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4. DISKUSSION

4.2. Glutamin und Pankreatitis

Die Behandlung einer akuten Pankreatitis beinhaltet u.a. eine parenterale Ernährung bei Patienten, die über einen längeren Zeitraum nicht in der Lage sind, sich oral zu ernähren (110, 111, 112). Die Ergebnisse unserer Studie lassen einen positiven Effekt einer Glutamin-supplementierten TPE auf den klinischen Verlauf bei Patienten mit akuter Pankreatitis vermuten. Zudem ist sie kostenneutral im Vergleich zu einer isokalorischen, isonitrogenen TPE ohne Glutamin. Eine Glutamin-Supplementation bewirkt eine Reduktion der Länge der parenteralen Ernährung, einen Anstieg von Serumproteinen, was einen verbesserten anabolen Effekt der TPE erkennen lässt. Zudem kann eine signifikant kürze TPE-Dauer, ein Trend zur Reduktion der Länge des Krankenhausaufenthaltes und eine Verminderung des Auftretens von infektbedingten Komplikationen gezeigt werden.

Als Gründe für diesen positiven Effekt bei akuten Pankreatitiden kommen verschiedene Mechanismen in Frage. Intervalle mit Endotoxämien lassen sich regelmäßig bei Patienten mit akuter Pankreatitis finden, wobei das Ausmaß der Endotoxinämie in Zusammenhang steht mit der Schwere der Pankreatitis (113, 114). Die Endotoxinämie scheint zum Teil verantwortlich zu sein für die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine (z.B. Tumor Nekrose Faktor α (TNF-α)), welche die lokale und die systemische Entzündungsantwort (SIRS) vermitteln (113, 114). Infektiöse Komplikationen sind ein häufiges Problem bei nekrotisierender Pankreatitis, wobei das Risiko sekundär endogener Infektionen bei akuter Pankreatitis mit der Dauer der Erkrankung steigt (115). Ein Erklärungsversuch war hier, dass eine Glutamin-Supplementation, die durch die TPE verursachte Zunahme der intestinalen Permeabilität, welche zu bakterieller Translokation, Endotoxinämie und Zytokinfreisetzung führt, verhindert oder zumindest abschwächt. Jedoch konnten in der vorliegenden Studie die Daten bei

Diskussion 54 Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen keinen Effekt einer Glutamin-Supplementation auf die Änderung der intestinalen Permeabilität zeigen. Somit ist zweifelhaft, dass die Hypothese einer Verbesserung der Darmbarriere durch Glutamin-Gabe bei Pankreatitis eine Rolle spielt. Hinweise auf mögliche andere Wirkmechanismen geben die vorliegenden Daten. Hier finden sich Hinweise auf die Beeinflussung des oxidativen Stress oder der Lymphozytenfunktion.

Zu Beginn der Messung waren die Serumkonzentrationen des CRP und des sTNFR-75, einem sensitiven und zuverlässigen Marker der Aktivierung des TNF-α-Systems (116, 78), erhöht.

Nach initialem Abfall der CRP-Konzentration konnte nur in der Kontroll-Gruppe nach 14 Tagen ein erneuter Anstieg des CRP beobachtet werden. Im Gegensatz zu einer Studie mit Traumapatienten (117) gab es während der Untersuchung keine Unterschiede in der sTNFR-75-Konzentration zwischen beiden Gruppen, wahrscheinlich bedingt durch die geringe Anzahl der eingeschlossenen Patienten mit nekrotisierender Pankreatitis. Die Zahl der infektiösen Komplikationen (29% versus 36%) und die Inzidenz einer durch positive Blutkulturen bestätigten Bakteriämie (21% versus 36%) waren etwas geringer in der Glutamin-Gruppe, wobei der Unterschied keine statistische Signifikanz erreichte. Die vorliegende Arbeit hatte bezüglich der Analyse dieses Ergebnisses keine ausreichende statistische Power. Allerdings decken sich unsere Daten mit denen von vorhergehenden Studien mit Patienten nach Knochenmarktransplantationen, großen abdominellen Eingriffen, Polytraumata oder mit kritisch Kranken, welche eine Reduktion der Bakteriämie und Infektionen durch Glutamingabe gezeigt haben (117-121, 38, 78). Ferner konnte in einem Tiermodell mit akuter nekrotisierender Pankreatitis gezeigt werden, dass eine Glutamin-supplementierte parenterale Ernährung in der Lage war, die gastrointestinale Integrität zu erhalten und eine signifikante Reduktion der Infektionen von Pankreasnekrosen (30% versus 86%) zu bewirken (122). Dagegen gelang es in einer Studie von Powell-Tuck et al. nicht, einen positiven Effekt einer routinemäßigen Glutamin-supplementierten TPE bei internistischen und chirurgischen Patienten nachzuweisen (123). Allerdings fanden die Autoren einen Trend zu einer Reduktion der Mortalität und Morbidität in der Glutamin-Gruppe, welcher noch deutlicher wurde, als Untergruppen analysiert wurden. Dies weist darauf hin, dass der Effekt des Glutamin möglicherweise beschränkt ist auf Patienten mit dem Risiko gramnegativer Infektionen. Bei den in der vorliegenden Arbeit untersuchten Patienten war es nicht möglich, orale Tests zur Berechnung der Darmpermeabilität durchzuführen, da die Patienten nichts per os zu sich nehmen durften. Jedoch geben unsere Daten Hinweise auf eine verbesserte Darmfunktion in der Glutamin-Gruppe. So zeigte sich in dieser Gruppe nach

Diskussion 55 7 Tagen parenteraler Ernährung ein signifikanter Anstieg des Citrullin im Plasma. Bei Patienten mit Kurzdarmsyndrom konnte bereits gezeigt werden, dass die Plasmakonzentration des Citrullin mit der Darmfunktion korrelliert (124).

Neuere Studien weisen auf den Nutzen frühzeitiger enteraler Ernährung bei Patienten mit akuter Pankreatitis hin, wobei dieser Effekt auch in Bezug auf den Erhalt der intestinalen Integrität diskutiert wird (111, 49). Dabei wird es interessant sein, eine enterale Glutamin-Substitution bei Patienten mit akuter Pankreatitis zu untersuchen. Der positive Effekt einer solchen Ernährung bei anderen Erkrankungen konnte bereits gezeigt werden (117, 125).

Allerdings gibt es noch immer einen erheblichen Anteil der Patienten mit akuter Pankreatitis, bei denen eine enterale Ernährung nicht möglich, und für die eine TPE erforderlich ist (126).

Verschiedene Studien lassen vermuten, dass einige der Effekte einer Glutamin-Supplementation auf eine Modulation des Immunsystems, insbesondere der Lymphozytenfunktion zurückzuführen sind (76). Bei der akuten Pankreatitis folgt einer initialen Hyperstimulation des Immunsystems, welche früh systemische Komplikationen verursacht, eine Phase mit Störungen des Immunsystems (127). Hierbei scheint letzteres verantwortlich zu sein für eine erhöhte Anfälligkeit für infektiöse Komplikationen und eine verzögerte lokale und systemische Immunantwort (94). De Beaux et al. konnten bei Patienten mit akuter Pankreatitis, die Glutamin erhielten, eine gesteigerte Lymphozytenproliferation und eine Reduktion proinflammatorischer Zytokine (z.B. Interleukin 8) zeigen (128).

Klinische Effekte konnten aufgrund der kleinen Studiengröße nicht beobachtet werden, allerdings ist von einer anderen Arbeit her bekannt, dass Interleukin 8 positiv mit der Schwere der Erkrankung bei akuter Pankreatitis korreliert (129). In der vorliegenden Arbeit konnte nur in der Glutamin-Gruppe ein Anstieg der Lymphozytenzahlen festgestellt werden (Abb. 2).

Wir haben keine Lymphozyten-Funktionstests durchgeführt, sodass hier keine definitive Aussage darüber gemacht werden kann, ob Glutamin die Lymphozytenfunktion bei unseren Patienten mit akuter Pankreatitis moduliert.

Bei akuter Pankreatitis werden Sauerstoffradikale als ein weiterer Grund von Organschäden angesehen. Eine Reduktion des Gluthations, einem wichtigen Antioxidant, ist assoziiert mit einem schweren Verlauf der akuten Pankreatitis (130). Oxidativer Stress beschleunigt die schnelle Aktivierung von Trypsin, was der erste pathophysiologische Schritt bei der Ausbildung der akuten Pankreatitis ist (131). Glutamin und Cystin sind limitierende Vorstufen von Gluthation. Eine Glutamin-Supplementation hingegen bewirkt bei Tieren einen verbesserten Gluthationstatus und eine verbesserte antioxidative Kapazität des Gewebes (132). Auch wenn wir die Gluthationkonzentration im Plasma nicht gemessen haben, so

Diskussion 56 konnten wir dennoch einen signifikanten Anstieg des Cystins in der Glutamin-Gruppe nach 14 Tagen messen, was für einen verbesserten Redoxstatus spricht.

Glutamin ist im menschlichen Körper die höchstkonzentrierte Aminosäure und hat eine zentrale Rolle in vielen metabolischen Prozessen (z.B. als Transporter von Stickstoff und Kohlenstoffgerüsten zwischen Organen, als Vorstufe für Nukleotide und Gluthation oder als Regulator der Aminosäurebalance) (133). Bei Betrachtung der Studienpopulation zeigt die Analyse der Aminosäuren nur moderate Unterschiede der Plasmaglutaminkonzentration zwischen den beiden Gruppen im Verlauf der Studie. Wie bereits im Kapitel 4.1 erwähnt, schließt jedoch ein konstanter Glutaminspiegel im Plasma einen intrazellulären Glutamin-Effekt nicht aus (109).

Bemerkenswert ist in der vorliegenden Studie, dass die Patienten mit akuter Pankreatitis und deutlichen systemischen Entzündungszeichen (CRP > 100 mg/l) zu Beginn der Untersuchung einen signifikant erschöpften Plasma-Glutamin-Pool mit besserem Ansprechen auf Gln+-TPE zeigten, als die Patienten mit moderaten Entzündungszeichen (CRP < 100 mg/l). Diese Daten bestätigen frühere Resultate mit gesteigertem Glutaminverbrauch von schwerkranken Patienten (120, 109) und sprechen für die Glutamin-supplementierte TPE in klinischen Situationen, die durch gesteigerte Glutaminbedürfnisse gekennzeichnet sind.

Daneben gibt es aber auch direkte Effekte einer Glutamin-Supplementation auf das Pankreas.

Bei Tieren führte eine Standard-TPE zu einer Pankreasatrophie, welche durch eine Supplementation verhindert werden konnte (57). Ebenso verbessert eine Glutamin-Supplementation die endokrine und exokrine Pankreasfunktion (134, 57). Dies könnte den Übergang zu oraler Ernährung nach TPE erleichtern. Desweiteren verhindert Glutamin den biliär lithogenen Effekt einer TPE (133), was, besonders bei biliärer Pankreatitis, ein zusätzlicher positiver Effekt sein könnte. Die Bedeutung des Glutamin als ein wichtiges Substrat für das Pankreas wurde in einer kürzlich veröffentlichten in vivo-Studie unter Verwendung der Positronen Emissions Tomographie bestätigt (125). Dabei zeigte sowohl bei Tieren als auch beim Menschen das Pankreas den größten Uptake von intravenös infundiertem 11C-markiertem Glutamin und 11C-markiertem Glutamat.

Bei akuter Pankreatitis konnte eine Schrumpfung der Azinuszellen beobachtet werden (135), welche eine mögliche Erklärung für die bei akuter Pankreatitis auftretende sekretorische Blockade der im Pankreas produzierten Verdauungsenzyme liefert, die die vorzeitige intrazelluläre Enzymaktivierung begünstigt (136). Eine Glutamin-Supplementation kann in vitro das Zellvolumen erhöhen (137), sowie vor Flüssigkeitsretention und Steigerung des extrazellulären Flüssigkeitsraumes bewahren (138). Daher könnte die Steigerung der

Diskussion 57 Zellhydratation ein weiterer Machanismus sein, durch den eine Glutamin-Supplementation eine verbesserte exokrine Sekretion und eine verminderte intrazelluläre Enzymaktivierung bewirkt. Das Ausmaß der Zellschrumpfung ist auch abhängig vom Proteinkatabolismus (135).

Obwohl wir in der vorliegenden Studie isonitrogene TPE verwendet hatten, konnten wir nur in der Glutamin-Gruppe einen signifikanten Anstieg von viszeralen Exportproteinen, wie Albumin und Transferrin, was ein verbessertes Ansprechen auf die Ernährung zeigt, nachweisen.

Die Einführung einer neuen Behandlung wirft immer gleichzeitig auch die Frage nach den durch diese spezielle Maßnahme verursachten Kosten auf (139). Glutamin ist immer noch teuer und seine Verwendung bedingt höhere tägliche Kosten. Dessen ungeachtet waren in unserer Studie die Gesamtkosten für die TPE mit Glutamin-Substitution aufgrund der kürzeren Dauer der parenteralen Ernährung in der Glutamin-Gruppe in beiden Gruppen gleich. Dies zeigt, dass bei akuter Pankreatitis die Anwendung von Glutamin kostenneutral ist. Zudem könnte der Trend zu einer verringerten Dauer des Krankenhausaufenthaltes eine Reduktion der Gesamtbehandlungskosten pro Patient bedingen.