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Globalisierung und Internationalisierung der Aufgaben

Kapitel 1. Die Integrationsentwicklung in Europa

B. Die Integrationsentwicklung beeinflussende Faktoren:

I. Globalisierung und Internationalisierung der Aufgaben

In der russischen Rechtswissenschaft wird zwischen der Internationalisierung der internatio-nalen Aufgaben und der Globalisierung unterschieden: Unter dem Begriff der Globalisierung versteht man das Bestehen von globalen Problemen. Internationalisierung wird als zunehmende wirtschaftliche, technische und kulturelle Verflechtung verstanden. Die Globalisierung wird grundsätzlich auf die globalen Probleme bezogen. Globalisierung ist gleichbedeutend mit den großen Problemen zwischen Gesellschaft und Natur, mit denen sich die Menschheit zunehmend konfrontiert sieht, so etwa Umwelt- und Luftverschmutzung,

64 Schestakov, L.N., Ponjatie mezdunarodnogo prawa (Der Begriff des Völkerrechts)/ Vorlesung. Westnik Moskovskogo Universitäta. Serie 11. Das Recht. 1997. N6. S. 92

sowie die Entwicklung von Atomenergie und Atomwaffen, Überbevölkerung, Klimaerwärmung und Energiekrisen. Unter Internationalisierung wird ein wechselseitiger wirtschaftlicher Zusammenhang verstanden, der mit der technischen Entwicklung und mit der strukturellen Veränderung der Weltwirtschaft einhergeht.

Hieraus folgend hat sich die Aufteilung auf Globalisierung und Internationalisierung in der russischen Rechtswissenschaft festgesetzt. Diese Aufteilung, die in der westlichen Litera-tur nicht gezogen wird, hat sich der Forschung des berühmten russischen Völkerrechtler Tun-kin zu verdanken. Er hat sich intensiv mit der völkerrechtlichen Entwicklung in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg beschäftigt. Die rasende Waffenentwicklung in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und die Notwendigkeit der Friedenssicherung führten zur Behandlung von globalen Problemen als einem die Integrationsentwicklung beeinflussenden Sonderfaktor, der zur Entstehung von universellen völkerrechtlichen Organisationen führte. In den späteren Jahren kamen die Umwelt- und Energieprobleme dazu.

Die Globalisierung gehört eindeutig zu den wichtigsten Ursachen der Integration. Die russischen Autoren bekunden großes Interesse an den so genannten globalen Probleme, die nicht einseitig von einzelnen Staaten gelöst werden können.

Die globalen Probleme werden als Probleme wissenschaftlicher, technischer, sozialer und politischer Natur definiert, die die Interessen aller Menschen beeinflussen, einen globalen Charakter haben und deswegen für ihre Bewältigung die Bemühungen aller Staaten und Men-schen benötigen. Diese Probleme haben einen wichtigen Einfluss auf die zukünftige Entwick-lung der Menschheit, so Zagladin und Frolov.65

Als räumliche und inhaltliche Interdependenz lässt sich die Globalisierung in mehreren Bereichen des internationalen Lebens beobachten: als wirtschaftliche Globalisierung, die mit der immer einheitlicheren Marktstruktur unter dem Einfluss der WTO und einheitlichen Handelsstandards zu tun hat. Damit hängt die technologische Globalisierung zusammen, die verschiedene Kommunikations- und Produktionstechnologien, z.B. die Internetverbreitung umfasst. Das neue Verständnis der Beziehung zwischen Staat und Individuum führt zur Ver-breitung von allgemeinen Standards des Menschenrechtsschutzes und des demokratischen Rechtsstaates. Klimaerwärmung und Energiekrisen sind Beispiele für die ökologische globale Probleme. Die Globalisierung hat durch die Entstehung der Massenkultur auch eine kulturelle Dimension. Solche globalen Probleme wie ökologische Katastrophen und

65 Zagladin, V.V., Frolov, I.T., Globalnyje problemy sovremennosti: nauschnyje i sozialnyje aspekty (Die glob-alen Probleme der Gegenwart: wissenschaftliche und soziale Aspekte). Moskau 1981. S. 45

Umweltverschmutzung, Kriminalität oder Arbeitslosigkeit haben einen wesentlichen Einfluss auf die internationalen Beziehungen. Der Zerfall des kommunistischen Systems gehört auch zu den wichtigsten Problemen der heutigen Welt. Er hat die internationalen Beziehungen nicht nur in Europa, sondern überall auf der Welt beeinflusst.

Momentan ist die zunehmende Globalisierung jedoch auch innerhalb Europas selbst eine Herausforderung, vor der die Europäische Union steht: Die Verdoppelung der Zahl ihrer Mitgliedstaaten stellt die EU vor eine Reihe schwieriger Aufgaben, deren Lösung einerseits eine verstärkte Supranationalität, anderseits aber mehr Flexibilität und Demokratisierung des institutionellen Systems benötigt. Dieser Aspekt äußert sich vor allem als Legitimationspro-blem. Die zunehmende Globalisierung und die damit zusammenhängende Verbreitung der In-ternationalen und supranationalen Organisationen stellt das Legitimitätsproblem hinsichtlich dieser organisatorischen Formen. Nicht nur die Staaten als klassische Hoheitsträger müssen durch die Bevölkerung legitimiert werden, sondern auch andere Integrationsformen, die im Globalisierungsprozess immer mehr Kompetenzen gewinnen. Innerhalb der Europäischen Union wird das Legitimitätsproblem als «demokratisches Defizit» und als die Notwendigkeit von mehr Transparenz und Verständlichkeit der Gesetzgebung beschrieben. Deswegen plädiert man für eine Verfassung für die Europäische Union, weil die auf der supranationalen Ebene akkumulierte Gewalt «dringend der direkten demokratischen Legitimation bedarf», so Arnold.66

Die Aufgabenbewältigung globalisiert sich aus der Natur der Aufgabe, aus den Bedürf-nissen der Zusammenarbeit heraus. Alle genannten Aspekte der Globalisierung haben Aus-wirkungen auf die Rechtsordnungen und führen zur Verbreitung von Organisationsformen un-terschiedlicher Natur. Damit im Zusammenhang steht auch die Tatsache, dass die Globalisierung die völkerrechtliche Rechtsordnung sowohl strukturell als auch inhaltlich be-einflusst. Die Zahl der zwischenstaatlichen Verträge wird größer und immer mehr völker-rechtliche Verträge regeln die zwischenstaatliche Zusammenarbeit in den Bereichen, in denen globale Probleme auftreten. Als Beispiele seien das Kyoto-Protokoll oder die Menschen-rechtskonvention genannt. Die Integrationsentwicklung und Institutionalisierung der interna-tionalen Beziehungen sind kennzeichnend für das moderne Völkerrecht. Martens schrieb in seinem Kurs «Das zeitgenössische Völkerrecht der zivilisierten Völker», dass «die Staaten in ihren Beziehungen unter dem Einfluss der unverbrüchlichen Lebensnotwendigkeit und

66 Arnold R., Thesen zur Frage der Konstitualisierung und Demokratisierung in der EU in:International and Comparative Law Review, Bd. 9, Olomouc 2003. S. 41-51

Verhältnisse handeln. Dieser Einfluss bestimmt auch die Bedingungen, unter denen die Staaten ihre Ziele erreichen können. Diese Bedingungen nehmen die Form von Rechtsnormen an. Wenn internationale Verträge die Lebensverhältnisse zwischen den Staaten formulieren, bilden die Rechtsnormen den Inhalt der zwischenstaatlichen Verträge».67

Talalaev verweist auf die Veränderungen der internationalen Beziehungen: «Die interna-tionalen Beziehungen sind über den traditionellen zwischenstaatlichen Rahmen hinausge-gangen. Es findet eine immer stärkere Institutionalisierung der internationalen Beziehungen und der internationalen Zusammenarbeit statt. Dieser Prozess hat einen objektiven Charakter.

Die globalen Probleme, vor denen die Menschheit steht (wie die Aufgabe der Frie-denserhaltung, Energie- und Umweltprobleme usw.) fordern die Bemühungen aller Staaten, die auf einer dauerhaften Basis mit der Hilfe eines Sondermechanismus vereinigt sind. Solche Probleme können von den einzelnen Staaten nicht zweckmäßig gelöst werden. Hier spielen die internationalen Organisationen eine aktive Rolle».68

Laut Grohalskij69 spielen multilaterale Verträge, die Normen für alle oder für die Mehr-heit von Staaten enthalten, bei der Regelung der globalen Probleme eine Sonderrolle. Der Wandel der internationalen Beziehungen hat also nicht nur eine Verstärkung der Rolle der völkerrechtlichen Verträge, sondern auch die Änderung des Charakters der in ihnen veran-kerten Normen zur Folge. Die Normen selbst und die Sicherstellung ihrer Einhaltung haben einen integrativen Charakter. Grohalskij gründet seine Meinung auf der Spezifik des gegen-wärtigen globalen Sicherheitssystems, das eine Zusammenarbeit in allen Bereichen des in-ternationalen Lebens benötigt. Die wechselseitige Abhängigkeit habe dazu geführt, dass die Festigung der eigenen Sicherheit auf Kosten der anderen nicht mehr möglich sei, so Grohals-kij.70 Eine solche Veränderung in den internationalen Beziehungen hatte die Verstärkung der Integration zur Folge. Die Vermehrung der Zahl internationaler Verträge und die Erhöhung der Rolle der Internationalen Organisationen sind die Folgen einer solchen Notwendigkeit für die internationale Zusammenarbeit.

67 Martens, F., Sowremennoje mezdunarodnoje prawo zivilizovannyh narodov (Das zeitgenössische Völker-recht der zivilisierten Völker). Moskau 1996. 1 Band. S. 265f

68 Talalaev, A.N., Prawo mezdunarodnyh dogoworov . Dogowory s uchastiem mezdunarodnah organisazij (Das Recht der völkerrechtlichen Verträgen. Die Verträge mit der internationalen Organisationen). Moskau.

19889. S.50f.

69 Grohalskij, S., Gosudarstwa w reschenii aktualnyh globalnyh problem (mezdnunarondo- prawovyje aspekty) (Die Staaten bei der Lösung aktueller globaler Probleme (Die völkerrechtlichen Aspekte). Moskau 1998. S. 6

70 Grohalskij, S., Gosudarstva v reschenii aktualnyh globalnyh problem. S. 22

Wie Kazanskij angemerkt hat, «kann eine Internationale Organisation nur beim Vor-handensein von drei Bedingungen entstehen: gemeinsame Ziele, Interessen und eine Gefahr».71

Die Veränderung des Charakters der Internationalen Organisationen erweist sich als Merkmal der dynamischen Integrationsentwicklung unter Globalisierungsverhältnissen. Der sachliche Kompetenzbereich der Organisationen wird erweitert. Dies entspringt der Notwen-digkeit, einen breiteren Problemkreis zu regulieren. Die Rechtszuständigkeit ändert sich, was sich aus der Notwendigkeit erklärt, eine einheitliche Regulierung zu erreichen. Nach Meinung von Kasanskij, wird die Vermehrung der administrativen Unionen den Krieg eher beseitigen als alle Entwürfe der politischen Reorganisation der Welt.72 Mit anderen Worten sind die In-ternationalen Organisationen ein Rechtsweg, auf die globalen Probleme zu reagieren, ein Weg, der diese Probleme zu regulieren und zu lösen ermöglicht.

Auch in der Gründung der Europäischen Gemeinschaften hat sich die Idee der Integrati-on als Antwort auf die Entstehung der globalen Probleme verwirklicht: So wird in der Präam-bel des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften für Kohle und Stahl be-tont, dass der Beitrag, den ein organisiertes und lebendiges Europa für die Zivilisation leisten kann, zur Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen unerlässlich ist, Europa nur durch kon-krete Leistungen, die zunächst eine tatsächliche Verbundenheit schaffen und durch die Errich-tung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung aufgebaut werden kann.

An die Stelle der jahrhundertealten Rivalitäten muss ein Zusammenschluss ihrer wesentlichen Interessen rücken. Durch die Errichtung einer wirtschaftlichen Gemeinschaft muss der erste Grundstein für eine weitere und vertiefte Gemeinschaft der Völker gelegt werden, die lange Zeit durch blutige Auseinandersetzungen entzweit waren. Und es müssen die institutionellen Grundlagen geschaffen werden, die einem nunmehr allen gemeinsamen Schicksal die Rich-tung weisen können».73

71 Kamarovskij, L ., Wopros o mezdunarodnoj organisazii. Objedinenyje Staaty Ewropy (Die Frage der internationalen Organisation. Die Vereinigten Staaten Europas). Moskau 1905. S. 53, S. 101

72 Kasanskij, G., Vseobschjie administrativnyje Souzy (Die allgemeinen administrativen staatlichen Vereine).

1987. Band 2. S. 350.

73 Europarecht. Textausgabe.13. Aufl. Baden-Baden

2. Die Internationalisierung

Unter Internationalisierung versteht man – nach Tunkins Auffassung – die Verstärkung und die Entwicklung der multilateralen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, technischen und anderen Verbindungen zwischen den Staaten, die als Ergebnis der internationalen Arbeitstei-lung, ihrer Spezialisierung und Kooperation erscheinen.74 Gemeinsam mit den globalen Pro-blemen beeinflusst die Internationalisierung des heutigen wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Lebens sowohl die internationalen Beziehungen, als auch das Völkerrecht und führt zu einer weiteren Entwicklung der Integrationsformen.

Die Verstärkung des wechselseitigen Zusammenhangs zwischen den Staaten hat auch Bobrov als unmittelbaren dynamischen Faktor der Entwicklung der Formen der schenstaatlichen Zusammenarbeit und des Völkerrechts anerkannt. Der Zusammenhang zwi-schen den Staaten sei nicht bloß die Notwendigkeit von wirtschaftlichen Beziehungen, son-dern stelle eine gesellschaftliche Gesetzmäßigkeit dar. Die Internationalisierung gehe mit der Entstehung der Staaten als solchen einher.75

Die Europäischen Gemeinschaften geben ein wichtiges Beispiel einer solchen Integra-tionsaufgabe. Nach Artikel 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, ist es das Ziel der Gemeinschaft, durch die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Verfolgung einer gemeinsamen Politik und der Durchführung bestimmter Maßnahmen, eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftsleben innerhalb der Gemeinschaft und ein beständiges, nichtinflationäres und umweltverträgliches Wachstum zu gewährleisten und damit den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.76 Die Bedürfnisse der wirtschaftlichen Integration bedingten den Übergang von Bereichen des gemeinsamen Marktes auf die Ebene der Internationalen Organisationen. Die wirtschaftliche Integration wurde zur Basis für die weitere Verstärkung der supranationalen Elemente in der EG - Praxis:

Schaffung der gemeinsamen Rechtsordnung durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, Entwicklung der gemeinsamen Rechtsprinzipien des EU - Rechts und weitere Vereinheitlichung der EU – Rechtsnormen. Die Logik der Integration führte zur sozialen und politischen wechselseitigen Abhängigkeit.

74 Tunkin, G.I., Teorija mezdunarodnogo prawa (Die Theorie des Völkerrechts). S. 346

75 Bobrov, R. L., Osnownyje problemy teorii mezdunarodnogo prawa (Die Hauptprobleme der Theorie des Völkerrechts). S. 11

76 EG-Vertrag Kommentar. Hrsg. Lenz. 1. Aufl. 1994. S. 9

II. Der Wandel des Bewusstseins. Die Anthropozentrik des modernen Völkerrechts