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Herrschaftsförmig bis ins Kollektiv?

Im Dokument Herrschaftskritik Hauke Thoroe (Hrg.) (Seite 74-77)

Es ist schon auffällig: Ständig sind die Eliten dieser Welt bemüht, irgendwelche Kol-lektive oder „Massen“ zu (er-)finden, in deren Namen sie stellvertretend agieren kön-nen. Meistens, ohne vorher zu fragen. Die Akzeptanz für dieses quer durch alle poli-tischen Richtungen und gesellschaftliche Schichten verbreitete Phänomen ist viel-leicht einer der Gründe, warum Herrschaft so allgegenwärtig erscheint.

Wir-Rhetorik…

„Wir alle müssen den Gürtel enger schnal-len“, „Es muss ein Ruck gehen durch un-ser Land“, „Du bist Deutschland“, „Wir sind Papst“ schallt es einem ständig aus Zei-tungen, Radio und Fernsehen entgegen.

Die Intention dieser Botschaften ist immer dieselbe: Wir sind alle eins, Wir gehören alle zusammen! Und meistens kommt im Nachsatz dann dieses: Wir alle sind be-droht, oder es droht für uns alle ganz schlimm zu werden. Und deshalb müssen Unsere individuellen Bedürfnisse hinter dem großen gemeinsamen Ganzen zu-rückstehen, und wir z.B. auch für 1,5 Euro arbeiten oder in einen Krieg gehen. Denn nur wenn Wir jetzt bereit seien, einige Opfer auf uns zu nehmen, werde es Uns weiter-hin (halbwegs) gut gehen. Und alle, die das nicht einsehen wollen, sind angeblich wahlweise Scheinasylanten, Vaterlandsverräter oder Sozialschmarotzer, denn es gebe angeblich keine Alternative zu der vorgeschlagenen Maßnahme.

…konstruiert Kollektive...

Die Systematik dieser Rhetorik ist gleich, egal ob es sich um Kürzungen im sozialen Bereich, mehr Steuern oder eben um einen Krieg handelt. Stets wird ein gemeinsam-es „Wir“ konstruiert, zu dem angeblich alle gehören würden (der Fußballverein, die ei-gene Politgruppe oder eben die Nation). Dabei definiert allein die sprechende Person, wer dazu gehört und wer nicht. Niemensch wird gefragt, ob er/sie überhaupt damit einverstanden ist. Die sprechende Person verpackt ihre eigenen Interessen als an-gebliches Gemeinschaftsinteresse der vorher konstruierten Gemeinschaft.

....und Ausgrenzung

Und für denn Fall, dass doch jemand diesen rhetorischen Trick durchschaut, wird mit Diffamierungen ein kleines bisschen Angst geschürt und nebenbei ein „Draußen“ defi-niert, vor dem die vorgeschlagene Maßnahme schützen solle. Konkrete Vorschläge, um die realen Gründe für Missstände zu beheben, sind selten, und kommen oft auch

Die Neretwa-Brücke in Mostar. Von konstruier-ten Kollektiven errichtet, zerstört und aufgebaut-Je nach Interessenslage der Eliten...

BundeswehrBigBand-Auftritt 2006

Auch Militanz, gemischt mit anderen Aktionsformen, kann Erregungskor-ridore öffnen und Sicherheitsapparate in Kontrollverlustängste ver-setzen. So geschehen im Juni 2006. Eigentlich plante der Bundeswehr-Propaganda-Verantwortliche Ralf Hessmann (privat u.a. Kreisvorsitzen-der Kreisvorsitzen-der SPD) die Mega-Show: Eine Ausstellung über den Kriegsvorberei- tungsstandort Husum mit prominenter Gästeliste zur Einweihung, fest- 74

Oft gerät die konkrete politische Forderung durch reine Fokussierung auf Labels in den Hintergrund.

Aber egal: Hauptsache, der eigene Name ist öfter zu sehen als der anderer Gruppen....

schlecht an, weil oft etwas hintergründiger als die sogenannte Politik der harten Hand.

Akzeptanzbeschaffung…

Leider ist dieses Prinzip weithin akzeptiert. Fast nirgends finden sich Menschen ohne Label, Familienname, etc. zusammen, und orientieren sich nur an dem Vorhaben, das sie zusammen führte. Fast überall wird das angebliche „Wohl der Gruppe“ (also meistens Dominanzgedanken der jeweiligen Eliten) höher gestellt, als die Durchfüh-rung des konkreten Vorhabens, um das es eigentlich einmal ging.

…auch für Kriege

Mit der Legitimierung von Kriegen ver-hält es sich ähnlich. Wenn keine Sol-dat_In einen Sinn darin sähe, sich tot-schießen zu lassen, wenn keine Steu-erzahler_In Sinn darin sähe, statt Krankenhäuser Panzer zu kaufen, wenn Eltern keinen Grund sähen, statt Kinderpflege Gräberpflege zu betrei-ben, dann wäre Krieg politisch nicht durchsetzbar. Ist er aber leider, denn noch glauben viele den Quatsch vom

„Wohle der Allgemeinheit.“

Die Rahmenbedingungen

Ich will in keiner Weise behaupten, dass

pure Individualisierung und Rücksichtslosigkeit im Umgang miteinander irgendwie frie-densfördernd seien. Doch ein zum Selbstzweck verkommenes „Wohl der Allgemein-heit“ ist es auch nicht. Im Gegenteil: Solange einige wenige Menschen mehr Möglich-keiten haben, ihre Interessen (notfalls auch mit Gewalt) durchzusetzen, werden sie es auch tun. Wenn mensch keine Befehle ausführen will, dann gibt es Arrest. Wenn mensch heutzutage keine Kriegssteuern zahlen will, dann gibt es Strafprozesse. Dies ist für die Herrschenden sehr praktisch, denn durch die ihnen zur Verfügung stehen-den Machtmittel können sie die Folgen ihres Handels anderen aufdrücken. Mensch stelle sich nur einmal Joschka und Gerd beim Bewachen einer SFOR-Kaserne in Bos-nien vor, oder Josef Ackermann mit zwei Kindern, einer kleinen Wohnung und 345 Euro Hartz 4 im Monat, nachdem die Deutsche Bank in rausgeschmissen hat. Ähnlich

liche Neueröffnung des Kriegsdenkmal im Schlosspark und als Finale einen Spieltermin der Bundeswehrbigband mit Bundeswehr-Infotruck. Doch das Spektakel kann nur unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen stattfinden, denn im Vorfeld kommt es zu vielen Aktionen. Von Werbe-plakatveränderungen, Aufklebern auf der Ausstellung, Mars-TV, block-ierter Eröffnung und Sabotage an Bundeswehr-LKWs ist alles dabei:

www.bundeswehrbigband-in-husum.de.vu

Die pauschale Verwendung von platten Analysen wie „die Herrschenden“

ist problematisch, da dies suggeriert, es gebe ein paar „Herrscher“

und einen Haufen „Beherrschter“, und mensch müsste nur die paar Herrscher absägen, schon wäre alles toll. Leider stimmt diese Analyse nicht, da Herrschaft alle Bereiche des Lebens durchzieht, und selbst die grünalternative Unterschichtenmama gleichzeitig in mehreren Herr-

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verhält es sich mit Krieg. Niemand würde einen Krieg anfangen, wenn er/sie die Fol-gen davon traFol-gen müsste. Noch sind die RahmenbedingunFol-gen von Gesellschaft leider so, dass es sich aus egoistischer Sicht auszahlt, sich mit dem Ellenbogen (im Extrem-fall Krieg) durchs Leben zu boxen. Um dies zu ändern, müssen die Rahmenbedingun-gen so beschaffen sein, dass es sich aus egoistischer Sicht auszahlt, solidarisch und kooperativ zu handeln.

Perspektive für Frieden

Somit kann nur dann dauerhaft Frieden sein, wenn alle Menschen gleichberech-tigten und bedingungslosen Zugang zu allen gesellschaftlichen Ressourcen be-kommen, und gleichzeitig die Gesell-schaft ihren Straf- und Zwangscharakter verliert. Konkret heißt das: Nur wenn al-le Verteilungsfragen gal-leichberechtigt ohne Zwang zur Einigung gelöst wer-den, gibt es kaum noch Grund, anderen Gewalt anzutun. Somit müssten dann zum einen Güterproduktion und Güter-verteilung gleichberechtigt und horizon-tal organisierbar sein, und zum zweiten sämtliche Zwangsgemeinschaften wie Nation, Staat, Familie etc. freiwillig lös-bar sein. Vereinlös-barungen und Koopera-tionen sollten nur noch freiwillig und ohne Zwang entstehen.

Vieles wäre anders- Gut so!

In so einer Gesellschaft würde ganz viel anders aussehen, und mit dem Krieg würde hoffentlich noch so manches Übel wegfallen (Kriminalität wegen zuwenig oder zuviel Geld, Bürokratie, Verwaltung, Politiker…). Doch da es noch ein weiter Weg ist, bis verschleiernde „Wir“-Rhetorik der Vergangenheit angehört, macht es Sinn, nach-zudenken, wie zumindest in sich als emanzipatorisch verstehenden gesellschaftlichen Subräumen ein herrschaftsfreier Umgang miteinander möglich wird. 57

schaftsverhältnissen steckt, und selber z.B. über ihre Kinder herrscht oder ihren Verein dominiert.

Joschka Fischer (Grüne) und Gerd Schröder(SPD)führten die Bundeswehr 1999 mit der Beteiligung der Luftwaffe am NATO-Bombardement auf Ser-bien in den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945. Mehr zu Aus-landseinsätzen und Bundeswehr www.militarismus-jetzt-stoppen.de.vu

Mars-TV

Mars-TV ist eine kreative Form, die heutige Gesellschaft in Frage zu stellen. Das Team muss mindestens aus drei Marsmenschen bestehen: ein Moderati und zwei weitere Personen, die einen aus Stoff ausgeschnit-tenen Fernsehbildschirm halten. Hinter dem Bildschirm stellt der Mo-derati knackige Fragen: „Hallo, wir sind ein Fernsehteam vom Mars.

Können Sie uns sagen, was hier vorgeht?“ www.youtube.com/watch?v=aEfVxa49l3c 76

Im Dokument Herrschaftskritik Hauke Thoroe (Hrg.) (Seite 74-77)