• Keine Ergebnisse gefunden

Die Verletzung von (europäischen) Grundrechten im Fall Snowden

8. Grund- und Menschenrechte

8.1 Die Verletzung von (europäischen) Grundrechten im Fall Snowden

Auf den ersten Blick mag manch ein / eine Betrachter / Betrachterin in Zweifel stellen, dass die Grundrechte der europäischen Bürger / Bürgerinnen von scheinbar rein amerikanischen Problemen mit einem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter überhaupt tangiert werden. Bei näherer Betrachtung ist für die Allgemeinheit erkennbar, dass mit dem Zeitalter der Digitalisierung nicht nur die Gewinnung von alltäglichen Informationen für einzelne Bürger / Bürgerinnen leichter wurde, sondern damit gleichzeitig für Regierungen und Firmen das Sammeln von für sie potentiell nützlichen Daten wesentlich erleichtert wurde. So können mittlerweile quasi mit einem Mausklick Rechte auf der ganzen Welt verletzt werden.

Die Autoren Beckedahl und Meister verdeutlichen dem / der Leser / Leserin zudem, dass die USA in größerem Umfang, als dies vermutet wird, auch auf europäische Nutzer / Nutzerinnen von technischen Geräten Einfluss nehmen. Unabhängig davon, ob ein amerikanisches soziales Netzwerk oder eine Dating-Plattform genutzt wird – überall dort, wo sich eine amerikanische Firma hinter dem Anbieter befindet, werden Daten missbraucht und folglich die Bürger / Bürgerinnen in ihren Rechten verletzt. Dafür reicht bereits beispielsweise das Anklicken einer

200 Vgl Bleckmann, Nationale Grundrechte im Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union: die Kooperation des Grundrechtsschutzes in der Europäischen Union unter Berücksichtigung der besonderen Ausprägungen des nationalen Grundrechtsschutzes (2011) 2f.

201 Vgl Frick, Die EMRK und das europäische Verbot der Folter in der deutschen Rechtsordnung: Wirksame Grenze des staatlichen Umgangs mit Festgenommenen und Inhaftierten? (2015) 3.

202 Vgl Dorf, Völkerrecht2 (2016) 166 Rz 23f.

42

Werbung im Internet, wenn der dahinterstehende Anbieter eine Verbindung zu einer amerikanischen Firma aufweist.203 Als ein Beispiel der massiven Verletzung von Grundrechten ist vor allem Deutschland zu nennen, da die Grundrechte der deutschen Bürger / Bürgerinnen durch die Spionageoperationen der NSA eine massive Beeinträchtigung erfuhren.204 Dies wird auch in Punkt 4.1 näher betrachtet, indem aufgezeigt wird, dass sogar das Handy der deutschen Kanzlerin Merkel überwacht wurde.

Durch die Bekanntmachung des Missbrauches der Persönlichkeitsrechte durch die USA wurde die Hilflosigkeit Deutschlands und der EU gegenüber staatlich gelenkten Spionageakten aufgezeigt.205 Der Abhördrang der USA führte sogar so weit, dass die Amerikaner / Amerikanerinnen eigene Abhöreinheiten installierten, deren Mitarbeiter / Mitarbeiterinnen aufgrund der rechtlichen Vorteile den Status eines / einer Diplomaten / Diplomatin genossen und mit der ihnen zur Verfügung stehenden Ausrüstung und der rechtlichen Immunität Spionage in Echtzeit betreiben konnten. Diese Teams operierten bereits weltweit.206

8.2 Das Grundrecht auf Privatsphäre gem. Art. 8 EMRK

Durch die rasanten technologischen Entwicklungen in den letzten Jahren rückt hier ein Bereich bzw. ein Grundrecht stark in den Fokus. Es handelt sich dabei um das Grundrecht auf Privatsphäre gem. Art 8 EMRK.

Im Bereich des Grundrechtsschutzes der EMRK lassen sich generell zwei Ebenen skizzieren, welche sich grundlegend voneinander unterscheiden. Auf der einen Ebene befinden sich die sogenannten Abwehrrechte, welche dem Menschen einen Freiraum vor staatlichen Eingriffen gewähren sollen. Zu dieser Ebene zählt auch Art. 8 EMRK. Es lässt sich jedoch aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der Menschenrechte kein einheitliches Prüfungsschema ableiten, welches für die Prüfung aller Menschenrechte aus der EMRK herangezogen werden kann.207 Es kann jedoch gesagt werden, dass das Grundrecht des Art. 8 EMRK, unabhängig von der Herkunft oder anderen Merkmalen, für alle Menschen gilt.208 Zur Veranschaulichung der Ausgestaltung des angesprochenen Grundrechts wird nachfolgend der Gesetzestext aus Art. 8 Absatz 1 und 2 EMRK aufgezeigt.

203 Vgl Beckedahl/Meister, Überwachtes Netz: Edward Snowden und der größte Überwachungsskandal der Geschichte (2013) 125.

204 Vgl Poitras/Rosenbach ua, Spiegel (27/2013) 77f.

205 Vgl Johannes/Roßnagel, Der Rechtsrahmen für einen Selbstschutz der Grundrechte in der Digitalen Welt (2016) 16.

206 Vgl Golan, Die NSA Affäre: Eine datenschutzrechtliche Betrachtung (2015) 63.

207 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) 140.

208 Vgl Breitenlechner/Kneihs/Segalla in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar (2014) Art 7 GRC (Stand 1.5.2014, rdb.at) 5ff.

43

„Art. 8 EMRK - Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.“209

Jede Überprüfung eines Grundrechts beginnt mit der Feststellung, ob ein bestimmtes Verhalten in jenen Bereich eingreift, welcher durch das jeweilige Menschenrecht geschützt werden soll.210 So umfasst beispielsweise das Tatbestandsmerkmal der Privatsphäre all jene Interaktionen von Privaten, welche üblicherweise nicht öffentlich gemacht werden bzw. nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Es ist hierbei stark auf die einzelnen Situationen abzustellen und die Betrachtung, ob ein Eingriff vorliegt, muss von Fall zu Fall, unter Beachtung der jeweiligen Umstände, entschieden werden.211

Des Weiteren beinhaltet die EMRK nicht nur den Schutz vor Eingriffen, wie zum Beispiel vor jenen Eingriffen in die Privatsphäre des / der Einzelnen, sondern es umfasst auch bestimmte Handlungspflichten des Staates.212 Diese Regelung verpflichtet den Staat also dazu, dafür zu sorgen, dass auch andere Institutionen nicht in die Privatsphäre eingreifen können.

Diese Verpflichtung trifft den Staat auch im Hinblick auf in der Öffentlichkeit bekannte Personen.

Auch diesen Personen muss der Staat zumindest ein Mindestmaß an Privatsphäre gewährleisten können.213

Die Schutzbereiche gemäß Art. 8 EMRK existieren nicht getrennt voneinander, und so kann es durchaus sein, dass ohne die Achtung des einen Schutzbereiches auch der Schutz eines anderen Bereiches nicht gewährleistet werden kann. Folglich ist eine selbstbestimmte Lebensführung, welche unter den Schutzbereich der Persönlichkeitsentfaltung fällt, nicht möglich, ohne dass auch ein Mindestmaß an Privatsphäre gewährt wird.214

Absatz 2 Art. 8 EMRK enthält verschiedene Rechtfertigungsgründe und diese werden vom EGMR immer gesondert und im Hinblick auf die jeweiligen Ereignisse betrachtet, sodass hier nicht von einer allgemein gültigen Formel, welche aufzeigt, ob ein Verstoß gegen ein Grundrecht

209 Art 8 EMRK, BGBl 1958/210 idgF.

210 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) 141.

211 Vgl Winkler in Mayer/Stöger, (Hrsg) EUV/AEUV, Art 6 EUV (Stand: April 2011, rdb.at) 203.

212 Vgl Michl, Die Überprüfung des Unionsrechts am Maßstab der EMRK: Individualgrundrechtsschutz im Anwendungsbereich des Unionrechts unter den Vorzeichen des Beitritts der EU zur EMRK (2014) 195.

213 Vgl EGMR v 24.6.2004, 59320/00 (Rechtssache ... gegen DEUTSCHLAND) 56ff.

214 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) 281f.

44

vorliegt oder nicht, gesprochen werden kann.215 Es ist auch zu beachten, dass der EGMR216 hinsichtlich der Prüfung einer potentiellen Verletzung von Art. 8 EMRK einen strengen Prüfungsmaßstab anlegt und es daher durchaus vorkommen kann, dass ein Eingriff, welcher vonseiten einer Regierung als verhältnismäßig erachtet wird, vom EGMR als massiver Eingriff gewertet wird.217

Der Rechtfertigungsgrund der nationalen Sicherheit ist zum Beispiel dann einschlägig, wenn es um die Verhinderung oder Aufklärung von Verbrechen von einer bestimmten Schwere geht.

Dabei wird insbesondere präventiven Maßnahmen zur Verhinderung von Vorfällen, welche die nationale Sicherheit bedrohen, eine große Bedeutung beigemessen, und Eingriffe in Art. 8 EMRK können auch bei Vorhandensein von zukünftigen potenziellen Angriffen durchaus gerechtfertigt werden.218 Im Hinblick auf einen gerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK ist im Zuge einer Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Abwägung hinsichtlich der Schwere des Eingriffes und des Schutzbedürfnisses des zu schützenden Grundrechtsbereiches durchzuführen.219 Zwar bietet Art. 8 Absatz 2 EMRK eine Vielzahl von Möglichkeiten, um Eingriffe in die Privatsphäre etc. zu rechtfertigen, aber laut den Autoren Grabenwarter und Pabel führt dies nicht dazu, dass dadurch generell die Rechtswirkungen von Art. 8 geschmälert werden.220

Auch wenn es im Gesetzestext aus Art. 8 EMRK nicht dezidiert angeführt ist, schützt dieses Grundrecht dennoch vor dem Missbrauch persönlicher Daten durch den Staat. Als Maßstab für den Umfang des Schutzes, den Art. 8 EMRK in datenschutzrechtlichen Angelegenheiten bietet, kann durchaus Art. 8 GRC herangezogen werden, auch wenn dieser im Gesetzestext die diesbezüglichen Kontrollmechanismen näher definiert.221 Diese sogenannten persönlichen Daten ermöglichen es dem / der Einzelnen, dass seine / ihre Privatsphäre, also jener Bereich, der sich um sein / ihr eigenes Leben dreht, in einem von ihm / ihr gewünschten Ausmaß geschützt wird und geheim bleibt.222 Zu diesem von Art. 8 EMRK umfassten Bereich der Privatsphäre zählen zum Beispiel auch Video- und Fotoaufnahmen. Der EGMR hat in seiner Judikatur ausgesprochen, dass dann, wenn ein / eine Einzelner / Einzelne in Anbetracht der allgemeinen Lebenserfahrung nicht damit rechnen kann, dass er / sie in einem bestimmten Bereich Privatsphäre genießt, dieser Bereich auch nicht vom Grundrecht auf Privatsphäre

215 Vgl Paefgen, Der von Art. 8 EMRK gewährleistete Schutz vor staatlichen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte im Internet (2016) 183.

216 EGMR v 08.04.2004, 11057/02 (Fall Haase gegen Deutschland).

217 Vgl EGMR v 08.04.2004, 11057/02 (Fall Haase gegen Deutschland) 73ff.

218 Vgl Feiler, Auf dem Weg zum Überwachungsstaat? neue Überwachungsmassnahmen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (2009) 154.

219 Vgl Feiler, Auf dem Weg zum Überwachungsstaat? neue Überwachungsmassnahmen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (2009) 154.

220 Vgl Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 (2016) 304.

221 Vgl Paefgen, Der von Art. 8 EMRK gewährleistete Schutz vor staatlichen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte im Internet (2016) 199.

222 Vgl Paefgen, Der von Art. 8 EMRK gewährleistete Schutz vor staatlichen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte im Internet (2016) 197.

45

umfasst ist. Als Beispiel dient hier das Fotografieren einer Straße aus der Ferne. Wenn auf dieser Straße zufällig Personen spazieren gehen, können diese nicht erwarten, dass diese Fotos derart tief in ihre Privatsphäre eingreifen, dass sie vom Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK umfasst sind.223

Durch diesen umfassenden Schutz durch das Recht auf Privatsphäre gem. Art 8 EMRK ist dieses Grundrecht auch im Fall von Edward Snowden einschlägig. In diesem Fall ging es nämlich um den Missbrauch persönlicher Daten sowie den Eingriff in das Privatleben von unzähligen Bürgern / Bürgerinnen.224

Aus europarechtlicher Sicht ist hinzuzufügen, dass – auch wenn sich die EU noch nicht rechtsverbindlich an die EMRK gebunden hat225 – der EuGH in seinen Urteilen dennoch immer wieder die Regelungen aus der EMRK zur Entscheidungsfindung heranzieht.226

Als Grund dafür, dass die EU der EMRK noch nicht beigetreten ist, sah der EuGH227 den Umstand, dass der EuGH bei Gültigkeit von bisherigen Vereinbarungen seine Vorrangstellung gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebüßt hätte.228