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Geboren am 23. Mai 1911

Buchenwaldhäftling Nummer 2790

»Alles, was ich in meinem bisherigen Leben tat, habe ich betrachtet als etwas Notwendiges, was gemacht werden muss. Ich bin unzählige Male gefragt worden, ob ich keine Angst verspürt hätte. Ich habe darüber nachgedacht.

Natürlich habe ich – wie andere Kameraden im Lager – Angst gehabt. Aber dieser konkrete alltägliche Sachverhalt – dort die Faschisten und hier wir, als un-bewaffnete, verachtete Häftlinge – ließ uns eigentlich gar keine Zeit, darüber nachzudenken, ob wir Angst haben. Natürlich hatten wir Angst. Wer hat die nicht, wenn er vor der Tatsache steht, im nächsten Moment eines der Opfer dieser SS-Verbrecher zu sein. Hinsichtlich des Vorbereitetseins auf eine mög-liche Selbstbefreiung waren wir immer bemüht, uns äußerlich so zu bewegen, als wäre der ganze Verkehr im Konzentrationslager Buchenwald absolut nor-mal. Diese Normalität des Alltags war beherrscht von der Denkweise der Fa-schisten. Dieses unnormale Leben war also da und bestimmte unser Dasein.

Das ist der ganze komplizierte Sachverhalt. Wir hatten Angst, aber zur glei-chen Zeit taten wir all das, was nötig war, um – wenn es geht – lebend wieder herauszukommen.«

Das sind rückblickende Worte des fünfundneunzigjährigen Benno Biebel.

Installateur, kommunistischer Jugendfunktionär, Häftling in der Strafanstalt Waldheim und im KZ Buchenwald, Mitarbeiter in Ministerien der DDR, Ver-lagen und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Freunde schätzen ihn als einen treuen, zuverlässigen Kameraden, dessen Ziel die Vernichtung des Faschismus und der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist – so wie er es am 19. April 1945 auf dem Appellplatz in Buchenwald geschwo-ren hatte.

Benno wurde am 23. Mai 1911 als Sohn des Kutschers Hermann Biebel und seiner Ehefrau, der Fabrikarbeiterin Hedwig Biebel, im Berliner Wedding ge-boren. Sein Vater arbeitete bei einer Berliner Speditionsfirma. Als Soldat im Er-sten Weltkrieg fiel er 1916 bei Verdun. In dem Jahr kam sein Bruder Erwin zur Welt, der zweijährig starb.

Im Wedding, in den Schluchten der Mietskasernen des großstädtischen Ar-beiterviertels, verlebte Benno seine Kindheit und Jugend. Mit seiner Mutter wohnte er in der Reinickendorfer Straße 24. Er besuchte bis 1925 die achtklas-sige Volksschule in der Weddinger Schulstraße und erhielt in den Jahren 1925 bis 1928 bei der Firma Orenstein und Koppel in Berlin-Spandau eine Berufs-ausbildung als Installateur. Nach Beendigung der Lehrzeit wurde er entlassen und musste als Fabrikarbeiter seinen Lebensunterhalt verdienen.

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In diesen Jahren arbeitete Bennos Mutter aktiv im Internationalen Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit, einer der KPD nahestehenden Massenorga-nisation, und in der Roten Hilfe Deutschlands. Zu den vom Internationalen Bund und der KPD organisierten Demonstrationen, Versammlungen, Kund-gebungen nahm sie oft auch ihren Sohn Benno mit. Später trat Hedwig Biebel der KPD bei und gehörte von 1946 bis zu ihrem Tode 1958 im Westberliner Stadtbezirk Wedding der SED an.

Benno war an der Seite seiner Mutter ein politisch interessierter und gesell-schaftlich aktiver Mensch, der den realen Kapitalismus nicht widerstandslos hinzunehmen gedachte. Demzufolge war er 1928 Mitglied des Deutschen Me-tallarbeiterverbandes geworden. Die reichsweiten Proteste der deutschen Ar-beiterschaft gegen die Hinrichtung der beiden amerikanischen Gewerkschafter Nicola Sacco und Bartolomeo Vancetti im Jahr zuvor führten bei Benno Biebel zur Entscheidung, sich politisch zu organisieren. Er trat am 2. August 1928 in den Kommunistischen Jugendverband ein, in dem er bald in Funktionen auf Zellen- und Unterbezirksebene im Roten Wedding gewählt wurde.

Als im Oktober 1930 mehr als zehntausend Metallarbeiter gegen die vom Verband Berliner Metall-Industrieller geplante fünfzehnprozentige Lohnsen-kung streikten, organisierte der Jungkommunist mit seinen Genossen aus dem Lenzener Viertel solidarische Hilfe. Sie fuhren mit einem Lastkraftwagen aufs Land und sammelten bei den Bauern von Zehdenick in großen Mengen Kartoffeln und Gemüse für die Streikküchen.

Im Frühjahr 1932 war Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten wieder-gewählt worden. Die Kommunisten gaben zu den Landtagswahlen in Preußen die Losung heraus: »Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg!«

In diesen Wahlkampfwochen erhielt Benno Biebel den Auftrag, als Wander-referent des KJVD in der Grenzmark1für seine Partei aufzutreten. Er sprach in Schneidemühl, in Deutsch-Krone und zahlreichen Dörfern. In Schneidemühl hatte der Polizeipräsident die KPD-Versammlung mit der Maßgabe genehmigt, den eben gewählten Reichspräsidenten Hindenburg nicht zu verunglimpfen.

Benno Biebel beachtete die Forderung und konnte unbeanstandet vom anwe-senden Kriminalkommissar die Versammlungsteilnehmer für sich begeistern.

Der Neunzehnjährige war mit einem Redemanuskript ausgestattet, das er aus-wendig gelernt hatte, um in freier Rede seine Zuhörer zu überzeugen. Für Kommunisten war es außerordentlich schwer, sich in diesen Dörfern Gehör zu verschaffen. Zahlreiche Güter waren Standorte der reaktionären illegalen Ver-bände der Schwarzen Reichswehr, Armeeeinheiten, die laut Versailler Frie-densvertrag in Deutschland verboten waren.

1 Als Grenzmark wurde das Land zwischen der Oder und der polnischen Grenze vor Poznan´ bezeich-net, was gemäß Versailler Vertrag Deutschland geblieben war.

43 Gemeinsam mit seinen Genossen widersetzte sich Benno Biebel dem er-starkenden deutschen Faschismus. In Aufzeichnungen aus dem Jahre 1979 schrieb er: »Im Mai 1932 wurde ich als Politischer Leiter im Industrieunter-bezirk Siemensstadt eingesetzt. Hier erlebte ich den faschistischen Terror aus allernächster Nähe. Die Nazis hatten, um die trotz Rationalisierung und Mas-senentlassungen noch immer 32 000 Arbeiter und Angestellte zählende Beleg-schaft des Siemenskonzerns einzuschüchtern, ihre SA-Kasernen in gemieteten Kellern und in Nebenräumen einiger Bierlokale direkt neben den einzelnen Werken errichtet, von wo aus sie ihre Terroraktionen gegen die revolutionären Arbeiterfunktionäre vornahmen. Nach kurzer Zeit, als die braunen Verbrecher heraus hatten, dass ich mich als Jugendfunktionär des KJVD in Siemensstadt betätigte, richtete sich ihr Terror auch gegen mich. Ich wurde mehrmals über-fallen und schwer misshandelt, was mich nicht davon abhielt, meine politische Tätigkeit in Siemensstadt verstärkt fortzusetzen.«

In Siemensstadt selbst gab es keine Straßenzellen (Gruppen) des KJVD.

Bennos Aufgabe bestand darin, die Siemens-Jugendbetriebszelle Elmowerk (Elektromotoren) des KJVD im Dynamowerk und im Kleinbauwerk zusam-menzuhalten. Sie sammelten aus dem Betriebsgeschehen Material für den

»Siemens-Lautsprecher«, eine Betriebszeitung, die von den Genossen der KPD herausgegeben wurde. Zur gleichen Zeit hatte Benno einen sehr erfolgreichen Auftritt in »Schmidts Glaskasten« in der Weddinger Prinzenallee. Dort hatte sich der Sozialistische Jugendverband SJV zu einer Versammlung eingefunden.

»Abrechnung mit dem KJVD« war das Thema. Es referierte Edith Baumann2, Reichsleiterin des SJV. Benno Biebel trat als Koreferent auf und überzeugte die Anwesenden von der Politik des KJVD mit dem Ergebnis, dass die SJV-Gruppe, unter dem Beifall aller Anwesenden, geschlossen zum KJVD über-wechselte, was Edith Baumann mit Missfallensäußerungen zur Kenntnis nahm.

Nach der Errichtung der Nazi-Diktatur 1933 setzte Benno den antifaschisti-schen Kampf in der Illegalität fort. Am 17. Februar demonstrierten viele Gruppen junger Leute vom Wedding. Die Demonstration war vom KJVD Berlin-Nord konspirativ vorbereitet worden. Es sollte ihre Antwort auf einen Aufmarsch der SA sein, der einige Tage vorher, von einem massiven Aufgebot der Schutzpolizei geschützt, stattgefunden hatte. Die SA-Marschkolonnen waren von Schlägern in Zivil begleitet worden, die jeden Vorübergehenden provozierend und teilweise handgreiflich aufforderten, die vorangetragenen Hakenkreuzfahnen zu grüßen. Die Jungkommunisten und Mitglieder der Ro-ten Jungfront formierRo-ten sich zum Demonstrationszug, nachdem sie ein ver-abredetes Hornsignal zusammengerufen hatte. Sie zogen durch die Max- und Schulstraße und riefen antifaschistische Sprechchöre. Der Gesang des tradi-tionsreichen Liedes vom Roten Wedding »… Links, links, links, der Rote

Wed-2 Nach 1945 eine der Mitbegründerinnen der Freien Deutschen Jugend.

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ding marschiert« erklang machtvoll. Es sollte für viele Jahre das letzte Mal ge-wesen sein. Am Nauener Platz angekommen, bildeten die Demonstranten ein Karree und Benno Biebel sprach zu den Versammelten:

»Erkennt die Gefahr für die organisierte, revolutionäre Arbeiterbewegung und die Lebensbedingungen aller Werktätigen. Vervielfacht den Kampf zum Sturz des Hitlerfaschismus!«

Noch vor dem Eintreffen der Einsatzwagen der Bereitschaftspolizei hatten sich die Kundgebungsteilnehmer zerstreut. Benno Biebel erinnerte sich:

»In den folgenden Wochen gab es im Wedding von Seiten des KJVD, die Fa-schisten hatten den Reichstag am 27. Februar in Brand gesteckt, sowie vor und nach der Reichstagswahl am 5. März, trotz ständig zunehmender Massen-repressalien und Festnahmen, viele illegale politische Aktivitäten. Im Rahmen von Flugblatt-, Mal- und Klebeeinsätzen wurden neuartige Agitationsmetho-den angewandt. Die Wand einer größeren Konservendose wurde kurz über dem Boden angebohrt. Das kleine Loch aber zunächst mit einem Nagel (Blau-pinne) verschlossen. Diese Dose wurde mit Wasser gefüllt und auf ein kleines Brett gestellt, das aus dem Bodenfenster eines Hauses ragte. Auf das der Straßenseite zugerichtete Ende des Brettes kam ein Packen Flugblätter. Dann wurde der Nagel herausgezogen, damit das Wasser in haarfeinem Strahl aus der Dose entweichen konnte. War das Wasser aus der Dose ausgelaufen, bekam der Packen Flugblätter das Übergewicht, senkte sich, und die Flugblätter flat-terten auf die Straße, als wären sie von einem Flugzeug abgeworfen worden.

So lange warteten die beteiligten Jugendgenossen aber nicht. Sie verschlossen, nachdem sie den Nagel aus der Dose herausgezogen hatten, die Bodentür von außen, verließen das Haus und hielten sich in einiger Entfernung auf der Straße auf, um die Wirkung ihrer Aktion zu beobachten. Diese Methode wurde gegen den faschistischen Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 sowie vor allem in Vorbereitung des 1. Mai 1933 an zahlreichen belebten Straßen-kreuzungen und Plätzen praktiziert. So auch im Warenhaus Hermann Tietz in der Chausseestraße. Im Warenhaus Tietz flatterten die Flugblätter vom ober-sten Stockwerk direkt in den Lichthof, was großes Aufsehen erregte, da sich dort gerade Hunderte von Käufern befanden. In all diesen Fällen gelang es der alarmierten Bereitschaftspolizei nicht, Festnahmen zu tätigen. Im Warenhaus waren die Scherengitter vor den Eingängen geschlossen worden, und jeder Be-sucher wurde von der Bereitschaftspolizei durchsucht, doch ohne eine Spur zu entdecken, woher die Flugblätter kamen.«3

Am 2. Juni wurde Benno Biebel in der Weddinger Gerichtsstraße von SA-Leuten festgehalten, die ihn in ihr SA-Sturmlokal verschleppen wollten.

3 Biebel, Benno: Persönliche biographische Notizen, 1985.

45 Eine vorbeigehende Polizeistreife verhaftete Benno Biebel. Da man ihm den Straftatbestand des Hochverrats nicht nachweisen konnte, wurde er wegen illegalen Waffenbesitzes zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Diese Strafe verbüßte er in Berlin-Plötzensee und in Eberswalde.

In die Reinickendorfer Straße, wo er mit seiner Mutter gemeinsam gewohnt hatte, kehrte er nicht wieder zurück. Anfang 1934 war er erneut illegal aktiv und wurde im Sommer in Chemnitz als Instrukteur des KJVD eingesetzt. Hier verhaftete ihn die Gestapo am 9. August, und der 2. Strafsenat des Oberlan-desgerichts Dresden verurteilte ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus und vier Jahren Ehrverlust. Er wurde in das Zuchthaus Waldheim/Sachsen eingewiesen. Nach Strafverbüßung konnte Benno Biebel nicht als freier Mann nach Berlin zurückkehren. Die Gestapo er-teilte den Schutzhaftbefehl.

Am 24. März 1938 wurde er in das Konzentrationslager Buchenwald einge-liefert. Die SS-Schergen nahmen ihm in Buchenwald seinen Namen und gaben ihm die Nummer 2790, die über dem roten Dreieck, das ihn als politischen Häftling auswies, angebracht war. Wie die meisten neuen Gefangenen musste Benno anfangs im Steinbruch arbeiten. Die schwere körperliche Arbeit war er nicht gewohnt. Er erkrankte schon nach vierzehn Tagen an einer doppelseiti-gen Lundoppelseiti-genentzündung und wurde in den Häftlingskrankenbau eingeliefert, in dem sich sein Genosse Willi Dehnert, der hier als Sanitäter wirkte, aufopfe-rungsvoll um ihn kümmerte und ihn gesund pflegte.

Jeden Monat einmal durfte Benno einen Brief seiner Mutter erhalten und eine Antwort schreiben. Päckchen zu empfangen war ihm gestattet. Doch nicht alle Lebensmittelpäckchen, die Mutter Biebel sich von ihren Lebensmittelmar-ken und vom Munde abgespart hatte, kamen bei ihrem Sohn an. Oft wurden sie von der SS-Postkontrolle konfisziert.

Noch im Revier wurde Benno Biebel von Albert Kuntz aufgesucht. Albert Kuntz kannte ihn aus der politischen Arbeit in der KPD-Bezirksorganisation Berlin, in der er von 1930 bis 1932 Organisationssekretär war. Gemeinsam mit Walter Stoecker und Theodor Neubauer hatte er schon im KZ Lichtenburg die dort inhaftierten Kommunisten gesammelt und in illegalen Gruppen organi-siert. Als 1937 die KZ-Häftlinge aus der Lichtenburg nach Buchenwald verlegt wurden, brachten sie ihre illegalen politischen Strukturen mit. Nun kümmerte sich Albert Kuntz, der auch auf dem Ettersberg mit Walter Stoecker und Theo Neubauer das Führungszentrum der illegalen KPD im Lager bildete, um den neuen Häftling. Er versorgte ihn mit wichtigen Informationen zum Leben im Lager und über die politischen Ereignisse in Deutschland und der Welt. Er verschaffte und knüpfte auch die Kontakte zu anderen Berliner Kommunisten, denn die illegale Organisation der KPD war nach den Parteibezirken, wie sie bis 1933 bestanden hatten, aufgebaut. So kam Benno auch mit Rudi Arndt zu-sammen, der als Jude und Kommunist ins KZ verschleppt worden war. Er

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hatte sich vor allem um jüdische Mitgefangene gekümmert, sie unterstützt und einen großen Beitrag zum antifaschistischen Widerstand geleistet. Die SS ermordete ihn 1940 im Steinbruch.

Albert Kuntz konnte mit Hilfe der illegalen Organisation dafür sorgen, dass Benno nach seiner Genesung nicht zurück in den Steinbruch musste, sondern als Installateur in den Handwerkerkommandos der Deutschen Ausrüstungs-werke arbeiten konnte. Hier war er mit polnischen und tschechischen Arbei-tern zusammen und zeigte durch sein tägliches solidarisches Verhalten, dass die deutschen politischen Gefangenen in der gleichen Lage waren wie die aus-ländischen und auch die gleichen Interessen hatten. Die tägliche Arbeit schuf die Grundlage für den gemeinsamen Kampf der antifaschistischen Häftlinge aus vielen europäischen Ländern. Die Wirkung der antifaschistischen politi-schen Tätigkeit zeigte sich beispielsweise, als am 18. Oktober 1941 ungefähr zweitausend sowjetische Kriegsgefangene in das Lager gebracht wurden. Ge-gen den ausdrücklichen Befehl der SS, keine Kontakte zu den Kriegsgefange-nen aufzunehmen, verließen viele Häftlinge ihre Unterkünfte und bezeugten mit kleinen Dingen, wie einem Stück Brot oder einem Tuch, ihre Solidarität.

Benno Biebel hatte als Installateur mehr Möglichkeiten. Er durfte als Handwer-ker das so genannte Russenlager betreten, das ansonsten für die Häftlinge gesperrt war. So konnte er seinen sowjetischen Leidensgenossen unter dem Vor-wand, Reparaturarbeiten ausführen zu müssen, Esswaren, Pullover oder auch Socken zustecken. Er sorgte mit seinen Kollegen von der Installateurkolonne dafür, dass in einer Baracke illegal ein Elektroboiler und ein Handwaschbecken eingebaut wurden, so dass der Häftlingsarzt, Dr. Fritz Lettow, zumindest für einige Patienten warmes Wasser hatte. Auch konnten aus dem Häftlingskran-kenbau einige Medikamente in das »Russenlager« geschmuggelt werden.

Im Häftlings-Arbeitskommando musste Benno Biebel auch in dem SS-Bereich arbeiten, der für Ausrüstung und Kraftfahrzeuge zuständig war. Kraftfahrzeuge der SS wurden in verschiedenen Weimarer Werkstätten zur Reparatur gebracht.

Von einem SS-Mann bewacht, hatten beauftragte Häftlinge die schriftlichen Aufträge und anderen Schriftverkehr bei den betreffenden Firmen abzugeben und abzuholen. Eines Tages wurde Benno Biebel eine solche Aufgabe übertra-gen. In Weimar lief er in Begleitung eines mit einem Karabiner bewaffneten SS-Mannes zu mehreren Werkstätten. Die beiden kamen an einer Papierhand-lung vorbei, in der auch Bücher verkauft wurden. Benno entdeckte im Schau-fenster ein Lehrbuch »30 Stunden Russisch für Anfänger«. Kurz entschlossen sagte er seinem Bewacher, dass er in den Laden müsse. Der SS-Mann ließ ihn gewähren. Von der überraschten Verkäuferin kaufte er blitzschnell das Buch und verließ den Laden wieder, ohne dass der Bewacher argwöhnte. Im Lager diente das Buch Benno und seinen Genossen dazu, sich Kenntnisse in der rus-sischen Sprache anzueignen, was der Verständigung mit den gefangenen Rot-armisten dienlich war. Damit das Buch durch den häufigen Gebrauch keinen

47 Schaden nahm, wurde es in der Häftlingsbibliothek mit einem festen Umschlag versehen. Das Buch gehört heute noch zum Bestand in Benno Biebels Bibliothek.

Einen besonderen Stellenwert für die antifaschistische Untergrundarbeit hatte die Häftlingsschreibstube, in der alle Häftlinge erfasst wurden. Hier wurden Listen für die täglichen Appelle geschrieben. Das illegale Internationale Lagerkomitee, das sich seit 1943 aus Vertretern von elf Nationen zusammen-setzte und das kollektives Führungsgremium des Widerstands war, nutzte dieses Verwaltungsorgan der SS als ein wirksames Instrument im Kampf ge-gen das Terrorregime der SS und seiner Helfer. Ab Mitte Februar 1943 gehörte Benno zu diesem Kommando. Zu seinen Aufgaben, wie zu denen seiner Ka-meraden, gehörte es vor allem, das Eindringen von Spitzeln und Verrätern in die illegalen Organisationen der Antifaschisten zu verhindern. Hier, wie auch im Kleinen Lager, in das die Massentransporte zuerst gebracht wurden, über-prüften die Häftlinge die Neuzugänge, um sich vor Denunzianten zu schützen.

Um dies wirksam tun zu können, rangen die deutschen Häftlinge, vor allem der Kapo Hans Neumeister, der SS die Genehmigung ab, auch ausländische Kameraden in der Schreibstube arbeiten zu lassen. In den letzten Jahren des KZ war die Häftlingsschreibstube international zusammengesetzt. In ihr nah-men Deutsche, Tschechen, Polen, Sowjetbürger, Österreicher, Franzosen und Niederländer ihre Aufgaben wahr.

Benno und Albert Kayser, ein in der Berliner Arbeiterbewegung bekannter und beliebter Kommunist und Gewerkschaftsfunktionär, gehörten zur gleichen Fünfergruppe von Genossen aus dem Berliner Wedding. Albert Kayser wurde 1943, aus dem Zuchthaus Brandenburg kommend, in Buchenwald eingelie-fert. Im Oktober 1944 erkrankte er schwer an Fleckfieber und verstarb. Seine Genossen richteten für ihn eine illegale Totenfeier aus, an der Benno Biebel teilnahm. Er erinnerte sich an die von Karl Schnog gesprochenen Worte:

»… Mensch, man konnte mit Dir Pferde stehlen, warst een Kämpfer, warst een Aktivist.

Und dem Roten Wedding wirste fehlen, wo Du erster Mann gewesen bist.«

Unruhe erfasste Benno jedes Mal, wenn ihm ein Brief seiner Mutter ausgehän-digt wurde. Am 20. Januar 1945 schloss Mutter Biebel den Brief an ihren Sohn mit den Zeilen: »Ja, mein lieber Junge, wir hoffen doch, dass das neue Jahr uns den Sieg bringt. Wir müssen eben Geduld haben und ausharren. Das neue Jahr hat mit dem Luftterror gleich gut angefangen … bleib Du weiterhin gesund. Es grüßt Dich herzlich Deine liebe Mutter sowie alle anderen Trabanten und Ver-wandten.«

Mit dem Datum vom 27. Februar 1945 schrieb sie: »Mein lieber Sohn! … Am 29. Januar abends ist unser Haus erneut getroffen worden, und am 3. Februar

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brannte mittags wieder der Dachstuhl … Man kann das Leben satt bekommen bis dort hinaus. Aber ich weiß, dass noch jemand in der Ferne sich nach seiner Heimat sehnt. Und nun, mein lieber Junge, bleib gesund. Es grüßt nun herz-lich Deine liebe Mutter.«

Während Hedwig Biebel im von Bombenangriffen und den Kampfhand-lungen schwer getroffenen Berlin ausharrte, ahnte sie nicht, dass ihr Sohn Benno in den ersten Apriltagen 1945 aktiv an der Selbstbefreiung der Häftlinge be-teiligt war. Dazu schrieb er 1979: »An der Rettung der sechsundvierzig Todes-kandidaten am 5. und 6. April 1945 war ich wie folgt beteiligt: Am späten Abend

Während Hedwig Biebel im von Bombenangriffen und den Kampfhand-lungen schwer getroffenen Berlin ausharrte, ahnte sie nicht, dass ihr Sohn Benno in den ersten Apriltagen 1945 aktiv an der Selbstbefreiung der Häftlinge be-teiligt war. Dazu schrieb er 1979: »An der Rettung der sechsundvierzig Todes-kandidaten am 5. und 6. April 1945 war ich wie folgt beteiligt: Am späten Abend

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