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Direktes Handeln in der Schule

Im Dokument Herrschaftskritik Hauke Thoroe (Hrg.) (Seite 30-34)

„In der Schule lernt man fürs Leben, nicht für die Lehrer!“ Leider stimmt dieser Satz, denn eine Hauptaufgabe der Schule ist nicht die Wissensvermittlung, sondern die Konditionierung der Schüler_Innen auf ein herrschaftskonformes Leben. Deshalb sind Herrschaft und Autorität selten so spürbar wie in der Schule. Doch das macht Schule spannend: Selten ist es so einfach, Unterdrückung zu thematisieren. Ein Artikel mit Ansätzen, um aus jeder Schulstunde eine Aktion gegen Herrschaft zu machen.

„Thomsen! Die Vokabeln für heute!“

„Äh, also...“ „Wie, Sie haben sie nicht gelernt?“„Äh doch, aber...“ „Aber Sie können sie nicht! Das ist nicht gelernt! Thomsen, Thomsen, was soll ich mit Ihnen nur machen!

Ständig zu spät, und dann ihre Haa-re! Aber ihr Bruder ist ja auch nichts geworden. So Lena, zeigen sie die-sem Sauhaufen hier, wie das geht!“

Wege aus der Hilflosigkeit Eine typische Situation, die zeigt,

wie Schüler_Innen in scheinbar ausweglose Situationen gedrängt werden. Die erste Reaktion darauf ist häufig Empörung in der Pause, eventuell wird noch der/ die „Ver-trauenslehrer_In“ eingeschaltet. Das führt meistens zu nichts, weil die typischen Be-schwerdeinstanzen (Schüler_Innenvertretung, „Vertrauenslehrer_Innen“) keine Durch-setzungsmöglichkeiten haben. Selbst an meiner Schule, wo die Schülervertreter_In-nen echt bemüht waren, aus ihrer systemimmaSchülervertreter_In-nenten Handlungsunfähigkeit auszu-brechen, ist dies kaum gelungen. Der einzige Punkt, in dem das gelang, war die Schüler_ Innenzeitung, in der Fälle wie oben gnadenlos ausgewalzt und mit allen Kommentaren von Schulleitung, Lehrer_Innen etc. veröffentlicht wurden. Dies führte allerdings nicht zu weniger Herrschaft, sondern lediglich zu Privilegien: Der individuel-le Handlungsspielraum für die Redaktion erweiterte sich. Daran zeigt sich, dass Schü-ler_ Innenzeitungen gut und wichtig für Gegenöffentlichkeit sind, aber nicht per se bessere Verhältnisse schaffen. Und SV-Menschen müssen schon sehr frech und ab-gebrüht sein, um ihren Job so wenig ernst zu nehmen, dass sie damit ernsthaften Wi-derstand leisten, und nicht nur die tolle demokratische Fassade der Schule schönen.

Wieder handlungsfähig werden

„Thomsen! Sie sind schon wieder 3 Minuten zu spät!“ „Ja, aber natürlich. Es gibt in meinem Leben ja auch mehr, als mich sinnlos anschreien zu lassen.“ Haben Sie die Hausaufgaben?“ „Aber Herr Meier, sie wissen doch, dass ich aus Prinzip keine Haus-aufgaben mache, weil ich Inhalte verstehen möchte, und nicht nur sinnlos auswendig

Klo-Zeitung

Heiße Themen oder strafrechtlich problematischen Inhalte lassen sich z.B. mit einer Klozeitung publizieren. Die Utensilien hat fast jeder Haushalt: PC und Drucker. Ein Layout machen, Artikel schreiben, aus-drucken und ungesehen z.B. in einer Freistunde, vorm Unterricht etc.

in den Schulklos aufhängen. Allein das Rätselraten, wer hinter der 30

Schulkritische Graffiti Oberstufenkolleg Bielefeld 2006

lerne.“ „Und äh letzte Stunde, wo waren sie da?“ „Am Strand in der Sonne. Wann ich Latein lerne, kann ich mir aussuchen, wann die Sonne scheint, leider nicht.“ „Äh ja, dafür gibt es jetzt aber einen Strich!“ „Tja, wenn sie sich dann besser fühlen. Sie dür-fen das nächste Mal aber gerne mitkommen. Am Strand ist genug Platz für alle.“

Verbote gezielt übertreten Ein Klassiker ist auch das Ge-spräch über das Trink-und Ess-verbot, oder die allgemeine Be-dürfniskonditionierung auf den 45-Minutentakt. Oder das Ge-spräch, in dem die Lehrer_In einfordert, dass Schüler_Innen sich selbst benoten, und dies abgelehnt wird, weil die Note nur auf persönlichen Präferen-zen der Lehrer_In beruhe. Oder die Klarstellung, dass die Leh-rer_In statt bitten befehlen solle, um dann zu erklären, dass mensch selber denken könne, und keine Befehle brauche.

Wo Strafe ins Leere läuft

Ein_E Lehrer_In tickt aus, und droht wegen aufsässigem Verhalten mit mieser Note und wird mit dem Absatz aus dem Schulgesetz konfrontiert, dass Verhalten nicht in die Note miteingehen dürfe, sondern nach Paragraph XY geahndet werden müsse.

Dort stünde, dass unerwünschtes Verhalten mit von einer Klassenlehrer_Innenkonfer-enz beschlossenen Disziplinarmaßnahmen belegt werden müsse. Aber: Wie viele Lehrer_Innen haben Lust auf Überstunden? Und wenn mensch die autoritären Ausraster anschließend mit Bild in der Schülizeitung bewundern kann? Und noch mehr Lehrstunden nicht durchführbar sind, da es ständig Aktionen gibt? So bleibt es oft bei der leeren Drohung. Wenn es doch ernst gemeint ist, stellt sich anschließend die Frage, wie oft das Kollegium Lust auf Überstunden und Spektakel hat...

Gesetze subversiv wenden (Tipps für RechtsstaattollfinderInnen)

Gesetze werden selten darauf abgeklopft, ob sie sich gegen bestehende Normen wenden lassen, oder andere Regeln aushebeln könnten. So ist an vielen Schulen in der Hausordnung Essen und Trinken im Unterricht nicht explizit verboten und die Ge-

Eine grundlegende Problematik bei Schüler_Innenvertretungen ist der Repräsentanzgedanke. Schüler_Innenvertretung sollen gar nicht Schüler_

Innen dazu bringen, die Durchsetzung ihrer Interessen selber in die Hand zu nehmen, sondern diese lediglich repräsentieren. Hier schimmert eine grundsätzliche Unvereinbarkeit mit herrschaftskritischen Handeln auf: Schüler_Innenvertretung erscheinen durch diesen Blick lediglich als verlängerter Arm der Schulverwaltung zur Kanalisierung von Protest

Idee steckt, garantiert fast schon einen Erregungskorridor und Auf-merksamkeit für die Inhalte. Dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn die Klozeitung regelmäßig erscheint, und z.B. auch in laufende Kon-flikte in der Schule eingreift. Klozeitungen können selbstverständlich auch in Büros, Werkstätten oder anderen Arbeitsstätten eingesetzt wer-den, um Diskurse zu verändern.

Schulstreik 2009 in Husum. Schüler_Innen streiken gegen die Bedingungen des Unterrichtes. Durch Solidarität und Öf-fentlichkeit lassen sich bei Aktionen oft Strafen vermeiden.

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setze geben sich meistens damit nicht ab, sondern fordern lediglich „unterrichtsför-derndes“ Verhalten. Erste Möglichkeit: „Wir leben in einem Rechtsstaat, also ist alles erlaubt, was nicht verboten ist. Ich packe mein Frühstück sofort weg, wenn sie mir zei-gen, wo steht, das Frühstücken verboten ist!“ Wenn die Leerkraft trotzdem drauf be-steht: „Ist in der Schule etwa gar kein Rechtstaat? Wie sehen sie das?“ Oder aus dem Schulgesetz zitieren, und behaupten, dass dieser Text Frühstück definitiv erlau-be, ja sogar fordere, da mensch nur mit Frühstück in der Lage sei, sich unterrichts-fördernd zu verhalten. Und dann die Schokotafel an alle weitereichen...

Repression einfordern Diesen Gesprächsstrategi-en liegt zugrunde, dass sie Absurditäten thematisieren, die sonst auch vorhanden, aber wie selbstverständlich hingenommen werden. Da-mit, dass mensch die ver-schleierte Herrschaft the-matisiert, läuft oft die Re-pression ins Leere. Verstär-ken lässt sich dieser Effekt durch das offensive Einfor-dern und Thematisieren von Repression: „Machen sie jetzt einen Strich? Wird davon der Unterricht bes-ser? Bringt Ihnen das Spaß?“ Die Möglichkeiten, Herrschaft und Repression zu thematisieren, sind unend-lich.

Unterdrückungsmaßnahmen thematisieren

Ein weiterer Ansatz ist die Thematisierung konkreter Unterdrückungsmaßnahmen:

Z.B. im Unterricht demonstrativ Frühstück auspacken, mit Serviette, Kaffeetasse, Be-steck und darauf warten, dass die Lehrkraft zu pöbeln anfängt. Dann fragen, warum es sinnvoll sei, nicht zu Essen, wenn mensch Hunger habe. „Dann können Sie sich nicht auf den Unterricht konzentrieren!“ „Mit Hunger bin ich aber noch weniger in der Lage, mich zu konzentrieren.“ „Aber wenn das Alle machen würden!“ „Dann könnten

Der Verhaltensforscher, Nobelpreisträger und NSPAP-Parteigänger Konrad Lorenz übertrug seine an Tieren gewonnenen Erkenntnisse auf Menschen:

„„Das verderbliche Wachstum bösartiger Tumoren beruht, wie schon ange-deutet, darauf, daß gewisse Abwehrmaßnahmen versagen oder von den Tu-morzellen unwirksam gemacht werden, mittels deren der Körper sich sonst gegen das Auftreten „asozialer“ Zellen schützt. Nur wenn diese

Die hier dargestellten Gesprächslogiken sind allesamt aus der Trick-kiste der „Kreativen Antirepression“ entlehnt. Kreative Antirepression versucht u.a. durch offensive Gesprächsführung über die in der Kultur-ellen Grammatik vorausgesetzten nicht thematisierten Herrschaftsmecha-nismen z.B. das Handeln von Polizist_Innen ins Leere laufen zu lassen oder sogar kontraproduktiv werden zu lassen. Dies lässt sich auch in der Schule anwenden. Antirepressionsreader ISBN 978-3-86747-033-9 Im Frühjahr 2008 wird Bildungsministerin Ute-Erdziek-Rave bei

nem Termin im Husumer Schloss von 100 Schüler_Innen u.a. mit einem Banner „Ute, du hast es versaut“! empfangen.

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alle viel besser lernen! Zumal ich nicht sehe, dass Frühstücken den Unterricht behin-dert hat, sondern erst Ihr Ausrasten den Unterricht unterbrochen hat.“ Danach lässt sich wunderbar in generelle Herrschaftskritik einsteigen, weil offensichtlich sei, dass das Essverbot der Bildung schade und nur zur Disziplinierung diene.

Wenn gar nichts hilft

Manchmal entstehen dadurch Situationen, in denen die Handelnden sich fast alles er-lauben können, ohne dass spannende Gespräche beginnen. In solchen Fällen kann Überidentifikation helfen. Diese Technik beschreibt das Aufgreifen der gegnerischen Standpunkte, um sie zu überspitzen und so ad Absurdum zu führen. Haut z.B. ein_E Biolehrer_In ein sozialdarwinistisches (Lorenz-)Zitat raus, und statt zu pöbeln, stimmt mensch lautstark zu, überspitzt die menschenverachtende Aussage aber noch, in der Hoffnung, dass den anderen Schüler_Innen auffällt, wie Scheiße das alles gerade ist.

Außerdem ist die Hemmschwelle, eine andere Schüler_In verbal zu zerreißen, gerin-ger, als gegen den Lehrkörper aufzubegehren. Auf diese Weise können dann doch Gespräche über die kritisierten Inhalte beginnen (allerdings mit vertauschten Rollen).

Überidentifikation

Ein Beispiel dafür war die Podiumsdiskussion in Husum vor der Landtagswahl 2005 mit zwei schönen Interventionen. Der erste Moment war gleich nach der Vorstellungs-runde der Politiker. Der CDU-Mann hatte sich gerade für dreigliedriges Schulsystem ausgesprochen, als ihn eine_E Schüler_In unterstützte: Es könne ja auch nicht sein, dass alle individuellen Schüler_Innen standardisiert auf eine Schule geschickt würden, sie bräuchten doch alle individuelle Entfaltungsmöglichkeiten: Für alle individuellen Schüler_Innen einen individuellen Schultyp: Also genau drei. Und wie es denn mit den

„Nebeneinkünften“ stünde. Die Irritation war perfekt. Die zweite tolle Stelle kam, als ei-ne eher autoritäre Schülerin mehr Fleiß und Ordnung in der Schule forderte, und der nächste Redner ihre Forderung damit unterstrich, dass es wirklich unmöglich sei, dass Einige mit ungeputzten Schuhen zur Schule kämen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen

Es geht nicht darum, Lehrer_Innen das Leben zur Hölle zur machen, sondern darum, Herrschaft zu thematisieren. Viele Schüler_Innen sind Radfahrer, die nach oben buckeln und nach unten treten. Dies zeigt sich z.B. an als gesellschaftlich „schwach“

konstruierten Lehrer_Innen, die im Unterricht oft mit gnadenlosem Psychoterror ge-mobbt werden. Dies darf durch herrschaftskritisches Handeln nicht gestärkt werden.

Ziel ist es, Schwache zu stützen, nicht neue Gewaltverhältnisse aufzumachen. Bitte immer eine Grenze zwischen „Menschen platt machen“ und Herrschaftskritik ziehen.

vom umgebenden Gewebe als seinesgleichen behandelt und ernährt werden, kann es zu dem tödlichen infiltrativen Wachstum der Geschwulst kommen.

Die schon besprochene Analogie lässt sich hier weiterführen. Ein Mensch, der durch das Ausbleiben der Reifung sozialer Verhaltensnormen in einem infantilen Zustand verbleibt, wird notwendigerweise zum Para-siten der Gesellschaft“ (Die 8 Todsünden der zivilisierten Menschheit)

Wissen ist Macht

Schulgesetze sind Ländersache. Deshalb gilt in jedem Bundesland ein anderes Schulgesetzt, die sich teilweise unterscheiden. Allerdings un-terhalten viele Landesschüler_Innenvertretungen aufwendige Homepages und Ratgeber, die kompetent über die jeweiligen gesetzlichen Rahmenbe-dingungen in der Schule informieren. www.nutze-dein-recht.de

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Im Dokument Herrschaftskritik Hauke Thoroe (Hrg.) (Seite 30-34)