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6 Entwicklung eines Konzepts des Experimentierens in der Bau- und

6.1 Handlungstheoretische Begründung eines Phasenschemas des

6 Entwicklung eines Konzepts des Experimentierens

die Qualität und Effektivität maßgeblich von einer adäquat entwickelten Orientierungs-grundlage abhängen. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit und Übertragbarkeit der durch das Experimentieren gewonnenen Erkenntnisse und Fertigkeiten ist es wichtig, dass die Lernenden klare und auf das Wesentliche ausgerichtete Vorstellungen vom Ziel, von den Mitteln, Bedingungen und Phasen ihrer Tätigkeit haben (vgl. WARNIK 1987, S. 13).

Entwicklung von Hypothesen

Das problembehaftete Phänomen wird von den Lernenden analysiert, wodurch even-tuell bestehende Wissensdefizite deutlich werden. Von den Lernenden sind die eige-nen Defizite zu analysieren und in Bezug zu dem Experimentiervorhaben zu bringen, so dass sie in der Lage sind, Problem- bzw. Fragestellungen zu formulieren.

Nachdem die Fragestellungen erfasst wurden, sind Vermutungen über die erwarteten Ergebnisse des Experiments zu verfassen und zu dokumentieren. Die Erwartungen werden als zu überprüfende Hypothesen formuliert. Die theoretische Fundierung für die Bedeutsamkeit der Formulierung von Hypothesen und der gedanklichen Vorwegnahme des Ergebnisses ist in der Handlungstheorie zu suchen. HACKER unterstreicht, dass es sich nur um eine Handlung handelt, wenn die gedankliche Vorwegnahme des Endzu-standes im Vorfeld der Handlung getroffen wurde (vgl. HACKER 1986, S. 56 ff.). Dieser Aspekt der Handlung hebt die Beziehung zwischen Denken und Handeln hervor, wobei das Handeln und das Denken als Tätigkeiten begriffen werden, die in einem engen Verhältnis zueinander stehen (HACKER 1986, S.112 f.).

Planung des Experiments

Nachdem die Problemstellungen geklärt und die Hypothesen formuliert wurden, ist die Grundlage für das Experiment geschaffen. Die Auszubildenden entwickeln eine Kon-zeption des Experiments. Es ist Bestandteil der Überlegung, mit welchen Prüf- bzw.

Experimentierverfahren die aufgestellten Hypothesen überprüft werden können.

Haben sich die Lernenden auf ein Experimentierverfahren geeinigt, so planen sie die erforderlichen Arbeitsschritte, entwickeln Vorstellungen über die erforderlichen Experi-mentiergeräte und skizzieren den Aufbau des Experiments.

Im Rahmen der Planung des Experiments sind dem Lernenden gewisse Freiheiten (in der Psychologie auch als Freiheitsgrade bezeichnet) in Bezug zum aufgabenbezoge-nen Handeln einzuräumen. Die Spielräume in der Entscheidung über Mittel und Wege des Experimentierens stellen entsprechende kognitive Ansprüche dar, die sich pro-gressiv auf die Entwicklung des Lernenden auswirken (vgl. WARNIK 1987, S. 13).

Ferner bedeutet jegliches Handeln auch immer die Bereitschaft und das Vermögen, Verantwortung für das Handeln zu übernehmen. Dem ist natürlich auch hier Rechnung zu tragen.

Bei der Planung des Experiments durch die einzelnen Lernenden oder Lernenden-gruppen kann es hilfreich sein, wenn der Lehrende zunächst zur Verfügung stehende Experimentiervorrichtungen vorstellt. Während der gesamten Planungsphase muss der Lehrende die einzelnen Experimentierverfahren auf ihre Eignung hin überprüfen und gegebenenfalls auf Einschränkungen durch Gesundheits-, Arbeits- und Brandschutz achten bzw. hinweisen.

Durchführung des Experiments

In der Phase der Realisierung werden die Experimentiervorrichtungen entsprechend der Planung aufgebaut und das Experiment durchgeführt sowie Ergebnisse dokumen-tiert bzw. Messreihen aufgenommen. Während der Durchführung der Experimente ob-liegt es der Lehrkraft, die Aktivitäten der Lehrenden zu unterstützen und gegebenen-falls bei sicherheitsrelevanten Belangen einzugreifen.

Verifikation/Falsifikation der Hypothesen

Ziel der Auswertung der Messergebnisse ist es, qualitative oder quantitative experi-mentelle Aussagen zu gewinnen. Hierzu kann es erforderlich sein, dass die Auszubil-denden Berechnungen anstellen oder Messreihen und Diagramme aufstellen. Ist die Auswertung der Messergebnisse mathematisch anspruchsvoll, so sollte der Lehrende die Berechnungsgrundlagen, Messwerttabellen oder Diagrammvorlagen (eventuell in digitaler Form) bereitstellen. Die Ergebnisse sind dann ebenfalls verbal darzulegen. Sie werden anschließend den aufgestellten Hypothesen gegenübergestellt. Ziel ist es hier-bei, die aufgestellten Hypothesen zu verifizieren oder zu falsifizieren.

Einordnung der Beziehungen/Gesetzmäßigkeiten in eine Theorie

Die gewonnenen Erkenntnisse und Beziehungen sind in ein übergeordnetes Theorie-gebilde einzuordnen. Das Experiment verfolgt u. a. die Zielstellung, einen theoreti-schen Zusammenhang zu erkunden. Die durch das Experiment gewonnenen Teilaus-sagen können zu Illustrationen und Veranschaulichungen von sonst u. U. sehr abstrakten Gesetzmäßigkeiten dienen. Die mit dem Experiment untersuchten Gesetz-mäßigkeiten können jedoch nur einen Teil eines Theoriegebildes repräsentieren. Folg-lich sind die aufgezeigten Gesetzmäßigkeiten in das betreffende Theoriegebilde einzu-ordnen.

Die Einordnung der experimentell gewonnenen Erkenntnisse in einen Zusammenhang und ein übergeordnetes Theoriegebilde soll an dieser Stelle noch einmal exemplarisch dargelegt werden. Die erforderliche Vorholzlänge bei diversen Versätzen (Holzverbin-dungen) kann experimentell hergeleitet werden. Im engeren Sinne werden die auf-nehmbaren Kräfte der Versätze ermittelt. Holzverbindungen sind ein Element von Tragwerkskonstruktionen wie z. B. Dachtragwerke, Brücken. Die Anforderungen, wie die aufzunehmenden Schubkräfte parallel zur Faserrichtung und Druckspannungen quer zu Faserrichtung, resultieren aus der Tragwerkskonstruktion. Daher ist dieser übergeordnete Zusammenhang von Bedeutung für ein Verständnis der Konstruktion und des Details (des Versatzes) darzulegen. Folglich ist in diesem Fall die übergeord-nete Theorie die Festigkeitslehre. Darüber hinaus ergeben sich Bezugspunkte zur Tragwerkslehre.

Die hier dargelegten Phasen des Experimentierens können jedoch keinen linearen Ablauf darstellen. Es soll an dieser Stelle auf die Modelle der Tätigkeitsregulation Be-zug genommen werden. Das Modell der VVR-Einheiten HACKERS (1986) und MILLERS, GALLANTERS und PRIBRAMS (1973) TOTE-Einheiten sind Modelle, die für eine Betrach-tung des Phasenablaufes herangezogen werden sollen. Jede Phase des Experiments ist Bestandteil des Gesamtkonzeptes und verfügt demzufolge über Beziehungen zu anderen Phasen. Aus dem Vergleich zwischen dem Ergebnis einer Phase und dem Ziel kann sich die Notwendigkeit der Rückkopplung zu vorherigen Stufen ergeben. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Stufen bei der Bearbeitung eines Falles linear nacheinander ablaufen. Wie wichtig eine Rückkopplung zu vorheri-gen Stufen sein kann, soll mittels eines Beispiels belegt werden. In der Phase der

„Entwicklung von Hypothesen“, in welcher das Ergebnis hypothetisch vorweggenom-men werden soll, stellt man fest, dass noch wichtige Informationen für die Erarbeitung einer Hypothese fehlen. Folglich ist nochmals mit der Phase „Orientierung und Ent-wicklung der Problemsituation“ rückzukoppeln, in der jetzt präziser als zuvor nach In-formationen zu suchen ist, die für die Hypothesenbildung erforderlich sind.

Die wechselseitigen Beziehungen der Phasen des Experimentierens korrespondieren im Weiteren mit handlungstheoretischen Vorstellungen von VOLPERT (1999). VOLPERT

betont, dass die gesamte Handlungspyramide nicht vor der Handlung feststeht. Diese Annahme, dass die Handlungspyramide bereits vor oder mit dem Beginn der Handlung feststeht, wird nur im äußersten Extremfall auftreten, jedoch existiert vor der tatsächli-chen Ausführung ein gewisser Vorlauf der Planung. Der gewisse Vorlauf der Planung bedeutet, die jeweiligen Starteinheiten entstehen erst kurz vor Beginn einer Handlung, d.h. jeweils nur die nächsten Schritte werden im Voraus genauer geplant. Der Plan der

folgenden Schritte wird immer vager und gröber, je weiter man sich von den Startein-heiten entfernt.

Unerwartete Ereignisse erfordern, dass der gesamte Handlungsplan verändert wird.

Die neuen Bedingungen werden flexibel in den Handlungsplan integriert und das Ziel wird – wenn möglich – beibehalten. Wenn eine Teilhandlung ihr Ziel nicht erreicht, bie-tet das VOLPERTsche Handlungsmodell trotzdem die Möglichkeit, das jeweils nächst höhere Ziel in anderer Weise zu erreichen. Nur wenn das nicht möglich ist, wird das Ziel verändert oder revidiert.

Bei VOLPERT sind Handlungen situationsbezogen, sie konkretisieren sich in den Prob-lemstellungen und ihre Ziele bilden sich im Fluss des Handelns. Die Handlungsziele werden abgeleitet aus der Konstellation der Handlung, in der Durchführung werden die Handlungsziele ständig weiterentwickelt bzw. neu entwickelt oder auch revidiert (vgl.

VOLPERT 1999, S. 69).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Vorstellung des linearen Ab-laufes des Experimentierens nicht angemessen ist. Es kann davon ausgegangen wer-den, dass es sich um einen dynamischen Prozess handelt, der sich anhand der be-schriebenen Modelle durch ineinander greifende Schleifen unterschiedlicher Hierarchien beschreiben lässt. Die Verbindungen, die zwischen unterschiedlichen Pha-sen eingegangen werden, sind zahlreich und nicht im Voraus erfassbar. Sie sind ab-hängig von einer Anzahl von Faktoren, wie die Art des Experiments, Arbeitsstil der Lernenden u. a.

Abbildung 12: Modell des Phasenablaufs des Experimentierens unter Einbeziehung handlungs-theoretischer Grundlagen

Orientierung und Entwicklung der Problemsituation

Entwicklung von Hypothesen

Planung des Experiments

Durchführung des Experiments

Verifikation/Falsifikation der Hypothesen

Einordnung der Beziehung/Gesetzmäßigkeit in eine Theorie

6.2 Exemplarische Integration eines Experiments in ein