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3. Tuymans’ Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und

3.3. Ambiguität der Werke

3.3.3. Banalität und Bestialität

3.3.3. Banalität und Bestialität

Einige von Tuymans’ Arbeiten über die NS-Zeit und den Holocaust können nicht nur vor dem Hintergrund retrospektiver Bezüge zum Modernismus gelesen werden. Die Verwendung eines alltäglichen Gebrauchsgegenstands wie eines Lampenschirms bei Recherches beinhaltet ebenso wie die Bezüge zum Modernismus eine doppelte Mimesis. Aus dem Kontext des als menschlich vermuteten Materials entwickelt sich eine Ambivalenz zwischen Alltagsgegenstand und Bestialität. Tuymans greift das Motiv des Lampenschirms nicht nur in Recherches, sondern auch in Lamp (Abb. 31) auf. Er selbst verweist bezüglich Lamp ausdrücklich darauf, dass er einen gewöhnlichen Lampenschirm darstellen wollte.230 Dennoch, vor dem Hintergrund von Tuymans’ Vorgehen und mit seinen Äußerungen zu Recherches verknüpft, lässt auch dieses Bild an den Mythos des Lampenschirms aus Menschenhaut denken.231 Durch das gewählte Motiv und den Diskurs innerhalb von Tuymans’

Œuvre wird das grausame Bild hinter dem Gegenstand auch bei Lamp latent

TUYMANS 2012, S. 107.

230

Vgl. PEIFFER 2011b, S. 107.

231

mitvermittelt. Das Ent-setzen wird beim Betrachter durch die assoziative Gleichsetzung des dargestellten, gewöhnlichen Lampenschirms mit jenem Ausstellungsstück aus menschlicher Haut hervorgerufen. Die Assoziation wird durch Tuymans’ ähnliche Darstellung dieser Motive – die Form und den Verlauf der Nähte betreffend – begünstigt, auch wenn es sich bei Lamp um einen handelsüblichen Lampenschirm handelt, wie Tuymans betont.232 Vor diesem Hintergrund ist Dexters Äußerung zu Recherches zu verstehen. Sie sieht das Werk als Musterbeispiel für das Aufeinandertreffen von Alltäglichem und Grausamen, das es darüber hinaus in vielen Arbeiten von Tuymans zu erkennen gilt.233

Eine dieser vielen Arbeiten, von denen Dexter spricht, ist Gaskamer (Abb. 7).

Der Blick in den Raum weist eine gewisse Ähnlichkeit zu The Green Room von 1994 auf (Abb. 32). Dieses Gemälde besteht hauptsächlich aus einem diffusen Grund, der mit mehreren Grüntönen mit bräunlichen Anklängen gemalt ist. Am unteren Bildrand erhebt sich ein schmaler, schwarzer Bogen, der zu seiner Mitte hin etwas stärker wird. Unterhalb dieser Partie des Bogens ist wieder der grüne Grundton des Bildes zu sehen. Auf der linken, bereits abfallenden Seite des Bogens schließt sich eine schwarze, rechteckige Form an, die an die dunkle Form in der Ecke des Raumes bei Gaskamer denken lässt. Ein räumlicher Eindruck im Bild kann nur durch die Wölbung des Bogens und die rechteckige Form entstehen, da weder Wände oder Ecken noch eine Decke auszumachen sind. Der Titel verweist einzig auf einen farbigen Raum, dessen Zweck hinter der Darstellung und dem offenen Titel verschlossen bleibt. Im Gegensatz zu Gaskamer, einem Raum der durch den Titel inhaltlich aufgeladen wird, bleibt The Green Room harmlos. Die Nähe der Darstellung des grünen Raumes zu Gaskamer zeigt, wie bereits der Vergleich von Recherches mit Lamp, dass Tuymans ähnliche oder gleiche Motive inhaltlich unterschiedlich besetzt. Infolgedessen entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen ihnen. Dieses Spannungsverhältnis ist bipolar, es kann sowohl die Darstellung neutraler Motive in Frage stellen als auch die inhaltlich aufgeladenen Werke banal erscheinen lassen.

Dass einige Arbeiten von Tuymans zwischen Banalität und Bestialität changieren, rührt nicht nur daher, dass Tuymans gleiche Motive unterschiedlich

PEIFFER 2011b, S. 107.

232

DEXTER 2004, S. 21f.

233

konnotiert. Das ambivalente Verhältnis hängt ungeachtet des Motivs auch mit der malerischen Qualität der Arbeiten zusammen. Anhand der malerischen Struktur lässt sich bei Tuymans die Entscheidung zwischen ,belasteten‘ und ,unbelasteten‘ Themen kaum eindeutig fällen. So malt Tuymans eine Gaskammer oder einen vermeintlich aus Menschenhaut bestehenden Lampenschirm ebenso gekonnt und ästhetisch ansprechend wie Motive ohne einen solchen Hintergrund. In vergleichbarer malerischer Art und Weise widmet sich Tuymans außerdem auch anderen, trivialen und gänzlich ,unbelasteten‘ Motiven wie einem Geschirrtuch, Geschenkpapier oder einem Knopfloch (Abb. 33). Für ihn scheint es keinen Unterschied bei der Darstellungsweise alltäglicher, banaler Motive und solcher Sujets zu geben, die auf die Gräueltaten der Nationalsozialisten und den Holocaust anspielen.

Die malerische Annäherung an eine Aufhebung der Bipolarität von Banalität und Bestialität lässt an die Ausführungen von Hannah Arendt denken.234 Hinsichtlich ihres Berichts zum Prozess von Adolf Eichmann stellt sie eine „Banalität des Bösen, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert“ fest.235 Ihrer Ansicht nach hätte sich im Prozess gegen Eichmann gezeigt, dass er ein eifriger Karrierist gewesen sei, der ansonsten keinerlei Motive hatte – vor allem keine antisemitischen.236 Dass er „»normal« und keine Ausnahme war“, sei, wie Arendt festhält, Tatsache gewesen.237 Diese Normalität erscheint den verübten Gräueltaten diametral entgegengesetzt. Arendts Aussage, die bestialischen Taten der Nationalsozialisten seien, so ihr Fazit in Bezug auf Eichmann, nicht von Ungeheuern, sondern von

„normalen Menschen“ begangen worden, löste eine heftige Kontroverse aus. Diese Sichtweise brach mit der gängigen Ansicht, die Gräueltaten wären von „unmensch-lichen Bestien“, wie das Beispiel Ilse Koch zeigt, verübt oder geplant worden.238

Dem Gesichtspunkt einer gewissen Normalität der Täter widmet sich Tuymans vor allem in seinen Täterbildern. Speer ist beim Skifahren oder vielmehr nach einem misslungenen Schwung zu sehen, Hitler in der Unterhaltung mit Speer oder mit weiteren Nationalsozialisten beim Wandern dargestellt. Die Momente, in denen die führenden Persönlichkeiten des NS-Regimes zu sehen sind, erscheinen nicht außergewöhnlich. Sie zeigen die Verantwortlichen des Holocaust in ihrer Freizeit und

HAASE 2012, S. 141.

234

ARENDT 1964, S. 300; die kursiv gesetzte Hervorhebung findet sich bereits bei Arendt.

235

Ebd., S. 15f.

236

Ebd, S. 54 sowie S. 326.

237

Vgl. YOUNG-BRUEHL 1986, S. 477-486.

238

betonen damit einen banal-alltäglichen Teil ihrer Leben. Die Arbeiten wirken trotz oder gerade wegen ihrer Alltäglichkeit besonders verstörend auf den Betrachter, sofern die Identitäten der Protagonisten bekannt sind: „Das Grausame der Geschichte gerinnt zur Episode, dessen an sich nichts sagendes Bild ausbleicht ins langsame Vergessen.“239 Der Alltag scheint auf den Bildern die Verbrechen an den Rand zu drängen und macht dennoch gerade dadurch den bewussten Betrachter auf das Fehlen aufmerksam.

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3.4. Vermittlung durch Paratexte