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Gesundheitsdelikte - Abrechnungsbetrug (§263 StGB) PKS-Schlüssel 5181 a) Begriffsbestimmung

3.3 Detailbetrachtung einzelner Deliktsfelder des Sondermeldedienstes .1 Finanzierungsdelikte

3.3.6 Gesundheitsdelikte - Abrechnungsbetrug (§263 StGB) PKS-Schlüssel 5181 a) Begriffsbestimmung

Der Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen besteht in der betrügerischen Erlangung von Geldleistungen von Krankenkassen, Krankenversicherungen und Beihilfestellen durch Ange-hörige medizinischer oder pharmazeutischer Berufe sowie Krankenhäusern und Sanatorien.

Gemäß der Richtlinien über den kriminalpolizeilichen Nachrichtenaustausch bei Wirtschafts-delikten versteht man unter GesundheitsWirtschafts-delikten "Abrechnungsbetrug (§ 263 StGB) - enthal-ten in PKS-Schlüssel 5181". Die sonstigen Deliktsformen im Zusammenhang mit dem Wein-gesetz und Lebensmittelrecht (bei Anklage vor einer Wirtschaftsstrafkammer), die auch den Gesundheitsdelikten zugeordnet werden, sind nicht Gegenstand der nachfolgenden Betrach-tung.

b) Statistik (PKS)

Anmerkung: Der Text zum PKS-Schlüssel 5181 ist weiter als nur in Bezug auf das Gesund-heitswesen formuliert und ermöglicht somit auch die Erfassung von Abrechnungsbetrug unter anderem durch Anwaltskanzleien, Notare, Steuerberater, die nach einer Gebührenordnung abzurechnen haben.

Des Weiteren ist Abrechnungsbetrug nicht zwangsläufig Wirtschaftskriminalität. Das wird in der PKS dadurch deutlich, dass die in der Gesamttabelle der PKS 2004 aufgeführten Fallzah-len im Abrechnungsbetrug eine Gesamtsumme von 11.159 volFallzah-lendeten FälFallzah-len (2003: 13.781) erreichen, davon jedoch lediglich 3.672 (2003: 3.411 Fälle) der Wirtschaftskriminalität zuzu-rechnen sind. Gleiches gilt für die diesbezügliche Erfassung der Täter: Während die PKS in Bezug auf den Abrechnungsbetrug insgesamt 2.031 Tatverdächtige ausweist, sind dies im Bereich "Wirtschaftskriminalität" lediglich 512 Personen.

Der Anstieg in diesem Deliktsbereich setzte sich auch im Jahr 2004 fort. Die Zahl der als Wirtschaftskriminalität ausgewiesenen vollendeten Fälle liegt im Berichtsjahr bei 3.672 und bedeutet somit eine Steigerung von 7,7 % gegenüber dem Vorjahr.

Fall-/Schadensentwicklung 2000 - 2004

3.672 3.411

3.238 362 883

145,3

20,7 140,52

25,32 6,92 9,85

0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 4.000

2000 2001 2002 2003 2004

0,00 20,00 40,00 60,00 80,00 100,00 120,00 140,00

Fallentwicklung Schadensentwicklung in Mio. Euro

Der Anstieg ist auch durch den Abschluss von Verfahren im Zusammenhang mit privatärztli-chen Liquidationen erklärbar, dass nach einem BGH-Beschluss jede falsche Rechnung eine Tat darstellt. Darin sind auch Ermittlungsverfahren gegen Kassenärzte enthalten, die Leistun-gen an toten Patienten abgerechnet haben.

Auch weiterhin hellen die Strafverfolgungsbehörden auf Grund der erkannten Relevanz des Deliktsbereiches das Dunkelfeld durch Ermittlungsaktivitäten auf.

Die Gründe für die gleichwohl zu vermutende hohe Dunkelziffer liegen in einem weitgehend unkontrollierten Abrechnungssystem, in dem vor allem im Bereich der gesetzlichen Kranken-kassen für die betroffenen Patienten keine Möglichkeit besteht, die ärztlichen Liquidationen mit den tatsächlich erbrachten Leistungen abzugleichen. Auch das Anzeigeverhalten in die-sem Deliktsfeld ist gering ausgeprägt: Abrechnungsmanipulationen werden von den Kassen-ärztlichen Vereinigungen (KV) häufig nicht zur Anzeige gebracht, sondern nach dem Prinzip der Selbstverwaltung intern geregelt.

Das seit dem 01. Januar 2004 geltende Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG), wonach spezielle Prüfgruppen eingerichtet werden müssen, hat daran bisher nichts geändert, so das LKA Hamburg.

Auch aus diesem Grund ist nach wie vor von einem großen Dunkelfeld auszugehen. Den ge-schädigten Einrichtungen dürfte es vermutlich vorrangig um Schadensersatz gehen, weniger um Strafverfolgung. Diese verursacht (aus ihrer Sicht) noch zusätzliche Kosten und führt häufig nicht oder erst sehr spät zum gewünschten Erfolg.

Bundeskriminalamt

Durch Abrechnungsbetrug ist im Jahr 2004 ein Schaden in Höhe von 20,7 Mio. Euro verur-sacht worden. Gegenüber 2003 (140,52 Mio. Euro)45 bedeutet dies eine Abnahme von -85,2 %.

Auf Grund einer Fehlerfassung in der PKS sind dieser Schadenssumme jedoch noch 145,3 Mio. Euro hinzuzurechnen. Dieser zuletzt genannte Schaden resultierte aus einem Ermitt-lungsverfahren der BKI Lübeck gegen die Firmengruppe eines Laborfacharztes.

Somit verläuft die Entwicklung der Schadenssummen tatsächlich parallel zu den Fallzahlen.

c) Erkenntnisse zu Tätern, Opfern, Modus Operandi

Die Anzahl der Tatverdächtigen im Deliktsbereich Abrechnungsbetrug lag mit 512 im Jahr 2004 etwa doppelt so hoch wie im Vorjahr (2003: 258). Die Zahl der weiblichen Tatverdäch-tigen in diesem Deliktsfeld ist mit 27,7% überdurchschnittlich hoch im Vergleich zur übrigen Wirtschaftskriminalität. Der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen ist mit 7,6 % (2003:

3,2 %) gering.

Im Bereich des Abrechnungsbetruges war das Jahr 2004 geprägt von einer feststellbaren Än-derung im Bewusstsein der Patienten. In den Fällen, in denen Patienten die Abrechnung der Leistungserbringer zur Kenntnis bekamen und somit in die Lage versetzt wurden, die Ab-rechnungen überprüfen zu können, ist eine erhebliche Sensibilität bezüglich des Phänomens

"Abrechnungsbetrug" festgestellt worden.

Dies wird als Resultat der Kontrollen der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und den strafrechtlichen Ermittlungen andererseits zugeschrieben.

Anzumerken ist, dass das Phänomen 'Abrechnungsbetrug' in allen Bereichen des Gesund-heitswesens zu finden ist (systemimmanent).

Fallbeispiele LKA Berlin

Durch einen ehemaligen Mitarbeiter eines Berliner Dialysezentrums wurde angezeigt, dass dort seit Jahren Blutwäschen bei nierenkranken Patienten durch einen nicht zugelassenen As-sistenten ärztlich betreut werden. Die Ermittlungen ergaben, dass dieser nicht zugelassene Arzt seine Ausbildung als Nephrologe (Nieren-Facharzt) nicht beendet hat. Seine Leistungen - die er teils erbrachte während sich der Praxisinhaber im Ausland in Urlaub befand - hätten gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung nicht abgerechnet werden dürfen. Der im überprüften Zeitraum 01. Oktober 2001 bis 31. März 2003 verursachte Schaden beträgt 470.000 Euro.

Bayerisches LKA

Die KPI Coburg ermittelt gegen einen 39-jährigen Zahnarzt, der durch betrügerische Abrech-nungen u.a. durch die Manipulation der Abrechnungssoftware einen Schaden von mehr als 500.000 Euro verursacht hat. Neben der Abrechnung nicht erbrachter Leistungen verfälschte er

45 Ursächlich für die enorme Schadenshöhe im Jahr 2003 von mehr als 140 Mio. Euro war ein Großverfahren mit einem Einzelschaden von rund 130 Mio. Euro aus der Zuständigkeit des PP Osthessen.

systematisch gespeicherte Patientendaten sowie Einlesedaten der Krankenversicherungskarte, verstellte die Systemuhr des Computers und rechnete fiktive Behandlungen ab. Ebenso wurde im Bereich der Zahnersatzabrechnungen manipuliert, indem durch Gefälligkeitsrechnungen des Dentallabors Fremdlaborkosten überhöht abgerechnet wurden. Da der beschuldigte Zahnarzt seinerseits nur die tatsächlich durchgeführten Leistungen an das Dentallabor abführte, floss ihm dabei der Gewinn direkt zu.

d) Prognose (Trend)

Trotz der angeführten Unzulänglichkeiten bei der statistischen Erfassung dieses Deliktsberei-ches lässt sich eindeutig ein ansteigender Trend erkennen, eine Trendwende ist nicht erkenn-bar. So lange dieser Deliktsbereich weiterhin derart im Blickfeld der Öffentlichkeit steht, ist eine Ausweitung des Hellfeldes und daraus resultierend kein spürbarer Verfahrensrückgang (gemessen an der Anzahl der beschuldigten Ärzte) zu erwarten. Allerdings kommt als weitere Komponente durch die Medienberichterstattung der Abschreckungseffekt gegenüber poten-zieller Täter hinzu. Welcher Effekt (Ausweitung des Hellfeldes oder genralpräventive Wir-kung) den größeren Einfluss hat, bleibt abzuwarten.

Das nicht transparente, sich selbst verwaltende und kontrollierende öffentlich – rechtliche Gesundheitssystem mit den unzureichenden Abrechnungskontrollen der Kassenärztlichen Vereinigungen und Kostenträger bietet nach hiesiger Erfahrung nach wie vor zahlreiche Be-trugsmöglichkeiten. Auch die aktuellen Gesetzesänderungen, insbesondere durch die Einfüh-rung des GesundheitsmodernisieEinfüh-rungsgesetzes (GMG) zum 1.1.2004, haben daran bislang erkennbar nichts geändert.

Die im Bundeslagbild Wirtschaftskrimialität 2003 prognostizierte Ausweitung des Hellfeldes und damit ein Anstieg der Fallzahlen in der PKS ist eingetreten. Auf Grund der Einrichtung von Spezialdienststellen, der Darstellung der Problematik in der Öffentlichkeit und seit der Gesundheitsreform zum 01. Januar 2004 vorgeschriebenen Kontrollstellen sowie der Grün-dung von Prüfstellen u.a. auf Seiten der Ärztevertretungen und Krankenkassen ist weiterhin die verstärkte Aufdeckung von Straftaten des Abrechnungsbetruges zu erwarten.

e) Repressive und präventive Bekämpfungsansätze und -methoden

Auch wenn Verfahrenserledigungen im strafprozessualen Hauptverfahren eher die Minderheit darstellen, ist bei den Leistungserbringern das Bewusstsein darüber gestiegen, dass die straf-prozessualen Ermittlungen eine gerichts- und verwaltungsrechtsfeste Grundlage für berufs-, sozial- und disziplinarrechtliche Maßnahmen anderer Institutionen gegenüber den Beschul-digten darstellen.

Dieses gilt es, weiter auszubauen. Ein Schritt in diese Richtung ist die Zusammenarbeit mit allen Akteuren.

So erfolgt seit Jahren zwischen Behörden, den beteiligten Kostenträgern und den Standesor-ganisationen ein Informationsaustausch. Diese dient der Besprechung präventiver Maßnah-men aber auch zur Aufhellung des Dunkelfeldes. Dabei werden beispielsweise Abrechnungs-schwachstellen erörtert, damit die betroffenen Stellen geeignete Gegenmaßnahmen entwi-ckeln können.

Bundeskriminalamt

g) Bewertung, Defizite, Handlungsbedarf

Das z.B. in Bayern praktizierte Verfahren der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB), überhöhte Abrechnungen im Rahmen von Plausibilitätsprüfungen herauszufiltern und nach einer Anhörung des Vertrags-arztes zuviel gezahlte Honorare zurückzufordern, bedingt eine gewisse Kontrolle der Abrech-nungen insgesamt. Diese interne Prüfung führt jedoch nur in wenigen Fällen zu einer Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden.

Obgleich nicht davon auszugehen ist, dass allen überdurchschnittlichen Abrechnungen eine betrügerische Absicht zu Grund liegt, bleibt der Informationsaustausch aus Sicht des BLKA mit KVB und KZVB uneinheitlich und verbesserungsfähig. Auch die Motivation seitens der unmittelbar Beteiligten, d.h. kriminell agierender Ärzte, Patienten oder Apotheker, eine Straftat anzuzeigen, sei oft nicht gegeben, da diese gemeinsame Interessen hätten und ge-meinsam profitierten. Geschädigt sind im Bereich Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen die korrekt abrechnenden Ärzte und Zahnärzte und vor allem der Versicherungszahler.

Trotz der im Verhältnis zu den übrigen Delikten der Wirtschaftskriminalität allgemein gerin-gen Fallzahlen im Phänomenbereich Abrechnungsbetrug handelt es sich hier um eine beson-ders sozialschädliche Form der Wirtschaftskriminalität mit hohen Schadenssummen und zu-dem sehr negativen Auswirkungen auf die Integrität des Gesundheitswesens.

Um das Dunkelfeld weiter aufhellen bzw. das Phänomen eindämmen zu können, sind weitere Maßnahmen erforderlich.

So wird weiterhin eine aktivere Öffentlichkeitsarbeit und das deutliche Aufzeigen der Konse-quenzen für überführte Beschuldigte für erforderlich gehalten, um die general- und spezial-präventive Wirkung zu erzielen.

Vorhandene Systemmängel kann die Polizei nicht beseitigen. Solange das Abrechnungssys-tem nicht einfacher und damit auch kontrollierbarer gestaltet wird, bietet es Raum für unwirt-schaftliches und auch strafrechtlich relevantes Handeln. In einem intensiveren Dialog mit den beteiligten Organisationen sollte versucht werden, die Bereitschaft zur Anzeigenerstattung in gravierenden Fällen zu erhöhen und die Präventionsmöglichkeiten noch besser zu nutzen (siehe auch e).

3.3.7 Sonstige Wirtschaftsdelikte