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Das Grundrecht auf ein faires Verfahren gem. Art 6 EMRK

„Art. 6 EMRK

Recht auf ein faires Verfahren

(1) Jede Person hat ein Recht darauf, daß über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muß öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozeßparteien es verlangen oder - soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält - wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.

(2) Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“280

Die in Art. 6 EMRK aufgezählten Rechte gelten sowohl in Zivil- als auch in Strafrechtsangelegenheiten281 und sind nicht auf bestimmte Verfahren vor den europäischen Gerichten beschränkt, sondern sie sind in jedem Verfahren zu gewährleisten.282

Grundlegende Bedeutung kommt dem Art. 6 EMRK auch deshalb zu, da seine Ausgestaltung als Verfassungsgesetz letztlich dazu führt, dass innerstaatliche Normen dem Prinzip des fairen Verfahrens angepasst werden müssen und die Rechtsprechung des EGMR auf diese Weise einen wesentlichen Einfluss auf innerstaatliche Verfahrensgesetze bekommt.283 Ein wesentliches Ziel des Grundrechts auf ein faires Verfahren ist es, die Rechtsstaatlichkeit in absolut jedem Fall zu gewährleisten. Mag einem Betrachter der Fall noch so unbedeutend oder die Sachlage absolut eindeutig vorkommen, so darf dies trotzdem nicht zu einer Verringerung der Rechte des Betroffenen führen. Auch wenn viele Argumente dafürsprechen würden beispielsweise einem reuelosen Serienmörder diverse Einschränkungen in rechtlicher Hinsicht aufzuerlegen, so gilt die Maxime, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis ermittelt werden darf und immer die Gewährung grundlegender Verfahrensrechte garantiert sein muss. 284

Die Unkenntnis bzw. die Verschweigung grundlegender Verfahrensrechte hebeln zudem das Recht auf ein faires Verfahren aus und die bei verschiedenen Gesetzen angewandten

280 Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl 1958/210 idgF.

281 Vgl Binder/Trauner, Lehrbuch Öffentliches Recht – Grundlagen4 (2016) 85 Rz 570.

282 Vgl R. Winkler, Die Grundrechte in der europäischen Union (2006) 478ff.

283 Vgl Berka, Grundrechte (1999) Rz 787.

284 Vgl Degenhart, Klausurenkurs im Staatsrecht II: Mit Bezügen zum Europarecht (2014) 386 Rz 924.

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Interpretationsmethoden werden oftmals dafür missbraucht, dass unliebsame Aufdecker / Aufdeckerinnen dem Gesetz nicht entkommen können.285

11.1 Die Gewährleistung des Grundrechts auf ein faires Verfahren gem. Art 6 EMRK in der Causa Assange

Wie es in der Chronologie in Punkt 9.1 erwähnt wird, wurde gegen Assange in Schweden Anklage wegen angeblicher Vergewaltigung erhoben. Zu diesem Zeitpunkt war für alle Beteiligten nicht absehbar, ob ein faires Verfahren zustande kommen würde, oder ob die USA ihren Einfluss auf andere Staaten nutzen würden, um das Verfahren und die Gewährung von Rechten zu beeinflussen. Die Vorenthaltung verschiedener Rechte kann in der Rechtspraxis zu erheblichen Nachteilen führen.

Nachdem Assange zunächst noch rechtskonform aus Schweden ausreisen durfte, folgte wenig später das Urteil eines britischen Gerichtes, wonach Assange, der sich mittlerweile in Großbritannien befand, nach Schweden ausgeliefert werden musste. Dadurch eröffnete sich den Amerikanern / Amerikanerinnen auch die Möglichkeit, im Falle von Assanges Auslieferung von Großbritannien an Schweden ein Auslieferungsbegehren an Schweden zu stellen und ihn in weiterer Folge vor ein amerikanisches Gericht zu stellen. Dies war auch der Auslöser für Assanges Flucht in die ecuadorianische Botschaft.286 Zudem hatten schwedische Behörden Assange bereits zuvor international zur Festnahme ausgeschrieben und es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis er in den Händen der Justiz gelandet wäre.287

Da sich Assange zu den Zeitpunkten seiner Gerichtsverfahren auf europäischem Staatsgebiet befand, standen ihm gemäß Art. 56 EMRK auch die Rechte aus der EMRK zu.288 Besonders zu nennen ist hier das Grundrecht auf ein faires Verfahren gem. Art. 6 EMRK. Dieses Recht gewährt einem / einer Bürger / Bürgerin fundamentale Rechte, um den Ablauf eines fairen und transparenten Verfahrens zu gewährleisten.289

Großbritannien oder Schweden hätten dieses Recht demnach verletzt, wenn sie Assange zum Beispiel diverse Verfahrensrechte oder -garantien, wie die oben im Gesetzestext genannten Rechte, nicht gewährt hätten. Ein begründeter Zweifel in der Causa Assange bestand darin, dass das Gericht bzw. die Gerichte nicht unvoreingenommen sein könnten und – etwa durch

285 Vgl Kaleck, Mit Recht gegen die Macht: Unser weltweiter Kampf für die Menschenrechte (2015) 217.

286 Vgl Knoller, Schweden: Ein Länderporträt (2016) 128.

287 Vgl Görig/Nord, Julian Assange - Der Mann, der die Welt verändert (2011) 142ff.

288 Vgl Art 56 Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl 1958/210 idgF.

289 Vgl Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention, BGBl 1958/210 idgF.

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den diplomatischen Druck oder sonstige Versuche seitens der USA, so schnell wie möglich Assanges Auslieferung zu erwirken – eventuell zu einem vorschnellen Urteil im Vergewaltigungs- oder Auslieferungsprozess kommen könnten.

Fall Thomann gegen die Schweiz – Entscheidung durch den EGMR290:

Es gab in der Vergangenheit bereits einmal einen ähnlichen Fall, in welchem die Unvoreingenommenheit eines Gerichtes bezweifelt wurde. Dies war der Fall Thomann gegen die Schweiz, welcher vor dem EGMR im Jahr 1996 verhandelt wurde.291 In diesem Urteil sah sich der EGMR der Frage ausgesetzt, ob ein Gericht überhaupt noch unparteiisch und unvoreingenommen urteilen könne, wenn es bereits zuvor – in Abwesenheit des Beschuldigten, da dieser sich dem Verfahren entzogen hatte – ein Urteil zum Nachteil des Beschuldigten gefällt hatte.292 Zwar wurde im Fall Assange noch kein endgültiges Urteil gefällt, dennoch zeigt die Frage bzw. die behauptete Rechtswidrigkeit des Beschwerdeführers im Fall Thomann gegen die Schweiz denkbare Parallelen zu Assanges Fall auf. Auch in Assanges Fall schien ein faires Verfahren, nach den bisher vorliegenden Informationen rund um die Vorgehensweise der USA bei der Durchsetzung ihres Willens, nicht vollkommen gesichert zu sein.

Der Beschwerdeführer stellte bei dem oben genannten Verfahren vor dem EGMR die Unvoreingenommenheit der Richter in Zweifel, da dieselben Richter, welche bereits zuvor die Verurteilung zu seinem Nachteil und in seiner Abwesenheit ausgesprochen hatten, auch nun wieder in der Neuverhandlung in der Sache entscheiden sollten. Dabei stellte der Gerichtshof fest, dass ein Richter aus zweierlei Gründen parteiisch und damit in subjektiver Hinsicht befangen sein könnte. Zum einen könnte eine persönliche Neigung eines Richters vorliegen, welche einen objektiven Urteilsspruch unmöglich machen würde und zum anderen könne ein bestimmtes Verhalten eines Richters bereits darauf hindeuten, dass eine unparteiische Entscheidung nicht zu erwarten sein wird.293 Des Weiteren führte der EGMR aus, dass es in objektiver Hinsicht durchaus zu vertreten sei, wenn Richter das Urteil sprechen, welche bereits zuvor geurteilt haben, da diese der vorhergegangenen Entscheidung keineswegs verpflichtet seien. Als Fazit sah der EGMR den Art. 6 EMRK nicht als verletzt an.294

In diesem Zusammenhang betonte die Autorengemeinschaft Johnigk, Matt ua, dass bereits die kleinste Verletzung einer noch so formalistisch und oftmals auch frei von Sinn erscheinenden

290 EGMR v 10.06.1996, 17602/91 (Thomann gegen die Schweiz).

291 Vgl Johnigk, Matt ua, Das faire Verfahren nach Art 6 EMRK1 (2005) 43.

292 Vgl EGMR v 10.06.1996, 17602/91 (Thomann gegen die Schweiz) 27ff.

293 Vgl EGMR v 10.06.1996, 17602/91 (Thomann gegen die Schweiz) 10ff.

294 Vgl EGMR v 10.06.1996, 17602/91 (Thomann gegen die Schweiz) 28ff.

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Nuance aus dem Bereich von Art. 6 EMRK bereits großen Einfluss auf das tatsächliche Verfahren haben und dieses Verfahren damit auch eine andere Wendung nehmen kann.295

Anhand des nachfolgenden Falles des EGMR sollen dem Leser / der Leserin aufgezeigt werden, inwiefern das Grundrecht auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 EMRK weiters tangiert sein kann.

Die Verbindung zur Causa Assange wird dadurch hergestellt, dass es sich bei dem dargestellten Fall um eine behauptete Rechtsverletzung durch ein amerikanisches Gericht handelt.

Teilweise befand sich der Beschwerdeführer zudem in einer ähnlichen Situation wie Assange, da ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 EMRK nicht immer gewährleistet schien.296

Fall Mohammed Ali Hassan Al-Moayad gegen Deutschland – Entscheidung durch den EGMR297: In diesem Fall musste der EGMR entscheiden, ob ein Zusammenhang zwischen einer Auslieferungsentscheidung und dem Grundrecht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK gegeben sein kann und wie im Falle des Drohens der Verweigerung eines fairen Verfahrens, durch ein amerikanisches Gericht, bei einer möglichen Auslieferung vorzugehen ist.298 Der EGMR ging in seinen Ausführungen auf die Bedeutung des Art. 6 EMRK ein und stellte fest, dass selbst im Falle einer terroristischen Bedrohung der Kern der von der EMRK gewährleisteten Rechte erhalten bleiben muss und nicht durch etwaige Rechtfertigungsgründe beseitigt werden kann. Des Weiteren wurde erklärt, dass das Recht auf ein faires Verfahren jedenfalls verletzt sein würde, sofern einer Person ein Prozess ohne Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rechtsschutzmechanismen wie dem Recht auf einen Rechtsbeistand und weiteren durch den Art. 6 EMRK gewährleisteten Rechten droht. Sofern jedoch keine stichhaltigen Beweise bzw. zumindest sichere Anzeichen für die Verweigerung von solch eben genannten Rechten vorliegen, reichen reine Vermutungen für eine Verletzung des Art. 6 EMRK und eine damit verbundene Verweigerung der Auslieferung nicht aus.299

Assanges Recht auf ein faires Verfahren gemäß der EMRK wäre somit zum Beispiel verletzt worden, wenn ihm in Amerika kein fairer und unparteiischer Prozess erwartet hätte, oder ihm die Beiziehung eines Rechtsbeistandes oder Inanspruchnahme grundlegender Verfahrensrechte verwehrt worden wäre.

Der Autor Schiffbauer merkte jedoch an, dass Assange bei seinem Auslieferungsverfahren in Großbritannien die nötigen Verfahrensrechte zuerkannt wurden, und stellte daher fest, dass

295 Vgl Johnigk, Matt ua, Das faire Verfahren nach Art 6 EMRK1 (2005) 49.

296 Vgl EGMR v 20.02.2007, 35865/03 (Mohammed Ali Hassan Al-Moayad gegen Deutschland) 8ff.

297 EGMR v 20.02.2007, 35865/03 (Mohammed Ali Hassan Al-Moayad gegen Deutschland).

298 Vgl EGMR v 20.02.2007, 35865/03 (Mohammed Ali Hassan Al-Moayad gegen Deutschland) 8ff.

299 Vgl EGMR v 20.02.2007, 35865/03 (Mohammed Ali Hassan Al-Moayad gegen Deutschland) 14ff.

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Großbritannien bei Assanges Auslieferungsprozess seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen ist.302

302 Vgl Schiffbauer, Julian Assange und das Völkerrecht: Aktuelle Fragen zum Schutz für und durch diplomatische Missionen (2013) 8.

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