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Gestalterischer Ursprung

Im Dokument Paul Klees Lehre vom Schöpferischen (Seite 144-153)

Analog zum natürlichen Ursprung wurde auch dem bildnerischen Ursprung eine gewisse latente Kraft zugeschrieben, die den Punkt in Bewegung setzen kann. Klee sprach daher vom „gereizten“ Punkt als Ursprung der Gestaltung. Während dieser Ursprung charak-terisiert werden konnte, blieb der Ursprung der künstlerischen Schöpfung für Klee „ge-heimnisvoll“. Wie die metaphysische Analyse durch Intuition ist auch der geheimnis-volle Ursprung der Kunst nicht lehrbar.

Gereizter Urpunkt und grauer Mittelpunkt

Auf die Eigenschaften des Punktes, welcher Ursprung der bildnerischen Gestaltung ist, ging Klee in den Beiträgen zur bildnerischen Formlehre nicht näher ein. Erst in einem Rückblick auf die Vorlesungen zur Principiellen Ordnung stellte er fest, dass die Suche nach dem Ursprung beim gereizten Punkt, beim Samenkorn geendet habe.

„Hier bei diesem scheinbaren Anfang war die Grenze für unsere Tat erreicht. Der gereizte Punkt, der Ansatz unseres Griffels zum Strich, ist ein Minimum von Handlung, unter dem von einer Tat, von einem

671 BG A/25.

672 Huggler interpretiert das Ei in einigen Werken als Symbol der Fruchtbarkeit in der Natur. Huggler 1969, S. 84–85: botanisches Theater, 1934, 219, und S. 203:

Rausch, 1939, 341. Glaesemer bringt die Symbolik der Ei-Darstellung mit der Bedeutung des Eies im Unterricht in Verbindung. Glaesemer 1976, S. 43. Kersten bezweifelt, dass Klee bereits 1917, als das Werk Mit dem Ei, 1917,47 entstand, das Ei-Motiv mit dem künstlerischen Schöpfungsvorgang verbunden hat. Kersten 1987, S. 26. Wie aber der Tagebucheintrag von 1914 belegt, hatte sich Klee vor 1917 mit dieser Thematik auseinandergesetzt.

Tun nicht mehr die Rede sein kann. Gefühlsmässig und gedanklich war dieser Punkt noch keineswegs ein Ende für unsere Quellenfor-schung. In dem Wort ‚gereizt’ liegt die ganze Voraussetzung zum tätigen Anfang eingeschlossen. Das Wort ‚gereizt’ bezeichnet die Vorgeschichte einer anfänglichen Tat, ihren Zusammenhang mit dem Vorzeitlichen, ihre Verbundenheit nach rückwärts. Die Gefühlsmäs-sige Möglichkeit, über einen Anfang hinauszugelangen wird weiter im Begriff des Unendlichen gekennzeichnet, welcher vom Anfang auf das Ende ausgedehnt (nicht nur auf den Anfang bezogen) zum Kreis-lauf führt. Zum KreisKreis-lauf wo die Bewegung Norm ist und die Frage nach einem Anfang infolgedessen dahin fällt.“673

Weil der Urpunkt „gereizt“ sein muss, bietet sich der Vergleich mit dem Samenkorn, dem Ei oder dem Sperma an. Es braucht eine gewisse Kraft oder einen Trieb, damit der

„Urpunkt“ in Bewegung kommt. Wichtigste Voraussetzung für die bildnerische Tat ist die Bewegtheit. Man muss „gereizt“, „geladen“, bewegt sein, um bewegende Werke zu schaffen. Der Ursprung ist immer in Bewegung und deshalb kaum fassbar.

Bonnefoit zeigt gedankliche und terminologische Übereinstimmungen mit von Ehrenfels’ Kosmogonie auf: Klee und Christian von Ehrenfels (1859–1932) bevorzugten Goethes Version des biblischen Satzes „Im Anfang war das Wort“ wie er im Faust zu le-sen ist: „Im Anfang ist die Tat.“674 Was in Ehrenfels’ Kosmogonie „Reiz“ und „im Anfang war die Tat“ hiess, wurde bei Klee zu „gereizt“, „tätigem Anfang“ und „anfänglicher Tat.“ Ein einmaliger Impuls führt aus dem absoluten Chaos zur Entstehung des Kosmos.675

Klee erklärte im allgemeinen Teil zur Gestaltungslehre als Begriff die Polarität zum Grundprinzip seiner Lehre.676 Im Widerspruch zum Titel des Kapitels betonte er, dass es nur Begriffspaare gäbe: Chaos – Kosmos; Unordnung – Ordnung; Satz – Gegen-satz.677 Die „gegensätzlichen Orte sind nicht fest, sie gestatten eine gleitende Bewegung.

Fest ist nur ein Punkt, der Mittelpunkt, in dem die Begriffe schlummern.“678 Im Mittel-punkt, „der eigentlich kein Punkt ist“, befinde sich das „nichtige Etwas oder das etwaige nichts […] ein unbegrifflicher Begriff der Gegensatzlosigkeit.“679 Im Zentrum, das Klee

673 BG I.2/76, 8.1.1924.

674 Bonnefoit 2009, S. 33; Ehrenfels 1916, S. 106; SK 1920, S. 32.

675 Ehrenfels 1916, S. 27.

676 Bereits Goethe wies auf die Dualität der Erscheinung als Gegensatz hin. Goethe 1964.

677 Diesen Gegensätze könnte man als Begriffspaare hinzufügen: gut – böse, Materie – Geist, Natur – Idee, Mensch – Gott. Siehe Bunge 1996, S. 188–189.

678 BG I.1/13.

679 BG I.1/14. Bonnefoit weist darauf hin, dass sich bereits Leonardo da Vinci des Widerspruchs bewusst war, dass der Punkt zum einen dem „Nichts“ gleichkom-me und zum anderen Ursprung der bildnerischen Gestaltung sei. Siehe Bonnefoit 2008a, S. 252.

auch als „Unbegriff“680 zwischen Kosmos und Chaos bezeichnete, schlummern beide Pole. Der Mittelpunkt ist Ursprung für die Entwicklung in die eine oder andere Richtung.

Er ist „weder gut noch böse“ oder „sowohl gut als auch böse“681 – er ist neutral. Grau ist im Kosmos der Mittelpunkt zwischen den Polen Schwarz und Weiss.

Will man diesen Ort wahrnehmbar machen, so gelangt man „zum Schicksals-punkt für werden und vergehen zum Grau-Punkt“.682 Grau ist dieser Punkt, weil er weder weiss noch schwarz ist, weil er weder oben noch unten, weder heiss noch kalt ist. Es han-delt sich um den „undimensionalen Punkt, dem Punkt zwischen den Dimensionen“683. Grau ist der Mittelpunkt, weil dort die Scheidung der Dimensionen Licht und Finsternis noch nicht erfolgt ist, wie Klee in der Principiellen Ordnung erklärte.684 Er fuhr fort:

„Der kosmogenetische Moment ist da. Die Feststellung eines Punktes im Chaos, der, principiell concentriert, nur grau sein kann, verleiht diesem Punkt concentrischen Urcharakter. Von ihm strahlt die somit erweckte Ordnung nach allen Dimensionen aus. […] Die Erhebung eines Punktes zu centraler Geltung bedeutet den kosmogenetischen Moment. Diesem Vorgang entspricht die Idee alles Anfanges (z.B. die Zeugung) oder besser der Begriff ei.“685

Grau ist auch das Chaos, der Urzustand, welchen Klee in seiner „Unendlichen Naturge-schichte“ am Anfang seiner Vorlesungen zur „Kosmogenesis als Grundlage“ im Kapitel II.21 Mechanik zu beschreiben versuchte.686 Der Ursprung der Schöpfung ist „ungefähr“

grau:

„Im Anfang was war? […] nichts weisses nichts schwarzes nichts weisses (nur ungefähr grau) nichts rotes nichts gelbes nichts blaues (nur ungefähr graues) auch nicht grau praecises, überhaupt nichts praecises nur unbestimmtes, vages. […].“687

Der urbewegliche Punkt ist auch Gravitationszentrum und bestimmt als solcher die Bewe-gung der Schichten, die „mitbeweglich“ sind.688 „Punkt ist kosmisch, als Urelement jeder Eisamen ist kosmisch.“689 Im Chaos ist der Punkt das kosmogenetische Moment und hat somit zentrale Geltung. Der Punkt wurde auch von den Schülern „als kosmisches

680 BG I.1/14.

681 BG I.1/13.

682 BG I.1/15.

683 BG I.1/15.

684 Mehr zum Zustand der Gegensatzlosigkeit im Grau siehe Wagner 2000, S. 107–109.

685 BG I.1/16.

686 BG II.21/130.

687 BG II.21/130.

688 BG II.21/132–34.

689 BG II.21/122.

ment, als Urkraft und als Manifestation des Anfangs alles Existierenden“ verstanden.690 Der graue Punkt ist bildnerisches Symbol für den Unbegriff, für weder – noch. In ihm schlummern die Gegensätze, auf welchen Klee seine bildnerische Kosmogonie aufbau-te.691 Der graue Mittelpunkt ist Ursprungsort des Schöpferischen und wurde deshalb bei Klee auch mit dem chaotischen Urzustand und mit dem geheimnisvollen Ursprung der Kunst in Verbindung gebracht.

Ursprung des Schöpferischen

Im Gegensatz zum Ursprung der bildnerischen Gestaltung blieb der Ursprung des künst-lerischen Schaffens für Klee sehr vage. Als Ursprungsort des Schöpferischen erachtete er das Chaos, dessen bildnerisches Symbol der „gereizte“ graue Punkt ist.692 Wie Wagner hervorhebt, unterschied Klee zwei Arten des Chaos: Erstens das zum Kosmos gegensätz-liche Chaos und zweitens das „wirklich wahrhaftige Chaos“.693 Letzteres soll genauer untersucht werden. Klee notierte in einem Heft, das eine Art Zusammenfassung seines Unterrichtes in einer „knappen“ und einer „weiten Fassung“ enthält:

„Das Chaos als Gegensatz ist nicht das eigentliche wirklich wahr-haftige Chaos, sondern ein zum Kosmosbegriff örtlich bestimmter Begriff. Das eigentliche Chaos wird nie in eine Wagschale gelangen, sondern ewig unwägbar und unmessbar bleiben. Es kann nichts sein oder schlummerndes etwas, Tod oder Geburt, je nach dem Vorwalten von Willen oder von Willenlosigkeit. wollen oder nichtwollen.“694

Im gleichen Heft findet sich die Definition des Chaos’, welche Klee beinahe wörtlich aus seinem Philosophischen Wörterbuch zitierte:

„Das Chaos ist: ‚ein ungeordneter Zustand der Dinge, ein Durchein-ander. Weltschöpferisch (kosmogenetisch) ein mythischer Urzustand der Welt, aus dem sich erst allmälich oder plötzlich, aus sich selbst, oder durch die Tat eines Schöpfers der geordnete Kosmos bildet.’“695

Bereits 1905 beschrieb Klee seinen Ursprung als Künstler beim Chaos:

„Ich beginne logischerweise beim Chaos, das ist das Natürlichste. Ich bin dabei ruhig, weil ich fürs erste selber Chaos sein darf. Das ist die

690 Ahlfeld-Heymannn 1994, S. 78.

691 Zum Graupunkt zwischen Chaos und Kosmos, Dynamik und Statik siehe Bunge 1996, S. 206–209.

692 BG I.1/14.

693 Wagner 2000, S. 102.

694 BG I.1/14.

695 BG I.1/17, gleiche Definition BG I.1/19; siehe auch Schmidt 1916, S. 145.

mütterliche Hand. Vor der weissen Fläche aber stand ich oft zitternd und zagend. Doch gab ich mir dann den bewussten Ruck und zwäng-te mich in die Enge linearer Vorszwäng-tellungen. Dann ging es wohl, denn ich hatte energisch und konsequent geübt auf diesem Gebiet. Es ist bequem fürs erste Chaos sein zu dürfen.“696

Huggler wies daraufhin, dass Klee wie Novalis im Chaos als dem uranfänglichen Sein den Ausgangspunkt zu seiner „Metaphysik“ finde.697 Klees Vorstellung vom Chaos als Ursprungsort des Schöpferischen im Künstler entspreche, so Wagner, der Metaphorik in Nietzsches Also sprach Zarathustra.698 Wie Klee, für den der Künstler „als erstes selber Chaos sein darf“, charakterisierte Nietzsche den „schöpferischen Übermenschen“ mit anderen Worten den Künstler, als Menschen, der noch Chaos in sich habe, „um einen tanzenden Stern gebären zu können.“699 Dem Künstler, der sich einen „bewussten Ruck“

geben muss, um aus dem ursprünglichen Chaos zu entkommen, entspricht der kosmoge-netische, gereizte Punkt, der des Willens, der „Tat eines Schöpfers“ bedarf, um sich in Bewegung zu setzen.

Wagner weist ebenfalls darauf hin, dass bereits Nietzsche von einer uranfängli-chen Bewegungskraft, die aus dem Chaos führe, gesprouranfängli-chen habe. Dass „aus dem Chaos ein Kosmos“ werde, konnte nach Nietzsche „nur Folge der Bewegung sein, aber einer bestimmten und klug eingerichteten Bewegung“.700 In einem weiteren Schritt spekulier-te Nietzsche sogar über die Art der Bewegung, welche das kosmische Prinzip ausge-dacht habe, und charakterisierte sie als spiralförmig, von innen nach aussen wachsende Kreisbewegung in der Art eines Wirbels. Ebenso ist bei Klees Vorstellung vom kosmoge-netischen Prozess die kreisförmig entfaltete Spiralbewegung eine der wichtigsten sym-bolischen Chiffren.701 Im Kapitel „Von der Selbst-Überwindung“ setzte Nietzsche den

696 TB 1988, Nr. 633, Mai 1905, Bern, S. 212.

697 Huggler 1969, S. 239–241.

698 Siehe Wagner 2000, S. 100–102; weitere Untersuchungen zu Nietzsche-Rezeption bei Klee siehe Hoppe-Sailer 1998a, S. 326–330. Der Autor weist auf Nietzsche als Phänomen des Zeitgeistes (dazu auch oben Anm. 267) sowie auf das gemeinsame Motiv des Seiltänzers. Auszüge aus Nietzsches Wille zur Macht hatte Klee im Feuilleton der Berner Zeitung Der Bund vom 16.-30.5.1902 (Widmann 1902) lesen können. Er erwähnte die Lektüre auch in: TB 1988, Nr. 415, Juni 1902, Thunersee, S. 151 und S. 553. Zöllner weist auf Bezüge schen Klees und Nietzsches Ausführungen zu Fragen des Zusammenhangs zwi-schen Askese, Sinnlichkeit und künstlerischem Schaffen. Zöllner 2002, S. 226–

245. Klee äusserte in einem Brief an Lily 1904 den Wunsch, Schopenhauer und Nietzsche kennenzulernen. „Gute Biographien würden mich auch interessie-ren.“ Briefe 1979, Bd. 1, an Lily, 21.5.1904, S. 424. In der Nachlass-Bibliothek befinden sich zwar keine Biografien dieser Autoren, dafür die Kriegsausgabe von Nietzsches Zarathustra. Nietzsche o.J.; siehe oben Anm. 139.

699 Nietzsche o.J., S. 19.

700 Nietzsche 1980, S. 864–865.

701 Wagner 2000, S. 105–106, siehe auch BG I.1/21; mehr zur Spirale siehe unten S. 207–210.

Willen zur Macht mit dem unerschöpften zeugenden Lebenswillen gleich.702 Das Leben müsse sich ständig selber überwinden. Darauf folgt eine Stelle, die Klee sowohl mit einer umgeknickten Ecke der Seite wie auch mit einigen Anstreichungen speziell hervorhob.

Um den ständigen Wandel nochmals zu betonen, erklärte Nietzsche: „Wahrlich, ich sage euch: Gutes und Böses, das unvergänglich wäre – das gibt es nicht! Aus sich selber muss es sich immer wieder überwinden.“ Man solle gut und böse nicht werten. Die folgenden zwei Sätze hatte Klee am Seitenrand mit Bleistift markiert, da er sich offensichtlich an-gesprochen fühlte: „Und wer ein Schöpfer sein muss im Guten und Bösen: wahrlich, der muss ein Vernichter erst sein und Werte zerbrechen. Also gehört das höchste Böse zur höchsten Güte: diese aber ist die schöpferische.“703 Dies entspricht Klees Deutung des grauen Mittelpunktes als Ursprungsort, wo die gegensätzlichen Begriffe – gut und böse – schlummern.704

Für Klees Unterricht war der geheimnisvolle Ursprung der künstlerischen Schöpfung we-nig relevant. In seinen publizierten Texten erwähnte er ihn hingegen wiederholt als Ge-gensatz zu den lehrbaren Gesetzmässigkeiten. Im ersten Entwurf seines Aufsatzes exakte versuche im bereich der kunst beschrieb er den Ursprung der lebendigen Form als grauen Mittelpunkt und das Bewegtsein als Voraussetzung für die einsetzende Gestaltung:

„Die Formel der Funktion ist weit, aber sie ist als quellender Ur-punkt irgendwo. […] Kunst als Entsendung von Phänomenen, Pro-jektion aus dem überdimensionalen Urgrund, Gleichnis zur Zeugung, Ahnung, Geheimnis. […] Der Eingeweihte ahnt den urlebendigen Punkt, besitzt ein paar lebendige Atome, besitzt fünf lebendige Pig-mente, weiss nun um eine kleine graue Stelle von der aus der Sprung aus dem Chaos in die Ordnung glückt. Er ahnt die Zeugung, weiss um das erste Tun einigermassen Bescheid jene Dinge zum Werden zu bewegen und selbstbewegt sie sichtbar zu machen. Es bleiben ihm in ihnen Spuren hinter ihm seiner Bewegung und der Zauber des Lebens ist gegeben.“705

Klee hielt ebenfalls fest, dass die Analyse zur Lösung des Rätsels des Ursprungs nicht reiche, denn „vor dem Bereich des Geheimnisses bleibt die Analyse verlegen stecken.

Aber das Geheimnis ist mit zu gestalten, durch Vordringen bis zu seinem Siegel.“706

702 Nietzsche o.J., S. 166.

703 Nietzsche o.J., S. 169.

704 Zum Gegensatz gut – böse siehe auch unten S. 191.

705 BG A/38 „Versuch zum Exacten in der Kunst“.

706 BG A/38.

Während Klee im Entwurf noch über das „geheimnisvolle“ Moment schrieb, das für die Totalisation nötig sei, sprach er in der Endfassung von „Intuition“ und „Genie“. Würde man als Aufgabe die Konstruktion des Geheimnisses stellen, so wäre dies zum Lachen.

„sancta ratio chaotica! schulisch zum lachen! und doch wäre es die aufgabe, wenn kons-truktiv für total gilt. aber beruhigen wir uns, konskons-truktiv gilt nicht für total“. Ohne Intu-ition wird kein Kunstwerk geboren, wird “nichts zu wahrhaftigem künstlerischem leben erweckt”. Klee zog den Schluss, dass man in diesem Fall aus der Not eine Tugend machen solle. „die tugend ist, dass wir durch die pflege des exakten grund legten zur spezifischen kunstwissenschaft, mit einschluss der unbekannten grösse X.“707 Die Lehre könne zwar grundsätzliche Gestaltungsgesetze vermitteln; um zur „grossen Synthese“ zu gelangen, brauche es aber Intuition, die nicht gelehrt werden kann. Klee hielt an der Idee des Ge-nies, das ohne Intuition nicht fähig sei, zum Wesen der Dinge vorzudringen, fest:708

„genie ist genie, ist begnadung, ist ohne anfang und ende. ist zeu-gung. genie schult man nicht, weil es nicht norm ist, weil es sonder-fall ist. […] die schule schweige über den begriff genie mit bewusstem seitenblick, mit taktvollem respekt. sie wahre ihn als geheimnis in verschlossenem raum. sie wahre ein geheimnis, das, aus seiner latenz heraustretend, vielleicht unlogisch und töricht früge.“709

Dass es nicht ausreiche, eine exakte Analyse durchzuführen, um zum Ursprung der Kunst zu gelangen, stellte Klee bereits 1905 im Tagebuch fest: „O lass den unendlichen Fun-ken nicht ganz ersticFun-ken im Mass des Gesetzes. Sieh dich vor! Doch entferne dich auch nicht ganz von dieser Welt.“710 Kunst bedeutet nicht einfach Gesetzmässigkeit; sie geht, durch den subjektiven inneren Funken dazu befähigt, über das Gesetz hinaus. Zum ob-jektiven – dem Gesetzmässigen –, das intellektuell nachprüfbar ist, kommt als eigentlich wesentlicher und entscheidender Faktor die Intuition, jener Funke hinzu, der für Klee erst das letzlich Künstlerische ausmacht. Der Ort, von dem der Funke ausgeht, befindet sich nach Klees Ansicht im Unendlichen, im Jenseits, ausserhalb des irdischen Bereiches,

„etwas näher dem Herzen der Schöpfung“.711 Auch in der Schöpferischen Konfession räumte Klee ein, dass Formfragen zwar durch die Analyse gelöst werden könnten. Doch im obersten Kreis der Kunst „steht hinter der Vieldeutigkeit ein letztes Geheimnis und das Licht des Intellekt erlischt kläglich.“712

707 EV 1928.

708 Badt hat aufgezeigt, dass seit der Renaissance das Genie als eine Kraft verstan-den wurde, die fähig ist, zu verstan-den Urbildern vorzudringen. Badt 1968, S. 97.

709 EV 1928.

710 TB 1988, Nr. 636, Mai 1905, Bern, S. 214.

711 Mösser 1976, S. 18, S. 22; SK 1920, S. 2.: „Diesseitig bin ich gar nicht fassbar.

Denn ich wohne grad so gut bei den Toten, wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung als üblich. Und noch lange nicht nahe genug.“

712 SK 1920, S. 38–39; siehe dazu Mösser 1976, S. 31.

Im ersten Vorlesungszyklus bezeichnete er den Ursprung des Werkes als etwas Geheimnisvolles:

„Die Geschichte des Werkes, welches in erster Linie Genesis ist, kann in kurzen Zügen beschrieben werden als ein geheimer Funke von irgendwo her, welcher glimmend des Menschen Geist entzün-det, des Menschen Hand bewegt713 und von da aus als Bewegung der Materie übermittelt wird, Werk wird. Der receptive Vorgang entspricht.“714

Hier ist hervorzuheben, dass der geheime Funke nicht im vollendeten Werk erlöscht, son-dern als „receptiver Vorgang“ auf den Betrachter übergehen soll. Dieser Gedanke ist auch in der Schöpferischen Konfession formuliert: „Ein gewisses Feuer, zu werden, lebt auf, leitet sich durch die Hand weiter, strömt auf die Tafel und auf der Tafel, springt als Funke, den Kreis schliessend, woher es kam: Zurück ins Auge und weiter.“715

Im Unterricht erwähnte Klee, dass die Kraft des Schöpferischen nicht genannt werden könne. Sie bleibe letzten Endes geheimnisvoll. „Wir sind selbst geladen von die-ser Kraft bis in undie-sere feinsten Teile. Wir können ihr Wesen nicht ansprechen, aber wir können dem Quell entgegengehn so weit es eben geht.“716 In der nächsten Vorlesung nach den Winterferien erfolgte eine rückblickende Zusammenfassung:

„Eine intimere Betrachtung dieser Vorgänge [Wachsen von Blättern und Früchten] liess uns dem Geheimnis des Schöpferischen nachspü-ren717, das wir schon in dem knappsten Werden einer Linie walten fühlten: Wir suchten uns diesem Geheimnisvollen zu nähern, indem wir nach dem Woher fragen, und nach rückwärts spürend zu den Quellen zu gelangen suchten. Wir hatten nicht die Kühnheit jenen geheimen Ursprung des Schöpferischen aufzudecken zu wollen, aber es drängte uns nach seiner grösstmöglichen Nähe. Dabei endeten wir beim gereizten Punkt, oder in der Natur die wir betrachtend zu Hilfe nahmen: beim Samenkorn. Hier bei diesem scheinbaren Anfang war die Grenze für unsere Tat erreicht.“718

713 1918 schrieb Klee an Lily: „Meine Hand ist ganz Werkzeug einer fernen Sphäre.

Mein Kopf ist es auch nicht, was da funktioniert, sondern etwas anderes, ein Höheres, Ferneres, Irgendwo….“ Briefe 1979, Bd. 2, S. 908. Wie diese Briefstelle belegt, glaubte Klee an die Inspiration aus einer nicht irdischen Sphäre.

714 BF/98, 27.2.1922, S. 95.

715 SK 1920, S. 34.

716 BG I.2/30, 27.11.1923.

717 In einem Gespräch mit Eckermann erwähnte Goethe, dass die Natur immer wahr und ernst sei und nur dem Zulänglichen, Wahren und Reinen ihre Geheimnisse offenbare. Eckermann 1902, Bd. 1, 13.2.1829, S. 397.

718 BG I.2/74 und BG I.2/76, 8.1.1924.

Der Ursprung kann zwar in der bildnerischen Gestaltung wie auch in der Natur definiert werden, in der künstlerischen Schöpfung bleibt er jedoch geheimnisvoll.

Im Vortrag in Jena versuchte Klee erneut, sich dem Ursprung der künstlerischen Schöp-fung zu nähern:

„Vom Vorbildlichen zum Urbildlichen! […] Berufen aber sind die Künstler, die heute bis in einige Nähe jenes geheimen Grundes drin-gen, wo das Urgesetz die Entwicklungen speist. Da, wo das Zentral-organ aller zeitlich-räumlichen Bewegtheit, heisse es nun Hirn oder Herz der Schöpfung, alle Funktionen veranlasst, wer möchte da als Künstler nicht wohnen? Im Schosse der Natur, im Urgrund der

„Vom Vorbildlichen zum Urbildlichen! […] Berufen aber sind die Künstler, die heute bis in einige Nähe jenes geheimen Grundes drin-gen, wo das Urgesetz die Entwicklungen speist. Da, wo das Zentral-organ aller zeitlich-räumlichen Bewegtheit, heisse es nun Hirn oder Herz der Schöpfung, alle Funktionen veranlasst, wer möchte da als Künstler nicht wohnen? Im Schosse der Natur, im Urgrund der

Im Dokument Paul Klees Lehre vom Schöpferischen (Seite 144-153)