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Herbert Grämmel

Im Dokument Rosa-Luxemburg-StiftungTexte 35 (Seite 31-41)

Geboren am 25. Februar 1911 Buchenwaldhäftling Nummer 625

Herbert Grämmel wurde am 25. Februar 1911 als ältestes von sieben Kindern in Breslau geboren. Sein Vater, Oswald Grämmel, geboren am 1. Juli 1887, war von Beruf Schlosser. Seine Mutter, Anna, geborene Reichold, wurde am 12. Fe-bruar 1887 geboren. Sie übte den Beruf einer Schneiderin (Weißnäherin) aus und sorgte gleichzeitig liebevoll für die Familie, die zu dieser Zeit eine kleine Mietwohnung in Breslau bewohnte. Als die Wohnung zu klein wurde, traten die Eltern 1920 in eine Siedlergenossenschaft ein, in der vorwiegend Hand-werker organisiert waren. In einem Vorort von Breslau erwarb die Genossen-schaft Land, auf dem Eigenheime errichtet werden durften. Gegenseitige Hilfe beim Bauen erleichterte die Arbeit. Bei der Erschließung des Baulandes und beim Bau mussten die Kinder mitarbeiten.

»Vor allem mein Bruder und ich übernahmen sehr viel Arbeit. Hinzu kam, dass unser Vater die Kassierung der Gewerkschaftsbeiträge von fünf Ortschaf-ten übernommen hatte. Die Kassierung der Gewerkschaftsbeiträge wurde nur an den Wochenenden durchgeführt. So blieb für uns kaum ein freies Wochen-ende.« Herbert Grämmel wuchs in einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie auf. Sein Vater wurde in der Siedlung Vorsitzender der SPD-Ortsgruppe, und seine Mutter engagierte sich in der Frauenbewegung. Sein Großvater trat vor dem Ersten Weltkrieg aus der Kirche aus und in die Sozialdemokratische Par-tei August Bebels ein. Schon als Kind bekam Herbert viel von der politischen Stimmung mit, ging es doch bei jedem Familientreffen um Politik.

Die Märzkämpfe 1920, als sich die geeinte Arbeiterklasse gegen Kapp und Lüttwitz erhob, um die in der Novemberrevolution erkämpften demokrati-schen Rechte und Freiheiten zu verteidigen, erlebte er als Neunjähriger.

»In Breslau gab es zu dieser Zeit zwei Kasernen. Im Vorort Carlowitz waren Infanterie und Artillerie und im Süden die Kavallerie stationiert, also ein Stütz-punkt der Generale, die die Erfolge der Arbeiterklasse aus der Novemberre-volution beseitigen wollten. Meine Tante zog an dem Tag in Breslau um, die Familie fuhr mit dem Pferdewagen durch die Stadt, auf den Ring zu. Parallel zu den Putschisten, die dort auf Gegendemonstranten trafen. Es wurde ge-schossen. Ich saß auf dem Wagen neben meiner Tante auf einem Sofa und hörte die ersten Kugeln pfeifen. Das Erlebnis dieser gewaltsamen Auseinan-dersetzung prägte mein Leben.«

Er bekam frühzeitig die Not und das Elend der Proletarierfamilien zu spü-ren. Bald wusste er, was das Wort Hunger bedeutete, und er erlebte den tägli-chen Kampf, um die Familie satt zu bekommen.

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»Früher hatte der Arbeiter seinen Wochenlohn in einer schmalen Tüte nach Hause getragen. Nun brauchte er für den Hungerlohn eines einzigen Tages ei-nen großen Rucksack. Bettler wurden über Nacht ›Multimillionäre‹ und hun-gerten dabei ärger als zuvor. Die Preise kletterten in schwindelnde Höhe. Ar-beiter erstanden des Abends für den Tageslohn ein Brot und hätten für das gleiche Geld noch am Morgen einen Sack Mehl erwerben können. Als Schul-kind bezahlte ich das Schreibheft mit einem Packen von Geldscheinen, der dicker war als ein Bücherstapel. Abends froren in dunklen Wohnvierteln die Arbeiterfamilien, es fehlte Geld für die Heizung und das Licht. Währenddes-sen bereicherten sich die Großindustriellen immer mehr.«

Von 1917 bis 1925 besuchte Herbert Grämmel die Volksschule in Breslau, die er erfolgreich beendete. Mit 14 Jahren begann er eine Lehre als Installateur für Gas und Wasser in der Firma Milde in Breslau und wurde Gewerkschafts-mitglied. »Dieser Unternehmer hatte einen der größten Handwerksbetriebe und beschäftigte bis zu 50 Arbeiter. Weiterhin besaß er ein großes Handelsge-schäft und verkaufte sanitäre Anlagen. Der Meister konnte sich 1927 ein Auto mit Chauffeur leisten. Wir Lehrlinge sollten nach der Berufsschulzeit abends im Betrieb nacharbeiten. Ich war schon gewerkschaftlich aktiv und wehrte mich.

Das habe ich zu spüren bekommen.«

1927 wurde er Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). »Das Leben in der SAJ war sehr abwechslungsreich und entsprach meinen Vorstel-lungen. Es wurden politische Schulungen und Heimabende durchgeführt. An den Heimabenden sangen wir Lieder, trieben Sport und lasen viele Bücher.

Wanderungen an den Wochenenden gehörten ebenfalls zum Leben in der SAJ.

Bald bekam ich eine Funktion. Ich warb unter den Lehrlingen für den Eintritt in die Gewerkschaft. Doch diese politische Aufklärungsarbeit missfiel dem Meister, und ich wurde mit Beendigung der Lehrzeit, obwohl ich noch keine Gesellenprüfung abgelegt hatte, entlassen.«

Herbert Grämmel war nun arbeitslos.

Nach zwei Monaten bekam er ein Angebot in der Kreisstadt Schweidnitz.

Er nahm die Arbeit in einer Installateurabteilung an und zog nach Schweid-nitz. »Nachdem ich mich in dem neuen Betrieb eingearbeitet hatte, versuchte ich Kontakte mit der dortigen Ortsgruppe der SAJ aufzunehmen. Jedoch fand ich hier ein sehr armseliges Jugendleben vor und stellte mir die Aufgabe, das Leben der Jugendlichen in Schweidnitz zu mobilisieren. Aufgrund meiner bisher gesammelten Erfahrungen unterbreitete ich vielfältige Vorschläge. Ich unternahm große Anstrengungen, um die Ortsgruppe der SAJ zu aktivieren.

Durch meine Arbeit gelang es mir, einen Stamm von Funktionären aufzu-bauen. Die Ortsgruppe zählte schon bald fünfzig Mitglieder, und es war erfor-derlich, eine altersmäßige Teilung vorzunehmen. Ich wurde zu ihrem 1. Vor-sitzenden gewählt.«

Zwei Jahre später trat er in die SPD ein.

33 Das Leben und seine bisherigen Erfahrungen hatten ihn zu einer Persön-lichkeit heranreifen lassen. Es lag ihm viel daran, die Mitglieder in politischen Schulungen über die Lügen der Monopolbourgeoisie, über Ausbeutung und Unterdrückung aufzuklären. Seine Genossen warnte er vor der Gefahr, die die Politik des deutschen Imperialismus, Militarismus und Faschismus heraufbe-schwor. In persönlichen Gesprächen mit leitenden Genossen äußerte er seine kritische Haltung zur Politik der rechten sozialdemokratischen Parteifüh-rung. Wegen seiner Kritik wurde Herbert Grämmel 1931 aus der SPD und dem sozialistischen Jugendverband ausgeschlossen.

Mit der Parteilinie nicht einverstanden, schloss er sich den »Opportunisten Kurt Rosenfeld und Max Seydewitz« an. Er arbeitete politisch weiter in der So-zialistischen Arbeiterpartei (SAP), »deren Ziele mit denen der heutigen PDS vergleichbar« waren. In der KPD sah er keine Alternative.

»Ein politisches Schlüsselerlebnis war für mich die Reichstagswahl 1932.

Die KPD hatte Ernst Thälmann als Kandidaten aufgestellt, während die SPD ihren Wählern frei ließ, ob sie Hindenburg oder Thälmann wählten. Der ei-gentliche Sieger dieser Wahl war jedoch Hitler, damit war geschehen, was wir verhindern wollten.«

Die SAP musste in die Illegalität gehen, zu den zweitausend Mitgliedern in Breslau gehörte Herbert Grämmel. Er verdiente seinen Lebensunterhalt bei verschiedenen Arbeiten außerhalb seines Berufes; politisch arbeitete er in der antifaschistischen Widerstandsgruppe der SAP. Für die illegale Arbeit wurden zuverlässige Genossen gebraucht.

»Ich war ab 1934 als Kurier eingesetzt zwischen Breslau und der tschechi-schen Grenze. Im tschechitschechi-schen Grenzgebiet war ein sozialdemokratischer Bürgermeister mein Kontaktmann. Ich hatte Berichte über die illegale Arbeit, über Widerstand in den Betrieben und gegen die Kriegsrüstung im Gepäck.

Die Berichte wurden in der Tschechoslowakei gedruckt. Auf dem Rückweg nahm ich Flugblätter, verbotene Bücher und Zeitschriften mit zurück, die wir dann verteilten oder verkauften. Meist ist zur Tarnung eine Genossin mit mir gereist, so dass es nach einem Liebespaar aussah und weniger auffällig war.

Am 17. November 1935 wurden wir an der Bushaltestelle Andreasbaude in Waldenburg durch die Gestapo verhaftet. Ich vermute, es war Verrat, aber das konnte ich nicht beweisen.«

Nach einjähriger Untersuchungshaft im Polizei- und Untersuchungsge-fängnis in Breslau fand am 17. November 1936 vor dem »Volksgerichtshof« in Berlin der Prozess gegen Kalinke und Genossen statt. Die Anklage lautete:

Vorbereitung zum Hochverrat.

»Willy Kalinke, Fritz Sommer und mir wurde vorgeworfen, verbotene Druckschriften verbreitet zu haben, die zum Teil aus dem Ausland bezogen wurden. Weiterhin legte man uns zur Last, heimlich Zusammenkünfte in klei-nen Gruppen organisiert und Verbindung zur ›im Ausland sitzenden

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tionalen Leitung der kommunistischen Bewegung‹ hergestellt zu haben. Willy Kalinke erhielt 12 Jahre Zuchthaus, Fritz Sommer erhielt 5 Jahre Zuchthaus und ich erhielt 3 Jahre Zuchthaus und 7 Jahre Ehrverlust. Wenige Jahre später hätte diese Anklage das sichere Todesurteil bedeutet.«

Herbert Grämmel wurde erst nach Plötzensee, danach ins Zuchthaus Bran-denburg-Görden und schließlich ins Zuchthaus Waldheim eingeliefert, wo er seine »Haftstrafe« in der Zeit vom 18. November 1936 bis 17. November 1938 verbüßte. »In Waldheim spürte ich trotz alledem die Solidarität der politischen Gefangenen untereinander. Sie gab uns Kraft und den Willen zum Durchhal-ten. Die Warnung vor Spitzeln und berüchtigten SS-Schlägern, bessere Werk-zeuge oder Hinweise auf kleine Tricks, die den Ungeübten die Arbeit erleich-terten, bedeuteten unter Umständen die Erhaltung des Lebens. Eine Scheibe Brot, ein freundliches Wort halfen manchem der ›Zugänge‹ über die ersten, die schwersten, Wochen hinweg.«

Auch unter den schwierigsten Bedingungen der Haft riss die Verbindung unter den politischen Häftlingen nicht ab, ob Kommunisten oder Sozialdemo-kraten. Selbst hilfe- und trostbedürftig, machte er seinen mit ihm eingekerker-ten Genossen Hoffnung und Mut.

Am 17. November 1938 öffneten sich für Herbert Grämmel die Zuchthaus-tore von Waldheim – aber nicht, um nach Hause entlassen zu werden. »Die Breslauer Gestapo, die auf juristischem Wege kein höheres Urteil erwirken konnte, verpasste mir ›Schutzhaft‹ und schickte mich ins KZ Buchenwald.«

Aus dem Gefangenen mit Namen Herbert Grämmel wurde am 24. Novem-ber 1938 der Häftling Nummer 625. Die Baracken standen schon, die Wege wa-ren noch nicht befestigt, die Truppengaragen wurden gerade gebaut.

»In der Regel kamen neue Häftlinge entweder ins Schachtkommando oder in den Steinbruch und waren ständig der SS ausgesetzt. Ich hatte Glück. Weil ich Klempner von Beruf war, kam ich in das Kommando Schlosserei. Ich wurde für den Bau von Truppengaragen und Kasernen eingesetzt.

Die Zeit in Buchenwald war für mich auch eine politische Schule. Hier traf ich mit erfahrenen Revolutionären zusammen, die meinen Platz im Kampf ge-gen den Kapitalismus bestimmten. Ich war erst im Block 39 und danach im Block 42 untergebracht. Die Solidarität unter uns Gefangenen war wichtig, überlebenswichtig. Ich wurde Kolonnenführer und hatte mehr Bewegungs-freiheit. Zwei Mann aus meiner Gruppe arbeiteten an der Erweiterung des Wirtschaftsgebäudes, in dem die SS-Leute verpflegt wurden. Sie organisierten aus den Abfällen Brot. Ich kam von der Truppengarage mit einem Korb Mate-rial, tauschte es gegen das Brot, ging die 800 Meter zum Sitz der Kolonne zurück. Ich wurde nie erwischt, hatte immer Glück.

Am 24. Juni 1940 wurde ich überraschenderweise entlassen. Was war ge-schehen? Mein Vater hatte während meiner Inhaftierung bereits mehrere Ge-suche auf Entlassung bei der Gestapo in Breslau gestellt, die alle unbeantwortet

35 blieben, bis Oswald Grämmel einen 80jährigen Klempnermeister kennen-lernte, dessen Sohn als Soldat der Wehrmacht in den Krieg ziehen musste und der das gut gehende Geschäft nicht alleine führen konnte. Der alte Klempner-meister erklärte sich schriftlich bereit, mich einzustellen. Mit dieser Erklärung fuhr mein Vater zur Gestapo nach Berlin. Beinahe wäre es in letzter Minute noch schiefgegangen. Ich wurde von einem Wachposten erwischt, als ich beim Gewindeschneiden an einem Stück Brot kaute. Essen war uns Häftlingen wäh-rend der Arbeit verboten. Der Verstoß gegen die Lagerordnung hätte schlimme Folgen für mich haben können, aber der Wachposten meldete den Vorfall nicht weiter. Ein Häftling aus dem Zementlager war Zeuge des Vorfalls gewesen, und weil die SS-Posten dort Material klauten, hatte der Wachposten wohl

›überzeugt‹ werden können, Stillschweigen zu bewahren. Ich bin mir sicher, dass es sich genau so abgespielt hat. Dieser Häftling, ein Kommunist, hat mir das Leben gerettet, ich kam um den Prügelbock herum.

Eine Grausamkeit ist mir noch gut in Erinnerung. Ein Häftling war abge-hauen, wurde aber wieder erwischt. Er wurde im Winter 1938 gehängt, und wir mussten als Abschreckung alle zuschauen, er hing lange da.«

Herbert Grämmel, am 20. Juni 1940 »nach Breslau probeweise entlassen«, nahm seine Arbeit in der Klempnerei auf. Er lernte Margarete Auerbach ken-nen und lieben, sie heirateten am 16. Dezember 1940. Aber das Glück sollte

Entlassungsschein aus dem KZ Buchenwald für Herbert Grämmel

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nicht von Dauer sein. Bereits nach der Geburt der Tochter Elvira am 18. Okto-ber 1941 wurde seine Frau krank und starb am 7. Januar 1942. Für den jungen Vater und seine drei Monate alte Tochter entstand eine schwierige Lage. Er musste schnell eine Frau finden, die sich um das Kind kümmerte. »Das war gar nicht so einfach, eine Partnerin zu finden, wer heiratet schon in dieser Zeit einen politisch Vorbestraften, einen KZler.«

Ständig musste er auch damit rechnen, dass er von den Nazis wieder ver-haftet würde. Gestapospitzel waren gegen die Widerstandsbewegung einge-setzt, die in Stadt und Land, in Rüstungsbetrieben den Kampf fortsetzte. Be-sonders wurden Genossen beobachtet, die bereits inhaftiert gewesen waren.

Im Oktober 1942 heiratete er Anna Kutsche, mit der er bis zu ihrem Tode im Jahre 2000 zusammenlebte. Einen Monat nach der Heirat, am 13. November 1942, wurde er als »Wehrunwürdiger« zur Strafdivision 999 eingezogen.

»Ich wurde am 13. November 1942 in Breslau zur Artillerie-Abteilung des Regimentes 962 der Division 999 nach dem »Heuberg« bei Stetten am Kalten Markt eingezogen. Nach der Grundausbildung auf dem »Heuberg« wurden wir von einem Lager ins andere Lager gebracht. Zunächst transportierte man uns nach Belgien, nach Maria-Terkeide. Hier wurde ich auf dem Truppen-übungsplatz als Kraftfahrer ausgebildet. Anschließend, nach einem Monat, mit kurzer Station in Nimes (Südfrankreich), überführten sie uns nach Tunis.

Da nur wenige Kraftfahrzeuge zur Verfügung standen, wurde ich nicht als Kraftfahrer eingesetzt, sondern bildete mit vielen anderen, die nicht an der Front zum Einsatz kamen, die Nachhut. Wir bezogen auf dem Gehöft eines französischen Farmers Quartier. Hier wurden wir am 8. Mai 1943 von briti-schen Soldaten gefangen genommen und über mehrere Lager nach Algier transportiert. Von Algier ging es mit einem großen Sammeltransport per Schiff im Geleit von Kriegsschiffen nach England. Aber England blieb nicht unsere letzte Station. Bereits nach kurzer Zeit ging es mit einem belgischen Passagier-schiff, das zu einem Gefangenentransporter umgerüstet war, nach Halifax (Kanada) und von dort 5 Tage und Nächte per Bahn nach Oklahoma (USA). In Oklahoma, im Camp McCain angekommen, machten wir Antifaschisten es uns zur Aufgabe, sofort mit der Umerziehung der deutschen Kriegsgefangenen zu beginnen und erwarteten die Unterstützung der amerikanischen Lagerleitung, die aber ausblieb. Kameraden, die der englischen Sprache und Schrift mächtig waren, übersetzten uns die neuesten Nachrichten aus der Presse, die wir dann mit den übrigen Gefangenen diskutierten, es waren erste Erfolge zu verzeichnen.

Bei meinem Eintreffen in diesem Lager war es etwa zu einem Viertel und über-wiegend von Angehörigen der Division 999 belegt. Bald war das Lager voll belegt, damit verschob sich auch das Verhältnis von 999ern und Angehörigen der regulären Einheiten zuungunsten der 999er. Angesichts des Vormarsches der Roten Armee nach den vernichtenden Niederlagen der faschistischen deut-schen Truppen in der Schlacht an der Wolga bei Stalingrad spitzte sich das

37 Lagerleben in Oklahoma zu. Die Faschisten bekamen die Oberhand. Mit allen Mitteln versuchten sie, die amerikanische Lagerleitung zu schädigen, was ihnen zum Teil auch gelang. Weiterhin ging es ihnen darum, die politischen Gefangenen von jeder politischen Tätigkeit, somit vom Kampf gegen den Hitlerfaschismus abzuhalten. Es wurden nächtliche Überfälle auf uns Antifaschisten organisiert und durchgeführt. Bei einer Trauerfeier für einen verstorbenen Kriegsgefange-nen mit allen militärischen Ehren sollten wir den Hitlergruß zeigen, den wir An-tifaschisten verweigerten. Daraufhin verweigerten mir die Faschisten den Zu-tritt zu meiner Baracke. Ich selbst war gezwungen, mich in Schutzhaft bei der amerikanischen Lagerleitung zu begeben, um keine Prügel von den Faschisten beziehen zu müssen. Bei der Vernehmung am anderen Tag musste ich feststel-len, dass man gar nicht an meiner Sicherheit interessiert war. Erst als ich darauf hingewiesen habe, dass ich in Zuchthaus und KZ im faschistischen Deutschland war und den faschistischen Krieg überstanden hatte und nicht in der amerika-nischen Demokratie von den Faschisten totgeschlagen werden wollte, sah man sich genötigt, etwas für meine Sicherheit zu tun. Ich wurde in eine andere Ba-racke mit mehr Antifaschisten verlegt. Bald darauf sah sich die amerikanische Lagerleitung gezwungen, uns Antifaschisten in ein anderes Lager zu über-führen. Ich kam mit ungefähr hundert der aktivsten Antifaschisten nach Fort Davis in Massachusetts/USA, wo wir auf weitere Antifaschisten trafen.

Gemeinsam konnten wir nun unsere Aufklärungsarbeit fortsetzen. Wir ver-breiteten, wo und wann wir nur konnten, die Wahrheit über den Faschismus und den Charakter des Krieges und gaben eine Lagerzeitung heraus. Unter-stützt wurden wir dabei von einem Genossen aus Hamburg, der als Schulleiter von der übrigen Arbeit freigestellt war.

Mit seiner Hilfe gelang es uns, in der Schule Sprachen und technisches Wissen zu vermitteln. Ich belegte die Fächer Englisch, Technisches Zeichnen, Mathematik und Physik. Aber auch die Kulturarbeit kam nicht zu kurz. Es wurden ein Chor und eine Kapelle gegründet. Zur Durchführung von Kultur-veranstaltungen konnten wir ein Gebäude als Kulturhaus ausbauen, in dem auch politische Veranstaltungen stattfanden.

Jedoch dauerte dieser Zustand nicht lange an, mit der Kapitulation wurden alle geschaffenen Einrichtungen verboten. Wir mussten 11-12 Stunden arbeiten;

hatten wir bis jetzt einen Verpflegungssatz von über 4 000 kcal/pro Tag, wurde der nun auf 1100 kcal/pro Tag herabgesetzt, so dass wir dagegen streikten. Von den Amerikanern wurden nach der Kapitulation Umschulungen eingerichtet, in denen man die Kriegsgefangenen für ihre Besatzungszonen in Deutschland ausbildete. Ich wurde zur Umschulung zu einem Polizeikurs nach Rhode Island abkommandiert, um später in der amerikanischen Besatzungszone zu arbeiten.

Im Dezember 1945 transportierte man uns nach Deutschland, und ich wurde am 31. Januar 1946 in Darmstadt entlassen. Ich hatte eine Adresse eines Freun-des in Frankfurt/Main angegeben.

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Doch Polizist wollte ich nicht werden, wollte ›nie wieder Waffen tragen‹, außerdem wusste ich, welcher Geist bei den Amerikanern herrscht.

Mein Ziel war die sowjetische Besatzungszone. Eine Zuzugsgenehmigung für Erfurt hatte ich, aber keine für meine Familie, die in einem Lager in der englischen Zone saß. Ich war so froh, meine Frau und die Tochter gefunden zu haben und wollte mit ihnen zusammenleben. Ich ging illegal über die Grenze in die sowjetische Besatzungszone nach Erfurt in Thüringen, besorgte mir Pa-piere und holte meine Frau und Tochter nach.«

Herbert Grämmel fand Arbeit als Heizer bei der sowjetischen Kommandan-tur in Erfurt und wohnte mit seiner Familie in einer kleinen Bodenkammer. Im Januar 1947 bekam er eine Wohnung. Im Juli 1947 wurde er in den Stadtwerken Erfurt als Gasmonteur eingestellt, und er übernahm die Funktion des Zehner-gruppenleiters in der Partei (KPD/SED), der er bereits 1946 nach seiner Rück-kehr aus der Gefangenschaft beigetreten war.

Kennzeichnend für ihn waren die stete Verbindung zu den Arbeitern und die Beratung mit den Genossen. Herbert Grämmel absolvierte in dieser Zeit ei-nen Meisterlehrgang für Gasverteilung und -anwendung an der Fachschule

Kennzeichnend für ihn waren die stete Verbindung zu den Arbeitern und die Beratung mit den Genossen. Herbert Grämmel absolvierte in dieser Zeit ei-nen Meisterlehrgang für Gasverteilung und -anwendung an der Fachschule

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