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3. Tuymans’ Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und

3.2. Täterbilder

3.2.2. Himmler

3.2.2. Himmler

Indem Tuymans Bilder von den Tätern verändert, in die Malerei überführt und sie aus ihrem historischen Kontext löst, können die Arbeiten einen von der ursprünglichen Bedeutung abweichenden Sinngehalt vermitteln.184 Als Beispiel für diesen Bedeutungswandel nennt Gass Himmler (Abb. 18). Das Gemälde basiert auf einer äußerst kleinen Reproduktion eines offiziellen Porträtfotos von Heinrich Himmler (Abb. 19). Dieses habe in zahllosen Büros gehangen und als Symbol der Macht und Inspiration gedient.185 Tuymans vergrößert die Vorlage auf die ursprünglichen Maße des Porträts und übernimmt dabei malerisch den Rahmen des Porträts, der auf der Vorlage noch zu sehen ist.186 Die Rahmung ist ein Zeichen von Repräsentation. Sie betont, dass das Bild nicht aus einem privaten Fotoalbum stammte, sondern einmal eine Wand zierte und damit auch einen repräsentativen Charakter aufwies.

Die Vorgehensweise, Malerei ausgehend von Fotografien zu entwickeln, erinnert ebenso wie die Malweise bei Himmler an Arbeiten von Gerhard Richter. Richter behandelt in seinen Gemälden das Verhältnis der beiden Medien Malerei und Fotografie zueinander.187 Tuymans scheint es dagegen verstärkt um die Frage nach Macht, Repräsentation und Erinnerung zu gehen. Während Richter die Dimensionen seiner fotografischen Vorlagen vergrößert, bringt Tuymans die kleine Kopie auf die Maße des ursprünglichen, gerahmten Porträts. Daher rühren auch die Verwischungen, die Himmler kennzeichnen und durch die von Tuymans angewandte Nass-in-Nass-Technik entstehen. Auf der kleinen Vorlage sind ebenso wie in Tuymans’ Gemälde keine ausführlichen Details zu erkennen. Das winzige Porträt wirkt verschwommen,

GASS 2011d, S. 141.

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Ebd.; TUYMANS 2012, S. 109.

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TUYMANS 2012, S. 109.

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Vgl. u.a. ADRIANI 2008, S. 24.

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„fast als ob die häufig reproduzierte Fotografie zu oft [kopiert] worden wäre, so dass alle Einzelheiten verloren gegangen sind“.188 Hier ist ein weiterer Unterschied zwischen den Vorgehensweisen von Tuymans und Richter zu erkennen. Tuymans überführt den Eindruck der Vorlage in sein Gemälde, indem er mit Verwischungen arbeitet. Richters Gemälde unterscheiden sich dagegen von den fotografischen Vorlagen durch eine gezielte Unschärfe,189 die den Realismus der Vorlagen verfremdet. Zwei Gemälde Richters vermitteln dennoch einen ähnlichen Eindruck hinsichtlich der Malweise und setzen sich ebenso wie auch Himmler mit dem Nationalsozialismus auseinander. Im Gegensatz zu Tuymans’ Gemälde basieren Onkel Rudi und Tante Marianne jedoch nicht auf offiziellen Porträtfotografien, sondern auf privaten Familienfotos.190 Onkel Rudi (Abb. 20) zeigt Richters Onkel Rudolf Schönfelder in seiner Wehrmachtsuniform;191 bei Tante Marianne (Abb. 21) ist Richters Tante zu sehen, vor der Gerhard Richter als Säugling oder Kleinkind auf weißen Kissen liegt. Marianne Schönfelder wurde im Zuge der ,Aktion T4‘, der Euthanasie-Morde in der NS-Zeit, aufgrund einer psychischen Erkrankung umgebracht. Beide Gemälde Richters sind in der für ihn typischen Malweise ausgeführt, deren optischer Eindruck häufig mit dem Begriff der Unschärfe bezeichnet wird. Diese Unschärfen resultieren aus einem Verwischen der noch leicht feuchten Farbe mit einem trockenen Pinsel. Die damit erzielte optische Wirkung ähnelt jener, die Tuymans in Himmler durch die Anwendung der Nass-in-Nass-Malerei erreicht. Außerdem ist auch die verwendete Palette bei Richter und Tuymans nahezu gleich. Sowohl Richters Onkel Rudi und Tante Marianne wie auch Himmler von Tuymans bestehen vornehmlich aus verschiedenen Grautönen sowie schwarzen und weißen Akzenten. Interessant ist im Vergleich der beiden Bilder auch die Verteilung der Täter- und Opferrolle. Anders als bei Tuymans’ offensichtlicher Täterdarstellung am Beispiel von Der Architekt oder Himmler, sind die Rollenver-teilungen bei Onkel Rudi und Tante Marianne ambivalenter. Bei Tante Marianne, vor dem Hintergrund von Mariannes persönlicher Geschichte klar als Darstellung eines

GASS 2011d, S. 142.

1967 organisierte René Block in seiner Galerie die Ausstellung „Hommage a Lidice“, bei der

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Richter mit Onkel Rudi vertreten war. Die Ausstellung fand in Erinnerung an die tschechische

Ortschaft Lidice statt, die 1942 von den Nationalsozialisten als massive Vergeltungsmaßnahme für das erfolgreiche Attentat auf Reinhard Heydrich komplett zerstört wurde. Alle Männer wurden getötet und alle Frauen und Kinder in das KZ Ravensbrück deportiert. Zur Zerstörung der Stadt Lidice siehe STEINKAMP 2003, v.a. S. 126-129, zur Ausstellung siehe PLUHAŘOVÁ-GRIGIENĖ 2009.

Opfers des Nationalsozialismus zu bezeichnen, wird die Empathie mit ihrem Schicksal zusätzlich dadurch verstärkt, dass sie als Dreizehnjährige in einem privaten, familiären Umfeld dargestellt ist.192 Sie erscheint in einer Normalität, die durch das NS-Regime zerstört wurde. Rudolf Schönfelder hingegen changiert als ambivalente Figur zwischen Täter- und Opferprofil, da er zwar – in seiner Wehrmachtsuniform abgebildet – als Teil des Regimes erscheint, jedoch in Bezug auf seine Geschichte als im Krieg Gefallener gleichzeitig zu einem Kriegsopfer wurde.

Richter gibt mit beiden Porträts Opfern und Tätern im Allgemeinen, wie auch im kleinen Kreis der Familie ein Gesicht. Die Zuweisungen sind hier im Zusammenhang mit ihren Vorlagen betrachtet uneindeutiger als bei Tuymans’ Bildern; das Täterbild ist ein anderes.

Himmler zeigt anders als das Bild von Speer in Der Architekt oder das der Spaziergänger in Wandeling und De Wandeling keine führende Persönlichkeit des NS-Regimes bei einer banalen Freizeitbeschäftigung. Hier handelt es sich um ein offizielles Porträt, das die Figur, wie Gass zutreffend bemerkt, „in einen spezifischen politischen Kontext stellt“.193 Außerdem gibt der Werktitel eindeutig die Identität des Porträtierten preis. Die gesichtslose Person, die keinen psychologischen Zugang zu dargestellten Persönlichkeit gewährt, bekommt durch den Titel eine Identität. Wie bei Gaskamer kann der Titel hier als Schlüsselreiz verstanden werden, durch den das Bild eine veränderte Wahrnehmung hervorruft oder zumindest hervorrufen könnte.

Ein gesichtsloser Mann in Uniform oder Anzug wird zum Hauptverantwortlichen des Holocaust und zahlreicher anderer Verbrechen während der NS-Zeit. Rein visuell bleibt dennoch nur „ein leerer Schatten der Geschichte“.194

! !

Die Verwendung des Diminutivs bei Onkel Rudi stellt eine vertraulichere Ebene her, welche die

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Zuweisung einer eindeutigen Täterrolle erschwert. Ohne Familiennamen und ebenfalls durch die Diminutivform wird die abgebildete Person außerdem vom Individuum Rudolf Schönfelder gelöst und die konkrete Person quasi allgemeingültig – Fotos in jedem Familienalbum könnten so untertitelt sein.

Eine ähnliche Wirkung erzielt Richters Malweise: Durch das Verwischen der Farbe wird zum einen eine Entindividualisierung erreicht und zum anderen die Vergänglichkeit der Erinnerung thematisiert.

Eine Auseinandersetzung mit Erinnerung und Entindividualisierung findet auf ähnliche Weise bei Tuymans’ Himmler statt.

GASS 2011d, S. 142.

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Ebd.

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