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Geistiger Ursprung

Im Dokument Paul Klees Lehre vom Schöpferischen (Seite 153-176)

Neben den Parallelen zwischen dem natürlichem Ursprung und dem gestalterischen ver-wies Klee auch auf den geistigen Ursprung. Wie die Intuition, welche Klee mit dem ge-heimnisvollen Ursprung des Schöpferischen in Verbindung brachte, ist auch der geistige Ursprung kaum fassbar. Klee sprach in diesem Zusammenhang zum einen von der for-menden Idee, welche er mit dem Logos verband, zum anderen bezog er sich auf Goethes Konzept der Urpflanze, die eigentlich auch eine Idee war und als Urbild oder Urgesetz diente. Er benutzte in diesem Zusammenhang auch die Begriffe „Wille“ und „(Lebens) Kraft“, die in den lebensphilosophischen Diskursen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr populär waren.

Idee und Logos

Die Idee muss vor der Tat entwickelt werden, denn im Anfang sei die Tat und darüber liege die Idee. „Und da die Unendlichkeit keinen bestimmten Anfang hat, sondern kreis-artig anfanglos ist, so mag die Idee für primär gelten. Im Anfang war das Wort, übersetzt Luther.“726 Wie wir erwähnt haben, wiederholte Klee die Auffassung, dass die Idee der Formung zugrunde liege, in seinem Unterricht. So erklärte er in der ersten Vorlesung seinen Schülern,

„dass vor dem formalen Anfang oder einfacher vor dem ersten Strich eine ganze Vorgeschichte liegt, nicht nur etwa die Sehnsucht, die

723 Im Nachlass von Johannes Itten ist unlängst ein Typoskript dieses Vortrages von Hölzel aufgetaucht. Wagner 2009c, S. 112.

724 Hölzel 1980, S. 78. Zum Wechselspiel von „Gesetz und Freiheit“ bei Hölzel siehe Schmitz 1993, S. 197–204.

725 Hölzel 1980, S. 78.

726 SK 1920, S. 32. Mit der Rangfolge, dass die Idee über der Tat liege, stand Klee ganz in der Tradition der disegno-Lehre. Vgl. Bonnefoit 2009, S. 66, Koschatzky 1999, S. 33.

Lust des Menschen, sich auszudrücken, nicht nur die äussere Not-wendigkeit dazu, sondern auch ein allgemeiner Zustand der Mensch-heit, dessen Richtung man Weltanschauung nennt, der mit innerer Notwendigkeit zur Manifestation da- oder dorthin drängt.“727

Mit „Vorgeschichte“ meinte Klee eine länger bestehende Idee oder ganz generell eine Weltanschauung. Er betonte diese geistige Seite, damit „nicht das Missverständnis ent-stehe, als ob ein Werk nur aus Form bestehe.“728 Er setzte die Idee mit dem „Logos“ oder anders gesagt mit dem Wort gleich, das am Anfang war. Dass sich Klee hier mit dem Begriff Logos auch auf dessen theologische Bedeutung als Gott beziehungsweise als die Vernunft Gottes als Weltschöpfungskraft bezog, darf vorausgesetzt werden.729 In der phi-losophischen Tradition seit Heraklit ist Logos Gegensatz zum Chaos und bezeichnet eine in der sich ständig verändernden Natur wirkende Kraft, die zugleich den Grund für eine Weltordnung gibt.730 Mit der Vorstellung der Vernunft Gottes als Weltschöpfungskraft sowie mit der Vorrangstellung des Logos über die Tat knüpfte Klee einmal mehr an die ro-mantische Denkart an. Bonnefoit weist darauf hin, dass sich der Vergleich des ursprüngli-chen Punktes mit dem „Logos“ als Wort Gottes, „welches im Anfang war“ auch in einem Brief von Runge an Tieck findet.731 Schelling sprach ebenfalls vom Urquell der Kunst als Gott oder Idee. Im Vortrag zur Philosophie der Kunst lehrte Schelling, dass die Kunst wie die Philosophie nicht die wirklichen Dinge, sondern ihre „Urbilder“ darstelle: „Die Ideen […] sind der Stoff und gleichsam die allgemeine und absolute Materie der Kunst, aus welcher alle besonderen Kunstwerke als vollendete Gewächse erst hervorgehen. Diese realen, lebendigen und existierenden Ideen sind die Götter;[…].“732 Der Künstler habe, so Schelling, der schaffenden Urkraft in der Natur nachzueifern.Der Logos, die Uridee, ist die gemeinsame Basis für die Entstehung der Natur und der Kunst. Solche Gedanken fanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts beispielsweise durch Ernst Cassirer Eingang in die Diskussion über den Ursprung der Kunst.733

Wie Goethe in Anschauende Urtheilskraft oder Bedenken und Ergebung forderte, woll-te auch Klee durch Anschauung der immer schaffenden Natur zum Urbildlichen, mit

727 BF/5–6, 14.11.1921, S. 3–4.

728 BF/6, 14.11.1921, S. 4.

729 Bunge 1996, S. 194.

730 Schweizer 1975, S. 239–241.

731 Runge 1965, Bd. 1, S. 40; Bonnefoit 2009, S. 35. Bonnefoit weist darauf hin, dass Paul Ferdinand Schmidt in einem Aufsatz über „Runge und die Gegenwart“

1923 Parallelen zwischen Kandinskys Über das Geistige in der Kunst und den Hinterlassenen Schriften Runges (1840/41) zog. Schmidt 1923, S. 463.

732 Schelling 2004, S. 152–153.

733 Siehe oben S. 57, Anm. 251.

anderen Worten zum Typischen, vordringen.734 Die Betrachtung des Samenkorns diente dazu, die „primären Energien der Formgestaltung“ aufzuzeigen, die „durch ihre nahe Nachbarschaft zur ursprünglichen Idee der Gestaltung“ primär sind.735

Klee präzisierte als Reaktion auf Übungslösungen seiner Schüler,736 denen es an Lebendigkeit fehle, die „ursprüngliche Idee“, die den Erfindungen zugrunde liegen sollte:

„es kann eine Materie schon im Wachsen im Werden sich klein auf klein einer lebendi-gen Idee anpassen, sich darnach formen.“737 Als Beispiel erwähnte er den Sand, der von den Wellen geformt wird, die wiederum vom Wind bestimmt werden. Später führte er die Säfte, welche für das Wachsen der Pflanze zuständig sind, als Beispiel an.

Durch die Vereinigung von Idee und Materie werde die Materie belebt.738 Klee vermutete, dass die geheimnisvolle schöpferische Kraft der ursprünglichen Idee selbst eine Form von Materie sei, die wir aber nicht erkennen können. In der Durchdringung mit den bekannten Arten der Materie müsse sie jedoch eine lebendig-wirkliche Form ergeben. Nur so entstehe lebendige Gestaltung.739 Die bildnerische Formung hielt Klee für einen Vorgang, in dem rein Ideelles in Materielles übergehe. Deshalb nannte Klee die bildnerischen Mittel auch ideelle Mittel, obwohl sie nicht frei von Materie sind. Er unterschied die mehr ideelle Gestaltung wie die Malerei vom „zuständlichen“ prakti-schen Bauen.740 Da sich die Zeichnung in der zweidimensionalen Fläche entfalte, galt sie traditionell als körperlos und von allen bildkünstlerischen Praktiken am weitesten der Auseinandersetzung mit der Materie enthoben. Sie visualisiere darum, so Klee, das aller Sichtbarkeit vorausgehende Konzeptionelle, die Idee.741 Der bildnerischen

734 Goethe: Wenn wir „uns in eine obere Region ergeben und an das erste Wesen annähern sollen: so dürft es wohl im Intellectuellen derselbe Fall seyn, dass wir uns, durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur, zur geistigen Theilnahme an ihren Productionen würdig machten. Hatt ich doch erst unbe-wusst und aus innerem Trieb auf jenes Urbildliche, Typische rastlos gedrungen, war es mir sogar geglückt, eine naturgemässe Darstellung aufzubauen, so konnte mich nunmehr nichts weiter verhindern das Abenteuer der Vernunft, wie es der Alte vom Königsberge selbst nennt, muthig zu bestehen.“ In: Goethe 1840, Bd.

40, Anschauende Urtheilskraft, S. 424–425. „Wir können bei Betrachtung des Weltgebäudes, in seiner weitesten Ausdehnung, in seiner letzten Theilbarkeit, uns der Vorstellung nicht erwehren dass dem Ganzen eine Idee zum Grunde liege, wornach Gott in der Natur, die Natur in Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit schaffen und wirken möge. Anschauung, Betrachtung, Nachdenken führen uns näher an jene Geheimnisse. […] Wir erdreisten uns und wagen auch Ideen; wir bescheiden uns und bilden Begriffe, die analog jenen Uranfängen sein möchten.“

In: Goethe 1840, Bd. 40, Bedenken und Ergebung, S. 425.

735 BG I.2/7, 5.11.1923.

736 Klee stellt am 20.11.1923 seinen Schülern die Aufgabe, „structurale Erfindungen“ zu generieren. BG I.2/19.

737 BG I.2/23, 27.11.1923.

738 BG I.2/23, 27.11.1923.

739 BG I.2/30, 27.11.1923.

740 BG II.21/40, 4.3.1924.

741 Bonnefoit 2009, S. 66. Bonnefoit weist auf Carus’ Schrift Natur und Idee, wo man lesen kann, dass die drei Elemente Punkt, Linie und Fläche „durchaus keine wirkliche Realität im Raume mehr“ hätten, „sondern stets rein ideal oder imaginär bleiben […].“ In: Carus 1975b, S. 40.

tung liegt eine Idee zugrunde; sie ist geistig und dynamisch, in der Praxis wird sie auch materiell.742 Im Gegensatz dazu steht das statische Bauen, das völlig von der Materie abhängt.743 In der künstlerischen Schöpfung verschmelzen die Gegensätze Statik und Dynamik, Geist und Materie: Im Bild ist die Synthese der gedachten Ideen des Künstlers und der geformten Materie vollzogen.744 Auf diesen zentralen Gedanken über den Zusam-menhang von Idee und Materie ging Klee später in seinem Unterricht nicht mehr ein.

Dies mag damit zusammenhängen, dass diese Gedanken über die Vermittlung allgemei-ner Gestaltungsgesetze hinausführten.

Urbild und Urgesetz

Wenn Klee die Suche des Künstlers nach dem Urbild beschrieb, so meinte er damit nicht eine fixe Vorstellung, sondern eher das Urbild als ursprüngliche Idee oder als Urgesetz, auf welchem unterschiedliche Gestaltungswege gründeten.

Seinem Streben nach dem Urbildlichen lag sicherlich die Lektüre von Goethes Tagebuch der italienischen Reise zugrunde. Goethe äusserte sich bereits vor seiner Ita-lienreise in einem Brief an Charlotte Stein über das „Gewahrwerden der wesentlichen Form, mit der die Natur gleichsam nur immer spielt und spielend das mannigfaltige Le-ben hervorbringt.“ Er erwähnte darin auch seine Suche nach der Urpflanze und deren Gestaltungsgesetz.745 Nach einem Besuch im botanischen Garten Palermos notierte er am 17. April 1787:

„Im Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebilden fiel mir die alte Grille wieder ein: ob ich nicht unter dieser Schar die Urpflan-ze entdecken könnte? Eine solche muss es denn doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, dass dieses oder jenes Gebilde Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären? Ich bemühte mich, zu untersuchen, worin denn die vielen abweichenden Gestal-ten von einander unterschieden seien, Und ich fand sie immer mehr ähnlich als verschieden, […].“746

742 BG I.1/4–5.

743 Die Thematik von Statik und Dynamik, vom Diesseitigen und Jenseitigen, vom Materiellen und Geistigen nahm Klee im Kapitel II.21 Bildnerischen Mechanik

„auf dem Gebiet des Stils“ wieder auf. Siehe auch Klees Hinweis: „Diesen Dingen werden Sie später auf dem Gebiet des Stils noch oft genug begegnen.“

BG I.2/39, 4.12.1923; mehr dazu unten S. 215–219.

744 Bunge 1996, S. 49.

745 Goethe 1923, Bd. 2, Brief vom 9.7.1786, S. 257–258.

746 Goethe o.J., S. 210.

Am Seitenrand bemerkte Klee bei Goethes Frage, ob er die Urpflanze entdecken könne, leicht ironisch auf Berndeutsch „chasch lang luege!“.747

Als Goethe 1794 seinem Kollegen Schiller die Metamorphose der Pflanze vor-trug und eine „symbolische Pflanze vor seinen Augen entstehen“ liess, reagierte dieser laut Goethe mit einem Kopfschütteln und sagte: „Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee.“748 Damit berief sich Schiller auf Kant, nach dessen Ansicht Ideen regulative Prin-zipien der Vernunft seien, die auf Gegenstände bezogen, nicht aber aus der Erfahrung abgeleitet werden konnten. Goethe hingegen glaubte, das Gesetz der Pflanzenbildung aus der Anschauung gewonnen zu haben. In seiner Antwort: „Das kann mir sehr lieb sein, dass ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe,“ klang schon die Ansicht mancher Naturphilosophen an, dass Ideen nicht blosse Verstandesbegriffe wa-ren, sondern das Wesen der Dinge bedeuteten. Obwohl Goethe die Erfahrung für ebenso wichtig hielt, gewannen die Ideen mit der Zeit auch in seinem Denken beträchtlich an Gewicht.749

Im Gedicht zur Metamorphose der Pflanze schrieb Goethe 1798, dass sich alle Gestalten ähnlich seien und aufgrund eines geheimen Gesetzes sicht entfalteten. Im Sa-men schlafe die Kraft zur Entfaltung des Vorbildes, das darin verschlossen sei.750 In einem Brief an Herder beschrieb er die Urpflanze als ein „Modell“, mit dem man unendliche Pflanzen erfinden könne.751 Diese Idee der unendlichen Formen, welche durch die freie Anwendung eines Gestaltungsprinzips entstanden, erwähnte Klee im Vortrag in Jena, wenn er davon sprach, dass der Künstler Gebilde formen könne, „die in der Natur einmal genauso waren oder sein werden, oder die auf andern Sternen (dereinst vielleicht einmal nachweisbar) genau so sein könnten.“752 Sich auf Goethes Idee der Urpflanze stützend, meinte auch Rudolf Steiner, dass in jedem Urbild „die Möglichkeit, unzählige besondere Gestalten anzunehmen“, liege. Er war überzeugt, dass Urbilder in der „wirklichen Welt des Geistes“ für alle Dinge vorhanden seien, und dass die physischen Dinge und Wesen-heiten Nachbilder dieser Urbilder seien.753

Goethe verlangte, dass „die Idee über dem Ganzen walten und auf eine geneti-sche Weise das allgemeine Bild abziehen“ müsse.754 Die waltende Idee führe das

747 Auf Hochdeutsch: Da kannst du noch lange schauen!

748 Goethe in seinem Gedächtnisaufsatz Glückliches Ereignis (1817) in: Goethe 1973–75, Bd. 10, S. 540–541.

749 Zur Urpflanze als Idee oder Erfahrung und zur Diskussion der Bedeutung der Urpflanzenidee in der Klee-Forschungsliteratur siehe Hoppe-Sailer 1998a, S. 105–115.

750 Goethe 1973–1975, Bd. 1, S. 199–201.

751 Brief vom 17.5.1787, zit. nach Hofmann 1953, S. 71.

752 Jena 1924, fol. 14r.

753 Steiner 1915, S. 109–110.

754 Goethe 1840, Bd. 36, Erster Entwurf einer allgemeinen Einleitung in die verglei-chende Anatomie, ausgehend von der Osteologie, S. 275.

ge auf eine Einheit zurück. Der Naturforscher Goethe fand nach sorgfältiger Analyse und Synthese seiner Beobachtungen in der Natur eine bestimmte, durchgängig feststellbare Konzeption, eine Grundidee von der Natur und ihrem Wirken. In der Gestalt, im Blatt, in der Anlage des Knochenbaus der Säugetiere oder im Bau der Insekten, in der Kris-tallgestalt und in der Struktur des Granits und Basalts fand er ein „Urphänomen“, ein Gestaltungsgesetz verwirklicht, in dem er seine intuitive Auffassung von der Einheit der Natur bestätigt fand. Das Gesetz, nach dem die Natur sich entwickelte, nannte er Idee. Es ist ideell schaubar und doch unwirklich, weil es über jeder Wirklichkeit stehend ihr das sinnliche, natürliche, kreatürliche Sein vorschreibt.755

Es ist bezeichnend für Klees Vorgehen, dass er weniger an der Urpflanze als am formenden Urgesetz interessiert war.756 Der Begriff „Urpflanze“ findet sich in seinen Notizen nicht. Er sprach zwar einmal von der „Urform“ eines Blattes, konzentrierte sich aber auf die Formung der unterschiedlichen Blattformen.757

Für Klee stand fest, dass man alles am natürlichen Geschehen und seinem Ge-setz messen müsse:

„Das Gleichnis heisst: wie die Schöpfung sich zum Schöpfer verhält, so das Werk zu dem ihm innewohnenden Gesetz. Das Werk wächst

755 Ernst Cassirer legte in Form und Freiheit (1916) die platonischen Quellen von Goethes Formbegriff offen. Goethe habe sich nach dem Abschluss seines Aufsatzes über Winckelmann, der im Jahr 1805 auf platonische Quellen in seinem Denken verwies, dem tieferen Studium der Philosophie Plotins zugewen-det. Dieser postulierte, dass die Form als erstes im Geiste des Künstlers bestehe.

Sie sei der schaffende Logos des Weltganzen selbst auf einer bestimmten Stufe seiner Verwirklichung. Daher ahme die Kunst nicht das sinnliche Dasein in Raum und Zeit nach, sondern steige zu den bildenden Kräften empor, in denen alles Physische seinen Ursprung habe. Der Künstler wendete sich weiter zurück zur uranfänglichen Weisheit der Natur. Plotin setze ebenfalls das Werden des Organismus mit dem Werden des Kunstwerkes gleich, so Cassirer: „In beiden handelt es sich darum, dass der zeugende Logos, dass eine bestimmte spezifi-sche Form aus ihrem ruhenden Sein heraustritt und in einem neuen objektiven Gebilde sich verkörpert. So stimmen Kunst und Wirklichkeit innerlich zusam-men – nicht weil die eine die andere nachahmt, sondern weil beide in ihrer Wurzel eins sind. In dieser Art wiederholt der Künstler nicht das göttliche Werk, sondern das göttliche Wirken.“ Cassirer 2001a, S. 139–141.

756 Bunk stellt fest, dass Klee im Gegensatz zu Goethe, der an eine feste Form dach-te, in der sich das Urbild in der Natur manifestierdach-te, das Urbild als bewegliches erkennen möchte. Die Autorin versucht Klees Auffassung des beweglichen, nicht fest zu machenden Prinzip als Urbild aller Erscheinungsformen mit Jean Baptiste René Robinets „Prototyp“ in Verbindung zu bringen. Siehe Bunk 1992, S. 172–179. Goethes Idee einer konkreten Urpflanze wurde jedoch schon 1790 in seiner Schrift Versuche die Metamorphose der Pflanzen zu erklären durch die eines beweglichen Gesetzes der Metamorphose ersetzt. Zu Goethes Ideen zur Pflanze siehe Waenerberg 1992, S. 28–31.

757 BG I.2/6 (Abb. 7, S. 114). Klee spielt in den beiden Werktiteln Uhrpflanzen, 1924, 261 und Uhrpflanzen (mit h), 1924, 263 auf Goethes Urpflanze an.

nach seiner Art auf gemeinsamen, allgemeingültigen Regeln, […].

Das Werk ist nicht Gesetz, es ist beim Gesetz.“758

Dieses Urgesetz ist wiederum eine Idee, die sich ständig wandeln kann. Klee bezog sich in seinem Unterricht nicht als Gesetzgeber auf starre Regeln, sondern erkannte ein dyna-misches ideelles Gestaltungsgesetz als Ursprung. Seine Lehre gründete nämlich auf der Voraussetzung, dass alles dynamisch sei. Der Übergang von der „principiellen“ Ordnung der bildnerischen Mittel zur „speciellen“ Ordnung zeichnete sich dadurch aus, dass die starren „Gesetzestafeln“ durch neue dynamische Gesetze abgelöst wurden. Die neuen

„Gesetzestafeln“ seien ein „Synthese von Specialfall und Allgemeinfall“.759

Im Gegensatz zu Franz Marc suchte Klee nach einem „entlegeneren, schöp-fungsursprünglicheren Punkt, wo [er] eine Art Formel ahne für Tier, Pflanze, Mensch, Erde, Feuer, Wasser, Luft und alle kreisenden Kräfte zugleich.“760 Damit meinte Klee eine Weltformel, der alle Schöpfung zugrunde liege und die ihm erlaubte, der Genesis Dauer zu verleihen.761 Da die Gesetzmässigkeit in der Natur lebendig ist, hielt sie auch Kandinsky für gleichwertig mit der Gesetzmässigkeit in der Kunst.762 Mit der Analogie Punkt – Samenkorn als Ursprung eines lebendigen Organismus’ versuchte Klee seinen Schülern zu verdeutlichen, dass in der Natur und in der bildnerischen Gestaltung die glei-chen Entwicklungsgesetze gelten. Ähnliche Gedanke finden sich, so Bonnefoit, bereits bei Philipp Otto Runge, der die Wachstumsprinzipien der Natur auf die Kunst übertrug.763 An Runge anknüpfend erklärte Obrist in seinem Aufsatz über die pädagogischen Ziele der Münchner „Lehr- und Versuch-Ateliers für angewandte und freie Kunst“, dass die Hervor-bringungen der Natur „organisierte Gebilde voller Gesetzmässigkeit, voller Strukturen, voller Kräfteäusserungen sind, voller linearer, plastischer, konstruktiver Bewegungen“.

Der Künstler müsse diese Gesetze erkennen und für „die Zwecke der angewandten und dekorativen Kunst“ nutzbar machen.764

Parallelen zwischen dem Gestaltungsgesetz und dem Wachstumsgesetz der Pflanzen zu ziehen, bot sich darum an, weil beide aufgrund bestimmter Kriterien funktionieren.

Ein Kriterium, welches dieses Urgesetz erfüllen muss, ist das der inneren Not-wendigkeit. Klee wollte seine Schüler lehren, dass die ganze Form auf „der Basis aus

758 „Versuch zum Exacten in der Kunst“, BG A/36.

759 BG II.13/35–36.

760 TB 1988, Nr. 1008, Juli/August 1916, München, S. 400.

761 Siehe auch unten S. 174. Der „Genesis Dauer verleihend“ dehne der Künstler

„jenes weltschöpferische Tun von rückwärts nach vorwärts“, schrieb Klee in seinem Jenaer Vortrag. Jena 1924, fol. 13v.

762 Kandinsky 1926b.

763 Siehe Bonnefoit 2009, S. 27.

764 Obrist 1904, S. 229.

innerer Notwendigkeit“ resultiere. „Es liegt Bedarf zu Grunde. Es ist kein eitles Spiel gegeben mit Resultaten, sondern ein innerer Aufbau aktiver notwendiger Weg zur Form.“

Der ganze Organismus entstehe nicht aufgrund beliebiger Kriterien, sondern „aus innerer Notwendigkeit“.765 Wie das funktionale Wachstum der Pflanzen, so entstehe auch das Werk aus ideeller Ursprünglichkeit und innerer Notwendigkeit. Daher müsse der Gestal-ter laut Klee, wie wir im Kapitel zur Analyse aufgezeigt haben, die Dinge in der Natur auf ihr Inneres untersuchen, auf ihre Funktion und ihr Wesen hin.

Auch das Entstehungsgesetz, welches Goethes Urpflanze zugrunde liegt, funk-tioniert nach dem Kriterium der inneren Notwendigkeit:

„Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf der Welt, um wel-ches mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell und dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendlich erfinden die konsequent sein müssen, das heisst, die, wenn sie auch nicht existieren, doch existieren könnten und nicht etwas malerische oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles übrige Leben anwenden lassen.“766

Wie Klee im Vorwort seiner Schiller-Ausgabe lesen konnte, sprach auch Schiller von der

„inneren Notwendigkeit der Form“, die „im eigentlichen Sinne zugleich selbstbestim-mend und selbstbestimmt sein“ müsse. „Reine Zusammenstimmung des innern Wesens mit der Form“ müsse walten. Sowohl Goethe wie auch Schiller schwebte vor, dass das Kunstwerk nach einem Naturgesetz entstehe, im Ganzen wie in seinen Teilen durch

„inneren Notwendigkeit der Form“, die „im eigentlichen Sinne zugleich selbstbestim-mend und selbstbestimmt sein“ müsse. „Reine Zusammenstimmung des innern Wesens mit der Form“ müsse walten. Sowohl Goethe wie auch Schiller schwebte vor, dass das Kunstwerk nach einem Naturgesetz entstehe, im Ganzen wie in seinen Teilen durch

Im Dokument Paul Klees Lehre vom Schöpferischen (Seite 153-176)