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3 Ambulantisierung der Pflege

3.2 Entwicklung von Anreizstrukturen

3.2.2 Gesetzlicher Rahmen

Prämisse „ambulant vor stationär“

Die häusliche Pflege bekam schon bei Verabschiedung des Pflege-Versicherungsgeset-zes vom 26. Mai 1994 (PflegeVG) in § 3 SGB XI den Vorrang vor der stationären Pflege eingeräumt. Leistungen für die Pflege in vollstationären Einrichtungen sollen nur nach-rangig gewährt werden, wenn häusliche oder Tages- oder Nachtpflege nicht möglich ist (§ 43 SGB XI). Zwar waren die Leistungsansprüche für Pflegebedürftige der Pflegestufe I und II (nicht aber für Pflegestufe III) für die stationäre Pflege höher, allerdings wurden die Leistungsbeträge für Pflegestufe I und II in den Jahren 2008, 2010 und 2012 nur für die ambulante, nicht aber für die stationäre Pflege angehoben. Zudem wurden unterstüt-zende Leistungen für die häusliche Pflege ausgebaut und die Anrechnungsvorschriften verändert (siehe Kapitel 1.1.2), so dass diese Relation sich inzwischen in ihr Gegenteil verkehrt hat.

Wohnformtypen nicht immer voneinander zu unterscheiden

Tabelle 3.1: In den Landesgesetzen definierte Wohnformen außerhalb stationärer Einrichtungen

Bundesland Bezeichnung der Wohnform

Baden- Württemberg (BW)

• ambulant betreute Wohngemeinschaften für volljährige Menschen mit Unterstützungs- und Versorgungsbedarf – teilweise selbstverantwortet

• vollständig selbstverantwortete Wohngemeinschaften (nicht Anwendungs-bereich des Gesetzes)

• betreutes Wohnen für volljährige Menschen mit Pflege- und Unterstützungs bedarf (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes) Bayern (BY) • ambulant betreute Wohngemeinschaften

• betreutes Wohnen (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes) Berlin (BE) • betreute Wohngemeinschaften

Brandenburg (BB)

• Wohnformen mit eingeschränkter Selbstverantwortung

• selbstverantwortlich geführte Wohnformen (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes)

• betreutes Wohnen (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes) Bremen (HB) • trägergesteuerte Wohnformen

• selbstorganisierte Wohnformen

• Servicewohnen Hamburg (HH) • Wohngemeinschaften

• Servicewohnanlagen

• Gasteinrichtungen

Hessen (HE) • betreute Wohnformen mit allgemeinen Betreuungsleistungen (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes)

Mecklenburg- Vorpommern (MV)

• ambulant betreute Wohngemeinschaften für pflege- und betreuungs-bedürftige Menschen

• betreutes Wohnen (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes) Niedersachsen

(NI) • ambulant betreute Wohngemeinschaften

• betreutes Wohnen Nordrhein-

Westfalen (NW)

• anbieterverantwortete Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen

• selbstverantwortete Wohngemeinschaften mit Betreuungsleistungen

• Servicewohnen

• Gasteinrichtungen

Rheinland- Pfalz (RP)

• betreute Wohngruppen für Menschen mit Intensivpflegebedarf oder schweren kognitiven Einschränkungen

• betreute Wohngruppen für pflegebedürftige Menschen

• Wohneinrichtungen für ältere Menschen

• selbstorganisierte Wohngemeinschaften (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes)

• Servicewohnen (unterliegt nicht Anwendungsbereich des Gesetzes) Saarland (SL) • nicht selbstorganisierte ambulant betreute Wohngemeinschaften

• andere gemeinschaftliche Wohnformen

• Servicewohnanlagen

Bundesland Bezeichnung der Wohnform

Sachsen (SN) • Wohngemeinschaften für Pflegebedürftige (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes)

• betreutes Wohnen (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes) Sachsen-

Anhalt (ST)

• nicht selbstorganisierte ambulant betreute Wohngemeinschaften

• selbstorganisierte ambulante betreute Wohngemeinschaften

• betreutes Wohnen (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes) Schleswig-

Holstein (SH)

• besondere Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen

• selbstverantwortlich geführte ambulant betreute Wohn- und Haus-gemeinschaften

• betreutes Wohnen

Thüringen (TH)

• nicht selbstorganisierte ambulant betreute Wohngemeinschaften

• selbstorganisierte ambulant betreute Wohngemeinschaften (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes)

• nicht selbstorganisiertes betreutes Einzelwohnen für volljährige Pflegebedürftige

• selbstorganisiertes betreutes Einzelwohnen für volljährige Pflegebedürftige (nicht Anwendungsbereich des Gesetzes)

Quelle: Rothgang et al. (2018, S. 68)

Für die stationäre Versorgung sind neben den Regulierungen bezüglich der Pflege auch Regulierungen bezüglich des Wohnraums zu beachten. Eine wichtige Festlegung hierbei ist das Heimgesetz (HeimG) vom 7. August 1974 und in der Neufassung vom 5. Novem-ber 2001. Mit der Föderalismusreform im Jahr 2006 wurden die Verantwortlichkeiten für den ordnungsrechtlichen Teil der Heimgesetzgebung vom Bund auf die Länder verscho-ben (BGBl I S. 2034). Dieser Teil befasst sich mit Fragen der Genehmigung des Betriebs von Heimen oder anderen Wohnformen für ältere, pflegebedürftige und behinderte Men-schen, mit der personellen oder baulichen Ausstattung der Einrichtung oder mit Sanktio-nen bei Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorschriften. Für die Zeit, in der auf Länderebene noch keine Regelungen vereinbart waren, galten die alten Verordnungen des HeimG, die Heimmitwirkungsverordnung (HeimmwV) zur Bildung von Heimbeiräten als Interessen-vertretung der Bewohnerinnen und Bewohner, die Heimmindestbauver ordnung (Heim-MindBauV) mit baulichen Mindestanforderungen an Pflegeheime, die Heimsicherungs-verordnung (HeimsicherungsV) mit den Beschreibungen der Pflichten des Trägers einer Einrichtung und die Heimpersonalverordnung (HeimPersV) mit Anforderungen an das Personal in Pflegeheimen fort. Inzwischen haben alle Bundesländer entsprechende

lan-Bezüglich der zivilrechtlichen Bestimmungen trat am 1. Oktober 2009 das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) vom 29. Juli 2009 als Nachfolgeregelung für die zivil-rechtlichen Bestimmungen des HeimG auf Bundesebene in Kraft. Es dient dem Zweck, ältere und pflegebedürftige Menschen bei Abschluss von Verträgen über Wohnraum-überlassung und Pflege- und Betreuungsleistungen vor Benachteiligung zu schützen.

Das Gesetz ist anzuwenden, sofern zwischen einem volljährigen Verbraucher und einem Unternehmer ein Vertrag über Wohnraumüberlassung und Pflege- oder Betreuungs-leistungen zur Bewältigung eines Hilfebedarfs aufgrund von Alter, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung geschlossen wird (Rothgang et al., 2018, S. 66).

Erfasste Wohnformen

Wie Tabelle 3.2 zeigt, sehen 15 der 16 Bundesländer eine Melde-/Anzeigepflicht für Pflege-WGs, aber nur sechs Länder eine entsprechende Verpflichtung für betreutes Woh-nen vor. Auch bezüglich ordnungsrechtlicher Prüfungen, Personalvorgaben und räumli-cher Anforderungen ist die Kontrolldichte für Pflege-WGs höher als für betreutes Wohnen, nicht zuletzt, weil betreutes Wohnen in neun Bundesländern nicht im Anwendungsbe-reich der Gesetze liegt (Rothgang et al., 2018, S. 68 f.).

In der Hälfte der Ländergesetze werden selbstverantwortete oder trägerorganisierte WGs unterschieden. Für Pflege-WGs wird in der Regel – entsprechend den Anforderun-gen im SGB XI – eine Mindestbewohnerzahl von drei verlangt, wenn eine solche Bestim-mung enthalten ist. Im Saarland müssen es sogar sechs sein. Die maximale Bewohnerzahl wird ebenfalls entsprechend den Regelungen im SGB XI in der Regel auf zwölf festge-legt – Ausnahme Hamburg mit maximal zehn Bewohnern. Wenn eine Anzahl an Pflege- WGs im gleichen Gebäude festgelegt wurde, dann sind es zwei Pflege-WGs oder 24 Personen. In der Regel wird eine Wahlfreiheit bei der Pflege verlangt. In drei Bundes-ländern (Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen) ist die Wahlfreiheit nicht verlangt, wenn es sich um nicht selbstorganisierte Pflege-WGs handelt. In der Hälfte der Länder ist eine Unabhängigkeit von stationären Einrichtungen verlangt.

Tabelle 3.2: Landesrechtliche Regulierungen für Pflege-WGs und betreutes Wohnen Pflege-WGs

BW BY BE BB HB HH HE MV NI NW RP SL SN ST SH TH

Beschränkung auf 2 WGs oder

24 Personen ü ü ü ü ü ü ü

Unabhängigkeit von stationärer

Ein-richtung gefordert ü ü ü ü ü ü ü ü

Melde-/Anzeigepflicht ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü

ordnungsrechtliche

Prüfung ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü

Personalvorgaben ü ü ü ü

Mitwirkung der

Bewohner ü ü ü ü ü ü ü ü

räumliche

Anforderungen ü ü ü ü

Büroräume für Anbieter im Wohnbereich

unter-sagt ü ü ü ü ü ü

Förderprogramme,

Investitionen, Darlehen ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü

betreutes Wohnen

BW BY BE BB HB HH HE MV NI NW RP SL SN ST SH TH

Melde-/Anzeigepflicht ü ü ü ü ü ü

ordnungsrechtliche

Prüfung ü ü ü

Personalvorgaben ü

Mitwirkung der

Bewohner ü ü

räumliche

Anforderungen ü ü

Förderprogramme,

Investitionen, Darlehen ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü ü

Ein „ü“ steht nur dafür, dass es überhaupt Regulierungen gibt. Die dahinterliegenden Anforderungen sind in der Regel nicht so umfangreich und regelmäßig wie im Pflegeheim.

Quelle: Rothgang et al. (2018, S. 69 ff.)

Melde- und Anzeigepflicht

Pflege-WGs mit eingeschränkter Selbstverantwortung sind in allen Bundesländern, die diese definiert haben, meldepflichtig. In Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen sind selbstorganisierte Pflege-WGs hingegen nicht anzeigepflichtig. Die Pflicht zur Meldung wird auf verschiedenen Ebenen umgesetzt.

Zunächst hat zumeist ein Träger die Anzeigepflicht. Darüber hinaus werden aber auch ambulante Dienste und die Bewohner selbst zur Anzeige verpflichtet. In Hessen und Niedersachsen wird die Erfassung von Pflege-WGs ausschließlich über Pflegedienste abgebildet, die anzeigen müssen, wenn sie in einem Haushalt mehr als zwei Personen versorgen. In sechs Bundesländern besteht eine teilweise eingeschränkte Anzeigepflicht für betreutes Wohnen (Rothgang et al., 2018, S. 70 f.).

Ordnungsrechtliche Prüfung

Die ordnungsrechtliche Prüfung von Pflege-WGs wird in den Ländern unterschiedlich geregelt. So ist in manchen Bundesländern in Pflege-WGs keine anlassbezogene Prüfung im Gesetz erwähnt, während anderswo jährliche oder anlassbezogene Prüfungen vorge-sehen sind (Rothgang et al., 2018, S. 71 ff.). Ordnungsrechtliche Prüfungen in betreutem Wohnen sind in den Ländern fast gar nicht reguliert.

Personalvorgaben

In der Regel legen die Landesgesetze keine Mindestzahl an Präsenzkräften oder Min-destanwesenheitszeiten fest. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz muss aller-dings rund um die Uhr Personal in der Pflege-WG vorgehalten werden. In Pflege-WGs für Menschen mit Intensivpflegebedarf oder schweren kognitiven Einschränkungen in Rheinland-Pfalz muss es sich dabei sogar um eine Fachkraft handeln. Ebenso wird in Berlin die durchgängige Anwesenheit einer Hilfskraft in Pflege-WGs mit schwer- oder schwerstpflegebedürftigen Menschen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen ver-langt. Nur in Hamburg ist die Anforderung an betreutes Wohnen definiert, dass dort Betreuungspersonal regelmäßig vor Ort erreichbar sein soll (Rothgang et al., 2018, S. 73).

eingeschränkte Melde-pflicht für Pflege-WGs und betreutes Wohnen

kaum ordnungsrechtliche Prüfungen

minimale Personal-vorgaben

Mitwirkung der Bewohner

Die Einrichtung eines Bewohnergremiums oder Bewohnerbeirats ist nur in der Hälfte der Länder für Pflege-WGs vorgesehen. Für betreutes Wohnen sind nur in zwei Ländern opti-onale Vertretungen benannt (Rothgang et al., 2018, S. 73).

Räumliche Anforderungen

In vier Ländern sind direkte Anforderungen hinsichtlich der Wohnfläche und der Ausstat-tung in Pflege-WGs durch die Landesregelungen gegeben. In sechs Bundesländern ist auch geregelt, dass keine Büroräume der Anbieter in den Pflege-WGs vorhanden sein dürfen. Ein Dienstzimmer für die Betreuungskraft ist nur in Nordrhein-Westfalen vor-gesehen. Eine Regulierung der baulichen Gegebenheiten ist im Bereich des betreuten Wohnens fast gar nicht gegeben (Rothgang et al., 2018, S. 74).

Investitionsförderprogramme

Bundesweit einheitliche Zuschüsse sind die Anschubfinanzierung zur Gründung von Pflege-WGs nach § 45e SGB XI, die Förderung modellhafter Projekte im Programm zur Weiterentwicklung neuer Wohnformen nach § 45f SGB XI und von Modellvorhaben nach

§ 8 Abs. 3 SGB XI. Zudem bestehen Fördermöglichkeiten mit einem Fokus auf barriere-freien Umbau. Hierbei handelt es sich beispielsweise um wohnumfeldverbessernde Maßnahmen gemäß § 40 SGB XI oder Zuschüsse und zinsgünstige Kredite im Programm

„Altersgerecht Umbauen“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Auf Landesebene werden aber in den meisten Ländern noch weitere Investitionsprogramme angeboten.

Hierzu zählen zinslose oder zinsgünstige Darlehen für die Errichtung von Pflege-WGs und auch im Rahmen des betreuten Wohnens. In Bayern gibt es in beiden Fällen sogar eine Anschubfinanzierung (Rothgang et al., 2018, S. 74).

Regulierungsdichte

Insgesamt ist die Regulierung der Pflege-WGs ausgeprägter als die des betreuten Woh-nens. Bundesländer wie Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz weisen in der Tendenz eine stärkere Regulierung von Pflege-WGs auf als andere Länder, beispielsweise in Bezug auf eine durchgängige Personalpräsenz. Prinzipiell gibt es auch in

Bewohnergremium

ten ist. Dennoch gehen die Länder die Definitionsproblematik unterschiedlich intensiv an.

In einigen Ländern erfolgen auch in ambulanten Wohn- und Pflegeformen ordnungs-rechtliche Überprüfungen regelmäßiger und es werden teilweise strikte Trennungen der ambulanten Wohn- und Pflegeformen von stationären Einrichtungen gefordert.