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Kapitel 3. Souveränität und die Europäische Union. Verschiedene Integrationsformen

A. Die Völkerrechtspechtspersönlichkeit allgemein aus russischer Sicht

II. Die Rechtsnatur und die Rechtspersönlichkeit Internationaler Organisationen

2. Definition Internationaler Organisation

i) Historische Entwicklung der Internationalen Organisationen aus der Perspektive der zunehmenden Integration

Die Problemstellung der Rechtspersönlichkeit Internationaler Organisationen im historischen Zusammenhang bietet ein wichtiges Kriterium für die Integrationsforschung. Die Internatio-nalen Organisationen hatten nicht immer die Qualität der völkerrechtlichen Rechtspersönlich-keit und stellen dadurch ein Beispiel der historischen Dynamik dar. Darüber hinaus waren sie nicht immer als Subjekte des Völkerrechts anerkannt, deswegen stellt ihre Forschung eine wichtige methodische Entwicklung in der Rechtswissenschaft dar, die für die Forschung der supranationalen Organisationen und föderativen Formen wichtig ist. Die Methoden der For-schung zu Internationalen Organisationen machen die Definitionen und die Abgrenzung der Organisationen von anderen Völkerrechtssubjekten deutlich.

Die Rechtsstellung der Internationalen Organisationen war in der russischen Rechts-wissenschaft lange ein Diskussionsthema.Eine Gruppe von russischen Wissenschaftlern er-kannte die Rechtspersönlichkeit der Internationalen Organisationen überhaupt nicht an. Mod-zoryan321 war z. B. der Meinung, dass der Gründungsvertrag kein neues Subjekt des Völker-rechts schaffe, sondern den Mitgliedstaaten bestimmte Rechte und Pflichten verleihe. Der gleichen Meinung war Schurschalov, der die Internationalen Organisationen als eine Art der zwischenstaatlichen Beziehungen, als eine Form der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit be-handelte.322 Eine der wichtigsten Bestandteile der völkerrechtlichen Rechtspersönlichkeit, nämlich die Teilnahme am völkerrechtlichen gesetzgeberischen Prozeß wurde hinsichtlich der Internationale Organisationen unterschiedlich interpretiert. So wurde etwa die Teilnahme In-ternationaler Organisationen an der Vorbereitung und Unterzeichnung von internationalen Verträgen unterschiedlich beurteilt. In der Sowjetunion der sechziger Jahre wurde sie nicht von allen Wissenschaftlern als gesetzgeberische Tätigkeit im Völkerrecht anerkannt. Es gab unterschiedliche Einschätzungen der Teilnahme von Internationalen Organisationen an der Vorbereitung von Texten völkerrechtlicher Verträge und der Unterzeichnung von Verträgen seitens Internationaler Organisationen. Manche Wissenschaftler erkannten das Recht

Interna-321 Modzoryan, L. A. K woprosu o subjektah mezdunarodnogo prawa. Sowjetskoje gosudarstwo i prawo. Zu der Frage über die Subjekte des Völkerrechts. Der Sowjetische Staat und Recht. 1956. N6. S. 97f

322 Siehe z. B. Schurschalov, V. M., Mezdunarognyje otnoschenija. Die internationalen Beziehungen. Moskau 1971

tionaler Organisationen, selbständig völkerrechtliche Normen zu schaffen, nicht an. Modzor-jan schreibt folgendes: «Die Ziele der UNO sind die Ziele, die von den Mitgliedstaaten ver-folgt werden, sie haben in dem Statut die Mittel und Wege dazu vorgesehen. Die An-erkennung der UNO als Völkerrechtspersönlichkeit, mit anderen Worten die AnAn-erkennung der öffentlichen Funktionen der Organisation führt zur ihrer Entgegenstellung gegenüber der Mit-gliedstaaten und zu einer Verwandlung in den «Suprastaat».323 Dieser Standpunkt kommt auch in der westlichen Literatur als Diskussionsthema vor.324

Diese Position wurde in der russischen Literatur sehr stark kritisiert als falsches Gleichsetzen zweier Begriffe: der Völkerrechtspersönlichkeit und der staatlichen Souveräni-tät. Die Festlegung der völkerrechtlichen Rechtspersönlichkeit auf Grund der Souveränität führt zu einer Begrenzung des Kreises der völkerrechtlichen Subjekte. Die Souveränität soll die Grundlage für die Klassifizierung der Subjekte des Völkerrechts sein, ein Kriterium für ihre Einteilung in primäre und sekundäre Subjekte, souveräne und nicht-souveräne.325

Die Unterzeichnung von völkerrechtlichen Verträgen durch Internationale Organisa-tionen wird als kritisches Hauptargument gegen diese Theorie vorgebracht. Die Verneinung der Rechtspersönlichkeit Internationaler Organisationen steht im Widerspruch zur völker-rechtlichen Rechtsordnung, die das Recht zur Schaffung völkerrechtlicher Normen für das Grundkriterium der völkerrechtlichen Subjektivität und der Rechtspersönlichkeit hält. Ta-lalaev nennt das Recht zum Abschluß völkerrechtlicher Verträgen als ein Hauptmerkmal der völkerrechtlichen Subjektivität. Ohne dies kann keine Organisation als Rechtssubjekt gelten.326

Die Kritik von Feldman sollte für richtig gehalten werden: Die, die Rechtspersönlich-keit der Internationalen Organisationen verleugnende Theorie identifiziert die völkerrechtli-che Rechtspersönlichkeit mit der Souveränität und schränkt dadurch unnötig den Kreis der völkerrechtlichen Subjekte ein. Die Souveränität dient als objektives Kriterium der Klassifi-zierung von völkerrechtlichen Subjekten, nach dem zwischen Hauptsubjekten (souveränen) und den anderen (nicht-souveränen) unterschieden wird.327 Diese Klassifizierung hilft, die

323 Modzojan, L. A., Subjekty mezdunarodnogo prava. Subjekte des Völkerrechts. Moskau 1958

324 Siehe z. B. Meng, W., Das Recht der internationalen Organisationen - eine Entwicklungsstufe des Völker-rechts. Baden- Baden 1979

325 Mezdunarodnaja prawosubjektnostj (teoretitcheskije woprosy).Die Völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit (theoretische Fragen). Moskau 1971. S. 10ff

326 Talalaev, A. N., Prawo mezdunarodnyh dogoworow. Dogowory s utchastiem mezdunarodnah organisazij.

Das Recht der völkerrechtlichen Verträgen. Die Verträge mit den Internationalen Organisationen. Moskau 1989. S. 60f

327 Die völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit. Theoretische Fragen. Hrgb. Feldman, D. I. Moskau 1971. S. 10f

Besonderheiten der rechtlichen Stellung von Internationalen Organisationen im Völkerrecht zu klären.

Die allgemeine Nichtanerkennung der Rechtspersönlichkeit Internationaler Organisa-tionen wurde von mehreren russischen Autoren auf Grund der historischen Entwicklung der sekundären völkerrechtlichen Rechtspersönlichkeit kritisiert. Schibaeva betont die historische Entwicklung der Rechtsstellung Internationaler Organisationen im Völkerrecht: «Die völker-rechtliche Rechtspersönlichkeit ist kein universelles Merkmal in der Definition der Internatio-nalen Organisation. Die ersten InternatioInternatio-nalen Organisationen – die internatioInternatio-nalen adminis-trativen Bündnisse – hatten keine völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit. Sie ist erst später entstanden. Aber am Ende des 20. Jahrhunderts haben fast alle zwischenstaatlichen Organisa-tionen internationale Rechtspersönlichkeit.»328 Die Autorin ist der Meinung, dass in der Zeit der zunehmenden Integration und wechselseitigen Abhängigkeit fast jede gegründete Interna-tionale Organisation die völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit besitzt, um ihre Aufgaben ent-sprechend erfüllen zu können.

In den heutigen Publikationen wird dieser Standpunkt als aufgehoben nicht mehr disku-tiert, und die russische Rechtswissenschaft erkennt die Völkerrechtssubjektivität Internationa-ler Organisationen an. Die russische Doktrin behauptet, in der heutigen Situation der wirt-schaftlichen Verflechtung und Globalisierung gibt es kaum Organisationen, die ähnlich der früheren Organisationen keine völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit haben. Das wichtigste, für alle Subjekte des Völkerrechts geltende Merkmal sei die Fähigkeit, am gesetzgeberischen Prozess im Völkerrecht teilzunehmen, weil das Völkerrecht die einzige Rechtsordnung sei, deren Normen von den eigenen Subjekten geschaffen sind.

Die internationale Rechtspersönlichkeit basiert auf der Fähigkeit, an internationalen Be-ziehungen teilzunehmen. Eine Internationale Organisation kann Teilnehmer an den internatio-nalen Beziehungen werden, weil sie auf einer zwischenstaatlichen Basis gegründet worden ist. Hinsichtlich der Internationalen Organisationen ist eine solche Fähigkeit vom Willen der Mitgliedstaaten abhängig.

328 Schibaeva, E. A.; Potochnij, M., Prawowyje woprosy struktury i dejateljnosti mezdunarodnyh organisazij.

Die rechtlichen Fragen der Struktur und Tätigkeiten Internationaler Organisationen. MGU. 1988. S. 20

ii) Die Besonderheit der sekundären Subjekte des Völkerrechts:

der Umfang und die Bestandteile der Rechtspersönlichkeit.

Insofern kann die in der russischen Rechtsliteratur herrschende Meinung wie folgt zu-sammengefaßt werden: Die Internationalen Organisationen sind Subjekte des Völkerrechts, die sich von den Hauptsubjekten – den Staaten – unterscheiden.

Die Rechtssubjektivität der Internationalen Organisationen liegt nicht in der Souveräni-tät begründet, sondern wird von den Gründungsstaaten im Vertrag festgelegt. Damit bekom-men verschiedene Internationale Organisationen verschiedene Kompetenzen, je nach der his-torischen Situation, den Aufgabengebieten und der Zielsetzung. Der Umfang der Kompeten-zen bestimmt auch die Rechtssubjektivität und die Rechtsnatur der Organisation.

Laut Zippelius sind die Zwecke, die ein Staat verfolgt und das Ausmaß der Befugnisse bzw. die Herrschaftsformen immer von der historischen Situation bestimmt und diese Frage

«lässt sich nicht …für alle Zeiten in gleichbleibender Weise beantworten.»329 Welche Befug-nisse in der Kompetenz eines Staates bleiben und unentbehrlich für die Staatlichkeit sind und welche an die Internationale Organisation übertragen werden, wird abhängig von der histo-rischen Situation in den Normen des Gründungsvertrages bestimmt.

Bekanntlich wurden an die Europäische Gemeinschaft mehrere wichtige Kompetenzen übertragen, die zum Teil den Kern staatlicher Kompetenzen bilden. Die Europäische Union bekam noch weitere Sachzuständigkeiten, die aber andere juristische Qualität besitzen und den Charakter von Teilrechtsordnungen haben.

Unter der Rechtsnatur einer Internationalen Organisation verstehe man – nach dem be-deutendsten russischen Völkerrechtler Tunkin – ihre wichtigsten völkerrechtlichen Wesens - züge.330 Der Besitz der völkerrechtlichen Rechtspersönlichkeit ergibt sich im Fall einer In-ternationalen Organisation nicht aus der bloßen Tatsache ihres Vorhandenseins (wie im Fall eines Staates), sondern entsteht auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrags und bildet sich aus der Summe bestimmter Eigenschaften. Bei den sekundären Rechtspersonen ist der Umfang ihrer Machtbefugnisse und ihrer Rechtspersönlichkeit besonders wichtig. Da die Internationa-len Organisationen die sekundären Subjekte des Völkerrechts sind, ist die Gesamtheit der für die völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit notwendigen Merkmale unerlässlich, um eine Organisation als Völkerrechtssubjekt zu beschreiben. Die Gesamtheit dieser Merkmale ist das

329 Zippelius, R. Allgemeine Staatslehre. Politikwissenschaft. 14. Auflage. 2003. S. 53

330 Tunkin, G. I., Teoria mezdunarodnogo prawa (Die Theorie des Völkerrechts). Moskau 2000. S. 269

Kriterium der sekundären völkerrechtlichen Rechtspersönlichkeit. Dazu gehören folgende Merkmale:

3. Die Merkmale der Völkerrechtspersönlichkeit Internationaler Organisationen mit