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Goethes Metamorphosenlehre

Im Dokument Paul Klees Lehre vom Schöpferischen (Seite 44-47)

Dass Paul Klee sich in seinen Tagebüchern, Briefen und Schriften verschiedentlich auf Goethe und die Metamorphosenlehre bezog, ist bekannt und unter unterschiedlichen Aspekten in der Forschung beschrieben worden. Erstmals vergleicht Haftmann 1950 Klees Aussagen zur Korrespondenz von Natur- und Kunstgesetzlichkeit, ihrer genetischen

167 Hoppe-Sailer 1998b, Hoppe-Sailer 2000, S. 91 und Hoppe-Sailer 2008.

168 Okuda 2008.

169 Baumgartner 2008.

170 Zur Goethe-Rezeption in der Romantik und um 1900 siehe Lichtenstern 1990, Engelhardt 1998, Ingensiep 1998 und Hoppe-Sailer 1998b.

Strukturverwandtschaft, der Suche nach dem Urbild und der implizierten Freiheit zu neuen, ebenfalls genetisch ableitbaren Formerfindungen mit Goethes morphologischer Methode.171 Klees Ästhetik umreissend vermittelt Hofmann 1953 neue Einsichten im Hinblick auf dessen Auffassung von „Komposition“ und ihrer lebendigen Ganzheit in Analogie zur „Gestaltung“, wie sie Goethe begreift. Der Autor bemerkt ebenfalls, dass Klees Betonung der formenden Kräfte an Goethes dynamisches Wirkungsprinzip der Metamorphose anschliesst.172 Lichtenstern untersucht die Wirkungsgeschichte der Meta-morphosenlehre Goethes und verweist auf Klees literarische Beschäftigung mit Goethes Schriften. Sie versucht anhand einiger Werke aufzuzeigen, wie Klee Goethes morpholo-gische Betrachtungsweise zum Ausdruck bringt.173 Der Schwerpunkt von Waenerbergs Untersuchung liegt auf der Entwicklung von Goethes Idee der Urpflanze und seiner Meta-morphosenlehre im Laufe des 19. Jahrhunderts bis zur Theorie und Praxis des Ornaments im Jugendstil.174 Hoppe-Sailer beschäftigt sich vermehrt mit der Goetherezeption in Klees Auffassung des Werkprozesses und mit dem Gebrauch des Begriffes „Genesis“.175 Harlan verortet Goethes Metamorphosenlehre im Verhältnis zum Platonismus und zu Aristoteles und versucht Klees künstlerisches Schaffen sowie seine Texte mit Goethes Gedanken in Verbindung zu bringen.176

Bei den erwähnten Untersuchungen wird Goethes Metamorphosenlehre oft rückblickend kontextualisiert und mit zeitgenössischem naturphilosophischem Ge-dankengut, etwa eines Immanuel Kant (1724–1804), Alexander von Humboldt (1769–

1859), Carus, Schelling, Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) oder Nees von Esenbeck (1776–1858)177, in Verbindung gebracht. Da in den bisherigen Untersuchungen fälsch-licherweise angenommen wurde, dass sich keine Ausgabe der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes in Klees Besitz befand,178 wird wohl mit Vor- und Rückgriffen ver-sucht, Goethes Metamorphosenlehre zu verorten und damit ihre allgemeingültige Be-deutung hervorzuheben. Tatsächlich gründen sowohl die zeitgenössische Diskussion

171 Haftmann 1950.

172 Hofmann 1953.

173 Lichtenstern 1990, speziell: 81–83. Die Autorin bezieht ihre Information zur Goethe Lektüre Klees aus dem Tagebuch, in dem die naturwissenschaftlichen Schriften nicht erwähnt sind.

174 Waenerberg 1992.

175 Hoppe-Sailer 1998a, Hoppe-Sailer 1998b, Hoppe-Sailer 2000 und Hoppe-Sailer 2009. Der Autor erwähnt im Zusammenhang mit Klees Auffassung der Genesis auch Carl Gustav Carus als mögliche Quelle.

176 Harlan 2000 und Harlan 2002.

177 In Klees Gesamtausgabe von Goethes Schriften wurde bemerkt, dass Nees von Esenbeck die Metamorphosenlehre von Goethe übernommen habe. Goethe 1840, Bd. 36, S. 169, Anm.; siehe Esenbeck 1861. Hofmann weist auf Parallelen zwischen Kandinsky Kunsttheorie und Esenbecks Versuch hin, die organischen Gestalten auf geometrische Grundschemata zurückzuführen. Hofmann 1953, S. 67–68.

178 Noch 2009 schreibt beispielsweise Bestgen: „Wenngleich sich in der Bibliothek Paul Klees keine Ausgabe der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes findet, war er offensichtlich sehr vertraut mit den wesentlichen Aussagen in Goethes Abhandlungen.“ Bestgen 2009, S. 276.

zum Verhältnis von Kunst und Natur als auch Klees Gedanken zum Thema auf Goethes Metamorphosenlehre.179

In der vorliegenden Arbeit werden erstmals die Gesamtausgabe von Goethes Schriften, der Briefwechsel mit Charlotte von Stein und Eckermanns Gespräche mit Goe-the, die sich alle in Klees Nachlass-Bibliothek befinden, berücksichtigt.180 Dabei werden Klees Anstreichungen und Kommentare an den Seitenrändern, wenn auch nicht zahl-reich, ausgewertet. Von besonderem Interesse sind Band 36 der Goetheschen Schriften mit Texten zur Morphologie und zur Metamorphose der Pflanze sowie Band 40 mit Bei-trägen zur Naturwissenschaft im Allgemeinen. Die Randnotiz „8.VII 1922“ beweist, dass sich Klee mit Goethes Schriften, hier mit der Farbenlehre, zu Beginn seiner Lehrtätigkeit am Bauhaus auseinandergesetzt hat.181

Die Suche nach den Gesetzen des fortlaufenden Gestaltwechsels durchzieht sowohl Goethes Schriften zu den Naturwissenschaften wie auch die zur Kunst.182 Das bedeutet, dass Aspekte der Zeitlichkeit und Prozesse der Veränderung nicht allein vor dem Hintergrund der naturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Phänomenen der Meta-morphose zu betrachten sind, sondern ebenso unter den Bedingungen eines ästhetischen Wechselverhältnisses von Chaos und Form, Regel und Zufall. Es liegt auf der Hand, dass Klee an diesem Modell grosses Interesse fand und dass es zugleich von den Vorstellungen der an Dynamisierung und Prozess interessierten Romantiker nicht weit entfernt ist.183

Natürlich entwickelte Goethe seine Naturwissenschaft nicht völlig isoliert. Die Art der Zuwendung zu Natur und Naturforschung wurzelt in Traditionen des 17. und 18.

Jahrhunderts. William Shakespeare, Spinoza und Carl von Linné bezeichnet Goethe in der Geschichte seines botanischen Studiums als die Einflussreichsten zu Beginn seiner Naturstudien.184 Am Schluss seines Aufsatzes zur Einwirkung der neuern Philosophie

179 Ringbom 1977.

180 Sämmtliche Werke in vierzig Bänden (Goethe 1840); Italienische Reise (Goethe o.J.) mit Randnotizen von Klee; Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens (Eckermann 1902); Briefe an Charlotte von Stein (Goethe 1923).

181 Goethe 1840, Bd. 37, S. 8. Mehr zu Klees Farbenlehre siehe Keller Tschirren 2012.

182 Zur Entstehung von Goethes Metamorphosenlehre und deren Rezeption siehe Maul 2009.

183 Hoppe-Sailer 2009, S. 57. Goethe hatte sich zwar missbilligend über die „neues-ten französischen Dichter“, die sich als „Romantiker“ verstanden, geäussert und war in einem Gespräch mit Eckermann über das Klassische und Romantische zu dem Diktum gekommen: „Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke. Und das sind die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind gesund und tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, das Alte ist nicht klassisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch und gesund ist. Wenn wir nach solchen Qualitäten Klassisches und Romantisches unterscheiden, so wer-den wir bald im reinen sein.“ Klee notierte am Seitenrand „d. Begriffe: Klassisch romantisch“. Eckermann 1902, Bd. 2., S. 418, 2.4.1829.

184 Goethe 1840, Bd. 36, S. 73.

nennt er Fichte, Schelling, Hegel, die Gebrüder Schlegel und die Brüder von Humboldt, denen er im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts vieles verdanke.185 Damit ist die Ver-wandtschaft zwischen Goethes Bemühen, sich der Idee eines Ganzen der Natur zu nä-hern, und den Tendenzen der aufkommenden Naturphilosophie der romantischen Epoche angedeutet.186

Im Dokument Paul Klees Lehre vom Schöpferischen (Seite 44-47)