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Was kann eine Schulgemeinschaft gegen Gewalt tun?

7.2 Schritte auf dem Weg zur Gewaltprävention

7.2.3 Handeln in akuten Gewaltsituationen

Intervention, hergeleitet von dem lateinischen Wort intervenire, bedeutet unterbrechen, stören, hindern, einschreiten. Gemäß dieser Bedeutung müssen Interventionen zur Gewalt darauf ausgerichtet sein, aufmerksam wahrzunehmen, bei Risiken und Gefah-rensituationen einzuschreitenund Gewalt fördernde oder begünstigende Verhältnisse

und Situationen möglichst zu stören oder zu unterbrechen. Gewalt wird nicht toleriert!

Ein nicht durch Lehrkräfte sanktioniertes gewalttätiges Verhalten von Schüler/innen in der Schule trägt im hohen Maße dazu bei, dass die Schüler/innen sich in ihrem Verhal-ten bestärkt fühlen, es beibehalVerhal-ten und dass andere Schüler/innen es ihnen gleichtun (Bekräftigungslernen).

Das Nichteingreifen bei Gewalttätigkeiten, und selbst das bloße Zuschauen, ohne zu handeln, kann schon eine Verstärkung bewirken.

Lehrer/innen sind auch in Gewaltsituationen Vorbild und Modell. Gewaltsituationen sind oft komplexe und undurchsichtige Situationen. Einige Gewaltsituationen sind emotional aufgeheizt und beinhalten die Tendenz zur Eskalation. Deshalb geht es vorrangig um die Begrenzung von Übergriffenund die Deeskalation der Situation.

Im Vordergrund steht:

Gewaltausübung schnell beenden

Opfer schützen

Gewaltsituationen tauchen oft unvermittelt auf, sie erfordern schnelles Eingreifen.

Eine schnelle Beendigung der Gewalthandlung und der Schutz der Opfer sind erfor-derlich, da ansonsten die Folgen für die Opfer (Verletzungen, Schmerzen, Isolierung) schlimmer werden und die Gewaltspirale weiter angetrieben wird.

Die systematische Vorbereitung auf solche Situationen ermöglicht eine gewisse Handlungssicherheit. Für Schulen bedeutet es, dass über eine einheitliche Vorgehens-weise Einigkeit herrschen muss und dass die Lehrer/innen auf solche Situationen vorbereitet werden, damit sie dann in Gewaltsituationen entschlossen eingreifen können, um das Opfer zu schützen und das Zunehmen der Eskalation zu verhindern.

Die Interventionerfolgt laut und deutlich und kann mitunter mit körperlichem Einsatz (z. B. dazwischengehen) verbunden sein. Dieser deutliche Einsatz dient der Gewalt-missbilligung, Deeskalation und dem Opferschutz und stellt keine Gewaltim Sinne dieser Handreichung dar, da keine Schädigungsabsicht mit dem Einsatz verbunden ist.

Bei allen Formen der verbalen Gewalt (beschimpfen, beleidigen, ausspotten, hän-seln etc.), die von den Lehrer/innen wahrgenommen werden, wird sofort interveniert, indem die Lehrer/innen zu den Streitenden hingehen und sagen, dass sprachliche Über-griffe nicht toleriert werden. Lehrer/innen können durch Nachfragen herausfinden, wel-ches Gefühl zugrunde liegt und wie der Schüler/die Schülerin das auch anders mitteilen kann. Manche Kinder und Jugendliche haben gerade das noch nie erfahren, noch nicht gelernt. Mit jeder Unterbrechung – beginnend bei verbalen Übergriffen – setzen Erwachsene sichtbare Zeichen für ihre Anti-Gewalt-Einstellung und beugen damit gröberen Gewalteskalationen vor.

Bei akuten, massiven Gewalthandlungenist die sofortige Unterbindungdieser Auseinandersetzungen Voraussetzung für die anschließende Konfliktbewältigung. Han-deln in Gewaltsituationen bedeutet, Täter/in, Opfer und Zuschauer/in im Blick zu haben:

das Opfer zu schützen, den Täter/die Täterin zu stoppen und die Zuschauer/innen zur

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Unterstützung anzuregen. Jeder Erwachsene ist verpflichtet, bei offenen, gewalttätigen Auseinandersetzungen einzugreifen und die Streitenden oder Kämpfenden zu trennen.

Es muss eine klare Grenzziehung erfolgen.

„Dieses Verhalten wird hier nicht geduldet!“

Die Lehrperson soll sich nicht auf Diskussionen einlassen, sondern klar und eindeutig feststellen, dass Gewalt in keiner Form toleriert wird. Es empfiehlt sich, die unmittelbar Beteiligten in einem Konflikt nicht sofortüber den Hergang des Geschehens zu befra-gen, da die Grenzen zwischen Täter/in und Opfer oft verschwimmen und sie sich gegenseitig die Schuld zuschieben. Dies ist aber für diesen ersten Schritt unerheblich, denn es geht primär nur darum, den Streit oder den Kampf zu unterbrechen. Bei schweren Gewaltvorfällen sind die Klassen- und Schulleitung zu informieren und die nächsten Schritte werden gemeinsam abgestimmt. Bei schwerwiegenden Gewaltvor-fällen ist von Seiten der Schule die Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Jugend-amt zu suchen. Eine konkrete Anleitung zur Gewaltinterventionfindet sich im Anhang 31.

Erst nachdem sich die Beteiligten emotional „abgekühlt“ haben, sind sie in Einzelgesprächen mit ihrem gewalttätigen Handeln zu konfrontieren, am besten noch am gleichen Tag, spätestens am nächsten Tag. Das ist notwen-dig, damit die Schüler/innen merken, dass es ein ernster Vorfall war, der von den Lehrpersonen nicht vergessen bzw. bagatellisiert wird.

Gleichzeitig sind verbindliche Absprachen bedeutsam, die einerseits eine Klärung des Konflikts herbeiführen sollen (z. B. Gespräche), andererseits Sanktionen zur Konse-quenz haben. Bei Bedarf kann zusätzliche Hilfe von Beratungslehrer/innen, Psych-agog/innen, Schulpsycholog/innen und externen Fachkräften eingeholt werden. Es empfiehlt sich, hierfür geeignete Netzwerke aufzubauen und aufrechtzuerhalten.

Folgen von Gewalt für Opfer und Täter/in sowie die geeignete Gesprächsführung im Anlassfall sind im Anhang 16aufgeführt.

Die Ursachen einer Gewalttat können in der Persönlichkeit der Beteiligten, auf der Klassenebene oder auf der Schulebene liegen. Daher ist jede Gewalttat an der Schule ein Problem, das von allen Beteiligten/Betroffenen gemeinsam bearbeitet werden muss.

Ein Beispiel für eine Intervention auf ein Graffiti am Schulgebäude wurde uns von VDinMaria-Theresia Strouhal zur Verfügung gestellt. Im Folgenden ist die Beschrei-bung und Bearbeitung des Vorfalls im O-Ton wiedergegeben. Die Vorgehensweise resultiert aus den Werten und Haltungen, die im Leitbild der Schule

(http://www.schulen.wien.at/ schulen/907021/) zum Ausdruck gebracht werden:

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IRRTUM

Als ich an einem Montagmorgen zur Schule kam, bemerkte ich nicht, dass auf dem Gebäude über Nacht ein Graffiti angebracht worden war. Links und rechts des Ein-gangstores war mit Hilfe einer Schablone in grüner Farbe ein Kinderwagen aufge-sprüht und darunter der Text: Irrtum der Menschen.

Erst eine später ankommende Lehrerin sprach mich, ziemlich erregt über diese Botschaft, darauf an. Auch andere waren auf die Zeichen noch gar nicht aufmerksam geworden. Nun war es Thema im Kollegium und ich spürte bei einigen Ärger und Bestürzung. Andere teilten die Einschätzung, das sei zwar ärgerlich, aber mittlerweile eine übliche Form urbaner Kommunikation.

Ich war der Meinung, dass auch die Bestürzung einiger weniger, vor allem jener, die den Text als bedrohlich befanden, wahr- und ernst genommen werden sollte.

Zu Mittag wurde der Geburtstag einer Kollegin gefeiert und alle saßen beisammen. Ich nutzte die Gelegenheit und kam noch einmal auf das Graffiti zu sprechen. Wir überleg-ten, wie wir darauf reagieren sollten. Einige waren für Verhängen, andere wollten darauf reagieren und einen Kommentar dazu sprühen.

Gegen das Verhängen war ich unbedingt: Ärger, Störungen, Kränkungen zu verdecken ist eine ebenso übliche wie ungesunde Art, hierzulande damit umzugehen.

Eher sollten wir diese Irritation in unseren Alltag und in unsere Arbeit integrieren und den Vorfall nicht nur mit den Kindern besprechen, sondern ihnen auch eine Möglichkeit geben, darauf zu reagieren. Eine Kollegin machte den Vorschlag, Fotos von dem Graffiti zu machen und dieses von den Kindern kommentieren oder verändern zu lassen.

So machten wir es auch. Jede Klassenlehrerin und jeder Lehrer erhielt den Aus-druck eines Fotos davon und besprach die Sache mit den Kindern zu einem Zeitpunkt und auf eine Art, wie es für die Klasse eben passte. Die Ergebnisse dieser Gesprächs-runden hängten wir auf Plakaten im Schulhaus auf. So konnten auch die Eltern der Kinder wahrnehmen, dass und wie wir uns damit auseinandergesetzt hatten.

Die Gebäudeverwaltung der Stadt Wien reagierte auf die notwendige Anzeige wegen Sachbeschädigung typisch und atypisch österreichisch: Die „Beschriftung“

wurde am folgenden Tag reinweiß übermalt. Jedoch nicht besonders sorgfältig:

Ein kleiner grüner Sprührand ist immer noch sichtbar.

Graffiti auf der Fassade einer Volksschule

7.2.4 Pausenaufsicht

Eine wirksame Maßnahme zur Gewaltvermeidung bzw. -reduzierung, die sofort von jeder Schule umgesetzt werden kann, ist die Einrichtung einer angemessenen Auf-sicht während der Pausen. Es wurde in vielen Untersuchungen festgestellt, dass sich Ausmaß und Anzahl von Gewalthandlungen deutlich vermindern, wenn vor Unter-richtsbeginn und während der Pausen (im Schulhof, in der Aula, in den Gängen) aus-reichend viele Lehrer/innen (Anhaltspunkt: 1 Aufsichtsperson für 15-20 Schüler/innen) Aufsicht führen, indem sie aufmerksam herumgehenund dadurch Präsenz zeigen.

Auch im direkten Umfeld der Schule, auf dem Weg zum Parkplatz oder zu den Halte-stellen müssen Lehrer/innen eingreifen, wenn sie Zeugen von Gewalthandlungen werden. Erleben Jugendliche, dass Erwachsene sich nicht einmischen, werten sie dies als Freiraum für solche Handlungen. In Schulen, wo Jugendliche – sowohl Opfer als auch Täter/innen – den Eindruck gewinnen, die Lehrkräfte ignorierten solche Vor-fälle, sind mehr Gewalthandlungen festgestellt worden als an Schulen, wo die Lehr-personen konsequent intervenieren.