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Handelspartner oder Herrschaftsgebiet?

Im Dokument Herrschaftskritik Hauke Thoroe (Hrg.) (Seite 86-90)

Von 1991- 1995 tobte ein grausamer Krieg durch das ehemalige kommunistische Ju-goslawien. Heute bemühen sich die UN, die EU, internationale NGO`s und die dort le-benden Menschen wieder um ein normales Leben und um bescheidenen Wohlstand.

Doch der Wiederaufbau geht langsam voran.

Sarajevo Altstadt: Die Cafes sind voller jun-ger Menschen, das Logo der HypoVer-eins- Bank an den

„Twin Towers“ des ehemaligen Olympia- Mediencenters über-ragt die Stadt, in Klei-dungs- und Souve-nirläden wimmelt es von Kunden. Mitten zwischen den noblen Fassaden der Ban-ken aus Glas und Be-ton steht die ausge-brannte Ruine des Hotel „Europa“. Zwi-schen den TiZwi-schen der Cafés laufen bettelnde Roma-Kinder, die von aufgebrachten Kellner_Innen vertrieben werden, zwischen der katholischen Kathedrale und den Türmen der serbisch-orthodoxen Kirche erheben sich die Minarette einer neugebauten Moschee.

Doch der Anblick Sarajevos täuscht. Von Wohlstand sind die meisten Bosnier_In-nen noch weit entfernt. Das Bruttosozialprodukt der Bevölkerung ist äußerst niedrig. 61 Der Stadt/Land-Gegensatz ist enorm. In den Zentren wie Tuzla, Mostar oder Sarajevo überdeckt der Reichtum Weniger die Armut Vieler. Einer kleinen Schicht Wohlhaben-der ist es gelungen, sich während des Krieges zu bereichern oWohlhaben-der nach dem Krieg bei der Privatisierung des ehemals kommunistischen Eigentums groß abzusahnen. Auch zwischen organisierter Kriminalität, Politik und Wirtschaft gibt es lukrative Verbindun-gen. Auf den Dörfern hingegen tritt der Mangel offen zu Tage. Zerstörte oder nur halb-fertige Häuser, kaum Arbeitsplätze (90% Jugendarbeitslosigkeit in ländlichen Gegen-den), Kleinfeldwirtschaft, mangelndes Kulturangebot und fehlende Nahversorgungs-zentren prägen das Bild. Die „Supermärkte“ sind Meisterwerke der Improvisation: Ein Raum, etwa fünf mal fünf Meter, eine Theke, ein halbvolles Regal, fertig.

Die Doppeltürme des Olympiazentrum in Sarajevo. Es sind die höchsten Türme der Stadt. Auf ihren Dächern ist riesengroße Werbung der Hypo-Vereinsbank und der deutschen MERKUR Versicherung montiert.

Das Abkommen von Dayton

Dayton ist ein Tagungsort in den USA, wo die Anführer der Kriegspar-teien unter Vermittlung des US-Präsidenten Clinton ein Friedensabkom-men schlossen. Darin wird die Souveränität der heutigen Staaten, die Einrichtung des EU-Protektorats in Bosnien, die Re-Deportation der in die EU geflüchteten Bewohner_Innen und Wirtschaftshilfe geregelt.

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Das Hauptproblem der bosnischen Wirtschaft ist der Mangel an Industrie62. Als es noch Jugoslawien gab, war in Bosnien aus strategischen Gründen die Rüstungsindus-trie fokussiert. Heute fehlt die jugoslawische Armee als Abnehmer (1989 immerhin die fünftgrößte Europas), und der Krieg tat sein übriges. Noch heute sind viele Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Ackerbau wird mit alten Maschinen und teilweise noch mit Pferd und Hacke betrieben, was teilweise allerdings durch die ex-tremen Hanglagen der Äcker bedingt ist. Viele Menschen arbeiten auch im Dienstleist-ungssektor, doch schätzt das OHR, dass 17% der Kaufkraft durch die internationalen Organisationen ins Land kommen. Auch ist der Handel durch die größtenteils fehlen-de verarbeitenfehlen-de Industrie gezwungen, auf ausländische Produkte zurückzugreifen, sodass nur wenig Geld im Land bleibt. 63

Von Sarajevo lenken wir unsere Aufmerk-samkeit nach Mostar, der zwischen Bosnia-ken und Kroaten geteilten Stadt im Süden des Landes. Das mediterrane Klima ist hier schon deutlich zu bemerken. Die Cafes in der Altstadt sind gut gefüllt, die Imane rufen zum Abendgebet im bosniakischen Teil der Stadt und ich treffe mich mit Adnan. Adnan ist guter Laune, redet viel, doch als wir auf seine Zukunft zu sprechen kommen, wird sein Blick traurig: „Ich habe mich bei einer Maschinenfabrik im kroatischen Teil bewor-ben, doch ich habe da keine Chance. Ich bin weder Katholik, noch bin ich dort mit je-manden verwandt.“ Vetternwirtschaft ist eher die Regel als die Ausnahme. Man spricht scherzhaft von „Familienbetrieben“, da viele Personalchefs eher nach Familien-zugehörigkeit und Ethnie entscheiden, als nach Qualifikationen. Nach den Verwal-tungsvorschriften der UN darf kein UN-Mit-arbeiter aus Bosnien Verwandte ersten, zweiten oder dritten Grades einstellen.

OHR heißt Office of the High Representative. Der „High Rep“ wird abwechselnd von den Mitgliedsstaaten des „boards“ (alle Staaten, die für den „Wiederaufbau“ zahlen (mit Stimmrecht entsprechend ihrer Leistungen), bestimmt, und hat im Zweifelsfall sogar das Recht, die bosnische Regierung einschließlich des Parlamentes zu suspendieren.

Der High Rep war bis 2007 der CDU-Politiker Schwarz-Schilling.

www.ohr.int

Wohnhäuser in Mostar (beide bewohnt).

Bosnien-Herzegowina hat je nach Zählweise 3 bis 7 Bestandteile. Bosni-en-Herzegowina hat eine Gesamtstaatsregierung, und besteht aus zwei Teilstaaten: Der Serbischen Republik (Hauptstadt Banja Luka) und der Kroatisch-Bosniakischen Föderation (Hauptstadt Sarajevo), die sich in einen bosniakisch-muslimischen Teil und das autonome katholisch-kroa-tische Mostar teilt. Die Stadt Brcko hingegen ist direkt dem Gesamt-staat unterstellt. Keines dieser Gebiete ist ethisch oder religiös

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Bei Kriegsende 1995 war kaum noch Kapital im Land. Dies und die rigide durchge-setzte Freihandelspolitik der internationalen Staatengemeinschaft in Bosnien hat dazu geführt, dass in Bosnien lediglich ausländische Banken angesiedelt sind. Einen Groß-teil des Kreditgeschäftes Groß-teilen sich HypoVereinsBank, Raiffeisen Volksbanken (Österreich), Banka Hverska (Kroatien) und Tyrkish National Bank. Die Kredite wer-den hauptsächlich für privaten Konsum ausgegeben. Die Konsumgüter stammen größtenteils von Produzenten aus den Heimatländern der kreditgebenden Banken. So fließen die Kredite letztendlich wieder in die Bilanzen der Banken, da durch die globa-le Vernetzung der heutigen Wirtschaft jede Bank irgendwie irgendwo Teilhaber_In an den Produzent_Innen der Konsumgüter ist.

Das Einzige, was in Bosnien bleibt, ist die Abhängigkeit vom westlichen Unterneh-men. Bosnien führt zur Zeit Waren im Wert von 10 Mrd. USD. ein, aber nur für 4 Mrd.

aus64. Für den Fall, dass sich doch jemand traut, ein Unternehmen im Produktions- Bosnien ist eine postmoderne Kolonie. Meistens ist es für die Domi-nanzmächte sicherer, die Macht mit einheimischen Eliten zu teilen, und zumindest den Handelspartnern politische Selbstständigkeit zu gewäh-ren. Eine der wenigen Ausnahmen bildet neben Bosnien, das von der EU dominiert wird, Nordirland, unter der Oberherrschaft Großbritanniens.

Buchempfehlung: „Europas vorletzte Kolonie“ von Hauke Thoroe

homogen. Außerdem lässt sich auch die Stadt Sarajevo als ein Sonderge-biet auffassen, da das StadtgeSonderge-biet in beiden Teilstaaten liegt. Vor dem Krieg waren selbst einzelne Dörfer selten homogen besiedelt, was zeigt, wie unwichtig Herkunft und Religion vor dem Krieg waren: Erst im Laufe der jugoslawischen Wirtschaftskrise in den `80ern und der damit aufkommenden nationalen Rhetorik wurden die Unterschiede wichtig und führten zum Bürger_Innenkrieg.

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Deutsches Militär patrolliert an der Kathedrale in der Innenstadt von Sarajevo

bereich zu gründen, so muss sein Produkt we-gen der Freihandelspoli-tik sofort mit z.B. EU-Pro- dukten konkurrieren. So kommt es, dass es viele Jahre nach Kriegsende immer noch kaum Indust-rie in Bosnien gibt. Geht man durch die Straßen, so findet man hier die Autos, die in der EU nicht mehr verkäuflich sind.

Ein neuer PC kostet im Geschäft etwa 1000 Euro, doch die modern-sten PCs sind auf dem

technischen Stand von vor zwei Jahren. Deutsche Produkte machen den Hauptanteil am Warensortiment aus, die Landeswährung heißt „Konvertible Mark“, wird im Kurs 1:1 zur „alten“ D- Mark gehandelt, und wurde genau wie die Briefmarken in der Bun-desdruckerei produziert, die Telekom betreibt das Telefonnetz in Bosnien, europäi-sche Banken prägen das Straßenbild und die Finanzwirtschaft, deuteuropäi-sche SFOR- Sol-daten gehen Streife in Sarajevo. Wegen der Freihandelspolitik scheint es so, als sei dies durchaus im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft, dass Bosnien ein zusätzlicher 5 Millionen Menschen umfassender Absatzmarkt bleibt.

Bosnien sieht aus wie eine Kolonie, und betrachtet man die Wertschöpfungskette, dann ist Bosnien eine Kolonie. Rohstoffe werden exportiert, minderwertige Konsum-güter eingeführt. Der Mehrwert der Produktion verschwindet fast komplett im Ausland.

Seit 1995 regiert das OHR im Auftrag der internationalen Staatengemeinschaft, und es scheint schwer vorstellbar, dass deren Wirtschaftsexperten der Mangel an verar-beitender Industrie noch nicht aufgefallen ist. So sieht es auch Darko, ein in der Kriegsdienstverweigerungsbewegung engagierter Jugendlicher aus Sarajevo: „Das OHR und die SFOR haben sehr viel zur Beendigung der Kämpfe und für Sicherheit getan. Doch damit es in Bosnien-Herzegowina besser geht, muss die Wirtschaft selbstständig werden. Und langsam glaube ich, das wollen die gar nicht.“

SFOR = Stabilisation Force, int. Schutztruppe mit UN-Mandat, noch un-ter Kommando der USA. Die Bundeswehr stellt das zweitgrößte Kontingent nach den USA. Wurde mittlerweile durch die EU-Schutztruppe EUFOR abge-löst. Anfänglich waren in Bosnien 57.000 Nato-Soldaten, aufgrund der

„verbesserten Sicherheitslage“ sind es 2009 nur noch 2500. Ein Grund für die Reduzierungen sind jedoch die Kriege in Irak und Afghanistan.

Das Anbringen von kleinen Veränderungen genügte im Europa-wahlkampf 2004, um die Politik der EU und der SPD zu entlarven.

Freuhandel meint eine Politik des internationalen Waren-, Geld-, und Dienstleistungsverkehrs, der keine Zollschranken oder andere (z.B.) mengenmäßige Handelsbeschränkungen kennt. Diese Ideologie tut so, als ob alle Handelssubjekte gleichstarke Partner_Innen seien. Das führt dazu, dass die reichen Wirtschaften im Vorteil sind. Außerdem werden die Menschen mobiler, was dazu führt, dass auch innerhalb der am Frei-handel teilnehmenden Länder die Polarisierung der Einkommen zunimmt. 89

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