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Hans Uebersberger (1877–1962)

Im Dokument Österreichische Historiker (Seite 158-186)

eine gr at wa nderung : (s)eine k a r r ier e im fokus pr i vater und öffentlich-Beruflicher spa nnungen

1. einleitende v erortung

Der Osteuropahistoriker Hans Uebersberger hat im Ok-tober 1936 illustrativ (eher martialisch) den rauen Ge-genwind beschrieben, der ihm nach seinem Wechsel von Breslau nach Berlin ebendort entgegenwehte und dabei unwillkürlich auch die möglichen Ursachen, nämlich die (unprofessionelle) Verflechtung von beruflichen und pri-vaten Angelegenheiten sowie seine Reaktionen darauf, of-fengelegt : Man ist ja hier [in Berlin] nicht auf Rosen gebet-tet und es besteht vielfach, wenn auch nicht an maßgebender Stelle, eine Strömung gegen die Österreicher. Es gibt ja Augen-blicke, in denen selbst meine Kampfeslust sich nach Waffen-ruhe sehnt, aber ich glaube, ich werde, bis man mich in den

Sarg legt, keine Ruhe haben. Unberufen darf ich nur sagen, dass ich mich gesundheitlich sehr wohl befinde, dass die anstrengenden Touren meinen Organismus wieder erneuert haben und dass ich daher nirgendwo auch meiner famosen Ehefrau gegenüber daran denke, das Kriegsbeil zu begraben. Ich werde im Gegenteil, überall härter zuschlagen als ich es bisher getan1.

Im obigen Briefausschnitt spiegelt sich paradoxerweise die Reflexions- und Analy-seunfähigkeit eines Wissenschaftlers wider, dessen Karriere sich nahezu permanent im Spannungsfeld von Privat und Staat befand, der einen Aktivurlaub während der Sommer-monate nicht etwa für Ausgleich und innere Einkehr nützte, sondern, salopp gesagt, für das Aufladen von negativen Batterien. Insbesondere seit dem Erscheinen der legendären Geschichte des Seminars bzw. Instituts für Osteuropäische Geschichte von Walter Leitsch und Manfred Stoy2 im Jahr 1986 haben sich mehrere Autor/innen in ihren

Abhand-1 HHStA, NL Ludwig Bittner 3–2–5Abhand-1Abhand-1, Uebersberger an Bittner, Berlin [Abhand-10.Abhand-1936].

2 Walter Leitsch, Manfred Stoy, Das Seminar für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien 1907–

1948 (Wiener Archiv für Geschichte des Slawentums und Osteuropas 11, Wien/Köln/Graz 1983).

Abb. 11 Hans Uebersberger

lungen mit der Person Hans Uebersberger beschäftigt3. Ein einigermaßen abgerundetes Bild über die Privatperson und/oder den Wissenschaftler fehlt bis dato und wird auch weiterhin auf Vollständigkeit verzichten müssen, weil Quellenbestände entweder nicht halten, was sie versprechen4, oder aus Gründen des Datenschutzes nicht zugänglich sind bzw. deren Aufbewahrungsort nicht bekannt ist. Hinzu kommt auch eine – menschlich zwar sehr verständliche, wissenschaftlich jedoch nicht unbedingt hilfreiche – Einstellung, nämlich noch immer dem falsch verstandenen Sprichwort „de mortuis nihil nisi bene“

zu huldigen5, um politische Einstellungen oder jene Facetten des Privatlebens, die in das Berufliche ausstrahlten, (noch immer) nicht hinterfragen zu wollen/zu dürfen, weil sie (angeblich) das Gesamtbild der wissenschaftlichen Person ins Wanken bringen.

Welche Methode kann für die Erfassung und Verschriftlichung derart komplexer Sach-verhalte herangezogen werden ? Im Rahmen der Geschichte der Gefühle bzw. der Emo-tionen6, einem derzeit sehr konjunkturreichen methodischen Zugang7, wird auch „nach der Rolle von Gefühlen in der Praxis der Wissenschaft und im Leben der Wissenschaft-ler sowie schließlich um die Einbettung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Emotionen in zeitgenössischen Emotionskulturen“ gefragt8. Die Berücksichtigung des fragil Menschlichen bedeutet, sich auf sehr dünnem Eis zu bewegen, weil abgeschätzt wer-den muss, was noch erträglich und verträglich für eine derartige Publikation ist, bedeutet

3 Manfred Stoy, Das Seminar für osteuropäische Geschichte der Universität Wien 1935–1940, in : MIÖG 99 (Wien 1991) 229–241 ; zuletzt Fritz Fellner, Doris Corradini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon (VKGÖ 99, Wien/Köln/Weimar 2006) 421 ; Arnold Suppan, Marija Wakounig, Hans Uebersberger (1877–1962), in : Osteuropäische Geschichte in Wien. 100 Jahre Forschung und Lehre an der Universität, hg. v. Dies., Georg Kastner (Wien/Innsbruck/

Bozen 2007) 91–166.

4 Der NL von Hedwig Fleischhacker und Hans Uebersberger, verwahrt im Institut für Ost- und Südosteuropa-forschung in Regensburg (IOS Regensburg, NL Fleischhacker–Uebersberger, http://www.ios-regensburg.de/

bibliothek/bestand/archive-und-nachlaesse/nachlass-ueberberger.html), ist im Hinblick auf die Vita des For-scherehepaares unergiebig und enthält überwiegend die späte literarische Produktion von Fleischhacker. Weil kaum Archivalien des Osteuropahistorikers Uebersberger enthalten sind, wäre es besser, die Benennung des Nachlasses zu ändern.

5 Das Sprichwort bedeutet übersetzt : „von Toten nichts außer auf gute Weise“ (und nicht „von Toten soll man nur Gutes reden“).

6 Vgl. dazu https://www.mpib-berlin.mpg.de/de/forschung/geschichte-der-gefuehle, Zugriff : 15.02.2013.

https://www.mpib-berlin.mpg.de/de/forschung/geschichte-der-gefuehle, Zugriff : 27.12.2013.

7 Zum Boom vgl. Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte (Berlin 2012) sowie die unterschiedlichen Rezensionen von Lars Koch (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio-nen/2013-3-139, Zugriff : 10.11.2013) und Hanna Lühmann (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bue- cher/rezensionen/sachbuch/jan-plamper-geschichte-und-gefuehl-grundlagen-der-emotionsgeschichte-die-leidenschaften-einst-und-jetzt-12049855.html, Zugriff : 10.11.2013).

8 Bettina Hitzer, Emotionsgeschichte – Ein Anfang mit Folgen, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/fo-rum/2011-11-001.pdf, 41.

abzuwägen, wo sich die Grenzen zwischen Tatsache und Gerücht befinden, mit einem Wort, was Wissenschaft und was Fiktion ist. Der methodische Zugang via Geschichte der Emotionen kann aber sehr hilfreich sein bei der Erhellung der Frage, welcher Impact zwischenmenschlichen Gefühle/Emotionen etwa bei einer Universitätskarriere, bei der Bewertung von Forschung und Lehre und/oder auch Publikationen zukam, selbstver-ständlich eingebettet in den jeweiligen Zeitgeist und Mainstream9.

Ausgehend von diesen methodischen Überlegungen werden der steile Beginn und das all-mähliche Ende des beruflichen Werdeganges von Uebersberger sowie die Gründe derselben auch aus der Perspektive der persönlich-emotionalen Sicht analysiert. Die Mitte bzw. der Höhepunkt seiner Universitätskarriere, die seine Funktionen als Dekan und später als Rek-tor der Universität Wien markierten, bleiben teilweise bewusst ausgespart, weil deren (Aus-) Wirkungen in den 1920er und frühen 1930er Jahren zum einen schon in anderen Publika-tionen berücksichtigt wurden und zum anderen nicht en passant erwähnt werden, sondern im Zuge neuer Quellenfunde einer separaten Publikation vorbehalten sein sollten10. Das Schrifttum Uebersbergers, in dem seine wissenschaftliche und politisch-weltanschauliche Entwicklung oszilliert, war ebenfalls mehrfach in Publikationen mitbehandelt worden11, wenn auch nicht explizit und ausschließlich, d. h., es wird bei der Analyse, ab wann er in seinen wissenschaftlichen Elaboraten einen Paradigmenwechsel (zum Beispiel von pro- zu antirussisch) vorgenommen hat, mitberücksichtigt werden. Weil Uebersberger einer der Pioniere der eigenständigen Osteuropaforschung in Österreich (-Ungarn) war, wird auf eine Berücksichtigung der Institutionen und Netzwerke nicht verzichtet werden können.

2. der aufstieg von für stlichen gna den

Leitsch und Stoy haben in der Institutsgeschichte festgehalten, dass der am 25. Juni 1877 in Klagenfurt geborene Hans Uebersberger aus der Beziehung der Maria Sacherer (wahr-scheinlich) mit einem Priester stammte, und nach der Verheiratung der Mutter 1890 den Nachnamen des kaum vermögenden Stiefvaters annahm. Diese

9 Vgl. dazu die Überlegungen von Ders., http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2011-11-001, Zugriff : 20.09.2013.

10 Siehe Suppan, Wakounig, Uebersberger (wie Anm. 3), 110–126, sowie Herbert Posch, Doris Ingrisch, Gert Dressel, Anschluss und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien (Wien/Münscher 2008).

11 Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) mehrfach ; Suppan, Wakounig, Uebersberger (wie Anm. 3) ; Gabri-ele Camphausen, Die wissenschaftlich historische Rußlandforschung im Dritten Reich 1933–1945 (Euro-päische Hochschulschriften/Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 3/418, Frankfurt a.M./Bern/New York/

Paris 1990) 41f.

tung ist nicht abwegig, denn dem Jugendlichen wurde eine sehr gute und kostenintensive Schulausbildung in Klagenfurt zuteil12, die anschließend 1895–1899 das Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte an der Wiener Universität ermöglichte13. Uebersberger, der zeit seines Lebens geschickt verschleiert hat, dass er in Kärnten von Kin-desbeinen an zweisprachig aufgewachsen war und so die slowenische Sprache beherrschte, hat nachweislich 1899 ein einziges Mal zugegeben, dass ihm das Slovenische große Dienste beim Kirchenslawischen geleistet habe14, hat es aber später nicht für Wert befunden, seine slowenische Muttersprache als Hilfe zur leichten Erlernung weiterer slawischer Sprachen wie Russisch, Polnisch, Serbisch, Kroatisch, Bosnisch oder Bulgarisch anzuführen15. Im Gegenteil, er verbannte seine als Makel empfundene slowenische Herkunft bewusst aus dem Lebenslauf und kompensierte diese mit einer zunehmend deutschnationalen Gesin-nung16. Trotzdem dürften die persönlichen Lebensumstände seinem universitären Umfeld nicht unbekannt gewesen sein, wie die Ereignisse ab 1899 zeigen. In diesem Jahr wandte sich der demissionierte Botschafter in Russland, Franz de Paula Prinz von und zu Liech-tenstein via Unterrichtsministerium an den Direktor des IÖG, Engelbert Mühlbacher, um einen ausgewiesenen Fachmann für Archivalien und Editionen, wenn möglich mit russischen Sprachkenntnissen, zu finden, damit dieser in Russland quellenorientierte dip-lomatische Forschungen seit den Anfängen der russisch-österreichischen Beziehungen be-treiben möge. Denn die vierjährige Tätigkeit in Russland 1894–1898 führte Liechtenstein die historische Unbedarftheit nicht nur der österreichischen Diplomaten und Militärs vor Augen. Außerdem reifte in ihm nach mehreren Gesprächen mit dem befreundeten rus-sischen Außenminister, Aleksandr Graf Lobanov–Rostovskij, und dem Sekretär der Rus-sischen Historischen Gesellschaft, Georgij Fedorovič Štendman, der Plan, ähnlich wie in Russland systematisch Akten des diplomatischen Dienstes aufzubereiten, d. h. zu edieren und zu analysieren und sie einem Publikum wie etwa Außenministerium, Heeresverwal-tung und sonstigen staatlichen Behörden zuzuführen. Dies beabsichtigte Liechtenstein in der Residenzstadt der Monarchie zu initiieren und zu unterstützen17.

12 Zur Herkunft vgl. Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 122 Anm. 2, 127, sowie Suppan, Wakounig, Uebersberger (wie Anm. 3) 93 Anm. 2.

13 U.a. Manfred Stoy, Hans Uebersbergers Kritik an der Deutschen Ostpolitik, Berlin 1943, in : MIÖG 97 (1989) 105–124, hier 106 ; Ders., Aus dem Briefwechsel von Wilhelm Bauer 2 : Hans Uebersberger, in : MIÖG 109 (2001) 426–433, hier 426f.

14 Uebersberger an Mühlbacher, Moskau 08.09.1899, zitiert bei Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 122 Anm. 11.

15 Vgl. die doch mokant-ungerechte Bemerkung über die Sprachkenntnisse von Uebersberger ebd. 132.

16 Siehe dazu ebd. 265f. Beilage 6, Uebersberger an Liechtenstein, Wien 24.04.1934, Hausarchiv der Regieren-den Fürsten von Liechenstein in Vaduz [= HFL], KorresponRegieren-denz Franz I. de Paula–Uebersberger.

17 Vgl. dazu Marija Wakounig, Ein Grandseigneur der Diplomatie. Die Mission von Franz de Paula Prinz von und zu Liechtenstein in St. Petersburg 1894–1898 (Europa Orientalis 1, Wien/Berlin 2007) u. a. 245, 327.

Mühlbacher hätte dem Prinzen niemanden vorgeschlagen, dem er nicht zugetraut hätte, in kürzester Zeit Russisch zu lernen18, d. h. Uebersberger entsprach wegen seiner profunden Ausbildung – er war Absolvent des 22. Ausbildungskurses des IÖG 1897–1899 – und seiner sprachlichen Voraussetzungen dem gesuchten Jobprofil. Er sattelte deswegen 1899 vom Wunsch, Kunsthistoriker zu werden, auf Historiker um, erlernte als Slowe-nischsprachiger das Russische im Privatunterricht ziemlich rasch und wurde mindestens bis 1920 zum Protegé des liechtensteinischen Prinzen19. Sein Bemühen, dem Prinzen an-fänglich auch charakterlich zu gefallen, war wohl der Tatsache geschuldet, dass er ziemlich rasch die Chance eines beruflichen Aufstiegs witterte, sei es ursprünglich wohl als Histo-riker und/oder Archivar des Hauses Liechtenstein, sei es später als Lehrstuhlinhaber dank fürstlicher Gnaden an der Universität Wien. Die Zäsur für die zweite Präferenz resultierte sowohl aus den persönlichen Gesprächen zwischen Uebersberger und Liechtenstein sowie aus den Forschungsaufenthalten Uebersbergers in Russland ab 189920.

Die in der Forschung strittige Frage, ob Franz Liechtenstein mit seiner Stiftung des Seminars für Osteuropäische Geschichte Wissenschaftliches oder Politisches im Sinn hatte21, ist sehr vielschichtig22 und praktisch nur diplomatisch zu beantworten mit in Erfahrung gebrachten Wissensdefiziten derjeniger, die in führender Positionen dem Staat

18 Alphons Lhotsky, Geschichte des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1854–1954 (MIÖG Erg.-Bd. 17, Graz/Köln 1954) 277 ; Leo Santifaller, Das Institut für Österreichische Geschichtsforschung.

Festgabe zur Feier des zweihundertjährigen Bestandes des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs (Veröff. des IÖG, Wien 1950) 122. Titel der Hausarbeit : „Kardinal Francesco Borromeo und seine De pictura sacra libri duo.“ Den 22. Kurs besuchten auch der Slowene Franc Komatar und die beiden Tschechen Kamil Krofta und Adolf Ludvík Krejčík, d. h., Mühlbacher hatte durchaus mehrere Alternativen. Über die schließlichen Motive, die für die Wahl Uebersbergers sprachen, schweigen die Quellen, siehe Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 60–61, 221, sowie Suppan, Wakounig, Uebersberger (wie Anm. 3) 94.

19 Uebersberger schmeichelte Franz Prinz Liechtenstein mit dem Titel Fürst, obwohl diesem der Titel erst nach dem Tod seines Bruders Johannes 1929 zustand, siehe Wakounig, Grandseigneur (wie Anm. 17) 53, 56–66.

20 Zur ambivalenten Beziehung zwischen Liechtenstein und Uebersberger vgl. die diesbezüglichen Korrespon-denzen im HFL, im Archiv des IÖG und im Archiv der ÖAW, die von Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm.

2), intensiv erforscht und für die Institutsgeschichte extensiv herangezogen wurden. Zu den Aufenthalten von Uebersberger in St. Petersburg und Russland siehe ebd., 62f., 221f., sowie Suppan, Wakounig, Uebersberger (wie Anm. 3) 94.

21 Vgl. dazu Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) u. a. 88, die Uebersberger eine übertriebene Politisierung des Instituts/Lehrstuhls vorhalten ; ähnlich auch Andreas Kappeler, Osteuropa und Osteuropäische Geschichte aus Züricher, Kölner und Wiener Sicht, in : Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegen-wart und Zukunft, hg. v. Dittmar Dahlmann (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 68, Stuttgart 2005) 149–158, hier 149. Kontrastierend dazu Gerd Voigt, Rußland in der deutschen Geschichts-schreibung 1843–1945 (Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas 30, Berlin 1994) 89.

22 Die Annahme, dass Liechtenstein für Uebersberger ein quasi privates Forschungsinstitut eingerichtet habe, ist falsch und geht auf die nicht frei von Ressentiments gehaltene Meinung von Konstantin Jireček, formuliert in seinem Tagebuch, zurück. Diesen folgen beispielsweise Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2 ) 88.

dienten. War der historisch versierte und sehr belesene Prinz im Dezember 1900 noch überzeugt davon, dass grundlegende Forschungen russischer Quellen den Westeuropäern die Augen über Russland öffnen würden23, hielt er 1903 eine wissenschaftliche Institu-tion, in der Forschungen zur osteuropäischen Geschichte betrieben werden, schon des-wegen für förderungswürdig, um zu verhindern, dass Rußland und die russische Geschichte dem westeuropäischen Publikum meist nur durch tendenziöse, gehässige, oft mit unglaubli-cher Ignoranz geschriebene Berliner und Leipziger Machwerke vermittelt werden24. Deren genaue Lektüre gab einen zusätzlichen Ausschlag dafür, dass er Uebersberger mehrere Forschungsstipendien in Russland finanzierte und im Erfahrungsaustausch mit ihm die Idee einer Institutionalisierung der Osteuropaforschung in Wien weiter entwickelte25.

Anders als sein Protegé konnte Liechtenstein im 1902 gegründeten Berliner Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte kein Vorbild für Wien erkennen, vielmehr strebte er – wie seine Stellungnahmen nahelegen – eine Institution mit einzigartigem Status an26. Ohne den enor-men Anteil Uebersbergers bei der Gründung des Instituts zu schmälern, kann man sagen, dass es ganz dessen Naturell entsprach, sich selbst als spiritus rector, nahezu als fundator dieser Institution in Szene zu setzen27. Daraus resultiert auch, dass Uebersberger in der Forschung als zwar umtriebige, jedoch nicht als besonders vertrauenswürdige und sympathische Person beschrieben wird. Außerdem widersprach er sich in Lauf der Jahre hinsichtlich der Grün-dungsidee. Die deutschnationale, später nationalsozialistische Denkweise verleitete ihn zu irreführenden und falschen Aussagen, dass beispielsweise sowohl Berlin als auch Wien

deswe-23 Liechtenstein an Karl Hampe, Florenz 16.12.1900, HFL, 352 : Eben weil West-Europa die historische Entwick-lung Russlands bisher nicht kennt und aus Werken á la Kleinschmidt [Arthur Kleinschmiedt, Drei Jahrhun-derte russischer Geschichte, Berlin 1898] nicht lernen kann, hielt[e] ich es für die Erziehung unserer Diplomaten für höchst nützlich, daß endlich das Ergebnis gründlicher Forschungen aus russischen Quellen ihnen die Augen öffne.

24 Liechtenstein an Alois Aehrenthal, Wien 04.06.1903, NL Aehrenthal. Siehe dazu Aus dem Nachlaß Aeh-renthal. Briefe und Dokumente zur österreichisch-ungarischen Innen- und Außenpolitik 1885–1912 1 : 1885–1906, hg. v. Solomon Wank, Christine M. Grafinger, Franz Adlgasser (Quellen zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 6, Graz 1994) 297f.; Wakounig, Grandseigneur (wie Anm. 17) 79.

25 Uebersberger beklagte nach etlichen Forschungsaufenthalten in Russland sehr den Umstand, dass es in Wien kaum Russica gab. Dies teilte er selbstverständlich Liechtenstein mit, der schließlich ein Gespräch mit dem Direktor der Hofbibliothek, Joseph Karabaček, einfädelte – mit relativ wenig Erfolg. Ausführlich dazu Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 67.

26 Zum Vorbild des 1902 in Berlin gegründeten Instituts und zur gänzlich im deutschnationalen Fahrwasser be-findlichen Meinung Uebersbergers über Institutsgründungsmotive von Berlin und Wien vgl. Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 88.

27 Uebersberger an (N.N ?), Wien 02.09.1916, HFL, Korrespondenz Franz I. de Paula–Uebersberger : Auf mei-nen Bericht hin entschloß sich Fürst Franz Liechtenstein, diese Bibliothek für Österreich zu erwerben und dem Unterrichtsministerium beziehungsweise der Wiener Universität zur Einrichtung eines ähnlichen Institutes, wie es das Berliner ist, zu spenden. Das Zitat auch bei Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 69. Dieser Satz ist eine Überzeichnung der Rolle Uebersbergers.

gen Osteuropaprofessuren eingerichtet hätten, um den russischen Feind zu erforschen28, also praktisch als „know-your-enemy-Unternehmen“ gedient hätten29. Liechtenstein hätte so eine Einrichtung nicht einmal geistig unterstützt30. Diese und ähnliche Interpretationen seines einstigen Protegés führten zur Entfremdung und letztlich zum Bruch.

Liechtensteins Idee, Grundlagenforschung zur russischen Geschichte zu subventionie-ren und diese zu institutionalisiesubventionie-ren, sowie das Bestreben von Uebersberger, gleich einen diesbezüglichen Posten, am besten ein einschlägiges Ordinariat dort einzurichten, standen an der Wiege der eigenständigen historischen Osteuropaforschung in Wien. Wie wurden die Idee und das Bestreben umgesetzt ? Liechtenstein stiftete im Herbst 1906 aus seiner Privatschatulle dem Unterrichtsministerium 40.000 Kronen für den Ankauf der Biblio-thek des russischen Historikers Vasilij Alekseevič Bil’basov, die Uebersberger vorher in Sankt Petersburg ausgespäht hatte. Der Minister wiederum ließ eine Findungskommis-sion an der Universität Wien einsetzen, die sich mehrheitlich aufgeschlossen zeigte für die Errichtung eines „Seminars für osteuropäische Geschichte“31. So wurde nach der Berliner Seminarsgründung 190232 fünf Jahre später und nach vielen formellen und informellen Beratungen in Wien das zweite historische Osteuropainstitut im deutschsprachigen Raum eingerichtet. Es war zugleich das erste sowie einzige Universitätsinstitut dieser Art, dessen Stiftung auf einen hochadeligen Mäzen zurückging.

Der Zeitpunkt war wegen des zunehmenden Interesses der Studierenden und der Nach-bardisziplinen (z. B. der Slawistik) günstig ; außerdem stellte es sich als wissenschaftliche

28 Uebersberger hielt 1934 (wahrscheinlich in Breslau) seine krude Theorie für die Institutsgründungen fest, dass seit den 1890er Jahren die Gefahr eines Krieges mit dem nach Westen und Südwesten, vor allem zu den Meerengen drängenden russischen Koloss für Deutschland und Österreich – trotz aller Bemühungen von deutscher Seite, mit dem russischen Nachbarn ein gutes Verhältnis zu bewahren – immer größer [wurde]. Das erforderte aber auch eine geistige Rüstung durch die Kenntnis Rußlands, vor allem seiner Geschichte, seiner Expansionspolitik, seines Staats-aufbaues, seiner geistigen und politischen Strömungen und seiner innenpolitischen Spannungen. Zu diesem Zwecke wurde 1902 das Seminar für osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Berlin und 1907 das Seminar für osteuropäische Geschcihte an der Universität Wien geschaffen. Zitat bei Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 88 Anm. 88.

29 Zitat ebd. 88. Voigt, Rußland (wie Anm. 21) 87 Anm. 12, hält fest, dass Uebersberger bereits 1913 beim 12.

Deutschen Historikertag in Wien, mit seinem Referat, in dem Russland als „tödlicher Erbfeind“ der Donau-monarchie dargestellt wurde, Eindruck schindete.

30 Zum geistig-kulturellen Profil von Prinz (Fürst) Franz (I.) gibt Wakounig, Grandseigneur (wie Anm. 17) besonders 42–56 einen Einblick.

31 Zum Ankauf der Bil’basov-Bibliothek und zur Gründung des Seminars ausführlich Leitsch, Stoy, Seminar (wie Anm. 2) 66–85.

32 Zur Gründung des Extraordinariats für Osteuropäische Geschichte 1892 an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (= Humboldt-Friedrich-Wilhelms-Universität) und zur Gründung eines Seminars für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde 1902 siehe Dittmar Dahlmann, Einleitung, in : Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte, hg.

v. Dems. (wie Anm 21) 7f., hier 7. Näheres dazu bei Voigt, Rußland (wie Anm. 21) 89–93.

Notwendigkeit heraus, die antislawischen Reflexe und Stereotypen Wiener Historiker zu entkräften, die überzeugt waren, dass in polnischer und russischer Sprache [weniger] über russische und polnische Geschichte gearbeitet werde als in deutscher33. In Wien waren mit ein-schlägigen Sprachkenntnissen ausgestattete Historiker notwendig, die in der Lage waren, auch die osteuropäische Wissenschaftsliteratur zu rezipieren. Den langjährigen Vorstand des „Seminars für slawische Philologie“, Vatroslav Jagić, indes machte die neue Institu-tion überhaupt nicht glücklich, er verweigerte ihr sogar die Zustimmung ; nicht, weil die Bil’basov-Bibliothek nicht nur hervorragend die slawistische ergänzt und bereichert hätte, sondern auch aus personellen Gründen34. Wer sollte das neue Konkurrenz-Institut lei-ten ? Woher sollte der Poslei-ten für den kundigen Osteuropahistoriker kommen, zumal das Ministerium sehr sparsam mit neuen Stellen umging ? Jagić hatte nicht mit Uebersberger und möglicherweise auch nicht mit Konstantin Jireček gerechnet. Aber der Reihe nach :

Notwendigkeit heraus, die antislawischen Reflexe und Stereotypen Wiener Historiker zu entkräften, die überzeugt waren, dass in polnischer und russischer Sprache [weniger] über russische und polnische Geschichte gearbeitet werde als in deutscher33. In Wien waren mit ein-schlägigen Sprachkenntnissen ausgestattete Historiker notwendig, die in der Lage waren, auch die osteuropäische Wissenschaftsliteratur zu rezipieren. Den langjährigen Vorstand des „Seminars für slawische Philologie“, Vatroslav Jagić, indes machte die neue Institu-tion überhaupt nicht glücklich, er verweigerte ihr sogar die Zustimmung ; nicht, weil die Bil’basov-Bibliothek nicht nur hervorragend die slawistische ergänzt und bereichert hätte, sondern auch aus personellen Gründen34. Wer sollte das neue Konkurrenz-Institut lei-ten ? Woher sollte der Poslei-ten für den kundigen Osteuropahistoriker kommen, zumal das Ministerium sehr sparsam mit neuen Stellen umging ? Jagić hatte nicht mit Uebersberger und möglicherweise auch nicht mit Konstantin Jireček gerechnet. Aber der Reihe nach :

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