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1. EINLEITUNG

1.1. Glutamin, eine bedingt essentielle Aminosäure

Glutamin ist die am häufigsten vorkommende Aminosäure im menschlichen Organismus. Sie zirkuliert im menschlichen Blut mit einer Konzentration von 500-800 µmol/l. Eine 70 kg schwere Standardperson mit 15 kg Muskelmasse und 20 % des Körpergewichts extrazelluläre Flüssigkeit hat einen intrazellulären (Muskel-) Glutaminpool von ca. 300 mmol und einen extrazellulären Pool von ca. 7 mmol (1). Die intrazelluläre Glutaminkonzentration ist somit 30fach erhöht gegenüber dem Extrazellulärraum, wodurch ein großer Gradient zwischen beiden Räumen entsteht (2, 3). Die meisten anderen Aminosäuren zirkulieren mit deutlich niedrigeren Konzentrationen, weshalb die Abgabe an die unterschiedlichen Gewebe (Substratabgabe = Blutfluss x Konzentration) weit geringer ist als beim Glutamin. Diese Tatsache, sowie das Vorhandensein von zwei Aminogruppen erklärt, warum Glutamin als wichtigstes „Stickstoff-Shuttle“ verantwortlich für 30-35 % des gesamten im Blut transportierten Aminosäure-Stickstoffs ist (4).

Abbildung 1: Chemische Struktur von Glutamin

Die neutrale Aminosäure Glutamin mit einem Molekulargewicht von 146,1 besitzt im Gegensatz zu den meisten anderen Aminosäuren zwei Stickstoffseitenketten (eine α-Aminogruppe und eine Amid-Gruppe)

Für viele Stoffwechselwege ist Glutamin ein wichtiges Substrat. In der Gluconeogenese kann das Kohlenstoffgerüst des Glutamins in der Leber und der Niere zu Glukose umgebaut werden (5). Glutamin ist das wichtigste Substrat für die renale Ammoniakbildung (6, 7), ein essentieller Vorläufer in der Nukleotidbiosynthese (dies scheint zum Teil den modulierenden Effekt auf proliferierende Zellen zu erklären), ein Regulator der Glycogen- und Proteinbiosynthese, sowie aufgrund der hohen Konzentration, in der es in vielen Zellen vorkommt, als Ammoniakfänger und als Stickstoffdonor für die Biosynthese einer Vielzahl von wichtigen Zellbestandteilen (Aminozucker, Aminosäuren). Glutamin stellt das wichtigste metabolische Substrat für die Zellen des Gastrointestinaltraktes (Enterozyten, Kolonozyten) und vieler anderer schnell proliferierender Zellen, einschließlich der des Immunsystems dar (8-10). Hauptlieferanten von Glutamin sind die Lunge und die Skelettmuskulatur, welche in der Lage sind, Glutamin de novo aus Glutamat und Ammoniak mit Hilfe der Glutaminsynthetase zu bilden (11). Im Gegensatz dazu katalysiert die Glutaminase die

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Einleitung 6 Hydrolyse des Glutamin zu Glutamat und Ammoniak. Dies geschieht hauptsächlich in den glutaminkonsumierenden Zellen, wie z.B. den Mucosazellen des Darms, den Lymphozyten oder den Tubuluszellen der Niere (2). Eine Ausnahme hierzu stellt die Leber dar, welche abhängig vom Bedarf anderer Organe sowohl Glutamin synthetisieren als auch konsumieren kann.

Im Hungerzustand hat der Darm mit ca. 3 mmol/h einen Anteil von ca. 12 % am gesamten Glutamin-Turnover. Der first-pass-Effekt im Splanchnikusgebiet nach enteraler Glutaminsupplementation beträgt ca. 35-50 % (8).

Während kataboler Situationen wie Fasten, Operationen, Traumen oder Infektionen sinken die Glutaminkonzentrationen in Blut und Gewebe deutlich ab (12-14). Die Abnahme der Glutaminkonzentration übersteigt die aller anderen Aminosäuren und dauert auch während der Erholungsphase noch an, während andere Aminosäuren bereits wieder normale Konzentrationen erreicht haben. Dabei korreliert die Rückkehr der Glutaminkonzentration auf das Niveau vor Schädigung mit der Rückkehr funktioneller Kapazität des Gewebes. Die enge Beziehung zwischen der Konzentration von freiem Muskel-Glutamin und der Rate der Proteinsynthese legt die Vermutung nahe, dass die Erhaltung des intrazellulären Glutaminpools die Erhaltung von Muskelprotein während katabolem Stress fördert (15, 16).

Daraus wurde abgeleitet, dass Glutamin in katabolen Situationen zu einer bedingt essentiellen Aminosäure wird (17-19).

1.1.1. Glutamin bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED)

In der Bundesrepublik Deutschland treten chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) mit einer Inzidenz von 2-8 Neuerkrankungen pro Jahr und 100 000 Einwohner auf. Bis heute ist die Ätiologie dieser Erkrankungen nicht sicher geklärt.

Als mögliche Ursachen werden Störungen der Regulation des intestinalen Immunsystems, Autoimmunmechanismen oder infektiologische Ursachen diskutiert. Hierbei gilt besonderes Augenmerk dem Zusammenhang zwischen M. Crohn und der Region des NOD2-Gens (CARD15) auf Chromosom 16. Das Protein NOD2/CARD15 wird in Monozyten exprimiert und dient als cytosolischer Rezeptor für bakterielle Lipopolysaccharide (20). Hierdurch wird die Aktivierung von NF-κB, einem entscheidenden Mediator der Entzündungsreaktion, getriggert. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass eine Mutation dieses Gens mit M. Crohn des Ileums sowie der fibrostenotischen Form des M. Crohn assoziiert ist (21-23).

Die Standardtherapie einer akuten Exazerbation der Erkrankung umfasst neben der Medikation mit lokalen oder systemischen entzündungshemmenden Substanzen

Einleitung 7 (Salazosulfapyridin, 5-Aminosalizylsäure, Prednisolon, u.a.) bei einigen Patienten eine vorübergehende künstliche Ernährung (24, 25).

Die Ernährung von Patienten mit CED hat eine ernährungsmedizinische und therapeutische Indikation. Während die ernährungsmedizinische Indikation insbesondere den Ernährungszustand des Patienten berücksichtigt, zielt die therapeutische Indikation auf die Beeinflussung der Krankheitsaktivität.

Eine negative Nährstoffbilanz wird beispielsweise durch intestinale Verluste verursacht (Malassimilation, hochsitzende Fistel etc.). Die Schwere der Verluste korreliert mit der Darmwandschädigung im Rahmen der Erkrankung. Es konnte bereits gezeigt werden, dass eine künstliche enterale oder parenterale Ernährung unabhängig von einer medikamentösen Therapie einen therapeutischen Effekt besitzt (26, 25). Sowohl der akute Schub, als auch die Remissionsdauer der Erkrankung werden günstig beeinflusst. Dieser Effekt ist unabhängig von der Krankheitsaktivität und der Lokalisation der Erkrankung.

Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind durch entzündliche Veränderungen der intestinalen Mukosa mit Mukosaatrophie, erhöhter intestinaler Permeabilität und daraus resultierender systemischer Endotoxinämie charakterisiert (27, 28). Die erhöhten Endotoxin-Konzentrationen korrelieren mit der Aktivität der Grunderkrankung und werden als ein pathogenetischer Faktor der entzündlichen Darmerkrankung diskutiert (28). Die Endotoxinämie und die erhöhte Freisetzung von Zytokinen werden unter anderem als eine Ursache der katabolen Stoffwechselveränderungen und der daraus resultierenden Mangelernährung bei Patienten mit Morbus Crohn und anderen chronisch-entzündlichen Erkrankungen gesehen (29-31).

Zusätzlich fördert die Gabe von Steroiden (1 mg/kg/d) und die vorübergehende parenterale Ernährung der Patienten im akuten Schub der Erkrankung zu einer Mukosaatrophie (27).

Bereits die über mehrere Tage dauernde total parenterale Ernährung allein führt zu einer erheblichen Darmatrophie mit Abnahme der Mukosadicke und Höhe der Villi (32, 33). Dabei kommt es zu einer Veränderung der Enzymaktivität (34) und einer Abnahme der sekretorischen IgA-Level im Darm. Im Tierversuch war damit eine erhöhte bakterielle Translokation aus dem Darm verbunden (35). Diese Effekte werden zum Teil auf das Fehlen von Glutamin, dem Hauptenergiesubstrat für das Dünndarmepithel, in Standard-TPE-Lösungen zurückgeführt (36). Eine Zufuhr von Glutamin führt zu einer erhöhten Glutaminaufnahme und einer gesteigerten Verstoffwechselung im Intestinum (37). In einer 1993 publizierten Studie zur parenteralen Anwendung von Glutamin bei Patienten während TPE konnte anhand des Lactulose-Mannitol-Belastungstests eine weitgehend konstante

Einleitung 8 intestinale Permeabilität und Atrophie der Mukosa in der Glutamin-Gruppe gezeigt werden, während in der konventionell ernährten Gruppe beide Parameter zunahmen (38). Dieser Effekt war auch bei den wenigen in der Studie eingeschlossenen Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung nachweisbar. Diese in vivo Ergebnisse bestätigen entsprechende Experimente an intestinalen Zellen in vitro (39).

Im akuten Schub eines Morbus Crohn ist der oxidative Stress durch freie Radikale erhöht.

Glutathion ist ein wichtiges Antioxidans zum Schutz des Gewebes vor einer Schädigung durch Radikale (40, 41). Dies ist möglich durch die im Glutathion vorhandenen Disulfidbrücken. Glutamin ist das Hauptsubstrat in der Glutathionsynthese (42, 43) und spielt somit auch eine Rolle bei der Protektion vor freien Radikalen.

Die bisherigen Ergebnisse lassen vermuten, dass die parenterale Gabe von Glutamin einen positiven Effekt auf den Verlauf eines akuten Schubes einer entzündlichen Darmerkrankung haben könnte. Es sollte durch die Gabe von Glutamin möglich sein, sowohl intestinale Funktionen als auch die damit zusammenhängende systemische Endotoxinämie günstig zu beeinflussen. Deshalb sollte in der vorliegenden Untersuchung geprüft werden, ob eine parenterale Substitution mit Glutamin einen positiven Effekt auf den Krankheitsverlauf und insbesondere auf die Darmpermeabilität und -integrität bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen hat (24).

1.1.2. Glutamin bei Pankreatitis

Die akute Pankreatitis ist eine Erkrankung mit einer Inzidenz von 38 pro 100 000 Einwohner und Jahr. Rund 25 % der Patienten entwickeln eine schwere Pankreatitis mit lebensbedrohlichen Komplikationen und einer Mortalität von 6-8 %. Der klinische Verlauf der Erkrankung ist einerseits abhängig vom Grad der lokalen Komplikationen (Nekrosen (44), Pseudozysten (45, 46)) andererseits von der systemischen inflammatorischen Reaktion. Bei der akuten Pankreatitis scheint möglicherweise eine gestörte Mucosabarriere im Darm der Grund für die Endotoxinämie und Bakteriämie zu sein, welche das systemic inflammation response syndrom (SIRS) beschleunigen. Desweiteren sind endogene Bakteriämien die Hauptursache für sekundäre Infektionen von nekrotischen Arealen. Ungeachtet der jüngst publizierten Ergebnisse bezüglich früher enteraler Ernährung bei Patienten mit akuter Pankreatitis (47-49) gehört die parenterale Ernährung häufig immer noch zum Behandlungskonzept der akuten Pankreatitis (50, 51). Es wird angenommen, dass eine über einen längeren Zeitraum durchgeführte parenterale Ernährung bei diesen Patienten mit einer Atrophie der Darmmukosa (32, 33) und gesteigerter intestinaler Permeabilität, (38, 52), verbunden mit bakterieller Translokation, assoziiert ist (35). Dies sind weitere Gründe, die bei

Einleitung 9 der Ausbildung einer Endotoxinämie und Bakteriämie eine Rolle spielen. In katabolen Situationen, wie der akuten Pankreatitis (53), wird Glutamin zu einer bedingt essentiellen Aminosäure (17-19). Glutamin ist ein wichtiges Substrat für exokrine und endokrine Pankreaszellen (54-56). Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass durch Glutaminzusatz zu total parenteraler Ernährung oder Elementardiät eine Pankreasatrophie vermindert werden kann (57, 58). Es ist daher zu vermuten, dass eine Glutamin-Supplementation einen positiven Effekt auf den Verlauf von akuten Pankreatitiden hat. Dies sollte in der vorliegenden Studie ebenfalls geprüft werden.

1.1.3. Glutamin bei Lebererkrankungen und Tumoren

Auch im Rahmen der Leberzirrhose wird eine gesteigerte intestinale Permeabilität beobachtet, die verbunden ist mit einer systemischen Endotoxinämie (59) und einer erhöhten Mortalität (60, 61). Die Endotoxinämie mit der daraus folgenden Zytokinfreisetzung ist auch ein Grund für den veränderten Proteinstoffwechsel, der durch eine reduzierte Proteinsynthese und einen erhöhten Proteinabbau charakterisiert ist (62). Dies verstärkt das Ausmaß der Proteinmangelernährung. Eine Proteinmangelernährung ist mit einer schlechteren Prognose und einer höheren Mortalität nach Lebertransplantation verbunden (63).

Eine zusätzliche Zufuhr von Glutamin erhöht dessen Verstoffwechselung im Intestinum (37).

Dadurch kommt es zu einem Erhalt oder einer Verbesserung der intestinalen Barriere und einer Reduktion der eingeschwemmten Endotoxine und der freigesetzten Zytokine (35, 38).

Es sollte durch die Gabe von Glutamin möglich sein, sowohl die intestinale Funktion als auch die katabole Stoffwechselsituation bei Patienten mit Leberzirrhose günstig zu beeinflussen.

In verschiedenen tierexperimentellen Studien wurde bereits Ende der 80er Jahre der positive Einfluss von Glutamin auf den Leberstoffwechsel nachgewiesen. So konnte gezeigt werden, dass die durch eine parenterale Ernährung hervorgerufene Leberverfettung durch eine Glutamin-Supplementation verhindert werden kann, da hierdurch eine Stimulation der Glukagonsekretion und Senkung des Insulin/Glukagon-Verhältnisses sowie eine Senkung der peripheren Lipolyse und Fettaufnahme in die Leber erreicht werden (36, 58, 64, 65).

Bei ausgeprägter Leberschädigung sind freie Sauerstoffradikale ursächlich an der Entstehung der Gewebsschädigung beteiligt. Wie bereits im Kapitel 1.1.1 erwähnt, kommt dabei dem Glutathion und dem Glutamin als Substrat für das Glutathion eine wichtige Bedeutung als Radikalfänger zu (40 – 43). Bei schwerem Leberschaden konnte durch eine Glutamingabe der Abfall von Glutathion und der Anstieg von Leberenzymen vermindert werden (66).

Zu beachten ist jedoch, dass ein Teil des Glutamins zu Ammoniak verstoffwechselt wird. Bei Patienten mit Leberzirrhose ist die Plasmakonzentration von Ammoniak aufgrund eines

Einleitung 10 erhöhten portokavalen Shunts und einer eingeschränkten Clearance in der Leber oftmals erhöht und mit der hepatischen Enzephalopathie assoziiert. Die Gabe von 0,5 g/kg/d Glutamin bei einem 70 kg schweren Patienten führt zu einer zusätzlichen Ammoniakproduktion von ca.

70 mmol/h. Nach bisherigen Untersuchungen beträgt die Detoxifikationsfähigkeit für Ammoniak bei Leberzirrhotikern ca. 2,0 mmol/h/kg (140 mmol/h bei 70 kg). Demnach sollte z.B. die Gabe von 0,3 g/kg/d Glutamin ohne wesentliche Erhöhung des Ammoniakspiegels möglich sein. Hierzu fehlen jedoch bisher entsprechende klinische Daten.

Bisher sind keine Untersuchungen publiziert, die den Einsatz von Glutamin bei Patienten mit Leberzirrhose untersucht haben. In der vorliegenden Untersuchung möchten wir den Effekt einer höheren Glutaminzufuhr bei Patienten mit Leberzirrhose zeigen.

Bei Tumorbefall kann der Tumor zu einem Hauptkonsumenten für Glutamin werden, bedingt durch die hohen Reproduktionsraten dieser Zellen (67, 68). Durch den hohen Verbrauch von Glutamin im Tumor kommt es zu einem Abfall der Aktivität der Glutaminase in der Darmmukosa, dem wichtigsten Enzym der Glutaminhydrolyse in den Darmepithelien (69).

Dadurch kommt es zu einem Abfall der Muskel-Glutaminkonzentration. Die Leber ändert in dieser Situation ihre Eigenschaft von einem Glutaminkonsumenten zu einem Glutaminproduzenten. Allerdings kommt es dabei, im Gegensatz zum Fasten oder während einer Azidose, nicht zu einem Ammoniakanstieg im Plasma (68). Der Abfall der Muskel-Glutaminkonzentration und damit das Auftreten einer Mangelernährung konnte in tierexperimentellen Studien durch Glutamingabe verhindert werden, ohne dabei das Wachstum des Tumors zu beschleunigen (70). Durch die Gabe von Glutamin kann möglicherweise auch bei Tumorpatienten einer Malnutrition entgegengewirkt werden.

Ausserdem bestehen Vermutungen, durch die Erhöhung der Anzahl von Zellen in der Mitose diese Tumorzellen anfälliger für zellzyklus-spezifische Chemotherapien zu machen (71).

Allerdings gibt es keine veröffentlichten Ergebnisse bezüglich des Einflusses von Glutamin auf den Verlauf von Tumorerkrankungen.

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