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im schweizerischen Vorverfahren

Im Dokument Waffengleichheitim Vorverfahren (Seite 192-197)

A. E

INLEITUNG

Das Prinzip der Waffengleichheit strafprozessualer Ausprägung wird nach der Praxis des Bundesgerichtes neben Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Ziff. 1 IPBPR aus Art. 29 Abs. 1 BVsowie Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO abgeleitet.628 Ob das Prinzip der Waffengleichheit auf das Vorverfahren des schweizerischen Strafprozesses Anwendung findet, wird unterschiedlich beurteilt.

Geht man von einem strikt formellen Verständnis der «Waffengleichheit» im Sinne einer formalen Gleichheit der Rechtspositionen der beschuldigten Person und der Strafverfolgungsbehörden aus, besteht für die Anwendung des Prinzips im Vorverfahren kein Raum. In diesem Sinn und unter Hinweis auf die staatsanwaltlichen Möglichkeiten zur Anordnung von Zwangsmassnah-men lehnen SCHMID/JOSITSCH die Geltung des Waffengleichheitsprinzips für das Verfahrensstadium vor der Anklageerhebung ab.629 Auch in den Mate-rialien zum Vorentwurf der schweizerischen Strafprozessordnung findet sich der ausdrückliche Hinweis, dass das Prinzip der Waffengleichheit deshalb nicht in die StPO aufgenommen wurde, weil es sich im Vorverfahren nicht verwirklichen lasse.630

Angesichts der starken Stellung der Staatsanwaltschaft spricht sich die herr-schende Lehre für eine eingeschränkte Geltung des Waffengleichheitsprinzips im strafprozessualen Vorverfahren aus.631 Im Ergebnis gleich hält das Bun-desgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2003 fest, dass das Prinzip der Waf-fengleichheit für den gesamten Verfahrensablauf gelte, aber auf das Verfah-rensstadium vor Anklageerhebung nur bedingt Anwendung finde.632 Die

628 BGer, Urteil vom 21.03.2017, 6B_259/2016, E. 4.3.1; BGer, Urteil vom 29.08.2013, 6B_357/

2013, E. 1; BGE 139 I 121, E. 4.2.1 m.w.H. Vgl. zur früheren Rspr. BGE 106 IV 85, E. 2b/aa.

629 SCHMID/JOSITSCH, Handbuch, N 97: «Nicht möglich, ja gar nicht erstrebenswert ist eine Gleichstellung jedoch im Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren». Siehe auch SCHMID/ JOSITSCH, Praxiskommentar, Art. 3 N 5. So auch HAUSER, Landesbericht, 358: «Weder im Ermittlungsverfahren noch in der Untersuchung ist eine Waffengleichheit denkbar». Vgl.

auch BISCHOFF, 84; für das deutsche Strafverfahren, KOHLMANN, 319; SAFFERLING, Waffen-gleichheit, 183.

630 Siehe Begleitbericht-VE-StPO 2001, 33 (Fn. 14).

631 HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, § 56 N 18; StPO Kommentar-WOHLERS, Art. 3 N 24; K

AUF-MANN, 69; ZUBERBÜHLER, 91.

632 Einer uneingeschränkten Geltung stehe die Möglichkeit der Anordnung von Zwangsm-assnahmen der Staatsanwaltschaft entgegen, siehe BGer, Urteil vom 29.08.2003, 6P.79/

2003 und 6S.214/2003, E. 2.1 mit Hinweis auf BGE 119 Ia 316, E. 2b.

A. Einleitung

höchstrichterliche Praxis hat diesbezüglich eine Entwicklung durchgemacht, hatte das Bundesgericht doch die Anwendung des Prinzips der Waffen-gleichheit für das Vorverfahren im Jahr 1980 noch verneint.633Bis anhin wurde allerdings offengelassen, ob dem Waffengleichheitsprinzip im Strafverfahren ein formeller oder ein materieller Wesensgehalt zukommt.

Dadurch, dass die herrschende Lehre und die Rechtsprechung von einer eingeschränkten Anwendung des Waffengleichheitsprinzips im Vorverfahren ausgehen, besteht allerdings die Gefahr, dass die inhaltliche Tragweite des Prinzips unklar bleibt bzw. sein Schutzbereich mit bestimmten aus dem rechtlichen Gehör abgeleiteten Verteidigungsrechten gleichgesetzt wird.634 Hierbei wird im besonderen Mass das Recht auf einen anwaltlichen Bei-stand635und das Akteneinsichtsrecht hervorgehoben.636Im Schrifttum werden darüber hinaus die aktiven Mitwirkungsrechte der Verteidigung betont, sei dies in Bezug auf das Recht, selbständig Beweise zu erheben,637die wirksame Möglichkeit, Beweisanträge stellen zu können,638oder das Teilnahmerecht an der Beweiserhebung im Vorverfahren.639

Mit der Begründung, dass das Prinzip der Waffengleichheit gerade dazu diene, die starke Stellung der Staatsanwaltschaft im entscheidenden Beweisverfahren auszugleichen, gibt es im Schrifttum vereinzelt auch Meinungen, die sich für eine uneingeschränkte Geltung des Waffengleichheitsprinzips im Vorverfah-ren aussprechen.640 Angesichts der verfahrensbeherrschenden Stellung der

633 Selbst wenn es anders wäre, könnte das Prinzip der Waffengleichheit in der Untersu-chung nur bedingt angewendet werden, siehe BGE 106 IV 85, E. 2b/aa.

634 Vgl. etwa HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, § 56 N 19, die in diesem Zusammenhang auf die Teilnahme- und Mitwirkungsrechte im Sinne des rechtlichen Gehörs (Recht auf einen anwaltlichen Beistand, Akteneinsicht etc.) hinweisen. In ähnlicher Weise RUCKSTUHL/ DITTMANN/ARNOLD, N 173.

635 BGE 106 IV 85, E. 2b/aa; BGer, Urteil vom 01.07.2016, 1B_167/2016, E. 3.6. So auch PIETH, Strafprozessrecht, 58 f., 86.

636 Vgl. etwa ZUBERBÜHLER, 91 f.

637 DELNON/RÜDY, Beweisführung, 324 f.

638 StPO Kommentar-WOHLERS, Art. 3 N 24; GAEDE, 661.

639 Gem. Art. 147 StPO. CHRISTEN, Anwesenheitsrecht, 29; ZUBERBÜHLER, 91; NOLL, Teilnah-merecht, 31.

640 MOREILLON/PAREIN-REYMOND, Art. 3 N 18; SCHUBARTH, Artikel 5 und 6 der Konvention, 501;

MEYER, EMRK-Kommentar, Art. 6 N 115. Vgl. auch CHRISTEN, Anwesenheitsrecht, 28 f.;

CAVEGN, 43; im Zusammenhang mit dem Recht auf einen anwaltlichen Beistand, siehe BSK StPO II-WEHRENBERG/FRANK, Art. 429 N 14, zitiert in AGer BS, Urteil vom 23.05.2017, BES.2016.188, E. 3.3. Vgl. für das deutsche Strafverfahren AMBOS, 595 f.

Vierter Teil: Geltung der «Waffengleichheit» im schweizerischen Vorverfahren

Staatsanwaltschaft ist jedoch davon auszugehen, dass diese Autoren ihren Ausführungen kein formelles, sondern ein materielles, ausgleichendes Ver-ständnis des Waffengleichheitsprinzips zugrunde gelegt haben.641

Die Frage nach der Anwendbarkeit des Waffengleichheitsprinzips auf das Vorverfahren kann indes nicht losgelöst von der konkreten Ausgestaltung der Hauptverhandlung beantwortet werden.642 Es kommt somit entscheidend darauf an, wie ein Strafverfahren insgesamt konzipiert ist. Aus diesem Grund muss nochmals vertiefend auf die Strafverfahrenskonzeption des EGMR ein-gegangen werden (B.). Dieser ideellen Verfahrensgestaltung gilt es sodann die Konzeption des schweizerischen Strafverfahrens gegenüberzustellen (C.). Die daraus hervorgehenden Differenzen müssen dahingehend analysiert werden, welche Konsequenzen sich für die Geltung des Waffengleichheitsprinzips im schweizerischen Vorverfahren ergeben (D.). Weiter ist zu überprüfen, ob die gesetzliche Pflicht zur Objektivität der Staatsanwaltschaft der Geltung des Waffengleichheitsprinzips im Vorverfahren entgegensteht (E.). Die Erkennt-nisse werden sodann in den Schlussfolgerungen (F.) zusammengefasst und es wird diskutiert, wie den Erfordernissen des Waffengleichheitsprinzips bei ei-ner Vorverschiebung des eigentlichen Beweisverfahrens ins Vorverfahren in abstractoentsprochen werden könnte.

641 So ausdrücklich KOHLBACHER, 30: «Wenn wir die Forderung nach Waffengleichheit im materiellen Sinne verstehen […], so kann und muss sich ihr Geltungsbereich auf das ganze Strafverfahren unter Einbezug des Vorverfahrens erstrecken». Vgl. auch CHRISTEN, Anwesenheitsrecht, 29 mit Verweis; GRETER, 21; GAEDE, 660 f. Zum materiellen Ver-ständnis der «Waffengleichheit», siehe vorstehend, Dritter Teil, Kapitel B.II.

642 SUMMERS/STUDER, 50 mit Hinweis auf DUFF/FARMER/MARSHALL/TADROS,Trial on Trial 1, 11.

Insofern müssen das Vorverfahren und die Hauptverhandlung als Einheit betrachtet werden, vgl. EGMR vom 24.11.1993, Imbrioscia v. Schweiz,Nr. 13972/88, § 38; TRECHSEL, Verteidigungsrechte, 391: «Das Strafverfahren bildet über alle Stadien hinweg eine Ein-heit».

A. Einleitung

B. K

ONZEPTION DES

S

TRAFVERFAHRENS NACH DEM

I

DEAL

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