collagen-Erstellen, Basteln in Serviettentechnik) sowie Theaterprojekte. Die sozia-len und kreativen Aspekte der Maßnahme werden vom Sozialpädagogen im Maßnahmenträger als »Das Sprungbrett ins Leben zurück« (Inter-view03Regio06) bezeichnet.

Die Klientel ist obdachlos beziehungsweise ohne festen Wohnsitz, jedoch in der Alters-, Geschlechts- und Bildungsstruktur heterogen: Die Spanne reicht von Teilnehmenden ohne Schulabschluss bis zu Personen mit abgebrochenem oder abgeschlossenem Studium. Suchterkrankungen kommen im Laufe der Maßnahme immer wieder zum Vorschein, wo-raufhin im Rahmen eines Einzelgespräches die Aufnahme einer Therapie angeregt und diese gegebenenfalls begleitend unterstützt wird, um dann nach dem Therapieabschluss die Maßnahme fortzusetzen. Die befragten Maßnahmenträgerbeschäftigten berichten durchgängig, dass viele Perso-nen »schwere Schicksalsschläge« erlebt haben und sich nur bedingt mit ihrer eigenen Lebenssituation auseinandersetzen können. Psychisch Labi-le seien ebenso vertreten wie Menschen, die sich für ihren Lebensstil be-wusst entschieden haben. Der Sozialpädagoge erklärt, dass Teilnehmende teils in stabile soziale Netzwerke einbezogen sind, es gebe jedoch auch Personen, die sich sozial abgrenzen. Dies sei vor dem Hintergrund der Lebensrealität sehr rational: »Es gibt Wohnheime, in denen Gewalt vor-herrscht.« (Sozialpädagoge, Interview03Regio06)

Die Maßnahme ziele darauf, Alltagsstrukturen herzustellen und die Personen mit sozialen Basis-Kompetenzen auszustatten, um eine spätere Arbeit mit ihnen in der Bezirkssozialhilfe beziehungsweise im Jobcenter überhaupt zu ermöglichen.

Wohnungslose sind insbesondere durch die fehlende Postadresse für Behörden schwer erreichbar. Darüber hinaus gibt es Personengruppen, die trotz der formal erfolgreichen Zustellung der Einladungen und sogar angesichts der höchsten Sanktionsstufe nicht zu den Terminen im SGB-II-Träger erscheinen. Um diese Personengruppe zu erreichen, wurden Maßnahmen mit aufsuchenden Diensten und rahmenden Angeboten geschaffen, die zur Maßnahmenteilnahme motivieren sollen (Theater-, Tanz- und Musikprojekte).9 Teilnehmende mit schwindenden sozialen Kontakten, Rückzugstendenzen bis hin zu sozialer Isolation werden vom SGB-II- und Maßnahmenträgerpersonal beschrieben, doch auch die Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung durch fehlende Erwerbstätigkeit und der Verdacht, sich in der Erwerbslosigkeit einzurichten, lässt sich den Beschreibun-gen entnehmen.

9 Ein Beispiel wäre die zunächst als Arbeitsgelegenheit, dann als Aktivcenter angebote-ne Maßnahme für unter 25-Jährige in Regio12 (Interview01Regio12).

In einigen Regionen reagiert das Fallmanagement der SGB-II-Träger im Verbund mit den Maßnahmenträgern auf Suchtkrankheiten, indem spezifische Maßnahmen geschaffen werden, etwa für Alkoholabhängige, bei denen eine Problemlagen-homogene Gruppe als Voraussetzung für eine funktionierende Maßnahme angesehen wird. Für Alkoholabhängige solle eine Maßnahme fol-gendermaßen beschaffen sein:

»Auch Institutionen, Einrichtungen zu haben, wo, wenn der morgens Angst hat, wo er morgens trinken muss, damit er sich wieder beruhigen kann, ruhig mal ne kleine Fahne haben kann. Das darf nicht zur ständigen Einrichtung werden, aber die Ängste zu nehmen.

Wenn einer jeden Tag trinkt, der kann gar nicht mehr ohne, der muss langsam sich wieder dran gewöhnen an das normale Leben.« (Fallmanager, Interview02Regio10)10

In einer Studie geben 53 Prozent der Grundsicherungsstellen an, dass Bedürfnis-se und Problemlagen von Menschen mit Suchttendenzen allgemein berücksich-tigt werden, jedoch keine gezielte Förderung in die für diese Personengruppe konzipierten Maßnahmen erfolgt (Henkel/Henke/Nägele/ Pagels/Wagner 2009:

118). Faktisch sind Suchterkrankte in der Gruppe der Arbeitslosen jedoch über-proportional häufig vertreten (Oschmiansky 2010).

Insgesamt zeigt sich, dass die aufgefundenen niederschwelligen Maßnahmen So-zialer Aktivierung vielgestaltig, innovativ und bislang kaum standardisiert sind.

Überdies entstehen die Maßnahmen meist nicht auf dem Wege der Standardin-strumente, sondern über diverse innovativ-kreative Realisierungswege. Daher werden im Folgenden die Genese und die rechtliche Realisierungsform der Maßnahmen Sozialer Aktivierung im Sample exploriert. Die Rekonstruktion der Entstehung bietet Aufschluss über die institutionellen und arbeitsmarktpoliti-schen Kontexte der niederschwelligen Maßnahmen.

10 Eine recht ähnliche Position vertritt eine Teamleiterin in Interview02Regio05: Auch ihr geht es vorerst nicht um vollkommene Abstinenz, sie vertritt die Vereinbarkeit von Sucht und Jobcenter- beziehungsweise Integrations-Erfordernissen.

Im Dokument Gesellschaft der Unterschiede (Seite 108-111)

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