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4. DISKUSSION

4.1. Glutamin und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

Die genaue Ätiologie der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) ist nicht geklärt. Neben Umgebungsfaktoren werden genetische, immunologische, nutritive und infektiöse Ursachen diskutiert (98). Die antiinflammatorische Therapie mit Glukokortikoiden und Aminosalicylaten ist bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen die Standardtherapie. Die supportive Ernährungstherapie hat einen etablierten Stellenwert.

Bei M. Crohn kann eine Ernährungstherapie die Remissionsraten im akuten Schub verbessern und zu einer Abnahme der entzündlichen Aktivität führen. Aber auch die vorübergehende parenterale Ernährung ist Teil der Therapie (25, 26). Sie wird vorwiegend mit dem Ziel eingesetzt, Ernährungsdefizite zu verbessern und die entzündliche Aktivität durch Umgehung des Darms zu beeinflussen (98).

In der vorliegenden Arbeit konnten keine positiven Effekte einer Glutamin-supplementierten total parenteralen Ernährung bei Patienten mit CED auf den Krankheitsverlauf und die intestinale Permeabilität beobachtet werden. Sowohl die Abnahme der Krankheitsaktivität, die zur Therapie benötigte Menge an Steroiden, klinisch-chemische Parameter, als auch die Änderungen in der Darmpermeabilität waren in beiden Gruppen nicht unterschiedlich. Somit wird durch unsere Ergebnisse die Hypothese eines postiven Effekts einer Glutamin-Supplementation bei parenteral ernährten Patienten mit CED nicht gestützt.

Eine erhöhte intestinale Permeabilität wird häufig bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen selbst ohne akute Exazerbation gefunden (109). Besonders bei M. Crohn wird sie als ein frühes pathophysiologisches Ereignis in der Ausbildung der Erkrankung diskutiert (101). Nach 7 Tagen konnten wir keinen Effekt der TPE mit oder ohne Glutamin auf die intestinale Permeabilität nachweisen. Somit legen unsere Ergebnisse zwei Schlussfolgerungen nahe: zum einen hat eine kurzzeitige TPE mit Darmruhigstellung keinen zusätzlichen Effekt auf die intestinale Permeabilität bei akutem Schub einer CED. Zum anderen ist eine Glutamin-Supplementation von 0,3g/kgKG/d nicht mit einer Verbesserung der intestinalen Permeabilität innerhalb von 7 Tagen verbunden.

In frühen tierexperimentellen Studien wurde gezeigt, dass eine total parenterale Ernährung zu einer Atrophie der Darmschleimhaut mit Abnahme der Mukosadicke und der Zottenhöhe, sowie zur Reduktion der Darmmasse führt (32, 33, 36). Buchmann et al. beobachteten bei einer Gruppe gesunder Freiwilliger nach 14 Tagen TPE eine Abnahme der Zottenhöhe und eine erhöhte Permeabilität des Darms. Jedoch ließen sich keine klinischen Symptome wie

Diskussion 51 Malabsorbtion oder Diarrhoen nachweisen (100). Diese Ergebnisse wurden unterstützt von einer interventionellen Studie an 20 Patienten, die ähnliche Effekte der TPE auf die Darmschleimhaut zeigen konnte. Diese Effekte konnten durch die Gabe von Glutamin verhindert werden (38). Jedoch wird in einem aktuellen Review die Theorie der relevanten Permeabilitätserhöhung durch die TPE in Frage gestellt (102). Jeejeebhoy propagiert, dass eine signifikante intestinale Atrophie nicht innerhalb der ersten 4 Wochen einer kompletten Darmruhigstellung auftrat. Sie war nur dann zu beobachten, wenn eine längere Parenteralisierung notwendig war. Wir haben in unserer Untersuchung innerhalb von 7 Tagen keinen Effekt beobachten können. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass nach längerer Beobachtung bei unseren Patienten ein Effekt aufgetreten wäre.

In Untersuchungen an Tiermodellen entzündlicher Darmerkrankungen konnte ein positiver Effekt einer Glutamin-Supplementation nachgewiesen werden (103). Die beobachteten Effekte der Glutamin-Supplementation sind jedoch nicht nur auf die mögliche Verbesserung der intestinalen Funktion zurückzuführen. Im Tiermodell und beim Menschen ist die enterale und parenterale Zufuhr von Glutamin verbunden mit einer verbesserten Lymphozytenfunktion und antioxidativer Kapazität im Vergleich mit Standard-TPE (133). In verschiedenen katabolen Situationen führt die Gabe von Glutamin zu einer signifikant reduzierten Morbidität und Mortalität (117, 133). Im Gegensatz zu den Ergebnissen in der Studiengruppe 2 (s.

Kapitel 4.2.) konnten wir keinen Effekt auf die Krankheitsaktivität, die Lymphozytenzahl oder Entzündungsparameter wie das C-reaktive Protein nachweisen. Ein Hauptgrund dafür mag der ausgeprägte therapeutische Effekt der Antiinflammatorischen Therapie mit Steroiden und Azathioprin sein. Bei einer angenommenen Ansprechrate von 70-80% auf diese Therapie ist die Zahl der Patienten in unserer Studie deutlich zu gering, um einen zusätzlichen Effekt einer Glutamin-Supplementation aufzuzeigen.

Glutamin ist die am häufigsten vorkommende freie Aminosäure im menschlichen Körper und spielt eine zentrale Rolle in vielen metabolischen Prozessen (z.B. als Stickstofftransporter, Ausgangspunkt für Kohlenstoffgerüste, Vorstufe für Nukleotide und Glutathion und Regulator der Säure-Basen-Haushaltes) (133). In den von uns durchgeführten Messungen konnten wir keine Unterschiede in der Konzentration des Plasma-Glutamins und der Gesamt-Aminosäuren bei Patienten mit oder ohne Glutamin-Supplementation messen. Van Acker et al. kamen in einer aktuellen Veröffentlichung über die Kinetik von 15N-markiertem Glutamin bei Patienten, die für gastrointestinale Eingriffe vorgesehen waren, zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch hier konnte kein Unterschied im Plasma-Glutaminspiegel zwischen den Gruppen mit und ohne Glutamin-Infusion gemessen werden (109). Die Autoren zogen in ihrer

Diskussion 52 Arbeit den Schluss, dass es in der mit Glutamin behandelten Gruppe zum Ausgleich des in der Krankheitsphase erhöhten Glutaminbedarfs unter Schonung der endogenen Reserven kommt.

Somit kommt es zu keinem Anstieg des Glutamin-Spiegels im Plasma. Ein weiteres Ergebnis dieser Untersuchung war, dass hier die Gesamt-Glutaminkonzentration und die Glutaminverwertung im Gewebe nur bei den Glutamin-supplementierten Patienten anstieg.

Somit scheint eine Glutamin-Supplementation nicht zwangsläufig mit einem Anstieg des Plasma-Glutaminspiegels einherzugehen. Es kommt jedoch zu einer gesteigerten intrazellulären Verwertung des Glutamins und einem Anstieg des intrazellulären Glutamin-Pools (109).

Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen befinden sich in einem katabolen Zustand und haben ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Mangelernährung, insbesondere während der akuten Exazerbation der Erkrankung (104). Der in unserer Studie zu beobachtende signifikante Anstieg der Konzentration des Serum-Harnstoff und des Plasma-Phenylalanin in der Kontroll-Gruppe könnte ein Hinweis auf eine verbesserte Stickstoff-Bilanz in der Glutamin-Gruppe sein. Dieser Effekt einer Glutamin-Substitution wurde bereits bei Patienten nach großen abdominellen Eingriffen beschrieben (17, 19). Dabei führte eine Glutamin-supplementierte parenterale Ernährung zu einer verbesserten Stickstoffbilanz und einer weniger verminderten Proteinsynthese. Allerdings werden unsere Ergebnisse nicht unterstützt von den gleichzeitig durchgeführten Messungen der 3-Methyl-histidin-Ausscheidung im Urin. Diese ist ein zuverlässiger Marker für einen katabolen Muskelabbau (105). Hinzu kommt, dass wir keinen Effekt einer Glutamin-Supplementation auf die Plasmakonzentrationen von Citrullin und Arginin messen konnten. Beide Aminosäuren sind Abbauprodukte des Glutamin-Stoffwechsels in Enterozyten und indirekte Parameter der Enterozytenfunktion des Dünndarm (124).

Die von uns gewonnen Daten sind die ersten Daten einer parenteralen Glutaminzufuhr bei Patienten mit CED. Die beiden publizierten Studien einer enteralen Glutamin-Supplementation bei CED haben insgesamt 32 Patienten einschließen können (14 Erwachsene, 18 Kinder) (106, 107). In beiden Studien konnte kein Effekt einer enteralen Supplementation von Glutamin auf die intestinale Permeabiltät oder die entzündliche Aktivität in einem Zeitraum von 4 Wochen beobachtet werden.

Es gibt einige mögliche Erklärungen, warum eine Glutamin-Supplementation bei Patienten mit CED keinen positiven Effekt hat. Die Fähigkeit des Glutamin zur Verbesserung der T-Zell-Funktion könnte die entzündliche Aktivität bei M. Crohn verstärken. Glutamin ist eine Vorstufe des Stickoxid. Dies kann die Erklärung für einen weitereren negativen Effekt einer

Diskussion 53 erhöhten Glutamin-Zufuhr sein, da überschüssiges Stickoxid die entzündliche Aktivität bei M.

Crohn und Colitis ulcerosa verstärken kann (108).

Abgesehen von der Lymphozytenzahl haben wir keine Lymphozytenfunktionstest durchgeführt. Ebenso haben wir nicht die Stickoxid-Bildung gemessen. Somit lassen sich auch keine definitiven Aussagen darüber treffen, ob die Glutamingabe bei unseren Patienten diese Parameter moduliert hat. Obwohl in verschiedenen Studien bei kritisch Kranken ein positiver Effekt einer enteralen oder parenteralen Glutaminzufuhr gezeigt werden konnte, scheint dies nicht ohne weiteres auch für Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen zu gelten. Jedoch reichen unsere Patientenzahlen nicht aus, um eine eindeutige Aussage zu treffen.