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I NSERTIONSREAKTIONEN IN DIE DIPOLARE W OLFRAM -E ISEN - -B INDUNG-BINDUNG

R EAKTIVITÄT EINER H ETEROZWEIKERN -V ERBINDUNG MIT LATENTEM M EHRFACHBINDUNGSCHARAKTER

4.1 I NSERTIONSREAKTIONEN IN DIE DIPOLARE W OLFRAM -E ISEN - -B INDUNG-BINDUNG

Wie D. RUNGE zeigen konnte, reagiert [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] I nahezu quantitativ in Benzol mit (CH3)2S(O)CH2.[58] Ein exaktes stöchiometrisches Arbeiten wird durch den Farbumschlag von Violett nach Gelb bei äquimolarer Zugabe an [CH2]-Übertragungsreagenz ermöglicht.

Die erhaltenen 1H- und 13C-NMR-Daten sowie die IR-Spektren der Verbindung stimmten mit der Charakterisierung von D. RUNGE überein, so daß Kristallisationsversuche von II im Anschluß der Synthese durchgeführt wurden. Anhand der Analysendaten konnte keine eindeutige Beschreibung der Bindungsverhältnisse gegeben werden. Formulierungen eines CH2-verbrückten Komplexes ohne Metall-Metall-Bindung mit ylidischem Charakter oder die Koordination der Carbeneinheit am Wolframfragment, in der das [Fe(CO)4]-Fragment als π-Akzeptor side-on koordiniert, wurden diskutiert.[58]

Abbildung 36: Mögliche Strukturisomere von [(Me3P)(tBuN)2W(CH2)Fe(CO)4] II.

4.1.1 MOLEKÜLSTRUKTUR VON [(Me3P)(tBuN)2W(CH2)Fe(CO)4] II IM KRISTALL

Aus einer gesättigten Lösung von [(Me3P)(tBuN)2W(CH2)Fe(CO)4] II in Acetonitril können bei -30°C geeignete Einkristalle der Verbindung in Form gelblicher Quader erhalten und eine Kristallstrukturanalyse angefertigt werden. Die Verbindung kristallisiert monoklin in der Raumgruppe P21/n (Nr.: 11) mit 4 Molekülen in der Elementarzelle.

Abbildung 37: Molekülstruktur von [(Me3P)(tBuN)2W(CH2)Fe(CO)4] II im Kristall.

Der Komplex II ist die erste kristallographisch untersuchte Verbindung, die eine carbenverbrückte Einfachbindung zwischen einem Wolfram-Fragment und einer [Fe(CO)4 ]-Einheit enthält.

Das Wolframatom ist verzerrt quadratisch pyramidal von seinem Ligandenregime umgeben.

Dabei bilden die [CH2]- und [Fe(CO)4]-Einheit sowie der PMe3-Ligand und die tert.-Butylimidofunktion {N(2)C(CH3)3} die quadratische Grundfläche des Koordinations-polyeders, in apicaler Position befindet sich der zweite Imidoligand {N(1)C(CH3)3}. Das Eisenatom ist hingegen verzerrt trigonal bipyramidal von den 4 Carbonylliganden und dem Wolfram-Fragment umgeben.

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Abbildung 38: Molekülstruktur von [(Me3P)(tBuN)2W(CH2)Fe(CO)4] II im Kristall- Blick entlang der Wolfram-Eisen-Bindung (Carbonylliganden werden aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht gezeigt).

Das Kohlenstoffatom C(16), das Eisen- als auch das Phosphoratom liegen mit dem Wolframatom in einer Ebene. Wie in Abbildung 38 gezeigt ist, halbiert diese Ebene den Öffnungswinkel der beiden Imidoliganden N(1)-W-N(2). Ähnliche Anordnungen wurden auch in Alkinkomplexen gefunden (Abbildung 39).[46] An Stelle des Alkins muß sich dementsprechend der η2-koordinierte Carbenkomplex [CH2=Fe(CO)4] gedacht werden.

Mo

N(1)

N(2) P

C(1) C(2)

C(3)

C(4) C(5)

C(6)

Abbildung 39: Molekülstruktur von [(MesN)2Mo(PMe3)(PhCCPh)] im Kristall.[46]

Tabelle 42a: Ausgewählte Bindungslängen [pm] von II.

W-Fe 275.5(1) W-C(16) 209.0(6)

W-N(1) 176.1(5) Fe-C(16) 209.6(6)

W-N(2) 175.5(5) W-P 251.1(2)

P-C(9) 181.1(7) N(1)-W-Fe 120.39(17)

P-C(10) 181.7(7) N(2)-W-Fe 119.5(3)

P-C(11) 180.4(7)

Tabelle 42b: Ausgewählte Bindungslängen [pm] der [Fe(CO)4]-Einheit von II.

Fe-C(12) 178.8(8) C(12)-O(1) 115.1(8)

Fe-C(13) 179.9(7) C(13)-O(2) 114.6(8)

Fe-C(14) 179.7(7) C(14)-O(3) 114.3(8)

Fe-C(15) 178.4(7) C(15)-O(4) 115.6(8)

Tabelle 43a: Ausgewählte Bindungswinkel [°] von II.

N(1)-W-C(16) 104.1(2) P-W-N(1) 97.89(17)

N(2)-W-C(16) 104.5(3) P-W-N(2) 95.92(17)

N(1)-W-N(2) 118.6(2) P-W-C(16) 137.43(17)

W-N(1)-C(1) 169.6(5) P-W-Fe 88.49(4)

W-N(2)-C(5) 167.8(4) W-C(16)-Fe 82.3(2)

Fe-W-C(16) 48.97(14) C(16)-Fe-W 48.75(17)

Tabelle 43b: Ausgewählte Bindungswinkel [°] der [Fe(CO)4]-Einheit in II.

W-Fe-C(12) 128.6(2) Fe-C(12)-O(1) 178.3(7)

W-Fe-C(13) 79.5(2) Fe-C(13)-O(2) 175.0(6)

W-Fe-C(14) 77.5(4) Fe-C(14)-O(3) 175.0(6)

W-Fe-C(15) 129.1(2) Fe-C(15)-O(4) 177.6(6)

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Der Wolfram-Eisen-Abstand W-Fe = 275.5(1) pm in II ist deutlich gegenüber der Ausgangsverbindung II mit W-Fe = 262.20(13) pm verlängert.

Das gilt auch für den Vergleich mit einer verbrückten Struktur wie in [Cp(tBuN)W (µ-NHtBu)(µ-CO)Fe(CO)Cp]OTf, die eine W-Fe-Einfachbindung von 263.6(3) pm aufweist.[58] In der folgenden Abbildung und Tabelle sind einige literaturbekannte Wolfram-Eisen-Komplexe der Struktureinheit [W]-(µ-CR2)-[Fe] mit Bindungslängen und Bindungswinkeln aufgeführt.

Abbildung 40: Literaturbekannte Beispielkomplexe mit ausgewählten Bindungslängen [pm].

Tabelle 44: Ausgewählte Bindungswinkel [°] der Komplexe A - D.

Komplex Bindungswinkel [°]

W-C-Fe C-Fe-W Fe-W-C

II 82.3(2) 48.75(17) 48.97(14)

A [180] Fe(1): 87.3(2) Fe(2): 83.7(2)

48.2(1) 49.0(1)

44.5(1) 47.2(1)

B [181] 81.6(1) 49.9(1) 48.5(1)

C [182] 85.3(3) 50.6 44.2

D [180] W(1), C(1): 83.7(2) W(1); C(2): 78.6(2)

W(2), C(1): -W(2); C(2): 79.6(2)

47.9(2) 55.3(2) 57.3(2) 54.2(2)

48.3(1) 46.2(1)

-46.1(1)

(Werte ohne Standardabweichungen wurden nicht in der Literatur aufgeführt und sind der CSD entnommen.)

Der Wolfram-Eisen-Abstand in II liegt im Bereich einer Einfachbindung (260- 281 pm).

Somit kann eine W-Fe-Bindung für Komplex II angenommen werden.

Insbesondere die Innenwinkel der Dreieckseinheit [W(CH2)Fe] stimmen mit den Bindungswinkeln der in der Literatur beschriebenen Komplexbeispiele gut überein und unterstützen somit die in Abbildung 36 formulierte Struktur IIa. Die Betrachtung als Strukturisomer, in dem ein Carbenkomplex [CH2Fe(CO)4] eine side-on π-Koordination zum Wolframfragment ausbildet (Strukturisomer IIc), wird durch die Fe-C-Bindungslänge von 209.6(6) pm entkräftet. Solche Fe-CCarben-Doppelbindungsabstände, wie beispielsweise im Komplex [Tp*W(CO)2(µ-η2-C-Tol)Fe(CO)3] mit Fe-C = 182.6(6) pm, liegen im Bereich von 180-190 pm. Strukturvorschlag IIb ist ebenfalls auszuschließen, da die W-C-Bindung mit 209.0(6) pm zu lang ist. Ein W-CCarben-Abstand in einem durchaus vergleichbaren Wolframkomplex [(Me3P)2W(=CHtBu)Cl2(CO)] liegt bei 185.9 pm.[183]

Die Abstände W-N(1) = 176.1(5) pm und W-N(2) = 175.5(5) pm sowie die zugehörigen Bindungswinkel W-N(1)-C(1) mit 169.6(5)° und W-N(2)-C(5) mit 167.8(4)° sind im typischen Bereich der W-N-Dreifachbindung eines Imidoliganden, der als 6-Elektronendonor fungiert.[10]

Die Winkel an den C-Atomen der vier CO-Gruppen (175.0(6)°-178.3(7)°) sind nahezu 180°. Somit besitzen die Fe-C-O-Achsen eine hohe Linearität und sprechen gegen einen semi-verbrückenden Charakter der beiden axialen Liganden, denn eine Brückenposition sollte zu einer größeren Abwinkelung dieser Substituenten führen. Die axial koordinierenden Carbonylgruppen C(13)-O(2) und C(14)-O(3) schließen zum Wolfram-Atom einen Winkel von 157° ein. Unter Einbeziehung der Atomabstände W...C(13) und W...C(14) mit 304.0(2) pm und 294.1(2) pm kann der „ Asymmetrie-Parameter α“[184] bestimmt werden. α ist der Quotient aus (d2-d1)/d1, der mit Werten zwischen 0.1< α < 0.6 für eine semi-verbrückende Struktur der Carbonylliganden spricht. Die Werte von αC(13) = 0.69 und αC(14) = 0.64 unterstreichen die Formulierung der CO-Liganden als terminal koordinierende Gruppen. Die IR-Daten untermauern diesen Befund.

Mechanistische Überlegungen legen zur Bildung des Produktes ein vorgelagertes Gleichgewicht unter Abspaltung von PMe3 im ersten Schritt nahe. Dies ist aus der Carbonylchemie hinreichend bekannt. Unter Abspaltung von CO wird die Reaktivität gesteigert, so daß Chalkogenatome insertieren können.[185] Somit wird eine echte Doppelbindung zwischen beiden Metallzentren ausgebildet. Im zweiten Schritt greift das Schwefelylid über den nucleophilen Kohlenstoff am Wolframatom an. Der konzertierte Angriff des Elektronenpaares der W-Fe-Bindung an der CH -Gruppe unter Abspaltung von

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Me2S(O) im Sinne einer SN2-Reaktion ist weniger wahrscheinlich. Es sind sowohl die positive Ladung am Schwefelatom als auch die negative Ladung am Eisenfragment stabilisiert. Somit erscheint die Formulierung einer ionischen Zwischenstufe plausibel. Im folgenden Schema sind Überlegungen zum Mechanismus wiedergegeben:

Schema 20: Mechanistische Überlegungen zur Reaktion von [(Me3P)(tBuN)2W (CH2)Fe(CO)4] II mit CH2S(O)(CH3)2.

Die interessante Struktur der methylenverbrückten Wolfram-Eisen-Verbindung machte auf eine kristallographische Untersuchung der chalkogenverbrückten heterodinuclearen Komplexe neugierig. Exemplarisch wurde die Umsetzung von [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] I mit rotem Selen in Benzol nachvollzogen. Das erhaltene Reaktionsprodukt konnte unter den genannten Reaktionsbedingungen ebenfalls quantitativ erhalten werden.

Die NMR-spektroskopischen Daten sowie die IR-Spektren stimmten mit der Charakterisierung der Verbindung [(Me3P)(tBuN)2W(Se)Fe(CO)4] III überein, so daß auf massenspektroskopische Untersuchungen sowie CHN-Analyse verzichtet wurde und im Anschluß der Darstellung Kristallisationsversuche des orange-farbenen Pulvers durchgeführt wurden.

4.1.2 MOLEKÜLSTRUKTUR VON [(Me3P)(tBuN)2W(Se)Fe(CO)4] III IM KRISTALL

Aus einer gesättigten Lösung von [(Me3P)(tBuN)2W(Se)Fe(CO)4] III in Acetonitril konnten bei -30°C geeignete Einkristalle der Verbindung in Form orangefarbener Dreiecke erhalten und eine Kristallstrukturanalyse angefertigt werden. Die Verbindung kristallisiert tetragonal in der Raumgruppe I4/m (Nr.: 87) mit 8 Molekülen in der Elementarzelle. In jeder asymmetrischen Einheit ist ein Molekül des Lösungsmittels Acetonitril eingeschlossen.

Abbildung 41: Molekülstruktur von [(Me3P)(tBuN)2W(Se)Fe(CO)4] III im Kristall.

Das Molekül besitzt kristallographisch bedingt CS-Symmetrie. Dabei befinden sich die Atome C(8), Fe, Se, W und P auf speziellen Lagen. Die Spiegelebene verläuft durch die Atome P-W-Se-Fe-C(8). Im Gegensatz zu Verbindung III ist in diesem Komplex das Wolframatom verzerrt trigonal bipyramidal von den beiden Imidoliganden, der PMe3-Gruppe, dem Selen und dem Eisen-Fragment umgeben. Das Eisenatom ist verzerrt oktaedrisch von seinen 4 Carbonyl-Liganden, dem Selen und der Wolfram-Komplexeinheit koordiniert. Die Atome W, P, Se und Fe liegen in einer Ebene, die den Öffnungswinkel der Imidoliganden parallel zur Spiegelebene des Komplexes exakt halbiert. Folgende Abbildung verdeutlicht die Koordination der Liganden in III.

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Abbildung 42: Molekülstruktur von [(Me3P)(tBuN)2W(Se)Fe(CO)4] III im Kristall - Blick entlang der W-Se-Achse (Carbonylliganden werden aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht gezeigt).

Tabelle 45a: Ausgewählte Bindungslängen [pm] von III.

W-Fe 270.2(1) W-P 245.9(2)

W-N(1) 174.5(6) P-C(5) 181.7(7)

W-N(1a) 174.5(6) P-C(5a) 181.7(7)

W-Se 252.4(1) P-C(6) 181.4(14)

Fe-Se 243.7(1)

Tabelle 45b: Ausgewählte Bindungslängen [pm] der [Fe(CO)4]-Einheit in III.

Fe-C(7) 179.7(7) C(7)-O(1) 113.4(9)

Fe-C(7a) 179.7(7) C(7a)-O(1a) 113.4(9)

Fe-C(8) 179.8(11) C(8)-O(2) 114.6(13)

Fe-C(9) 175.7(10) C(9)-O(3) 114.4(12)

Tabelle 46a: Ausgewählte Bindungswinkel [°] von III.

Se-W-Fe 55.46(3) W-Fe-Se 58.54(3)

W-Se-Fe 65.99(4) P-W-N(1) 96.79(16)

W-N(1)-Se 122.29(2) P-W-N(1a) 96.79(16)

W-N(1a)-Se 122.29(4) P-W-Se 82.81(6)

N(1)-W-N(1a) 115.1(4) P-W-Fe 138.27(6)

W-N(1)-C(1) 166.9(5)

W-N(1a)-C(1a) 166.9(5)

Tabelle 46b: Ausgewählte Bindungswinkel [°] der [Fe(CO)4]-Einheit in III.

W-Fe-C(7) 83.8(2) Fe-C(7)-O(1) 177.3(7)

W-Fe-C(7a) 83.8(2) Fe-C(7a)-O(1a) 177.3(7)

W-Fe-C(8) 163.9(4) Fe-C(8)-O(2) 178.2(12)

W-Fe-C(9) 90.9(3) Fe-C(9)-O(3) 179.3(11)

Der W-Fe-Abstand ist mit 270.2(1) pm im Vergleich zu Verbindung I um rund 5 pm verkürzt, befindet sich aber im typischen Bereich einer Wolfram-Eisen-Einfachbindung. Im Vergleich zu den in der Literatur bekannten Abständen selenverbrückter Wolfram-Eisen-Zweikernverbindungen ist er jedoch stark verkürzt. Abbildung 43 zeigt vergleichbare Komplexe und zugehörige Bindunglängen.

Die Bindungswinkel um beide Zentralatome sind mit 55.46(3)° und 58.54(3)° aufgeweitet gegenüber den entsprechenden Innenwinkeln der Dreiecksanordnung, die bei der methylen-verbrückten Verbindung angetroffen werden. Der Bindungswinkel am Selen ist dementsprechend mit 65.99(4)° stark verringert. Die beiden freien Elektronenpaare am Selen bewirken einen derartigen strukturellen Unterschied. In Tabelle 47 sind 4 Beispielkomplexe (E-H) aufgeführt, die strukturelle Analogien zu Komplex III zeigen.

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Abbildung 43: Literaturbekannte Beispielkomplexe E[186], F[187], G[188] und H[189] mit ausgewählten Bindungslängen [pm].

Tabelle 47: Ausgewählte Bindungswinkel [°] der Komplexe E - H.

Komplex Bindungswinkel [°]

W-Se-Fe Se-Fe-W Fe-W-Se

III 65.99(4) 58.54(3) 55.46(3)

E [186] Se(1): 70.3(1) Se(2): 70.4(1)

59.2(1) 59.0(1)

50.4(1) 50.6(1)

F [187] W(1): 71.33

W(2): 71.54

56.99 57.11

51.35 51.35

G [188] Fe(1): 70.36

Fe(2): 73.70

57.53 55.77

52.11 50.54 H [189] Se(1); Fe(1): 70.00

Se(2); Fe(1): 70.12 Se(1); Fe(2): 69.32 Se(2); Fe(2): 69.20

57.94 58.09 58.40 52.42

52.0(0) 51.8(0) 52.3(0) 52.4(0)

(Werte ohne Standardabweichungen wurden nicht in der Literatur aufgeführt und sind der CSD entnommen.)

Die Wolfram-Imidostickstoff-Abstände von W-N = 174.5(6) pm sind mit denen bekannter

166.9(4)° etwas von der Linearität ab. Der Bindungswinkel steht aber in keiner direkten Korrelation zur elektronischen Wirkung des Liganden.[96]

Die P-W-Bindung ist mit 245.9(2) pm wie übrigens alle Bindungen des Komplexes im Vergleich zur carbenverbrückten Heterozweikern-Verbindung (251.1(2) pm) um ca. 5 pm verkürzt. Das Selenatom besitzt eine nicht so ausgeprägte Donorfunktion wie die CH2-Gruppe in Verbindung II, so daß alle anderen σ,π-donierenden Liganden stärker zur Absättigung des Wolframzentrums herangezogen werden.

Die vier CO-Gruppen am Eisenmetallzentrum sind von einer hohen Linearität geprägt. Mit Winkeln von Fe-C-O = 177.3(7)°, 178.2(12)° und 179.3(11)° ist eine semiverbrückende Wirkung der Liganden ausgeschlossen. Die IR-Daten unterstreichen die terminale Koordination der Carbonylliganden.

Neben der Aufklärung der Bindungssituation in den von D. RUNGE beschriebenen Komplexen II und III war Interesse an der Darstellung weiterer Insertionsprodukte vorhanden.

Im Bestreben, einen weiteren carbenverbrückten Heterozweikernkomplex zu erhalten, wurde [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] mit (Me3Sn)2CN2 in Toluol bei -78°C umgesetzt. Dabei konnte keine selektive Reaktion zu [(Me3P)2(tBuN)2W{C(SnMe3)2}Fe(CO)4] beobachtet werden.

Im 1H-NMR-Spektrum des Reaktionsproduktes wurde eine Me3Sn-Gruppe bei δ = 0.12 ppm und ein Dublett bei δ = 1.21 ppm detektiert, das auf eine phosphorhaltige Verbindung schließen läßt. Versuche zur Kristallisation des rot-gelben Feststoffs aus Hexan führten zur Zersetzung der Probe. Wahrscheinlich ist die Darstellung des gewünschten Produktes wegen des sterischen Anspruchs der {C(SnMe3)2}-Einheit nicht möglich.

Die Umsetzung von [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] mit dem Ketenylidenphosphoran (Ph3PCCO) führte ebenfalls nicht zu der erhofften verbrückten Verbindung [(Me3P)(tBuN)2W(CPPh3)Fe(CO)4]. Die Trennung des Reaktionsgemisches durch Kristalli-sation und die Charakterisierung der entstandenen Produkte war nicht möglich.

In der Literatur wurde jüngst über die erfolgreiche Synthese von Komplexen mit zweiwertigen Zinn- und Bleiverbindungen in verbrückender Koordination zwischen zwei Metallzentren, die über eine Einfachbindung verknüpft sind, berichtet.[190] Die analoge Insertion einer (SnR2 )-Gruppe in die Wolfram-Eisen-Ylidbindung sollte durchaus möglich sein. Wird [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] II in Toluol bei -78°C mit SnCl2 umgesetzt, so kann bei langsamen Erwärmen der Lösung eine Farbänderung von Violett nach Rot beobachtet werden.

Der ölige Rückstand, der nach vollständigem Entfernen des Lösungsmittels erhalten wird, läßt auf die Bildung von [(Me3P)2(tBuN)2W(SnCl2)Fe(CO)4] schließen.

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Im 1H-NMR-Spektrum des roten Rückstandes wird ein Singulett bei δ = 1.43 ppm für eine tert.-Butylgruppe und ein breites Triplett bei δ = 1.80 ppm, das den PMe3-Liganden zugeordnet werden kann, beobachtet. Beide Protonensignale sind entsprechend der Integration der Resonanzsignale im Verhältnis 1 : 1 vorhanden. Wahrscheinlich findet keine Abspaltung des PMe3-Liganden statt. Ein denkbares Reaktionsprodukt ist in der folgenden Gleichung dargestellt:

Die relativ schlechte Löslichkeit des Feststoffes läßt eine ylidische Struktur des Komplexes vermuten. Wird die Probe 24 h in CDCl3 bei RT aufbewahrt, werden Folgereaktionen beobachtet. Die 1H-, 13C- und 31P-NMR-Daten deuten auf die Bildung des bekannten Komplexes [(tBuN)2W(PMe3)Cl2] hin. Die Hauptsignale der Verbindung erscheinen im

1H-NMR-Spektrum als Singulett bei δ = 1.43 ppm für den NtBu-Liganden und als breites Quintett bei δ = 1.78 ppm für die PMe3-Gruppe, die mit dem zweiten 31P-Kern und dem Sn-Kern koppelt. Das 31P-NMR-Spektrum (δ = 5.49 ppm) sowie das 119Sn-NMR-Spektrum (δ = 157.82 ppm) untermauern die Bildung von [(Me3P)2(tBuN)2W(SnCl2)Fe(CO)4].

Schwingungsbanden bei ν∼ = 2052, 2039, 2000 und 1933 cm-1 unterstreichen die Bildung einer Carbonylverbindung. Bei dem Versuch, den öligen Rückstand in CHCl3 zu kristallisieren, werden jedoch ausschließlich Zersetzungsprodukte spektroskopiert.

Zur Synthese von Komplexen des Typs [(Me3P)(tBuN)2W(NR)Fe(CO)4] erschienen die Umsetzungen von [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] I mit Organyl- und Elementaziden erfolgversprechend. Wie bereits erwähnt, dienen Azide häufig als Nitrentransfer-Reagenzien.[84,191] Die Verbindung [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] reagiert weder mit Heteroatom- noch Organyl-substituierten Aziden selektiv zu den gewünschten Verbindungen.

In allen Fällen wird während des Erwärmens von -78°C auf RT eine Dunkelfärbung der Lösung beobachtet und nach Abziehen des Lösungsmittels Toluol ein Produktgemisch mit paramagnetischen Anteil erhalten. Die Verwendung von Isocyanaten, die nach Abspaltung von CO eine Nitreneinheit [NR] freisetzen können, führte ebenfalls nicht zu den gewünschten

Weiterhin wurde die Reaktivität von I gegenüber N2O und PhI=NTos untersucht. Eine denkbare Insertion von O und NTos in die W-Fe-Bindung unter Bildung von [(Me3P)(tBuN)2W(µ-E)Fe(CO)4] (E = O, Tos) und Abspaltung von N2 bzw. PhI wurde nicht beobachtet. D. RUNGE versuchte die Synthese von [(Me3P)(tBuN)2W(µ-O)Fe(CO)4] durch die Umsetzung von [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] mit Reagenzien wie PyNO oder Iodosylbenzol (PhIO), die jedoch in beiden Fällen mißlangen.[58] Die beobachteten Zersetzungsreaktionen sind wahrscheinlich auf die hohe Oxophilie des Phosphors zurückzuführen. Der NTos-verbrückte Zweikernkomplex [(Me3P)(tBuN)2W (µ-NTos)Fe(CO)4] wurde ebenfalls nicht isoliert, sondern nur ein Produktgemisch mit paramagnetischem Anteil erhalten.

In den folgenden Reaktionen von [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] mit H2, I2 und RS-SR (R = tBu, Ph) sollten Komplexe mit unterschiedlich verbrückendem Liganden dargestellt werden.

Keine dieser Umsetzungen führte zur Bildung der gewünschten Produkte. Anhand der

1H-, 13C- und 31P-NMR-Spektren und IR-Daten kann nur die Bildung von nicht näher charakterisierten Phosphan-Carbonyl-Komplexen angenommen werden. Massenspektroskopie und CHN-Analyse geben keinen genaueren Aufschluß über die Zusammensetzung der

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Produkte. Die Umsetzungen mit RS-SR (R = tBu, Ph) führen zu Produkten mit hohem paramagnetischen Anteil.

In der Hoffnung, eine Cycloaddition an die Wolfram-Eisen-Doppelbindung zu beobachten, wurde in eine benzolische Lösung von [(Me3P)2(tBuN)2WFe(CO)4] Acetylen eingeleitet, was zur sofortigen Dunkelfärbung des Reaktionsgemisches und zur vollständigen Zersetzung des Edukts führte.