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4 Anspruch des handlungsorientierten Unterrichts

demnach nur aufrechterhalten, wenn sie über Sinnlichkeit, Erfahrung, Tätigkeit und Handeln kognitive Strukturen entwickelt. Dabei sollen die neuen Informationstechnolo-gien nicht ausgeschlossen, sondern müssen in den Lernprozess integriert werden.

2. Die anthropologisch-lernpsychologische Begründung resultiert aus der dialektischen Person-Umwelt-Beziehung, bei dem das Denken aus der Tätigkeit hervorgeht und als Handlungsregulation auf diese zurückwirkt. Unterricht kann und darf nicht ausschließ-lich einer Aufbereitung von Wissen dienen, sondern vielmehr ist der Organisation von aktiven, zielgerichteten Tätigkeiten und Handlungen Rechnung zu tragen.

3. Die didaktisch-methodische Ebene proklamiert neue Prämissen der didaktischen Gestaltung von Unterricht. Die inhaltliche Vollständigkeit eines Unterrichtsgegenstan-des wird nicht länger angestrebt. An die Stelle der Vollständigkeit tritt die Exemplarik.

Damit ist die Offenheit bezüglich der Ziele, Inhalte und Methoden von Unterricht ver-bunden. Interessen und Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler müssen mit be-rücksichtigt werden.

Als notwendige Bedingungen für einen solchen Unterricht werden vor allem die Bereit-schaft der Lehrenden sowie die institutionellen Voraussetzungen, wie fachübergreifen-der Unterricht, Pausenzeiten und die Lehrerkooperation hervorgehoben.

Die von GUDJONS aufgestellten Begründungen für einen handlungsorientierten Unter-richt sind ebenfalls für die berufliche Bildung gültig, jedoch muss eine Argumentation, die sich speziell der beruflichen Bildung widmet, einen weiteren Aspekt aufnehmen: die berufliche Handlungskompetenz. Sie wird hier als Ebene der Arbeitsprozessorientie-rung bezeichnet.

4. Die Arbeitsprozessorientierung reflektiert den Paradigmenwechsel in der beruflichen Bildung. Die Entwicklung einer beruflichen Handlungskompetenz ist ein erklärtes Ziel beruflicher Bildung. Die Didaktik korrespondiert mit dem Leitziel der Entwicklung einer beruflichen Handlungskompetenz. Dem liegt die Hypothese zu Grunde, dass die Ent-wicklung einer beruflichen Handlungskompetenz Lehr- und Lernarrangements erfor-dert, die sich am Arbeits- und Produktionsprozess orientieren. Die Orientierung der Berufsbildung an Handlungen ist spätestens mit der Etablierung der Lernfelder in den KMK-Rahmenlehrplänen essenziell. Neben den rechtlichen Vorgaben erfordert eine Praxisorientierung des beruflichen Unterrichts und einer beschäftigungsadäquaten Ausbildung eine Handlungsorientierung in der beruflichen Bildung. Desgleichen erfor-dert eine zukunftsorientierte berufliche Bildung eine Orientierung an Handlungen.

Der Handlungsorientierung liegt die Hypothese zugrunde, dass eine berufliche Hand-lungskompetenz durch solche Lehr-Lern-Arrangements besonders gefördert werden

kann, in denen sich Lernprozesse an Handlungen orientieren (vgl. BADER 2004, S. 1).

Worin diese Orientierung an Handlungen genauer bestehen soll, darüber gibt es sehr unterschiedliche Vorstellungen und z. T. auch Begriffsunschärfen. Auf handlungs- und erkenntnistheoretische Grundlagen wurde bereits eingegangen. Über die Ausprägung der Handlungsorientierung in Lernprozessen zur Förderung und Entwicklung der Hand-lungskompetenz existieren differenzierte und teilweise auch kontroverse Vorstellungen.

BADER arbeitete sieben Verständnisvarianten, Konzepte und Positionen heraus, die nachfolgend dargelegt werden.

- Handlungsorientierung der betrieblichen Ausbildung an „vollständigen Hand-lungen“, die selbstständiges Planen, Durchführen und Kontrollieren bzw. Be-werten beruflicher Arbeit einschließt.

- Handlungsorientierung des Schulunterrichts im Sinne des Lernens an Sach-verhalten und Problemen, die eine Entsprechung im Erfahrungsraum der Ler-nenden haben oder absehbar erhalten werden.

- Handlungsorientierung als psychologisch begründete Strukturierung aller Lern-prozesse – meist auf Basis von kognitionspsychologischen Theorien, von Handlungsregulationstheorien oder von pragmatischen Verbindungen beider Theoriestränge.

- Handlungsorientierung als Gestaltung von Lernprozessen, in denen die Ler-nenden möglichst durch selbstständiges Handeln, mindestens jedoch durch ak-tives Tun, jedenfalls nicht allein durch gedankliches Nachvollziehen von Hand-lungen anderer aktiv werden.

- Handlungsorientierung als Lernen an konkreten Handlungen, deren Ergebnis nicht aufgrund gesicherter Erkenntnisse feststeht, sondern offen ist.

- Handlungsorientierung als Gestaltung von Lernprozessen mit dem Ziel der Fä-higkeit, aus gewonnenen Erkenntnissen gesellschaftliche Konsequenzen zu ziehen, um vorgefundene Situationen in Richtung auf erstrebenswert erkannte Ziele mit den geplanten Methoden zu verändern.

- Handlungsorientierung als Ansatz der Curriculumentwicklung. (vgl. BADER

2004, S. 2 ff.)

Handlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und lernaktiver Unterricht, in dem Kopf- und Handarbeit in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. HORTSCH

charakterisiert ihn anhand von 12 Merkmalen, die im Folgenden zusammengefasst werden sollen.

- Es handelt sich hierbei um keine Methode, sondern um ein Konzept für die Ge-staltung von Unterricht. Der handlungsorientierte Unterricht ist offen für Gestal-tungsmöglichkeiten entsprechend der institutionellen und organisatorischen Bedingungen.

- Der Lernende steht als handelndes Individuum im Zentrum des Unterrichts, wobei der Lernende den Lernprozess weitestgehend selbst bestimmt, aktiv und reflektiv gestaltet.

- Der Lernprozess ist überwiegend selbst bestimmt. Der Lehrer tritt aus seiner dominierenden Rolle zurück, ihm obliegt es, Lernhandlungen zu initiieren.

- Selbst gesteuertes Lernen ist kennzeichnend für das Konzept.

- Das Gestalten von Lernprozessen auf der Grundlage eines handlungstheoreti-schen Ansatzes erfordert das Schaffen von angemessenen Lernbedingungen.

- Die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz unter Einschluss der fachli-chen, methodischen und sozialen Kompetenz ist das Ziel.

- Das Handeln der Lernenden bezieht sich auf zwei Ebenen: Das Handeln in Bezug auf den organisierten Lernprozess und das Handeln außerhalb dieses organisierten Lernprozesses im beruflichen und privaten Leben.

- Handlungsorientierter Unterricht zielt gleichermaßen auf die Entwicklung von kognitiven, emotionalen und psychomotorischen Dispositionen. Individuelle und kollektive Lernaktivitäten ergänzen sich. Aneignungsgegenstände sprechen möglichst viele Sinne an.

- Die Gestaltung des Lernprozesses ist an der Grundstruktur des menschlichen Handelns auszurichten (vollständige Handlung).

- Das Konzept folgt der inneren Logik des Lernens, damit orientiert es sich nicht an Fächerstrukturen, sondern ist fächerübergreifend angelegt.

- Exemplarische Gegenstände der geistigen Aneignung treten an die Stelle ei-nes breit angelegten oberflächlichen Lernens.

- Es sind institutionelle und organisatorische Rahmenbedingungen erforderlich, die den Lernenden Handlungsspielräume eröffnen und flexibles Arbeiten er-möglichen (HORTSCH 1999, S. 56 f.).

Das Experimentieren im Unterricht als Möglichkeit der Realisierung von handlungsori-entiertem Unterricht trägt diesen Merkmalen Rechnung.

Das experimentierende Lernen ist dadurch gekennzeichnet, dass die Schüler eine Problem- bzw. Fragestellung selbstständig lösen, Erkenntnisse selbsttätig gewinnen.

Die Lehrkraft nimmt hier die Rolle des Initiators und Moderators ein. Das setzt jedoch voraus, dass die Lehrkraft die Lernenden mit Einfühlungsvermögen führt. Grundlage dafür ist die eigene Vertrautheit der auszuführenden Handlungen. Demzufolge muss die Lehrkraft den Ablauf des Experiments erprobt haben, denn nur dann ist es möglich, die Lernenden auf alle (z. T. auch pragmatische) Aspekte des Experiments aufmerk-sam zu machen, die von Bedeutung sind. Die Lehrkraft ist mit möglichen Durchfüh-rungsvarianten vertraut. Somit ist es dem Lehrer möglich, die von den Lernenden erar-beiteten Lösungen zu würdigen und jeden Fortschritt der Schüler zu honorieren (vgl.

AEBLI 2001, S. 199).

Während der Durchführung des Experiments tritt die Lehrkraft aus ihrer führenden Rol-le zurück und eröffnet damit den Lernenden Handlungsspielräume. Es ist von Bedeu-tung, dass die Lernenden aktiv in die VersuchsvorbereiBedeu-tung, -durchführung und -auswertung eingebunden sind. Die Lehrkraft kann durch entsprechende Hinweise und Fragestellungen die Aktivitäten der Lernenden unterstützen und lenken (vgl. AEBLI

2001, S. 199).

Das experimentierende Lernen auf handlungstheoretischer Basis setzt mindestens zwei mögliche Lösungswege voraus. Es ist daher eine folgerichtige Forderung, dass die Lehrkraft nicht auf einen bestimmten Lösungsweg und Experimentieransatz be-steht. Vielmehr ist auf Vorschläge von Seiten der Lernenden einzugehen und die Vor-gehensweise variabel zu gestalten (vgl. AEBLI 2001, S. 200).

Experimente für die Realisierung von handlungsorientiertem Unterricht sind damit an Kriterien gebunden. Sie „können handlungsorientiert wirksam werden, wenn sie den Anforderungen einer vollständigen Handlung entsprechen und den didaktischen Leitli-nien des Handlungslernen folgen“ (BLOY &BLOY 2000, S. 72). Diese Kriterien können wie folgt zusammengefasst werden:

- Varianten des Lösungsweges müssen vorhanden sein, die Entscheidungen der Lernenden erfordern;

- die Versuchsdurchführung muss technologisch möglich und sicherheitstech-nisch verantwortbar sein;

- die Aufgabenstellung muss ganzheitlich und das Ergebnis mehrdimensional auswertbar sein;

- der Schülerversuch muss einen sinnvollen Bezug zur Praxis haben;

- der Versuchsablauf muss die Lernenden vor Probleme stellen, die für sie lös-bar sind;

- die Versuchsdurchführung muss Freiräume im Lösungsweg offen halten (vgl.

BLOY &BLOY 2000, S. 72).

Aus den diskutierten Charakteristika des handlungsorientierten Unterrichts und dessen psychologische Begründung können Grundregeln für die Planung und Durchführung des Experimentierens im Unterricht abgeleitet werden, die von Autoren wie BLOY

(2000, S. 72 ff.), HASPAS (1974, S. 96 ff.) und PAHL (1998, S. 185 ff.) erörtert werden.

Die anschließende Aufstellung basiert auf Arbeiten der erwähnten Autoren.

Das Experiment ist von der Lehrkraft zuvor zu testen.

Nur wenn die Lehrkraft mit den zu erwartenden Ergebnissen und der Experimentieran-ordnung vertraut ist, kann sie den Lernenden die erforderliche Unterstützung bieten und eventuelle Gefahrenquellen einschätzen. Es muss jedoch diskutiert werden, ob es erforderlich ist, bei ähnlich gelagerten Experimenten jedes einzelne zu testen oder ob es hinlänglich ist, ein Experiment exemplarisch zu testen.

Das Experiment muss zu eindeutigen und für Lernende verständlichen Ergebnissen führen.

Es ist darauf zu achten, dass Messgeräte für die Lernenden gut einsehbar, die Reakti-onen der Messgeräte eindeutig sind und das Ergebnis klar und eindeutig für die Ler-nenden erkennbar ist. Der wesentliche Teil des Experiments sollte im Mittelpunkt der Beobachtungen stehen. Die Ergebnisse des Experiments müssen sich in den Erfah-rungshorizont der Lernenden einordnen.

Experimentieranordnungen sind zuvor in einer Prinzipskizze durch die Lernenden fest-zuhalten.

Die Prinzipskizze der Experimentieranordnung dient der Analyse der Experimentieran-ordnung, der Heraushebung des Wesentlichen und der Analyse der räumlichen sowie technischen Anforderungen.

Die Experimentieranordnungen sind auf mögliche Gefahrenquellen zu prüfen.

Die Lehrkraft trägt die Verantwortung für die Gesundheit und das Leben der Lernenden und ist darüber hinaus auch für die technische Ausstattung verantwortlich. Sie ist daher verpflichtet, entsprechende Vorkehrungen zum Gesundheits-, Arbeits- und Brand-schutz zu treffen. Die erforderlichen Vorkehrungen werden durch das vorgesehene Experiment, durch die räumlichen und technischen Bedingungen sowie durch das Klientel der Lernenden bestimmt.

Die Problemstellungen für das experimentierende Lernen sind sorgsam zu wählen.

Der Entwicklung der Problem- bzw. Aufgabenstellungen für das experimentierende Lernen kommt eine besondere Bedeutung zu. Das Problem sollte nach Möglichkeit fachübergreifend angelegt sein, z. B. können Aspekte des Arbeitsaufwands, Material-einsatzes, des Umweltschutzes oder des Energieaufwandes eingeschlossen werden.

Dem entsprechend kann die Lösung des Problems oder die Bearbeitung der Aufga-benstellung nicht nur dem Aufzeigen oder Ermitteln naturwissenschaftlicher bzw. tech-nologischer Zusammenhänge dienen.

Fehler beim selbstständigen Experimentieren sind in Erwägung zu ziehen und zu tole-rieren. Die möglichst weitgehende selbstständige Arbeit der Lernenden sollte Fehler im Erkennen der Problemlage, Mängel in der Planung des Experiments sowie in der Aus-führung des Experiments zulassen. Die Lernenden können die Konsequenzen ihrer Handlungen tätig erfahren. Die „so-tun-als-ob“ – Situation der Berufsschule kann über-wunden werden und realitätsnahe Erfahrungen können auch im Schonraum Schule gemacht werden. Das Zulassen von Fehlern darf jedoch nicht heißen, dass sorgfältige Planungen redundant werden. Weiterhin werden erst durch Fehler bzw. fruchtbare Umwege im Lernprozess die weiter reichenden Lernziele angesprochen.

Während der Hypothesenbildung und Auswertung der Experimente sollte darauf ge-achtet werden, dass unzweckmäßige Hypothesen und untaugliche Experimentierer-gebnisse nicht vorschnell verworfen werden. Sie können eventuell einen Beitrag zur Weiterentwicklung und Fortführung des Experiments und erneuten Hypothesenbildung leisten.

Dem vorgesehenen Experimentierablauf ist nicht unbedingt rigide zu folgen.

Ein selbstständiges Handeln der Lernenden setzt flexible Strukturen und Handlungs-spielräume voraus. Während der Durchführung können sich aufgrund der gewünschten Selbsttätigkeit der Lernenden Situationen ergeben, die ein Abweichen vom geplanten Ablauf nötig machen.