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Hayes 1996 mit Ergänzungen

3.2 Schreibhandeln und Schreibprozesse

3.2.2 Hayes 1996 mit Ergänzungen

Das neuere Schreibprozessmodell von Hayes 1996 ist anders strukturiert. Hier un-terscheidet Hayes zwischen der Aufgabenumgebung, d. h. sozialen und physischen Einflüssen auf die schreibende Person, und dem Individuum, d. h. der schreibenden

Person und deren Gedächtnissystemen, kognitiven Prozessen, Motivationen und Affekten (vgl. Abb. 3). Die folgenden Ausführungen sind zwar an Hayes orientiert, es werden allerdings einige Aspekte um neuere Erkenntnisstände ergänzt, insbeson-dere die Erläuterung des Arbeitsgedächtnisses und des Bereichs Motivation und Affekte.

Kognition und Affekt beim Schreiben (Quelle: Hayes [2014 (1996): 61])

3.2.2.1 Aufgabenumgebung

Die Aufgabenumgebung, also das, was außerhalb der ‚Haut‘ der Schreibenden auf den Schreibprozess einwirkt, wird von Hayes unterteilt in die soziale Umgebung und die physische Umgebung. Menschen schreiben in der Regel, um mit anderen Menschen – den sogenannten Adressaten oder Adressatinnen – zu kommunizieren, unabhängig

Abbildung 3:

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davon, ob sie dem oder der Schreibenden persönlich bekannt sind oder nicht – das Schreiben ist also eine soziale Handlung. Damit ein Text sein Kommunikationsziel, nämlich verstanden zu werden, erreicht, haben sich bestimmte Konventionen der Textgestaltung herausgebildet, die zum Beispiel Auswirkungen auf die Wahl der Textsorte, der rhetorischen Strukturen oder des Sprachregisters haben. Diese Kon-ventionen unterscheiden sich kulturell und sind zeitlichen Veränderungen unter-worfen (vgl. Hayes 2014 [1996]: 62).

Auch die unmittelbare soziale Umgebung kann sich auf das Schreiben auswir-ken. So bezieht sich Hayes auf eine Studie von Nelson, die zeigt, dass universitäre Schreibprojekte häufig mit den Anforderungen anderer Seminare oder dem studen-tischen Sozialleben insgesamt konfligieren – vermutlich besonders im Hinblick auf die Zeit, die für die jeweiligen Bereiche aufgewendet wird (vgl. Nelson 1988, referiert nach Hayes 2014 [1996): 62). Zur sozialen Umgebung gehören außerdem die soge-nannten Mitwirkenden, d. h. alle Personen, die am Entstehen eines Textes beteiligt sind. So werden in beruflichen Schreibsituationen Texte häufig kollaborativ, d. h. ge-meinschaftlich von mehreren Personen, verfasst (vgl. ebd.). Auch Personen, die Text-Feedback geben, können als Mitwirkende am Text betrachtet werden (vgl. Hayes 2012: 371).

Die physische Umgebung ist ebenfalls Bestandteil der Aufgabenumgebung. Hier unterscheidet Hayes in Schreibmedium und den bereits geschriebenen Text.23 Mit Schreibmedium sind etwa Papier, Stift oder Computer gemeint. Um die Wirkung des Schreibmediums auf den Schreibprozess zu zeigen, referiert Hayes ältere Stu-dien, die Überarbeitungsprozesse auf Papier mit denen am Computer vergleichen – so können etwa Textteile schneller mit dem Computer kopiert, ausgeschnitten, wie-der eingefügt und überarbeitet werden als auf Papier (vgl. Hayes 2014 [1996]: 63 f.).

Deutlich wird, dass die Möglichkeiten, die bestimmte Schreibumgebungen oder -medien bieten, den Schreibprozess beeinflussen. Um zu untersuchen, wie aktuell verfügbare digitale Schreibumgebungen Schreibprozesse beeinflussen, wären aller-dings neue Studien nötig.

Der bereits geschriebene Text ist nach Hayes ebenfalls Teil der physischen Auf-gabenumgebung. Da ständig neuer Text erzeugt wird, verändert sich hierdurch stän-dig die Aufgabenumgebung und beeinflusst wiederum die Teilprozesse, die beim Schreiben ablaufen – etwa, wenn der neu geschriebene Text durchgelesen wird, um Ideen für die weitere Ausarbeitung des Textes zu generieren (vgl. ebd.: 63).

3.2.2.2 Individuum

Im Individuum sind während des Schreibprozesses Motivation und Affekt, das Arbeits-gedächtnis und das LangzeitArbeits-gedächtnis aktiv, wobei spezifische kognitive Prozesse wirk-sam werden, in die sowohl Funktionen des Arbeitsgedächtnisses als auch solche des Langzeitgedächtnisses eingebunden sind.

23 Hayes erwähnt sie zwar nicht, aber an dieser Stelle sei der Vorschlag aufgegriffen, auch die räumlichen Bedingungen zur Aufgabenumgebung hinzuzufügen, etwa die Lichtverhältnisse, die Geräuschkulisse, die Schreibtischmöbel etc. Lisa Hertweck und Polly Oberman machten bei der European Writing Center Conference 2016 den Vorschlag, auch die „ergo-nomische Umgebung“ in das Modell des Schreibprozesses einzubeziehen.

Hayes orientiert sich für die Beschreibung der Gedächtnissysteme stark am Mo-dell des Arbeitsgedächtnisses24 nach Baddeley von 1986 und ergänzt einige Aspekte, die spezifisch für den Schreibprozess sind. Da Baddeley, wie Hayes, seine Modelle ständig weiterentwickelt, werden im Folgenden neuere Aussagen von Baddeley (2015) mit eingebunden, um die Darstellung der Gedächtnissysteme möglichst klar zu gestalten. Hilfreich ist, sich die Gedächtnissysteme nicht als spezifische ‚Orte im Kopf‘, sondern als Prozesse, die bestimmte Aufgaben übernehmen, vorzustellen.

Im Langzeitgedächtnis wird Wissen über lange Zeiträume gespeichert, etwa lin-guistisches Wissen wie der Wortschatz oder grammatisches Wissen, Wissen über Text-sorten, Adressat*innen, inhaltliche Themen oder Aufgabenschemata25 (vgl. Hayes 2014 [1996]: 57, 80 f.). Beim Schreiben wird dieses Wissen aus dem Langzeitgedächtnis ab-gerufen. Einer besonderen Erläuterung bedürfen die sogenannten Aufgabenschemata.

Hierbei handelt es sich um „Informationspakete, die vorgeben, wie eine bestimmte Aufgabe ausgeführt werden muss“ (ebd.: 81). Die Aufgabenschemata können sich auf verschiedene Aufgaben beim Schreiben oder auch beim Lesen beziehen – zum Beispiel auf das Überarbeiten eines Textes, das Lesen von Grafiken oder auch das Le-sen von sehr spezialisierten Textsorten wie Laborprotokollen aus der biophysikali-schen Chemie. Die gespeicherten Aufgabenschemata umfassen Informationen über die Ziele der jeweiligen Tätigkeit oder Aufgabe, über die Prozesse, die zur Bearbei-tung der Aufgabe notwendig sind, die übliche Abfolge dieser Prozesse und Kriterien, mit denen der Erfolg der Aufgabe beurteilt werden kann. Aufgabenschemata können nach Hayes sowohl durch externe Stimuli aktiviert werden als auch durch Reflexion.

So könnte das Aufgabenschema für Überarbeitung zum Beispiel extern durch ein falsch getipptes Wort ausgelöst werden. Genauso könnte das Aufgabenschema für Überarbeitung aber auch dadurch ausgelöst werden, dass der schreibenden Person beim reflexiven Nachdenken über die Inhalte eines zu verfassenden Artikels auffällt, dass eine wichtige Quelle noch nicht eingearbeitet ist (vgl. ebd.).

Mit zunehmender Erfahrung wächst jeder der im Langzeitgedächtnis gespei-cherten Wissensbereiche. Das betrifft nicht nur das inhaltliche Wissen oder das Wis-sen über die Adressatenschaft bestimmter Textsorten, sondern auch das WisWis-sen über den Schreibprozess selbst. Je erfahrener Schreibende sind, desto effektiver können sie bestimmte Schreibstrategien einsetzen, desto präziser Kriterien für die Beurtei-lung von Texten anwenden und desto sicherer sind sie im Verfassen von spezifi-schen Textsorten (vgl. ebd.: 82).

Baddeley (2015) bietet einen hilfreichen theoretischen Überblick zur Modellie-rung des Langzeitgedächtnisses (vgl. Abb. 4): Er unterscheidet nach Squire ein expli-zites bzw. deklaratives und ein impliexpli-zites bzw. nichtdeklaratives Gedächtnissystem (vgl. Squire 1992). Das explizite/deklarative Gedächtnissystem ist nach Tulving

wie-24 Das Konzept des Arbeitsgedächtnisses stellten Baddeley und Hitch erstmals 1974 vor (vgl. Baddeley & Hitch 1974).

25 In der deutschsprachigen Schreibforschung werden diese, einem Vorschlag von Baurmann und Weingarten folgend, auch als Prozeduren bezeichnet. Sie verdeutlichen den Begriff mit einer Computermetapher: „Prozeduren sind das Pro-gramm, Prozesse sind die Ausführungen eines Programms, Produkte sind die durch die Ausführung des Programms hervorgebrachten Ergebnisse.“ (Baurmann & Weingarten 1995: 17)

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derum unterteilt in das sogenannte episodische Gedächtnis und das semantische Gedächtnis (vgl. Tulving 1972).

Implizites/nichtdeklaratives Wissen, an anderer Stelle auch „prozedurales Wis-sen“ genannt (vgl. Anderson 1980: 222 ff.), bezieht sich auf erlernte, aber inzwischen automatisierte Handlungsabläufe, wie zum Beispiel das Fahrradfahren. Dieses Wis-sen wird durch bestimmte Handlungen abgerufen und weniger durch ein bewusstes Erinnern (vgl. Baddeley 2015: 13). Das deklarative/explizite Wissen, zum Beispiel Fakten oder Ereignisse, kann dagegen durch einen bewussten Akt aus dem Langzeit-gedächtnis abgerufen werden.

Long-term memory

Semantic memory

Implicit (Nondeclarative

memory) Explicit

(Declarative memory)

Episodic memory

Conditioning skills, priming,

etc.

Komponenten des Langzeitgedächtnisses nach Squire (Quelle: Baddeley [2015: 13])

Ein Beispiel, bei dem beide Wissenssysteme relevant sind, ist das Tippen mit dem Zehnfingersystem: Während wir uns beim Erlernen des Tastatursystems vielleicht die genaue Anordnung der Buchstaben auf den Tasten gemerkt haben (explizites Wissen), automatisiert sich die Handlung des Tippens mit zunehmender Übung (implizites Wissen): Man muss nicht jedes Mal bewusst darüber nachdenken, mit welchem Finger welche Taste angeschlagen wird.

Das deklarative/explizite Gedächtnis hat zwei Subsysteme, das episodische und das semantische Gedächtnis. Im episodischen Gedächtnis werden die konkreten Ab-läufe biografischer Ereignisse und Erlebnisse gespeichert, im semantischen Ge-dächtnis das Fakten- und das allgemeine Weltwissen, zum Beispiel das Wissen über soziale und kulturelle Normen und Techniken (vgl. ebd.: 14). Das Wissen über den Aufbau eines Exposés in der Literaturwissenschaft und über die erwarteten Zitati-onskonventionen wäre demnach im semantischen Gedächtnis gespeichert, die Erin-nerung an das Tutorium, in dem ich hilfreiches Feedback auf das Exposé für meine erste Seminararbeit erhalten habe, im episodischen Gedächtnis. Wissen ist also häu-fig, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise, in beiden Gedächtnissystemen gleichzeitig gespeichert. Außerdem können sich einzelne Erfahrungen, die zunächst im episodischen Gedächtnis gespeichert werden, verfestigen und dann als abstra-hiertes Weltwissen im semantischen Gedächtnis abgelegt werden (vgl. ebd.: 137).

Abbildung 4:

Eine zentrale Rolle in Hayes’ Modell von 1996 nimmt das Arbeitsgedächtnis ein.

Das Arbeitsgedächtnis ist, ähnlich wie der Arbeitsspeicher eines Computers, eine be-grenzte Ressource, in der Informationen kurzzeitig gespeichert werden können und die für die Ausführung kognitiver Prozesse notwendig ist: „Working memory is limi-ted in the amount of material it can hold and in the length of time it can hold it“

(Hayes 2006: 29). In dieser Hinsicht ähnelt die Beschreibung des Arbeitsgedächtnis-ses der des KurzzeitgedächtnisArbeitsgedächtnis-ses, in dem geringe Informationsmengen für eine sehr kurze Zeit (wenige Sekunden) gespeichert werden können (vgl. Baddeley 2015:

41). Das Kurzzeitgedächtnis kommt tatsächlich in Hayes’ Modell nicht vor – und es gibt auch Modelle des Gedächtnisses, die das Kurzzeitgedächtnis und das Arbeits-gedächtnis synonym setzen (für einen Überblick vgl. Alamargot & Chanquoy 2001:

157).

Baddeley allerdings geht davon aus, dass das Arbeitsgedächtnis ein drittes Sys-tem ist, das mit den Ressourcen des Langzeit- und des Kurzzeitgedächtnisses inter-agiert:

„The concept of working memory is based on the assumption that a system exists for the temporary maintenance and manipulation of information, and that this is helpful in per-forming many complex tasks. […] [W]orking memory acts as a form of mental work-space, providing a basis of thought. It is usually assumed to be linked to attention, and to be able to draw on other resources within short-term and long-term memory.“ (Baddeley 2015: 12 f.)

In Baddeleys Modell hat das Kurzeitgedächtnis eine reine Speicherfunktion, wäh-rend das Arbeitsgedächtnis mehrere prozessbezogene Funktionen übernimmt: Es ruft die Informationen ab, die für den Ablauf eines nicht vollständig automatisierten Prozesses erforderlich sind, und steuert den Prozess (vgl. ebd.: 98). Um das zu leis-ten, kann das Arbeitsgedächtnis auf alle anderen Gedächtnissysteme zugreifen. So kann es zum Beispiel sowohl Informationen aus dem Langzeitgedächtnis abrufen als auch dazu beitragen, dass Informationen im Langzeitgedächtnis abspeichert wer-den.

Hayes modelliert in seinem Konzept des Schreibprozesses das Arbeitsgedächt-nis, angelehnt an Baddeley, wie folgt: Die zentrale Exekutive26 ist die steuernde In-stanz des Arbeitsgedächtnisses, ähnlich dem „Monitor“ aus früheren Modellen von Flower und Hayes (vgl. Flower & Hayes 2014 [1981]: 44). Die zentrale Exekutive fokus-siert die Aufmerksamkeit und koordiniert die drei Subsysteme,27 namentlich die pho-nologische Schleife28, den räumlich-visuellen Notizblock29 und das semantische

Gedächt-26 Die „zentrale Exekutive“ ist im grafischen Modell (Hayes 2014 [1996]) nicht dargestellt, wird aber im Fließtext erläutert (vgl. ebd. 64 f.).

27 Baddeley fügte später noch ein viertes Subsystem, den „episodischen Puffer“, hinzu (vgl. Baddeley 2012: 15 ff.). Da das System nicht Teil des Schreibprozessmodells ist, wird es hier nicht näher ausgeführt. Sehr verkürzt gesagt werden im episodischen Puffer kleinere Informationseinheiten unterschiedlichen Formats in größeren Einheiten, sogenannten

„Chunks“, zusammengefügt; vgl. Olive 2012: 489; Baddeley et al. 2015: 43.

28 Wird auch als phonologisches Gedächtnis bezeichnet.

29 Wird auch als räumlich-visuelles Gedächtnis bezeichnet.

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nis. Außerdem verknüpft die zentrale Exekutive Informationen aus den Subsyste-men mit Informationen im Langzeitgedächtnis.

Die phonologische Schleife ist dafür zuständig, phonologisch, also akustisch oder lautlich kodierte Information aufzunehmen und kurzzeitig verfügbar zu halten. Bad-deley bezeichnet die phonologische Schleife auch als „verbales Kurzzeitgedächtnis“

(vgl. Baddeley 2015: 70). Beim Lesen von Text etwa wird durch die phonologische Schleife ein Wort durch eine innere Stimme in Laute ‚übersetzt‘. Der räumlich-visu-elle Notizblock ist entsprechend für die kurzzeitige Speicherung visuräumlich-visu-eller und räum-licher Informationen zuständig (vgl. ebd.). Hier wird beim Lesen das Schriftbild oder die Position eines Satzes auf einer Seite im Buch und nicht der Klang eines ge-lesenen Wortes gespeichert.

Das semantische Gedächtnis ist in Hayes’ Modell des Schreibprozesses anders platziert als in Baddeleys Modell der Gedächtnissysteme, nämlich als Komponente des Arbeitsgedächtnisses und nicht, wie oben dargestellt, des Langzeitgedächtnisses – die Logik dieser Entscheidung erschließt sich allerdings nicht aus Hayes’ Erläuterun-gen (vgl. Abb. 3 mit Abb. 4). Ohne Zweifel wäre das Generieren von Text ohne ein im Langzeitgedächtnis verortetes semantisches Gedächtnis, so wie Baddeley es vor-schlägt, unmöglich. Im semantischen Gedächtnis werden zum Beispiel inhaltliches Wissen zu bestimmten Themen gespeichert, der individuell verfügbare Wortschatz oder auch bestimmte Aufgabenschemata, etwa, wie ein Zitat aus einer Literatur-quelle in den Fließtext eingebunden werden kann. Diese eben genannten Funktio-nen werden auch in Hayes’ Modell dem Langzeitgedächtnis unter den Bezeich-nungen Aufgabenschemata, Themenwissen, Adressatenwissen, linguistisches Wissen und Textsortenwissen zugeordnet. In Ermangelung einer ausführlichen Begründung von Hayes für das Platzieren des semantischen Gedächtnisses als Teilkategorie des Ar-beitsgedächtnisses kann daher an dieser Stelle nicht genau bestimmt werden, was damit bezweckt wird – etwa, ob sich Hayes’ Verständnis von semantischem Gedächt-nis von Baddeleys unterscheidet.30

Die kognitiven Prozesse, die beim Schreiben ablaufen, bezeichnet Hayes als Text-interpretation, Reflexion und Textproduktion (vgl. 2014 [1996]: 61, 69 ff.).31 Gleicht man Hayes’ Modell mit Baddeleys (2015) ab, müsste präzisiert werden, dass die eben ge-nannten kognitiven Prozesse im Arbeitsgedächtnis ablaufen, während dieses parallel auf die Ressourcen des Langzeit- und des Kurzzeitgedächtnisses zugreift.

Die Textinterpretation erzeugt, ausgehend von sprachlichem und grafischem In-put, zum Beispiel dem Lesen von Text, dem Betrachten einer Grafik oder auch dem Hören von gesprochener Sprache, sogenannte interne Repräsentationen (vgl. Hayes 2014 [1996]: 69). Als interne oder mentale Repräsentationen werden in den

Kognitions-30 Hayes begründet diese Entscheidung wie folgt: „Außerdem binde ich ausdrücklich einen semantischen Speicher in das Arbeitsgedächtnis mit ein, weil dieser – wie ich später erläutern werde – hilfreich für die Erklärung des Generierens von Text ist“ (Hayes 2014 [1996]: 65). Die hier angekündigten Erläuterungen finden allerdings im weiteren Verlauf des Textes nicht statt. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, ob Hayes’ Definition des semantischen Gedächtnisses vielleicht eine andere ist als die Baddeleys.

31 In früheren Modellen des Schreibprozesses orientierten sich Hayes und Flower eher an den Phasen des Schreibprozes-ses und bezeichneten die Teilprozesse als „Planen“, „Übersetzen“ und „Überprüfen“ (vgl. Flower & Hayes 2014 [1981]:

40).

wissenschaften die Vorstellungen bezeichnet, die man sich auf Grundlage des indivi-duell vorhandenen Wissens von etwas macht. Die Textinterpretation, vor allem das Lesen, ist ein zentraler Teilprozess beim Schreiben. Hayes unterscheidet drei Funk-tionen, die das Lesen für das Schreiben hat: Schreibende lesen erstens Quellen, um sich für die Produktion des eigenen Textes Informationen anzueignen. Zweitens le-sen sie die Schreibaufgabe, die ihnen z. B. in der Schule oder an der Hochschule schriftlich gestellt wurde, um zu erfassen, was sie wie schriftlich umsetzen sollen.

Und drittens lesen sie ständig den eigenen, im Entstehen begriffenen Text, um ihn zu beurteilen, zu überarbeiten und weiterzuentwickeln (vgl. ebd.: 76).

Hayes unterscheidet außerdem zwei Arten des Lesens: eine, die auf das inhalt-liche Textverständnis ausgerichtet ist – hier steht im Fokus, eine präzise mentale Re-präsentation der Textbedeutung zu entwickeln. Dabei greifen die Lesenden auf viele verschiedene Wissensquellen zu, um überhaupt eine innere/mentale Repräsentation der Botschaft des Textes bilden zu können: Es werden zum Beispiel Grammatikwis-sen und TextsortenwisGrammatikwis-sen eingesetzt, FaktenwisGrammatikwis-sen aufgerufen, Kernaussagen be-stimmt oder die Perspektive der Autorin oder des Autors identifiziert. Die zweite Art des Lesens konzentriert sich auf das Überarbeiten eines Textes – hier geht es vor al-lem darum, den Text zu beurteilen und mögliche Probal-leme zu identifizieren (vgl.

Abb. 5). Auch hier werden verschiedenste Wissensbereiche aktiviert. Entdeckt wer-den beim beurteilenwer-den Lesen nicht nur mögliche Probleme, sondern es werwer-den, unabhängig von problematischen Textstellen, ständig weitere Ideen zur Überarbei-tung generiert. Diese Ideen sind in Abbildung 5 unter „mögliche Entdeckung“ dar-gestellt (vgl. ebd.: 71 f.).

Reflexion definiert Hayes als eine Handlung, die aufbauend auf bereits gebilde-ten Repräsentationen weitere interne Repräsentationen erzeugt (vgl. ebd.: 69 f.). So umfasst im Modell des beurteilenden Lesens (vgl. Abb. 5) der gesamte als Verstehen und Kritisieren bezeichnete Komplex reflexive Handlungen. Hayes schlägt vor, refle-xive Prozesse, die beim Schreiben wirksam werden, in folgende Kategorien zu unter-teilen: Problemlösen, Entscheidungsfindung und Schlussfolgern (vgl. ebd.: 77 ff.).

Als Problemlösen definiert Hayes „eine Handlung, bei der eine Abfolge von Schritten entwickelt wird, um ein Ziel zu erreichen“ (ebd.). Bei fast allen Schreib-handlungen werden Problemlösungsprozesse aktiv: So kann das Problemlösen etwa darin bestehen, bestimmte Wörter oder Satzkonstruktionen zu wählen, um etwas möglichst präzise auszudrücken, eine Grafik zu entwerfen, um etwas zu veranschau-lichen oder eine Gliederung für ein größeres Schreibprojekt zu planen (vgl. ebd.: 77).

Entscheidungsfindung definiert Hayes als das Bewerten von Alternativen mit dem Ziel, eine Auswahl zu treffen (vgl. ebd.). Er unterscheidet lückenfüllende und beur-teilende Entscheidungen. Lückenfüllende Entscheidungen sind besonders wichtig für das Schreiben von Rohfassungen, da viele Schreibaufgaben lückenhaft definierte Probleme sind, „das heißt Probleme, die nicht gelöst werden können, ohne dass die schreibende Person eine Reihe von Entscheidungen trifft, die diese Lücken füllen“

(ebd.). Zum Beispiel müssen Studierende, wenn sie vor der Aufgabe stehen, einen Essay zu einer vorgegebenen Fragestellung zu verfassen, entscheiden, welche

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len sie nutzen, wie sie mit widersprüchlichen Perspektiven umgehen, welchen Stand-punkt sie selbst einnehmen, wie sie den Text rhetorisch aufbauen etc. Beurteilende Entscheidungen sind dagegen besonders wichtig für Überarbeitungsprozesse. Hier-bei müssen zahlreiche Entscheidungen über die Angemessenheit einzelner Aspekte im Text getroffen werden, zum Beispiel in Bezug auf die Wortwahl, die Klarheit, die Wirkung auf die Adressatinnen und Adressaten etc. (vgl. ebd.).

MÖGLICHE ENTDECKUNG

LESEN, UM ZU BEURTEILEN MÖGLICHE PROBLEME ENTDECKEN

VERSTEHEN UND KRITISIEREN

Kognitive Prozesse der Textbeurteilung beim Lesen (Quelle: Hayes [2014 (1996): 72])

Das Schlussfolgern, die dritte reflexive Handlung, die laut Hayes während des Schrei-bens wirksam wird, ist „ein Prozess, bei dem neue Information aus bereits bekann-ter Information abgeleitet wird. Dies kann zielgerichtet oder nicht zielgerichtet, be-wusst oder unbebe-wusst ablaufen.“ (Ebd.: 78) Sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben ist das Schlussfolgern relevant. So werden beim Lesen eines Textes zen-trale Aussagen, die nicht explizit ausgesprochen werden, durch Schlussfolgern iden-tifiziert. Und Schreibende schlussfolgern auf der Grundlage von Informationen, die ihnen zur Verfügung stehen, wie sie ihren Text gestalten können, um bestimmte Ad-ressatinnen und Adressaten gezielt anzusprechen. Das Schlussfolgern ermöglicht also sowohl Lesenden als auch Schreibenden, bereits vorhandene Wissensbestände aus ihrer jeweiligen Perspektive sinnvoll zu erweitern (vgl. ebd.).

Abbildung 5:

Die Textproduktion ist der dritte und letzte kognitive Prozess in Hayes Schreib-prozessmodell. Gemeint ist damit die konkrete Formulierungsarbeit, die fortlau-fende Wort- und Satzbildung während des Schreibens. (In früheren Modellen be-zeichnen Hayes und Flower diesen Schritt als Übersetzen; vgl. Hayes & Flower 1980;

Flower & Hayes 1981, Kapitel 3.1.2.) Durch inhaltlich motivierte Stichworte werden Pakete semantischen Inhalts aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen. Dieser Inhalt wird im Arbeitsgedächtnis zwischengespeichert, wo eine Form konstruiert wird, die diesen Inhalt ausdrückt – ein Satz wird formuliert. Zusammenfassend lässt sich fest-stellen, dass die kognitiven Prozesse der Textinterpretation, Reflexion und Textpro-duktion in Hayes’ Modell sowohl Schreib- als auch Lesehandlungen, sowohl

Flower & Hayes 1981, Kapitel 3.1.2.) Durch inhaltlich motivierte Stichworte werden Pakete semantischen Inhalts aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen. Dieser Inhalt wird im Arbeitsgedächtnis zwischengespeichert, wo eine Form konstruiert wird, die diesen Inhalt ausdrückt – ein Satz wird formuliert. Zusammenfassend lässt sich fest-stellen, dass die kognitiven Prozesse der Textinterpretation, Reflexion und Textpro-duktion in Hayes’ Modell sowohl Schreib- als auch Lesehandlungen, sowohl