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1 Hybride Gesellschaften 1.1 Beispiel autonomes Fahren

Im Dokument VAR² 2019 – Realität erweitern (Seite 109-112)

In ersten Pilotprojekten wird derzeit autonomes Fahren im Stadtverkehr erprobt. Die Hochbahn Hamburg möchte ab 2020 einen fahrerlosen Bus testweise zwischen wenigen Haltestellen in der Hafencity betreiben, der zur Sicherheit und für autonom durch die Fahrzeugtechnologie nicht zu lösende Situationen einen Fahrer an Bord hat1. Wirklich fahrerlos sind autonome Transportfahrzeuge. Weit verbreitet sind diese autonomen Transportfahrzeuge im industriellen Einsatz, meist zum Material-transport. Dabei sind die Transportfahrzeuge jedoch überwiegend an feste Wege gebunden (bspw. mittels Induktionsschleifen). Anders bei dem im Projekt FollowMe2 entwickelten Fahrerlosen Transportsystem welches im Folgemodus dem Kommis-sioniermitarbeiter frei folgen kann und mit ihm mittels Display am Fahrzeug und

1 URL: www.hochbahn.de/hochbahn/hamburg/de/Home/Naechster_Halt/Ausbau_und_Projekte/

projekt_heat [15.11.2019]

2 FOLLOWme, im Rahmen der Allianz 3Dsensation durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Verbundprojekt

SmartWatch interagiert. Neben dem Einsatz in industriellen Umgebungen sind die autonomen Transportfahrzeuge auch in öffentlichen Gebäuden wie Krankenhäu-sern im Einsatz und treten hier jedoch in Interaktion mit nicht besonders ausgebil-deten oder instruierten Menschen.

Bild 1: Verschiedene Arten autonomer Fahrzeuge; links: Bus aus dem Projekt HEAT der Hamburger Hochbahn3, rechts: Fahrerloses Transportfahrzeug aus dem Projekt FOLLOWme

Autonome Fahrzeuge im Straßenverkehr verfolgen Ziele, halten sich an Regeln, nehmen Rechte wahr und treffen Entscheidungen. Mischverkehr aus autonomen Fahrzeugen, aus von Menschen gesteuerten Fahrzeugen und Fußgängern ist ein Beispielszenario einer hybriden Gesellschaft [1, 2], in dem die technischen Agenten und die natürlichen, biologischen, menschlichen Agenten gut auseinanderzuhalten wären. Hier das autonome Fahrzeug, dort menschliche Verkehrsteilnehmer mit und ohne Fahrzeug. So sauber ist die Trennung allerdings nicht, denn schon im Verhal-ten der einzelnen Verkehrsteilnehmer können technische Systeme und natürliche Agenten zusammenwirken. Menschliche Fahrer können die Regelung von Ge-schwindigkeit und Abstand zeitweise an Assistenzsysteme abgeben. Assistenzsys-teme unterstützen zudem beim Spurhalten und dem Erkennen von Gefahren, bei Navigationsentscheidungen und mit augmentierten Kamerabildern beim Lenken in Parkvorgängen.

Die autonomen Busse in der Hafencity Hamburg sind auch kein rein technisches System. Die Sicherheitsfahrer der autonomen Busse wirken als überwachende Agenten und geben im Testbetrieb nur zeitweise die Fahrzeugsteuerung an das technische System ab. Der nächste Schritt zu weitergehender Autonomie wäre die Überwachung aus der Ferne und nötigenfalls die Übernahme der Steuerung aus einer Zentrale.

Diese Steuerung aus der Ferne ist ein Telepräsenzszenario [3] und für den Men-schen, der die Steuerung aus der Ferne übernimmt, ein Operieren in einer tech-nisch vermittelten, synthetischen Realität. Schon das Beispiel autonome Fahrzeuge

3 https://www.hochbahn.de/hochbahn/hamburg/de/Home/Naechster_Halt/Ausbau_und_Projekte/

projekt_heat; abgerufen am 19.11.2019

zeigt also, dass für Mensch-Technik-Interaktion in hybriden Gesellschaften nicht nur rein technische und rein menschliche Agenten zu betrachten sind. Bereits die ein-zelnen Agenten in einem Interaktionsszenario sind oft als hybrid zu beschreiben.

Das Ziel dieses Beitrags ist, Szenarien der Mensch-Technik-Interaktion in hybriden Gesellschaften und die daraus resultierenden Herausforderungen darzustellen. Es soll deutlich werden, dass VR/AR-Technologien unter verschiedenen Blickwinkeln für Mensch-Technik-Interaktion in hybriden Gesellschaften von großer Relevanz sind. Sie sind ein Medium der Kommunikation und Koordination von technischen Agenten mit menschlichen Agenten, sie sind die Grundlage für Telepräsenz und Teleoperation und sie ermöglichen die Simulation im Entwicklungs- und Evaluati-onsprozess sowie das Training von Interaktionsszenarien.

1.2 Agenten und Körper

In hybriden Gesellschaften können Menschen bewegten künstlichen Körpern be-gegnen. Künstliche Körper wie Fahrzeuge, Roboter, Drohnen und mehr oder weni-ger humanoide Figuren in virtueller Realität können als digitale Agenten autonom agieren, sie können aber auch von menschlichen Agenten gesteuert sein.

Mensch-Technik-Interaktion kann dabei betrachtet werden mit dem Fokus auf dem Menschen, der einem künstlichen Körper begegnet, oder mit dem Fokus auf dem Menschen, der einen künstlichen Körper steuert. Die Begegnung eines Menschen mit einem künstlichen Körper wirft dabei die vergleichsweise neueren Themen der Mensch-Technik-Interaktion auf, weil künstliche, sich fortbewegende und nicht direkt von Menschen gesteuerte Körper ein jüngeres Phänomen sind als von Men-schen gesteuerte künstliche Körper. Begegnungen mit natürlichen Körpern sind allerdings ein altes Phänomen und dies ist zu beachten für die Interaktion in hybri-den Begegnungen.

Menschen sind evolutionär angepasst für Begegnungen mit autonomen Agenten in natürlichen Körpern, mit Tieren als potentielle Gefahr und potentielle Beute und insbesondere für zwischenmenschliche Interaktion und Kooperation. Zu dieser Anpassung zählen die ausgeprägten Fähigkeiten, aus Beobachtungen und Erfah-rungen Erwartungen über das Verhalten anderer Agenten in bestimmten Situatio-nen zu erlerSituatio-nen und die IntentioSituatio-nen dieser Agenten zu erschließen. Aufgrund dieser Fähigkeiten gelingt üblicherweise die mühelose und schnelle Koordination mit bei-derseitigen aktiven Beiträgen sowohl bei Begegnungen auf engem Raum wie dem Ausweichen auf einem belebten Fußweg wie auch bei koordinierten Handlungen an Gegenständen wie Anheben und Übergeben oder abwechselnder Manipulation an einem Gegenstand [4].

Bewegungsmuster von aus eigener Kraft bewegten Körpern werden von Menschen unmittelbar hinsichtlich der vermutlichen Intention des Agenten interpretiert [5]. Dies geschieht auch, wenn die Bewegung nur scheinbar autonom gesteuert wird, wie

zum Beispiel einfach im Schatten- und im Puppenspiel zu demonstrieren ist. Dazu müssen die beobachteten Körper nicht menschenähnlich sein, bekannte Formen und Bewegungen sind jedoch leichter zu interpretieren.

Von diesen menschlichen Fähigkeiten, Situationen zu interpretieren und Intentionen zu erschließen, um Bewegungen anderer Agenten für effiziente Koordination vor-herzusagen, sind digitale Agenten weit entfernt. Der fahrerlose Bus der Hochbahn Hamburg ist auf die Geduld und das freundliche Entgegenkommen aller menschli-chen Verkehrsteilnehmer angewiesen und benötigt nötigenfalls die menschliche Steuerung. Das soziotechnische System im Testlauf baut hier also auf die mensch-liche Intelligenz und Anpassungsfähigkeit und reicht an menschenähnmensch-liche Auto-nomie nicht heran. Dies gilt ebenso für Mensch-Roboter-Interaktion. Doch obwohl die digitalen Agenten nicht und vermutlich lange nicht menschenähnlich autonom agieren werden, sind in der Gestaltung der Interaktion von Begegnungen mit Men-schen deren evolvierte und erlernte Fähigkeiten zur zwiMen-schenmenschlichen Koordi-nation und die sie unterstützenden Voraussetzungen zu berücksichtigen.

Im Dokument VAR² 2019 – Realität erweitern (Seite 109-112)