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Implikationen für die Therapieplanung und die therapeutische

4. ERGEBNISSE

5.5 Implikationen für die Therapieplanung und die therapeutische

5.5 Implikationen für die Therapieplanung und die therapeutische Praxis

Aus den Antworten auf die Fragestellungen 1 und 4 lässt sich für die praktisch arbeitenden Therapeuten in Abhängigkeit von ihrem Tätigkeitsbereich (stationär psychosomatische Rehabilitation vs. ambulante Nachbehandlung) ableiten, mit welchen Veränderungswünschen von Patienten sie rechnen müssen. Je häufiger eine bestimmte Veränderungsabsicht vorkommt desto wichtiger ist es, dass der Therapeut in der Lage ist, Behandlungskonzepte einzusetzen, die sich beim Erreichen dieses Zieles bewährt haben. In diesem Sinne sollten sich zum Beispiel alle in der stationären psychosomatischen Rehabilitation arbeitenden Therapeuten hohe behandlerische Kompetenzen für die Vermittlung eines angemessenen Umgangs mit körperlichen Schmerzen aneignen. Für Therapeuten, die primär in der ambulanten Nachsorge tätig sind, wäre dagegen ein fundiertes theoretisches und praktisches Behandlungswissen für die Stärkung des Selbstwertes, Selbstbewusstseins und/oder Selbstvertrauens von Patienten von größerer Wichtigkeit.

Die Antworten auf Fragestellung 2 implizieren zum einen, dass bei bestimmten Diagnosen mit bestimmten Therapiezielen zu rechnen ist. Damit können sich Therapeuten mit der Vorinformation über die Diagnose eines Patienten auf die zu erwartenden Therapieziele einstellen. Ferner können störungsbezogene Manuale vom Vorliegen bestimmter Therapieziele ausgehen und Behandlungsstrategien vorschlagen, die sich auf die zu erwartenden Ziele beziehen. Zum anderen zeigt sich aber auch, dass die Therapieziele durch die Diagnose nicht vollständig festgelegt sind. Das bedeutet jedoch, dass die indicatio symptomatica immer um eine indicatio finalis zumindest ergänzt werden muss. Damit muss sich der einzelne Therapeut immer die Zeit nehmen, die Therapieziele sorgsam mit jedem Patienten neu zu erarbeiten und störungsspezifische Manuale sollten stets Raum lassen für mögliche Zielvariationen.

Dass das Ausmaß der Heterogenität der Therapieziele sich zwischen verschiedenen Störungsgruppen unterscheidet, muss ebenfalls bei der Entwicklung standardisierter Programme und störungsspezifischer Therapiemanuale berücksichtigt werden. So sollten standardisierte Programme zur Therapie von chronischen Schmerzpatienten stark auf das Ziel der Schmerzbewältigung oder Schmerzlinderung fokussieren, bzw.

für die Arbeit an einem anderen Ziel Methoden zur Motivierung des Patienten für dieses Ziel zur Verfügung stellen. Bei Angstpatienten sollte dagegen mehr Raum für andere Zielstellungen, die sich z.B. auf interpersonale oder körperbezogene Bereiche richten, zur Verfügung stehen. Im Bereich der depressiven Störungen wiederum muss der nochmals deutlich höheren Varianz der intendierten Veränderungsrichtungen durch explizit zieloffenere Behandlungen Rechnung getragen werden. Dies kann zum einen über die Fokussierung auf inhaltlich individuell auszugestaltende Konzepte wie: „zu lösende Probleme“ (Nezu, Nezu &

Perri 1989), „unüberbrückbar erscheinende Ist-Soll-Differenzen“ (Hyland 1987) oder

„Reduktion von Inkongruenz“ (Grawe 1998; Grosse Holtforth & Grawe in Druck) geschehen.

Störungsübergreifend ist zu fordern, dass die Programme Angaben darüber machen, ob bei der jeweiligen Störungsgruppe mit dem Vorhandensein typischer Patientenziele zu rechnen ist, um welche es sich dabei handelt, und mit welchen Maßnahmen diese Ziele bei dieser Störungsgruppe am ehesten erreicht werden können. In dem Maße, in dem sich die Zielerreichungsmaßnahmen nicht zwischen verschiedenen Störungsgruppen unterscheiden, kann ein störungsspezifisches

Manual an dieser Stelle auf standardisierte Programme verweisen, die speziell zu dem Zweck geschrieben wurden, ein bestimmtes Therapieziel zu erreichen. Im Gegensatz zu den psychischen Störungen stehen jedoch für eine Reihe von Therapiezielen, die beispielsweise depressive Patienten vergleichsweise häufig verfolgen und die sich zum Beispiel auf das Selbstbewusstsein, Probleme in Arbeit und Ausbildung oder Trauer und Verlust, bislang kaum standardisierte und sorgfältig empirisch evaluierte Manuale zur Verfügung (zur Trauer s. jedoch Znoi in Vorbereitung).

Im Rahmen der Diskussion über individualisierte vs. standardisierte Therapieplanung (vgl. z.B. Casper & Grawe 1996) sind die Ergebnisse darüber hinaus bei der Interpretation von Befunden zu berücksichtigen, denen zu Folge eine standardisiertes therapeutisches Vorgehen einem individualisierten überlegen war.

Die diesbezüglichen Studien von Schulte, Künzel, Pepping & Schulte-Bahrenberg (1991,1992) und Emmelkamp, Bouman & Blaauw (1994) untersuchten Patienten mit eng umschriebenen Angst- bzw. Zwangstörungen, ohne nennenswerte Belastungen durch Komorbiditäten, bei denen auch von relativ homogenen Zielstellungen ausgegangen werden kann. Bei solchen Patienten kann ein standardisiertes störungsbezogenes Vorgehen sehr gut mit den Anliegen der Patienten zusammen passen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein stark inhaltlich festgeschriebenes Vorgehen auch bei primär depressiven Patienten effektiver ist als ein individualisiertes Vorgehen, da letzteres eher kompatibel mit der stärkeren Heterogenität der Therapieziele dieser Patienten sein könnte.

Aus der Antwort auf Fragestellung 3 ergibt sich zum einen die Möglichkeit, aufgrund evtl. vorhandener Vorinformation über Alter, Gratifikationsbegehren, etc. auf das mögliche Therapieziel eines Patienten zu schließen. Weitaus bedeutsamer dürfte für die therapeutische Praxis jedoch die Information sein, dass mit bestimmten Zielen eine deutliche Beeinträchtigung der Motivation des Patienten einhergeht. Dies ist beispielsweise bei Zielen, die sich auf körperliche Beschwerden bzw. auf körperliche Schmerzen beziehen, der Fall. Dies steht mit Befunden im Einklang, denen zu Folge Patienten mit somatoformen Störungen ihre Beschwerden häufig auf somatische Ursachen zurückführen und sich folglich eine Besserung nur von somatischen Behandlungsmaßnahmen versprechen und für psychotherapeutische Maßnahmen wenig motiviert sind (s. z.B. Nübling 1992). Somit sollten in der stationären psychosomatischen Rehabilitation arbeitende Therapeuten v.a. bei Patienten, die

Ziele verfolgen, die sich auf körperliche oder psychosoziale Probleme beziehen, die Therapiemotivation sorgfältig prüfen und ggf. Maßnahmen ergreifen, um diese zu stärken. Sollte sich eine Stärkung der Motivation als nicht möglich erweisen, so wäre zu prüfen, ob nicht eine vorzeitige Beendung der Behandlung erwogen werden muss.

Wichtige Implikationen für die Praxis hat auch der Befund, dass Patienten mit Orientierungszielen zwar häufig Gratifikationsbegehren verfolgen, aber (trotzdem) hoch behandlungsmotiviert sind. Dies spricht dafür, dass Patienten trotz eines Gratifikationsbegehrens für die Behandlung motiviert werden können, wenn es gelingt, sie die Gestaltung ihrer (beruflichen) Zukunft wieder als eine offene Frage erleben zulassen, für die auch andere Lösungen in der Therapie erarbeitet werden können als (beispielsweise) das Erlangen einer vorzeitige Berentung.

Die Befunde zur Fragestellung 5 liefern eine empirische Grundlage für eine Prognose der potenziellen Erfolgsförderlichkeit von in Frage kommenden Therapiezielen. Diese kann der Therapeut nutzen, um im Prozess der Zielerarbeitung die Qualität möglicher Therapieziele im Hinblick auf mögliche Fortschritte bei den drei hier untersuchten Erfolgsdimensionen zu bewerten. Schlägt ein Patient beispielsweise das Ziel vor, sich in der Reha-Maßnahme „zu erholen“ in dem Glauben, dass sich seine „Angstsymptomatik schon wieder legen würde“, wenn er sich „nur ausgiebigst erholt“ habe, so könnte der Therapeut den Ergebnissen dieser Studie entnehmen, dass dieses Ziel nicht mit dem aus Remoralisierung, Remediation und Rehabilitation bestehenden Therapieerfolg zusammenhängt. Er müsste dann besonders kritisch prüfen, welche relevanten Veränderungen bei diesem Patienten durch eine ausgiebige Erholung erreicht werden können. Kommt er zu dem Schluss, dass auch im Einzelfall von einer geringen Therapieerfolgsförderlichkeit ausgegangen werden kann, kann er die Befunde dieser Arbeit (vgl. Tabelle 15) auch nutzen, um seine Skepsis diesem Ziel gegenüber transparent zu machen. So könnte er darauf verweisen, dass „es zwar von Fall zu Fall verschieden ist, die Erholung aber insgesamt wenig mit Veränderungen von Optimismus, Symptomatik und Rehabilitation zu tun hat“. So könnte der Patient dann `geleitet entdecken´, dass ein anderes Therapieziel für ihn insgesamt hilfreicher wäre. Wenn der Patient dennoch an Erholung als Ziel festhält, kann der Therapeut thematisieren, was im Umgang mit diesem Ziel zu beachten ist, damit es auch zu grundlegenden Veränderungen z.B. in Bezug auf die Symptomatik kommt, oder er könnte sich auf die Arbeit an diesem Ziel für eine festgelegte Zeitspanne einlassen und vorschlagen empirisch zu prüfen, ob

mit zunehmender Erholung auch eine Veränderung der Symptomatik einhergeht. Er kann im Rahmen der Zielfestlegung dann schon festhalten, dass das Ziel nach einer gewissen Zeit noch einmal neu auf seinen Nutzen hin überprüft wird.

Die Antworten auf Fragestellung 6 können eine wichtige Hilfestellung beim Erstellen einer validen Prognose für die Zielerreichung eines potenziellen Therapieziels darstellen. Die in Tabelle 17 wiedergegebenen zielspezifischen durchschnittlichen Zielerreichungen über alle Patienten können dabei als erster genereller Referenzpunkt für die auf ein bestimmtes konkretes Ziel bezogene Prognose fungieren. Die Vorhersagekraft der Prognose der Zielerreichung kann für den individuellen Fall dadurch weiter präzisiert werden, dass die Patientengruppe als Referenz herangezogen wird, die ähnliche Grade an Beeinträchtigungsschwere und Therapiemotivation aufweist. Bei einer ungünstigen Prognose für die Zielerreichung stellt sich die Frage, ob es Therapieziele mit besseren Prognosen gibt, für die der Patient ebenfalls motiviert ist. Ist dies nicht der Fall, ist zu prüfen, ob Möglichkeiten vorhanden sind, die Determinanten der Zielerreichung positiv zu beeinflussen, bzw.

ob andernfalls die Therapie vorzeitig beendet werden, bzw. gar nicht erst begonnen werden sollte. Finden sich für den Patienten wichtig erscheinende Therapieziele mit einer zumindest ausreichend guten Prognose, so sollte der Therapeut versuchen, den Patienten für eines dieser Ziele zu motivieren. Analog zum Vorgehen bei Zieländerungen, die durch eine mangelnde Erfolgsförderlichkeit indiziert sind, kann der Therapeut auch bei einer zweifelhaften Prognose der Zielerreichung seine Überlegungen transparent machen und dem Patienten die Daten aus Tabelle 17, die Grundlage seiner Skepsis sind, vorlegen. Er kann darauf hinweisen, dass das vorgeschlagene Ziel „im Schnitt über alle Patienten, die hier bislang daran gearbeitet haben, im Vergleich zu allen anderen Zielen relativ schlecht erreicht wurde.“ Der Therapeut könnte dann ggf. dazu motivieren, erst einmal mit einem ebenfalls wichtigen, aber leichter zu erreichenden Ziel anzufangen. Über den damit wahrscheinlicheren Anfangserfolg können Selbsteffizienz des Patienten und dessen Vertrauen in die therapeutische Beziehung gestärkt werden, so dass dann anschließend mit höherer Erfolgswahrscheinlichkeit die schwerer zu erreichenden Ziele bearbeitet werden können. Selbst wenn aus dem kritischen Zieldialog aufgrund unerschütterlicher Präferenzen des Patienten kein Zielwechsel resultiert, so kann dieser Dialog zumindest die Funktion übernehmen, sowohl den Patienten als auch den Therapeuten darauf vorzubereiten, dass es besonders schwierig sein wird,

dieses Ziel zu erreichen. Mit den die Schwierigkeit des Zieles beweisenden Daten in der Hand kann der Therapeut dann zum einen in besonders überzeugender Weise darauf dringen, dass die Ziele in konkrete, gut operationalisierte Teilziele unterteilt und die zielführenden Methoden ganz besonders sorgfältig geplant werden müssen.

Zum anderen kann er sich und den Patienten vor frühzeitigen Enttäuschungen und Motivationsproblemen schützen, bzw. leichter mit im Therapieprozess auftauchenden Problemen dieser Art umgehen, wenn vorher explizit gemacht wurde, dass die Arbeit hart und das Vorankommen schwierig sein wird.